katalog-overlapping voices - Ritesinstitute
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artist stateMent<br />
„throuGh LanGuaGe“ in Wien<br />
EiN GEmEiNSCHaFTSprOJEKT vON parrHESia, ZOCHrOT<br />
uND urSula HOFBauEr<br />
„Through Language“ in Wien ist ein öffentliches Kunstprojekt: ein arabischdeutsch-hebräisches<br />
Wörterbuch und ortsspezifisches Glossar.<br />
Das projekt wurde an zwei Orten in israel – Jerusalem und Jaffa – unter verwendung<br />
von arabischen und hebräischen Transkriptionen und Übersetzungen<br />
verwirklicht. Es entstand als antwort auf die verbreitete praxis israelischer<br />
Extremisten, die das arabische auf Straßenschildern durch aufkleber<br />
oder Sprühfarbe auslöschen, und auf die staatliche praxis der unterdrückung<br />
palästinensischer Kultur durch die marginalisierung und unterprivilegierung<br />
des arabischen, einer offiziellen landessprache israels. Diese arabischen<br />
Wörter sind Schlüssel zu Geschichten, Erinnerungen, Hoffnungen und Ängsten,<br />
die zumeist nur in privaten räumen zu Gehör kommen, ohne in der öffentlichen<br />
Sphäre oder ihrem Diskurs gegenwärtig zu sein. Dem arabischen<br />
soll ein Ort in unserem öffentlichen leben eingeräumt werden. Wir möchten<br />
die kulturelle Gegenwart der palästinensischen Bürger israels stärken, der<br />
einheimischen Bewohner und ihrer Kultur, auf deren Zerstörung unser Staat<br />
errichtet wurde, und unseren Wunsch zum ausdruck bringen, uns im Nahen<br />
Osten kulturell zu integrieren.<br />
arabische und hebräische Zeichen in der öffentlichen Sphäre Europas sichtbar<br />
zu machen, mag Fragen hervorrufen nach der anwesenheit unserer Sprachen<br />
und Kultur in Europa. Wir hoffen, die derzeitige Tendenz in der westlichen<br />
Welt zu hinterfragen, das arabische und das Hebräische und die mit<br />
ihnen verknüpfte Kultur als Bedrohung wahrzunehmen, und beziehen uns<br />
daher auf die Fremdenfeindlichkeit und den antisemitismus, die sich in Europa<br />
fortgesetzt zeigen. Wir schlagen außerdem vor, Sprache und Kultur als<br />
arena des gegenseitigen Zuhörens und des Dialogs mit dem anderen zu betrachten.<br />
unsere Wahl ist nicht zufällig auf die „augartenStadt“ in Wien gefallen;<br />
als „verlorene insel“ war sie ein Hauptschauplatz der vertreibung von<br />
Juden im Jahr 1938 – und als Ort neuer migration ist sie derzeit Schauplatz<br />
von Konflikten zwischen populismus, Fremdenfeindlichkeit und muslimischer<br />
Selbstbehauptung.<br />
„Through Language“ wurde zuerst im august 2006 im rahmen der ausstellung<br />
„Neighborhood Works“ (kuratiert von der Gruppe Sala-manca) im Deutsche-Kolonie-viertel<br />
von Jerusalem gezeigt. Die zweite, von der Künstlergruppe „ayam“<br />
kuratierte präsentation fand in Jaffa statt, unterstützt vom Kunstamt der abteilung<br />
Kultur und Kunst der Stadtverwaltung Tel aviv-Jaffa, dem israeli Center for<br />
Digital art, Holon, und dem New israel Fund.<br />
Parrhesia ist eine Gruppe von pädagogen, Sozialaktivisten und Künstlern (aus den<br />
Bereichen Grafik- und industriedesign, Kinofilm, Fotografie, video und bildende<br />
Kunst), die sich in israel gesellschaftlich engagieren. Die Gruppe arbeitet mit<br />
Organisationen, die gesellschaftlichen Wandel vorantreiben, und aktivisten vor<br />
Ort zusammen und produziert daneben eigene arbeiten in der Öffentlichkeit.<br />
Zochrot („Erinnerung“) ist eine Gruppe von israelischen Bürgern, die sich bemühen,<br />
das Bewusstsein für die Nakba, die palästinensische Katastrophe<br />
des Jahres 1948, zu schärfen. Zochrot ist bestrebt, die Geschichte der Nakba<br />
der israelischen Öffentlichkeit zugänglich zu machen, um so Juden und palästinenser<br />
an einer unverstellten Erzählung ihrer schmerzlichen gemeinsamen<br />
Geschichte zu beteiligen. Zochrot hofft, durch eine Übersetzung der<br />
Nakba ins Hebräische, die Sprache der jüdischen mehrheit in israel, den politischen<br />
Diskurs der region qualitativ zu verändern. Ein anerkennen der vergangenheit<br />
ist der erste Schritt auf dem Weg, für ihre Konsequenzen verantwortung<br />
zu übernehmen. Dies muss gleiche rechte für alle völker, die dieses<br />
land bewohnen, beinhalten, einschließlich des rechts der palästinenser auf<br />
rückkehr in ihre Heimat.<br />
Parrhesia und Zochrot arbeiten fortlaufend zusammen an der veröffentlichung<br />
von Sedek, einem magazin über die andauernde Nakba. Die ersten zwei ausgaben<br />
sind unter den folgenden links zu finden: http://parrhesia.org/sedek2.<br />
pdf, http://www.parrhesia.org/sedek.pdf<br />
Wir danken aktionsradius Wien am Gaussplatz (www.aktionsradius.at) für die<br />
zahlreichen informationen, ihre Gastfreundschaft und die großzügige<br />
unterstützung.<br />
about the ConfLiCt<br />
Ganz Wien hat angst. Die verschiedenen Dienststellen, magistrate und Ämter<br />
haben unterschiedliche Ängste. Die Straßenverwaltung hat zum Beispiel<br />
angst, dass jemand stolpern könnte. Einige Bewohner des 20. Bezirks haben<br />
angst, dass eine geplante moschee zu viel verkehr ins Wohnquartier<br />
bringen könnte. manche von ihnen haben auch angst, im eigenen land nicht<br />
mehr zuhause zu sein. Der Bezirk hat angst, dass seine Bewohner nicht alles<br />
verstehen könnten, was sich auf den Straßen abspielt. Dass Kunst irritieren,<br />
womöglich sogar verstören könnte.<br />
Eine Gruppe jüdischer und palästinensischer Künstlerinnen und Künstler aus<br />
israel plant, arabische und hebräische Schriftzeichen im öffentlichen raum<br />
in Wien anzubringen. in den Straßen der Brigittenau soll ein Gehsteiglexikon<br />
entstehen, das den Bewohnern und den Besuchern eines museums für moderne<br />
Kunst ermöglichen soll, die Schönheit der arabischen und der hebräischen<br />
Sprache zu genießen. auf Gehsteigen und in den Schaufenstern der<br />
lokalen Kaufleute sollen alltagsgegenstände beschriftet werden. mit deutscher<br />
Übersetzung und deutscher lautschrift. „Wofür ist das gut?“, fragt mich<br />
der ägyptische Feinkosthändler, und ich sage: „Damit wir endlich verstehen,<br />
dass man in diesen beiden Sprachen nicht nur Holocaust oder Dschihad<br />
buchstabieren kann, sondern auch Tomate, Eiscreme und Telefonzelle.“<br />
„Okay“, sagt der Feinkosthändler und wünscht sich, dass in seinem Schaufenster<br />
„Eiscreme“ stehen soll. „auf arabisch heißt das Gelati“, sagt er noch,<br />
und dass er glaubt, dass es wohl irgendwie um den Frieden geht. Er ist einer<br />
der wenigen, die ich in der vorbereitung dieses projektes treffe, die keine<br />
angst haben. Der Schneiderin zwei Geschäfte weiter sind Schriftzeichen vor<br />
ihrer Tür unheimlich. „ich kenne die Österreicher inzwischen“, sagt sie, und:<br />
„ich habe schon so viel mitgemacht“. ihre Heimatstadt im ehemaligen Jugoslawien<br />
hat sie verlassen, als ihr Haus unter schwerem Beschuss lag. ich verstehe,<br />
dass ihre ökonomische Existenz auf dem Spiel steht. Sie könnte ihre<br />
österreichische Kundschaft verlieren. und wenn sie auf die arabische Schrift<br />
in meiner mappe zeigt und mit sorgenvoller miene sagt, dass sie muslimin<br />
ist, dann verstehe ich auch, dass sie angst hat, mit jenen verwechselt zu werden,<br />
die das Kopftuch als Zeichen tragen.<br />
Die Hausbesitzerin, deren Fassade wir gerne benutzen würden, wünscht sich<br />
andere Sprachen. Tibetisch zum Beispiel, das sei doch ein aktueller Konflikt,<br />
man sollte sich doch nicht immer nur um das Historische kümmern. ich finde,<br />
das ist eine gute idee, aber auch ein ganz anderes projekt. Einige andere<br />
wünschen sich, wir sollten doch lieber Wörter wie Frieden, Freundschaft oder<br />
liebe verwenden. Für den Weltfrieden sind alle. allein, wie legen wir es an?<br />
Ein Bezirkspolitiker erklärt es mir. Wir in Österreich hätten ja zum Glück einen<br />
Weg gefunden, wie wir unter den vielen volksgruppen, die hier leben,<br />
ruhe halten. Das könnten ja nicht alle völker in der Welt. Dass man den israelisch-palästinensischen<br />
Konflikt auf die Dimension eines volksgruppenproblems<br />
am alsergrund herunterbrechen kann, verblüfft mich am Ende<br />
doch. Nach diesem Gespräch möchte ich zehn minuten lang auswandern.<br />
Einerseits weil meine bereits ausgeheilt geglaubte allergie gegen die sprichwörtliche<br />
Wiener Konfliktscheu ein akutes rezidiv ausbildet. andererseits weil<br />
es abscheulich ist, zuzusehen, wie immer wieder versucht wird, alle Konflikte<br />
zum verschwinden zu bringen – und am Ende ist dann das Erstaunen groß,<br />
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