katalog-overlapping voices - Ritesinstitute
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wenn dieselben Konflikte früher oder später wiederauferstehen wie Gespenster<br />
aus ihren Gräbern in einem Horrorfilm. Woran liegt das, fragen wir uns<br />
mit Freunden am Kaffeehaustisch. Woher kommt diese Konfliktscheu? „metternich“,<br />
sage ich. ich könnte „Sozialpartnerschaft“ ergänzen, oder „hohe<br />
Berge“, aber in Wirklichkeit ist es eine offene Frage.<br />
auf der Ebene der Zeichen ist es ausschließlich das arabische, das die menschen<br />
ängstigt. Das Hebräische in unseren Skizzen zur Beschriftung nehmen<br />
sie kaum wahr, es bleibt am rand. Es ist das, was die Hausbesitzerin mit dem<br />
interesse für Tibet mit „dem Historischen“ meint. Es ist in Spuren noch in der<br />
Öffentlichkeit des 2. Bezirks vorhanden, aber es überschreitet die reizschwelle<br />
der alltäglichen Wahrnehmung nicht mehr. Es ist das vergangene, das, was<br />
nicht mehr da ist, das, was keine Bedeutung mehr hat. Die arabischen Zeichen<br />
stehen für den aktuellen Konflikt, für das, was sichtbar und spürbar ist. Für die<br />
moschee in der Dammstraße, für Überfremdungsängste und nicht gelöste probleme.<br />
Die Bürgerinitiative gegen die moschee formuliert auf ihrer Homepage<br />
die angst vor „lärmbelästigung, abgasbelastung, verschmutzung und parkplatznot“.<br />
Die rassistische Zuweisung von lärm und Schmutz an migranten ist<br />
hochproblematisch. Das anliegen, von der politik gehört zu werden, auch mit<br />
unliebsamen Forderungen, die sich der instantharmonisierung entziehen, ist<br />
mir jedoch verständlich. „Wir mussten erkennen, dass die so oft hervor- und<br />
hochgehobene Demokratie – mitsprache der Bürger – in unserem land nur<br />
dann Gültigkeit hat, sofern sie in politisch problematischen Entscheidungsbereichen<br />
nicht hinderlich ist“, formuliert die Bürgerinitiative an anderer Stelle.<br />
Wenn das Zusammenleben im Bezirk nicht harmonisch ist – sollte man das<br />
nicht zuerst einmal zur Kenntnis nehmen, um überhaupt zu lösungen kommen<br />
zu können? Sollten nicht alle positionen, die es dazu gibt, raum bekommen?<br />
angenehmer für verwaltung und politik wäre es sicher, wenn die probleme einfach<br />
nicht da wären. Wenn die Türken wieder zurück in die Türkei gingen und<br />
die österreichischen Bezirksbewohner brav vor dem Fernseher blieben, bei<br />
Chips, Em und Bier. Wenn beide Gruppen einfach verschwinden würden. Wenn<br />
man schon fertig wäre, bevor man überhaupt angefangen hat.<br />
Ein paar Straßen weiter, im augarten, wurde diversen Gruppen und Bürgerinitiativen<br />
– und nicht zuletzt dem renommierten Filmarchiv – versprochen, zuerst<br />
ein leitbild für die zukünftige Nutzung des parks zu erstellen, bevor eine Entscheidung<br />
über die Bebauung des südlichen parkspitzes getroffen werden sollte.<br />
Der Wirtschaftsminister hat sich über diesen laufenden Bürgerbeteiligungsprozess<br />
hinweggesetzt und mit großer Geste, vor der Erstellung des leitbildes, seine<br />
Entscheidung getroffen: zugunsten einer Konzerthalle der Sängerknaben, gegen<br />
ein Filmkulturzentrum. Für das projekt der Sängerknaben soll nun ein Teil des<br />
barocken Baubestandes abgebrochen werden. vielleicht wird eine Schrift an der<br />
augartenmauer erscheinen und uns mit schönen geschwungenen lettern lehren,<br />
was „abbruch“ auf arabisch heißt, oder mit klaren hebräischen lettern, wie<br />
man „Denkmalschutz“ buchstabiert.<br />
Eine Gruppe jüdischer und palästinensischer Künstler aus israel plant, arabische<br />
und hebräische Schriftzeichen im öffentlichen raum in Wien anzubringen. mit<br />
deutscher Übersetzung. Dass sich die Wiener vor dem arabischen fürchten und<br />
das Hebräische ignorieren, das habe ich so nicht vorhergesehen. an einem sonnigen<br />
Februartag sitze ich mit Karin Schneider, Friedemann Derschmidt und der<br />
Gruppe parrhesia in Nazareth, wir besprechen das Wiener projekt. parrhesia hat<br />
2006 in zwei ehemals arabischen vierteln in Jaffa und Jerusalem die Straßenbeschriftung<br />
wieder um arabische Zeichen ergänzt, das arabische dort wieder<br />
in den öffentlichen raum gestellt, wo es zum verschwinden gebracht worden<br />
war. Jetzt gilt es, diese arbeit nach Wien zu transportieren, sie so abzuwandeln<br />
und umzubauen, dass sie hier funktioniert, Sinn ergibt. Die Diskussion wirkt noch<br />
ein paar Tage in mir nach, vor allem beschäftigt mich die Frage, wie sich das<br />
projekt in einem raum verändern wird, in dem das Hebräische nicht hegemonial<br />
ist, nicht die dominante Kultur anzeigt. in israel ist es das Hebräische, das<br />
dem arabischen raum gewährt. in Wien, in Österreich, in Europa werden beide<br />
Sprachen, beide Zeichentypen fremd sein. Wie wird sich das auf das Hebräische<br />
auswirken, wie auf die Dynamik der Gruppe, die sich aus palästinensischen und<br />
jüdischen mitgliedern zusammensetzt? Wie werden die jüdischen israelis darauf<br />
158 OVERLAPPING VOICES<br />
reagieren, dass sie in Wien nicht mehr zu denjenigen gehören, die raum gewähren,<br />
sondern zu denjenigen, denen raum gewährt wird? Werden die palästinensischen<br />
Künstler in Wien noch diejenigen in der Gruppe sein, denen etwas<br />
zugestanden wird? Oder werden sie sich auf demselben Niveau der Fremdheit<br />
befinden wie ihre jüdischen Kollegen? Welche rolle werde ich als deutschsprachige<br />
Österreicherin in dieser Konstellation bekommen? als diejenige, in deren<br />
Sprache nun übersetzt wird, so wie bisher das arabische ins Hebräische übersetzt<br />
wurde? als diejenige, die die gewährenden Österreicher in der Gruppe vertritt?<br />
Für einen programmflyer formulieren wir gemeinsam den Satz: „Das projekt<br />
stellt die Tendenz der westlichen Welt in Frage, sowohl arabische als auch<br />
hebräische Sprache und Kultur als Bedrohung aufzufassen.“ und am Ende stellt<br />
sich heraus: Es ist nicht wahr. Die Bedrohung ist und bleibt das arabische. Das<br />
Hebräische ist auch in Wien dem arabischen nicht gleichgestellt, wird auch hier<br />
nicht zur Bedrohung, es verschwindet vielmehr. Es ist das Historische. Das zum<br />
verschwinden Gebrachte. Es ist keine Bedrohung mehr, weil es bereits abgehakt,<br />
fertig gemacht ist. Es ist und bleibt am rand, weil es nicht einmal mehr bei<br />
der Bürgerinitiative Dammstraße angst auszulösen vermag. und das ist der moment,<br />
wo sogar ich mich ängstige, weil alle meine Fragen damit sinnlos zu werden<br />
scheinen. Es bleibt scheinbar alles beim alten, alles, wie es ist.<br />
Eine Gruppe jüdischer und palästinensischer Künstler aus israel plant, arabische<br />
und hebräische Schriftzeichen im öffentlichen raum in Wien anzubringen.<br />
Graffiti. „Dafür eine Genehmigung zu bekommen wird sicher kompliziert“,<br />
sage ich zu parrhesia in israel, und sie staunen darüber nicht<br />
schlecht. Wie in vielen europäischen Städten gehören die Schablonengraffiti<br />
an Hauswänden und pfeilern in Tel aviv und Jerusalem zum alltäglichen Straßenbild.<br />
Die wenigsten dieser Graffiti sind Kunst, manche werben einfach<br />
nur für die party am nächsten Donnerstag, andere illustrieren politische parolen<br />
und wieder andere sollen einfach nur schön sein. Das geht in Wien<br />
selbstverständlich nicht. auch nicht auf Elektrokästen?, fragen die israelis.<br />
Nein, da müsste man die ma 33 fragen. aber vielleicht auf dem Gehsteig?<br />
Wir stellen schließlich bei der ma 28 einen „antrag auf Gestaltungserlaubnis“.<br />
in einem Telefonat erfahre ich, dass die Straßenverwaltung grundsätzlich<br />
gegen Bodenmarkierungen ist, wegen der Stolpergefahr. auf der mariahilfer<br />
Straße wurden von der ma 48 Hinweispfeile zu den mistkübeln auf dem<br />
Gehsteig angebracht. Die lässt die ma 28 nun wieder entfernen, denn wenn<br />
es jemanden aufhaut, dann sind sie haftbar. So sind nun also die Bemühungen<br />
der einen magistratsabteilung, die passanten davor zu schützen, auf<br />
einer weggeworfenen Bananenschale auszurutschen, durch die Bemühungen<br />
der anderen magistratsabteilung zunichte gemacht, die passanten nicht über<br />
die Hinweispfeile zu den mistkübeln stolpern zu lassen. Das alles fügt sich<br />
trefflich zu den plakaten, die das magistrat auf den Elektrokästen und lichtmasten<br />
affichieren lässt, auf denen zu lesen ist: „plakatieren verboten“.<br />
Fraglich ist nur, ob nicht das anliegen der ma 48 das höhere Gut ist, denn<br />
es dient gleichzeitig der vermeidung des ausrutschens und der Sauberkeit.<br />
und die vermeidung von „lärmbelästigung, abgasbelastung, verschmutzung<br />
und parkplatznot“ ist ja bekanntlich das, was uns kulturell vom Tschuschen<br />
trennt. arabische Zeichen auf dem Gehsteig sind in dieser Hinsicht sicher<br />
der Gipfel der verschmutzungsgefahr. Never mind the message. man darf<br />
angst haben. und man darf gespannt sein, ob es uns gelingen wird, auf diesem<br />
Weg das Ende des abendlandes herbeizuführen.<br />
Ursula Hofbauer<br />
DI Ursula Hofbauer ist Künstlerin und architektin in Wien und hat in verschiedenen<br />
Kunst- und ausstellungsprojekten im und mit dem öffentlichen<br />
raum gearbeitet, unter anderem: „Strange views“, ausstellung im Wiener<br />
prater mit Bodenbeschriftung (1999), „permanent Breakfast“, das immerwährende<br />
Frühstück im öffentlichen raum (1999–2005), Weinverkostung<br />
mit Obdachlosen unter der Schwedenbrücke (2002) und mehrere Kunstprojekte<br />
mit Flüchtlingen (2004–2006). vorträge, publikationen und Stadtspaziergänge<br />
zu „permanent Breakfast“, Gender und öffentlichem raum<br />
und Wiener Wahrzeichen. Widmet sich entschieden allen Fragen des öffentlichen<br />
raums, seiner demokratischen Nutzung und aneignung und<br />
der daraus resultierenden Gestaltung.