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katalog-overlapping voices - Ritesinstitute

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jUmana mannaS „araB men“<br />

INVASIoN IN DIE HAREmSWELT DER mÄNNER:<br />

RoLLENTAUSCH DER BLICKE<br />

In der ausgestellten Fotoserie porträtiert jumana manna abwechselnd Rollen<br />

des Eindringens und der Invasion. In vergangenen Arbeiten schien sie<br />

sich in vielfacher Weise mit der gesellschaftspolitischen Konnotation des<br />

Wortes „Invasion“ auseinanderzusetzen. In vielen früheren Werken sehen wir<br />

sie als „Eindringling“ in das Leben von männern und Frauen blicken, in politische<br />

und sogar intime Sphären, um die darunter verborgenen Kontrollstrukturen<br />

bloßzulegen. manna setzt zu diesem Zweck die Strategie des Rollentausches<br />

ein. Sie hinterfragt die allgegenwärtigen Freud’schen Annahmen,<br />

ändert das stillschweigend Vorausgesetzte und enthüllt die Dynamik von umfassenden<br />

Verhaltensweisen und Verhaltensregeln in einem der Öffentlichkeit<br />

verborgenen Kontext. In diesem Fall scheint manna die Rolle des „Voyeurs“<br />

einzunehmen, die man normalerweise mit männern assoziiert, und<br />

richtet ihr Augenmerk auf ein bestimmtes Ziel, arabische männer, um deren<br />

stereotypes Image zu dekonstruieren und die offenkundige Verletzlichkeit in<br />

den Posen und den realen manifestationen ihrer Identität bloßzulegen. manna<br />

widmet sich der Identität des arabischen mannes, weil sie sie angesichts des<br />

gegenwärtig vorherrschenden übertriebenen machoimages, das den Blick<br />

auf alles andere verstellt, für ein lange vernachlässigtes, aber wichtiges Thema<br />

hält. Der Ansatz ist folgerichtig: Während die Diskussion über die Frau in der<br />

moslemisch-arabischen Gesellschaft, über ihre unterdrückte Identität und<br />

misshandlung mit nachgerade absurder Intensität geführt wird, spricht man<br />

viel weniger über die Identität des arabischen mannes. Dabei ist auch er ein<br />

opfer der Stagnation in seiner eigenen Kultur und steckt in einem System<br />

der Unterdrückung fest, was sogar eine noch umfassendere feministische<br />

Perspektive rechtfertigt.<br />

Dieses fotografische Kunstprojekt besteht aus zwei Teilen; im ersten Versuch<br />

setzt sich manna in ihr Auto, fährt ziellos „spazieren“ – eine Aktivität, die<br />

man häufig bei jungen arabischen männern findet, die nichts zu tun haben,<br />

ziellos und apathisch sind. Sie spricht durch das heruntergekurbelte Fenster<br />

männer an und bittet sie, sich fotografieren zu lassen. Hier spielt manna<br />

ganz bewusst mit den Geschlechterrollen, übernimmt Verhaltensmuster,<br />

sprengt auf spielerische Art und Weise die Grenzen der Rollen und geht sogar<br />

so weit, die Kontrolle über den Blick auf das andere Geschlecht zu manipulieren.<br />

In dieser Reihe von Schnappschüssen sehen wir die jungen männer<br />

voll Eifer mannas Blick erwidern, den oberkörper vornübergebeugt. Wir<br />

erleben, wie einen kurzen moment lang ihr gesellschaftlicher Schutzpanzer<br />

von ihnen abfällt. Ihre latente Neugierde ist stärker, denn hier finden eine<br />

Rollenumkehr und eine Aufhebung des sexuellen Status statt, die sie hinzunehmen<br />

scheinen. Tabus sind Schwellen, die man überschreiten muss, sagen<br />

sie damit. Eifer motiviert dazu, die starren Stereotype zu durchbrechen,<br />

und das menschsein erhält Vorrang.<br />

Beim Betrachten der zweiten Bilderserie erhält man den Eindruck einer Entwicklung,<br />

des Fortschreitens, wie beim Erklimmen einer Treppe. Es ist, als<br />

wolle die Künstlerin ausloten, wie weit man als Frau in das männliche Territorium<br />

eindringen kann in diesem speziellen inaktiven Kontext, der den Zugang<br />

zum anderen Geschlecht sehr gründlich unterbindet. Damit gibt sie eine<br />

menschliche Antwort auf das verbreitete Bild einer entmenschlichten und<br />

sogar furchterregenden männlichkeit. Die Bilderserie zeigt junge arabische<br />

männer in ihrer intimsten Umgebung – in ihren Schlafzimmern auf dem Bett<br />

liegend, manche sogar nackt oder nur in Unterwäsche. Damit werden auf einen<br />

Schlag mehrere gesellschaftlich vorgegebene Tabus angekratzt, nicht<br />

nur in diesem spezifischen Kontext. Die Bilder erinnern an die Doppelseiten<br />

in magazinen, auf denen Posen dieser Art normalerweise von Frauen eingenommen<br />

werden. Die umgekehrte phallische Rolle des Fotografen nimmt<br />

manna ganz offenkundig absichtlich ein. In ihrem Versuch, das Sozialverhalten<br />

des mainstreams zu analysieren, setzt sie sich mit dem Thema der Kontrolle<br />

und mit dem der Kontrolle zugrundeliegenden Instrument, dem Blick,<br />

144 OVERLAPPING VOICES<br />

auseinander. Hier wurde der Harem, in diesem Fall nicht als ort der Frauen,<br />

sondern als ort der männer, den Blicken preisgegeben. In ihm finden wir widerstrebende<br />

Seelen, betreten lächelnd, in Schwarz-Weiß abgebildet, um ihre<br />

Vielschichtigkeit zu betonen und den wohlwollenden Anspruch der Extremität<br />

zurückzuweisen.<br />

manna versucht diesen neu entdeckten Variablen der Wahrheit Gewicht zu<br />

verleihen, indem sie archivarische Elemente einsetzt, besonders eine gleichbleibende<br />

Kulisse, entweder Autofenster oder Bett, und die große Zahl von<br />

Fotos, die sie in beiden Serien gemacht hat. Hier findet eine Becher’sche Tradition<br />

Eingang, in der äußere Erscheinungsformen überprüft und verglichen<br />

werden, um mehr als nur strukturelle Inhalte bloßzulegen.<br />

mannas Fotoserien verweisen auf einen tieferen Kontext der Selbstkritik und<br />

eine sehr gezielte gesellschaftspolitische Kritik, die ihre Kunst höchst spannend<br />

macht. Sie überschreitet Grenzen von Dualitäten – öffentlich/privat,<br />

mann/Frau, real/konstruiert –, um Einblicke und kritische Beurteilungen unserer<br />

gesellschaftlichen Situation zu erlauben. Sie unterläuft daher den Status<br />

quo der vorgefassten meinungen, die über die rein lokale Ebene hinausgehen,<br />

und sucht nach tieferem Verständnis und größerer Nähe – mit Hilfe<br />

der menschlichkeit, die die beiden Geschlechter verbindet.<br />

Reem Fadda<br />

famiLiar<br />

VIDEo UND FoToGRAFIE<br />

Als Erwachsene machte ich mich auf die Suche nach dem tiefen Gefühl der<br />

Geborgenheit und Zufriedenheit, das ein Baby an der mutterbrust empfindet;<br />

ich versuchte, zu einer bedingungslosen Liebe zurückzukehren, einer<br />

Liebe, die unersetzlich ist, die wir unser Leben lang suchen und die eine der<br />

Ursachen für unsere ständige Unzufriedenheit ist.<br />

In der psychoanalytischen Sicht sind Brüste die Quelle der tiefsten Emotionen<br />

eines menschen. An der mutterbrust zu trinken ist nicht nur die erste Aktivität<br />

eines Kindes, sondern auch der Ausgangspunkt jedes Sexuallebens.<br />

mit einem übertriebenen Sauggeräusch bekommt der ursprünglich reine Akt<br />

des Stillens einen verzerrten, befremdenden Aspekt für den Betrachter, weil<br />

damit die gesellschaftlichen Regeln des Verhaltens im Hinblick auf Nähren,<br />

Berührung und Vertrautheit verletzt werden.<br />

Jumana Manna

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