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katalog-overlapping voices - Ritesinstitute

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che, – im öffentlichen Leben akzeptiert zu sein. Dieses war die wichtigste<br />

Aufgabe für die zweite Generation: Übereinstimmung mit der mehrheitsgesellschaft,<br />

auf der Horizontalachse, das ist der Schmerz ihrer Sprachlosigkeit,<br />

die schnelle Assimilierung, der Leistungsdruck. Das was heute auf sehr<br />

verschiedene Weisen mit der dritten und einem Teil der zweiten Generation<br />

geschieht, ist eigentlich das Wiederauftauchen der gelöschten, aber immer<br />

noch zugänglichen Sprache, der Ausbruch des Hauses in die Öffentlichkeit<br />

auf der Horizontalachse und das neuerliche Sichtbarwerden der langen Erinnerung,<br />

die sich mit der Frage nach dem Zusammenhang zwischen Land<br />

und Geschichte auf der vertikalen Ebene auseinandersetzt.<br />

Zunächst mag es verwundern, dass alles dieses mit größerem Nachdruck bei<br />

der dritten Generation durchbricht, aber eigentlich geht es kaum anders: Einerseits<br />

ist die migration keine Grunderfahrung von ihnen, sondern sie ist das<br />

Schweigen des gelöschten Blattes ihrer Eltern oder sogar ihrer Großeltern. Andererseits<br />

jedoch, gerade weil an der oberfläche die zu dieser Generation Gehörenden<br />

in jedermanns und auch in ihrer eigenen Sicht nichts weiter sind als<br />

einfach ganz gewöhnliche Israelis, gelangen sie am Ende zum Spannungspunkt,<br />

zum Bruch oder zur Verschiebung des Gleichgewichtes. Dieser Spannungspunkt<br />

oder Bruch kommt bei vielen Künstlern der dritten Generation seit<br />

der Einwanderung aus den orientalischen Ländern zum Vorschein, und darin<br />

liegt seine Stärke. Und noch mehr als bloß dadurch, dass etwas Lebendiges<br />

sich ereignet, birgt er in sich auch die Fähigkeit, die Grenzen der Ästhetik und<br />

die Grenzen des Sprechens über israelische Kunst um noch mehr Zusammenhänge<br />

auszuweiten; er indiziert einen Prozess, dessen Bedeutung breiter ist,<br />

als nur der Themenbereich des orients.<br />

Zur Zeit läuft in der israelischen Kultur etwas ab, das im visuellen Bereich<br />

der Suche nach der eigenen Sprache ähnelt, die wir von der musik her kennen.<br />

Was wir im musikalischen Bereich verfolgen, ist die Bewegung zwischen<br />

zwei Sprachen. Das gleiche geschieht auch auf visueller Ebene: anschließend<br />

an die Anwendung des Wunderblocks im Zusammenhang mit dem Kollektivbewusstsein<br />

lässt sich sagen, dass man bei dem Versuch, Identität zu<br />

rekonstruieren, ihr eine Unterlage geben muss – ein Langzeitgedächtnis. Das<br />

ist, was sich jetzt im künstlerischen Prozess abspielt: Das judentum des orients<br />

oder das judentum des okzidents – das ist in diesem Fall das Tiefengedächtnis,<br />

die lange Erinnerung. Israelitum ist eine Art Gegenwartsorientierung<br />

und Kurzzeitgedächtnis. orientalische Einwanderer der nachgeborenen<br />

Generation versuchen, sich das untere Blatt zu schaffen, den Teppich, der<br />

ihnen unter den Füßen weggezogen worden ist, die Unterlage des Langzeitgedächtnisses.<br />

Tatsächlich ist das eine Dekonstruktion des durchtrennenden<br />

Archivprojektes: Das Nehmen eines Bestandteils der Identität, der dem Orientalischen<br />

enteignet wurde und mit dem dieses etikettiert wurde. Also seine Enteignung<br />

von der Enteignung, und seine Wiederbelebung als voller, komplexerer,<br />

symbolischer Untergrund.<br />

Ob es bei dem Künstler bewusst oder unbewusst ist, ändert nichts an der Aufgabe<br />

von Forschern oder Kunstkritikern, damit bewusst umzugehen.<br />

Folgendes sollte man wissen: Große Kunst kann anklagen, sich widersetzen<br />

und über eine Randgesellschaft oder eine Notsituation Zeugnis ablegen –<br />

auch wenn der Künstler ohne jegliches gesellschaftliche Bewusstsein oder<br />

ohne Protestbewusstsein ist; Kunst darf und muss als ein Aufschrei gesehen<br />

werden, der einen Ausgangspunkt anzeigt – auch wenn kein Element von<br />

Protest im Bewusstsein des Künstlers anwesend ist – das ist eben das Zeugnis<br />

des unreflektiert Daherredenden (messias ohne böse Absicht) 10 , oder eine<br />

Art politisches Unbewusstes. Noch mehr: wer über orientalische Kunst mitreden<br />

will, muss zugleich die Erzählung von Leuten lesen, die keine Kunst<br />

im Sinn hatten und sich nicht als Künstler sahen, aus denen aber ohne ihr<br />

Zutun die Kunst herausschrie.<br />

Die Kunst und das Leben als Protestprojekt<br />

In den letzten jahren habe ich mehrmals in verschiedenen Zusammenhängen<br />

vorgeschlagen, den Gedanken des Generationenwechsels als exaktes Untersuchungswerkzeug<br />

im Flächen- und Vertikalschnitt durch die Einwandererkul-<br />

tur einzusetzen. Auf der Vertikalachse muss alle zwanzig jahre ein Generationenübergang<br />

angesetzt werden. In globalen Zusammenhängen begegnen wir<br />

demselben Zwanzigjahrestakt wie beim Wechsel der Generationen im selben<br />

Land auch auf der Horizontalachse im Verhältnis zwischen Israel und den USA.<br />

Trotz der Geschwindigkeit der Wissensverbreitung und der Kommunikation im<br />

Zeitalter der Globalisierung sind immer noch zwanzig Jahre die Zeit, die die<br />

entlegene Peripherie braucht, dem Zentrum nachzuziehen (ich arbeite mit dem<br />

Begriff der Peripherie in einem relativen und dynamischen modell – und in diesem<br />

speziellen Zusammenhang ist Israel die Peripherie der USA) und so verliefen<br />

die Neunzigerjahre in Israel deutlich erkennbar parallel zu den Siebzigern<br />

in den USA, man denke nur etwa an den Feminismus. Die dritte Phase der<br />

Generationenabfolge in der orientalenszene ist durchaus vergleichbar mit dem<br />

Feminismus der Siebzigerjahre in den USA. In beiden Fällen sind Kunst und<br />

Protest zwei Äste, die aus demselben Stamm wachsen, oder zwei Pumptakte<br />

des Herzens, die zusammen das Leben ausmachen.<br />

Frauen und Männer in Orient und Okzident<br />

Was die Verbindung zwischen Feminismus und orientalismus bedeutsam<br />

macht, ist, dass mit aller Stärke der Problematik, eine minderheit innerhalb<br />

einer minderheit zu sein, Ausdruck verliehen wird. man könnte hier die fast<br />

schon zum Gemeinplatz gewordene Wahrheit wiederholen, dass viele Errungenschaften<br />

der materiellen Kultur der zivilisierten menschheit Erfolge von<br />

Frauen sind: Stick- und Goldschmiedekunst, Töpferei, Stricken, Kochen, Backen<br />

... Während die westliche moderne so weit gelangt ist, dass sie „handarbeitliche<br />

Analphabeten“ hervorbringt, lassen sich doch ihre großen Künstler<br />

und Gestalter, modeschöpfer und Kulturschaffenden von weiblichen<br />

Handarbeiten inspirieren und verwenden auch solche selbst; diese weiblichen<br />

Handarbeiten müssten eigentlich im maschinenzeitalter unverhältnismäßig<br />

teuer sein – aufgrund der Klassendiskriminierung sind sie jedoch total<br />

billig und stehen jederzeit zur Verfügung. Solche Verwendungen von<br />

Kulturgütern waren und sind bekannter Weise ein Hauptkennzeichen des Kolonialismus,<br />

aber sie vollziehen sich von neuem im Kleinen in parallelen Dynamiken.<br />

Es gibt feministische Künstlerinnen, die noch weiter gegangen sind<br />

und den modernismus dem Wilden gegenüberstellten. 11<br />

Solche Art Gebrauch machten männliche Künstler vom Weiblichen und westliche<br />

vom orientalischen seit der Staatsgründung sowohl in der musik als<br />

auch in der mode, weniger in der Hochkultur. Das typische israelische Erzeugnis<br />

zur Zeit des „Schmelztiegels“ wurde von einem Europäer entworfen,<br />

der aus seiner schwärmerischen Vorliebe für orientalisches heraus orientalische<br />

motive verwendete: der Stil von „maskit“, Goldschmiedearbeiten und<br />

Betsalel. Bei dieser kolonialistischen Art der Verwendung bewegen sich die<br />

materialien der Subkultur oder der ethnischen Kultur zwischen Faszination<br />

und Abscheu, zwischen orientalismus und Kitsch.<br />

Die Bedeutung des feministischen Kampfes in Israel ist nicht losgelöst von<br />

der Tatsache zu betrachten, dass die meisten zum Broterwerb arbeitenden<br />

Frauen der Unterschicht, Arbeiterinnen und Ausgegrenzte, orientalischer<br />

Herkunft sind. Es ist anzunehmen, dass dies die Bewegung „Achoti“<br />

(= meine Schwester) hervorgebracht hat: einen spezifisch orientalischen Feminismus,<br />

der sich mit der Frage der minderheit innerhalb einer minderheit<br />

beschäftigt. Darüber hinaus lässt sich sehr häufig in der Geschichte<br />

aller Unterdrückten ihre herabwürdigende Symbolisierung als Frau finden.<br />

Die „orientalistische“ Einstellung sieht in allem orientalischen eine weibliche<br />

Verführung; in ähnlicher Weise gibt es antisemitische Texte, in denen der<br />

jude als Weib dargestellt wird. 12<br />

Das „Achoti-Haus“ („Schwester“) als eine Art communitas<br />

Als Shula Keshet vor zweieinhalb jahren Vorsitzende der Bewegung „Achoti“<br />

wurde, richtete sie in Süd-Tel Aviv das „Beth Achoti“ (Schwester Haus) ein.<br />

Damit verwandelte sie praktisch die Bürozentrale der Bewegung aus einem<br />

Verwaltungssitz in ein feministisches Kultur- und Gemeindezentrum, das heißt<br />

von einer Institution in eine Gemeinde.<br />

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