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katalog-overlapping voices - Ritesinstitute

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Victor Turner 13 sprach von dem Zustand der communitas, in dem in der Gesellschaft<br />

zusammenhaltende Faktoren wirken, deren Grundlage Trank und<br />

Speise sind. Für gewöhnlich sind das einfache Produkte wie etwa Wein und<br />

Brot. Zweifellos zählt auch Honig zu diesen Grundnahrungsmitteln; daneben<br />

aber verbindet Honig sich in vielen Dimensionen mit Weiblichkeit, unter anderem<br />

indem er von einer Gesellschaft erzeugt wird, deren Königin die mutter<br />

ihrer mitglieder ist – einer matriarchalen Gesellschaft also. Weiblichkeit<br />

war immer und ist immer noch eine Unterstruktur innerhalb der herrschenden<br />

Struktur, und wenn sie die Bedingungen findet, sich als communitas zu konstituieren<br />

dann erneuert sie die ursprüngliche Bedeutung des Bundes, nämlich<br />

den geschwisterlichen Zusammenhang gegenseitigen Schutzes.<br />

Das Zusammenfallen des Archiveffekts mit dem Bienenstockeffekt, das Shula<br />

Keshet in ihrem neuen Werk dieser Ausstellung vorstellt – das ist die Vereinigung<br />

der Schriftkultur mit der materiellen Kultur. Auch der Bienenstock ist<br />

eine Bibliothek mit Fächern, die für die Fächer des Wissens und Schaffens<br />

stehen. Sie beinhaltet in sich die erforderlichen Bedingungen für eine<br />

Neuschaffung von Identität.<br />

Wenn sich ein Zusammenschluss aus der Unterschicht von der Abhängigkeit<br />

von der oberschicht befreit, dann muss dieser vor allem einmal eine eigene<br />

Identität erzeugen. Sie muss ihre Identität von neuem hervorbringen.<br />

Sich von dem reflektiven, hegemonialen Blick der oberschicht als der Kraft,<br />

die ihre Welt erschafft, zu befreien – das bedeutet, sich von der Existenz als<br />

objekt zu befreien und wieder die Position eines Subjektes einnehmen.<br />

Die Vereinigung zwischen dem Effekt des Archivs und dem Effekt des Bienenstocks<br />

ist auch die Vereinigung des Scheitelpunkts der männlichen Kultur,<br />

die eine lange schriftliche Tradition besitzt, der Kultur des Buches und<br />

der Schrift mit der weiblichen Kultur, deren Errungenschaften als materielle<br />

Kultur stets verschluckt und abgeleugnet werden. Auf den israelischen Raum<br />

angewandt ist das Projekt der Vereinigung von Bienenstock und Archiv auch<br />

die Synthese zwischen orient und okzident, zwischen Hegemonialem und marginalisiertem,<br />

zwischen Arbeiterklasse und monarchenstand, auch die Feststellung,<br />

dass die Kultur eine Königin-mutter hat und nicht nur einen König-<br />

Vater. Die metapher „Bienenstock“ ist auch eine Polemik gegen die „faule“,<br />

moderne monarchie: Der Bienenstock beinhaltet auch den „Drohnenstand“ –<br />

die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen machthaber. Der Kampfruf gegen<br />

den herrschenden Drohnenstand ergibt sich aus der Vereinigung der Arbeiterinnen<br />

zur Erzeugung der edlen Götterspeise – des Honigs.<br />

Zusammenfassung: Die Kunst als Projekt zur Veränderung des Archivs<br />

Die Kunst als Projekt zur Veränderung des Archivs ist eine der Hauptaufgaben<br />

schöpferischer Kunst und Kritik, während dagegen das hegemoniale Archiv<br />

der Herrschaft immerfort die Wirklichkeit umschreibt und darstellt. Der<br />

Bienenstock dagegen ist sowohl das lebende Archiv der Arbeit als auch ein<br />

Zuhause, sein Register ist Fleiß, Ertrag und Gemeinsamkeit. Die Bibliothek<br />

ist das Archiv der toten Schrift, und ihr Register könnte Faulheit, Ausbeutung,<br />

Auslöschen sein.<br />

Der israelische Kulturraum, ein Raum, der in Fächer einteilt, absperrt und<br />

abstempelt, überträgt auf die Erde, was auf dem Blatt geschieht. Die unmittelbare<br />

Reflexion des Geografischen und des Historischen jeweils aufeinander<br />

ist extrem bedeutungsvoll. Denkmäler zu ewiger Erinnerung werden errichtet<br />

und verdecken ein Projekt des Vergessenmachens. Die Kunst als<br />

erweckendes und wachrüttelndes Identitätsdokument wird in diesem Raum<br />

als ein Projekt gebraucht, dessen Streben in seinem Wesen als Streben nach<br />

Stimme, Identität und Territorium gesehen werden kann. Abschließend kann<br />

dieses Projekt so beschrieben werden:<br />

Übersetzung der einzelnen/einsamen, weiblichen Stimme, die sich nicht in<br />

Schrift ausdrückt; das Neuaufstellen der Identität; Konstruktion und Dekonstruktion;<br />

und die Behandlung des Territoriums in mehrerer Hinsicht: der<br />

Stadtrand, das urbane Randgebiet und das geschriebene Buch.<br />

Ich schreibe dieses als eine, die sich seit mehreren jahren das Projekt der<br />

Öffnung des toten Archivs und der Errichtung eines anderen Resonanzkör-<br />

128 OVERLAPPING VOICES<br />

pers für die teilweise gebrochene und zerbrochene Existenz von Nachkommen<br />

der Einwanderergemeinden im Staat Israel zum Ziel gesetzt hat – ob in<br />

der musik, ob in der Literatur oder in der Identität. Ich schreibe aus der Hoffnung<br />

heraus, dass die sich widersetzende Kunstpraxis Barrieren durchbrechen<br />

wird.<br />

Haviva Pedaya<br />

Haviva Pedaya ist Poetin, Kulturtheoretikerin und wissenschaftliche mitarbeiterin im Bereich jewish Studies<br />

an der Ben Gurion University im Negev sowie Senior Fellow am van Leer Institute in jerusalem.<br />

1 Vgl. meinen Beitrag in dem Buch „merkas weschulajim“ (hebräisch – „Zentrum und Rand“), herausgegeben<br />

von mechon mandel.<br />

2 Vgl. meinen Beitrag in dem Buch „merkas uferiferiah“ (hebräisch – „Zentrum und Peripherie“), herausgegeben<br />

von mechon mandel.<br />

3 Vgl. die Arbeiten von Sorotzkin, der die gegenseitige Kenntlichmachung zwischen juden und Christen<br />

in Europa erörtert und zeigt, dass die gegenseitige Definition identischer Gruppen im judentum<br />

auch in Abhängigkeit von Selbstdefinition im Verhältnis zu Vorgängen in der christlichen Gesellschaft<br />

funktioniert. Seiner meinung nach kann man sagen, dass die von ihm beschriebene Assimilationstendenz<br />

auch eine Form von Selbstverabscheuung ist, die sich der Ablehnung des Typs des anderen<br />

juden bedient. Vgl. auch in der Abhandlung von ‚Asisah Casum „tarbuth ma‘aravith tijug etni wechuleh“<br />

(hebräisch – „westliche Kultur ethnische Etikettierung usw.“), „sotsiologiah isreelith“ (hebräisch<br />

– „Israelische Soziologie“) 1 (2) 1999; A. Ras Krakotzkin, „theoriah uvikoreth“ (hebräisch –<br />

„Theorie und Kritik“) 4, 1993, Ss. 23-55; 5, 1994, Ss. 113-132; S. Chinski, „enajim ‚atsumoth<br />

lirewachah (hebräisch – „Augen weit zu“): über das Syndrom des erworbenen Albinismus auf dem<br />

Gebiet der israelischen Kunst“, theoriah uvikoreth 20, 2002.<br />

4 G. Scholem, „mitoch hirhurim ‚al chochmath israel“ (hebräisch – „Aus Gedanken über die Wissenschaft<br />

des judentums“), in: „devarim bego“ (hebräisch – „Da steckt was hinter“), Tel Aviv 1990, Ss.<br />

389-391.<br />

[Anm. d. Autors: Wie der aufgeweckte Leser sicherlich schon erraten hat, bedeutet dieses Wort Sonnenaufgang.<br />

Nach 1. Könige 8:48 wenden juden, die im Ausland beten, sich nach Israel, und diese<br />

Richtung, also ungefähr osten, bezeichnet so ein misrach-Schildchen.]<br />

5 Vgl. jetzt das Buch „hafradah“ (= „Absonderung“).<br />

6 Darüber schreibe ich ausführlicher in meinem Aufsatz „makom umerhav: yahadut veyisreeliut“ (im<br />

manuskript).<br />

7 Tmna‘ Rosenheimer hat dieses in ihrem Buch „bajith: chalalim, megurim, anaschim, chafatsim“<br />

(hebräisch – „Haus: Hohlräume, Wohnen, Leute, Gegenstände“), or jehudah 2001, festgehalten.<br />

Durch die Vermittlung dieses Buches gelangten die Dinge zuerst zu meinem Bewusstsein.<br />

8 Über die Grundlagen dieser Erlösungsvision siehe: Pedajah, „temuroth bekodesch hakodaschim:<br />

min haschulajim lamerkas“ (hebräisch – „Wandlungen im Allerheiligsten: vom Rand zur mitte“),<br />

„mada‘e hajehaduth 37“, 757 [=1997], Ss. 53-110.<br />

9 Siehe auch: Taliah Rapaport, „chasarah leachor ‚al projekt jam hamelach schel pinechas cohen-gan<br />

(1972-1984)“ (hebräisch – „Rückkehr zu Pinechas Cohen-Gans Totmeerprojekt (1972-1984)“), musoth<br />

2, 1984, Ss. 10-11.<br />

10 Anders ausgedrückt: der Künstler erhält Gestalt und Struktur durch gesellschaftliche Zusammenhänge<br />

seines Standes, die er nicht zugibt und deren Untersuchung einen Standort offenlegen kann.<br />

Es geht dabei nicht unbedingt oder nicht nur um den Inhalt des Werkes, sondern um dessen ästhetische<br />

Aspekte, die augenscheinlich nicht politisch gefärbt sind. Es wird nicht beabsichtigt, jedes<br />

Kunstwerk nur vom gesellschaftlichen Gesichtspunkt aus aufzuschlüsseln.<br />

[Anm. d. Autors: In Wirklichkeit ist das Zahlenverhältnis zwischen Aschkenasim und anderen juden<br />

in Israel ungefähr wie das zwischen Weiblein und männlein.]<br />

11 ornah Urian zitiert in ihrer Doktorarbeit miriam Scharon (1980).<br />

12 In ihrer Doktorarbeit bemerkt ornah Urian, dass dem juden Blutung zugeschrieben wird. [Anm. d.<br />

Autors: z.B. in „The Fixer“ von Bernard malamud]<br />

13 hatahalich hatiksi, „mivneh weanti-mivneh“, [The Ritual Process: Structure and Anti-Structure<br />

(1969)], Tel Aviv 2004.

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