katalog-overlapping voices - Ritesinstitute
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curator´s statement<br />
amal murkus<br />
Die instrumente, die ich als sängerin verwende,<br />
sind normalerweise musikinstrumente.<br />
Das instrument, das ich am häufigsten<br />
verwende, ist meine stimme sowie<br />
all das, was meinem gesang und meiner<br />
stimme innewohnt. Die texte meiner lieder<br />
verkörpern in kreativer weise meine<br />
träume. sie sind immer untrennbar mit der<br />
situation in meinem land verbunden – mit<br />
all den ereignissen, mit all meinen erinnerungen,<br />
den erinnerungen meiner familie<br />
und meines volkes. manchmal verwandelt<br />
sich die erinnerung in eine heimat und<br />
eine identität, und das heimweh nimmt die<br />
form eines gebets oder eines traurigen gesanges<br />
an. Die heimat ist die Quelle der<br />
inspiration, insbesondere der künstlerischen<br />
inspiration. fern der heimat zu sein<br />
vermag sogar den künstler oder die künstlerin<br />
zu zerstören! oder aber es stärkt den<br />
künstler, dann nämlich, wenn er seine<br />
kraft, seine stärke und vor allem seine innere<br />
freiheit nutzt. meine stimme ermöglicht<br />
mir, grenzen zu überschreiten und in<br />
ein Buch zu reisen, aus dem ich ein gedicht<br />
auswähle, das ich singen werde.<br />
meine stimme kann ein Bild begleiten oder<br />
eine szene in einem film. meine stimme<br />
kann die grenzen einer kunstausstellung<br />
erweitern und den ausstellungsraum mit<br />
einer bestimmten atmosphäre erfüllen.<br />
Dieses mal habe ich die welt der kunst nicht als<br />
sängerin betreten, sondern als sogenannte cokuratorin<br />
einer ausstellung. ich bin ziemlich vertraut<br />
mit der kunstwelt – dennoch geht es hier um eine<br />
andere art der kreativität, die ihre eigenen „instrumente“,<br />
ihre eigene sprache hat. Diese kreativität<br />
hat die fähigkeit, in die Räume der anderen<br />
zu „fliegen“ und einen Dialog zu beginnen, ohne<br />
sprache, ja sogar ohne stimme!<br />
ein künstler besitzt nicht die fähigkeit, einem<br />
flüchtling ein haus zu bauen, noch ihn in seine<br />
heimat zurückkehren zu lassen, dorthin, wo er<br />
sein haus und eigentum zurückgelassen hat;<br />
ebenso wenig hat er die fähigkeit, ein kind wieder<br />
zum leben zu erwecken, das in einem barbarischen<br />
luftangriff starb; genauso steht er angesichts<br />
der aufgabe, einem vater, einer mutter,<br />
einem Bruder, einem freund, die in einem krieg<br />
14 OVERLAPPING VOICES<br />
Ich habe gesungen,<br />
sie haben geschossen,<br />
Ich habe geschrieben,<br />
sie haben geschossen,<br />
Ich habe gelesen,<br />
sie haben geschossen,<br />
Ich habe Klänge gespielt,<br />
sie haben geschossen,<br />
Ich habe gezeichnet,<br />
sie haben geschossen,<br />
Ich habe eine Skulptur angefertigt,<br />
sie haben geschossen … überall,<br />
… um des Rechts, der Tugend,<br />
der Schönheit und des Anlasses willen.<br />
Und du, Kamerad,<br />
Besuchst nun regelmäßig dein Grab,<br />
um die Kurse ausländischer Währungen<br />
für diesen Tag zu rezitieren.<br />
(Mohammed Maghout)<br />
getötet wurden, das leben zurückzugeben, mit leeren<br />
händen da. vor allem kann ein künstler die<br />
Besatzungsmacht nicht besiegen und er kann ihr<br />
repressives vorgehen gegen die menschen und<br />
den künstler selbst nicht unterbinden; und er kann<br />
die Beschlagnahmung jenes landes, auf dem der<br />
künstler selber leben könnte, nicht stoppen.<br />
kein anderer kleinstaat hat so viele grenzen zwischen<br />
dem individuum und seiner Umwelt errichtet<br />
wie unserer; permanente und mobile grenzen<br />
auf schritt und tritt. Überall grenzen. Die grenzen<br />
verlaufen zwischen den menschen und dem Recht<br />
auf ein normales leben. grenzen, die das alltagsleben<br />
in ein alltägliches wunder verwandeln.<br />
wer immer der künstler auch ist und unabhängig<br />
von dem feld, in dem er kreativ tätig ist – seine<br />
kreativität gibt ihm nicht die macht, die trennmauer<br />
zu entfernen. Die mauer ist ein exil. Die<br />
mauer trennt nicht nur die Palästinenser<br />
von den israelis, sondern auch die Palästinenser<br />
untereinander und von ihrem<br />
land. es ist eine mauer, die den künstler<br />
daran hindert, sein atelier und seinen arbeitsplatz<br />
zu erreichen; die mauer steht<br />
zwischen ihm und jenen orten, die man erreichen<br />
muss, um ein musikstück zu überarbeiten<br />
oder ein lied aufzunehmen – ein<br />
lied, das ohnehin nicht im Radio oder<br />
fernsehen gespielt werden wird, weil es<br />
nicht in der sprache der mehrheit gesungen<br />
wird. Der Raum, über den künstler<br />
verfügen können, wird permanent enger.<br />
Dem künstler fehlt die luft zum atmen. er<br />
will fliegen, aber er wird davon abgehalten.<br />
es gibt kein Zeichen der hoffnung. frieden<br />
und freiheit sind unerreichbar und der horizont<br />
ist von dichtem nebel verdeckt. es<br />
gibt kein Zeichen der hoffnung.<br />
in anbetracht des kampfes eines volkes<br />
um sicheren lebensraum und freiheit<br />
schwinden die eigenen sorgen. wie kann<br />
ein künstler oder eine künstlerin in so einer<br />
situation für sich eine galerie fordern<br />
oder sich um eine ausstellung oder um<br />
farben kümmern?<br />
ein wirklicher künstler hat nicht das Recht,<br />
das elend und den schmerz von millionen<br />
anderer menschen zu vergessen; millionen<br />
von flüchtlingen, exilierten, vertriebenen<br />
und staatenlosen. sie alle wurden des Rechts auf<br />
Rückkehr in ihre heimat und des Rechts auf<br />
staatsbürgerschaft in den ländern, in denen sie<br />
gegenwärtig leben, beraubt.<br />
kennzeichnend für unsere palästinensische situation<br />
ist, dass die meisten Palästinenser vor 60 Jahren<br />
entwurzelt, evakuiert, vertrieben und verbannt<br />
wurden. Bis heute leben millionen palästinensischer<br />
flüchtlinge in der Diaspora und sind der möglichkeit<br />
zur Befriedigung ihrer grundlegenden lebensbedürfnisse,<br />
ihrer bürgerlichen Rechte und des<br />
Rechts auf Rückkehr in ihre heimat, aus der sie<br />
1948 vertrieben wurden, beraubt. sie haben nicht<br />
einmal das Recht, in ihre flüchtlingslager zurückzukehren,<br />
weil diese bei jeder kriegerischen auseinandersetzung<br />
zerstört werden.<br />
seit der palästinensischen katastrophe, der nakba<br />
von 1948, haben alle Regierungen israels die exis