katalog-overlapping voices - Ritesinstitute
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Israel jüdische maler aus Europa waren, integriert und ausgebildet wird. In seiner<br />
abstrakten Kunst drückt er aus und vereint die Symbole des Erhabenen,<br />
die in ihm durch das individuelle kollektive Gedächtnis seiner Gemeinde eingraviert<br />
sind, und bewegt sich weiter mit der Revolution der masseneinwanderung<br />
in den fünfziger jahren zum Figurativen, um von dort wieder zum Erhabenen<br />
zurückzukehren. okaschi ist ein offbeat, ein Held ganz besonderer Art,<br />
ein Anti-Held, wenn das orientalische als opfer gelöscht ist, so ist er dagegen<br />
der Held.<br />
Der Schock der Fünfzigerjahre auf visueller Ebene ist fast zur Gänze völliges<br />
Verstummen, eine Phase traumatischer Sprachlosigkeit, verbunden mit und<br />
allmählich übergehend in Gewalttätigkeit. Fast zwanzig jahre Schweigen der<br />
visuellen Kunst. ‚okaschi, der sowieso schon maler mit etablierter Karriere ist,<br />
kann die Neueinwanderer aus der Sicht eines Außenstehenden betrachten, da<br />
er schon lange im Land Israel verankert ist und sich im Schaffensschwung<br />
befindet.<br />
Zwischen den Sechziger- und den Siebzigerjahren gibt es so gut wie keine Distanz<br />
zwischen der visuellen Kunst und dem Schrei der Straße. macht und<br />
Schönheit liegen verborgen in der allereinfachsten Aussage von Plakaten und<br />
Demonstrationstransparenten, die sich durch Einfachheit und Bitterkeit in schreiendem<br />
Schwarzweiss auszeichnen. Die Eingewanderten – die sich mit mehr<br />
oder weniger Erfolg aus ihrer plakativen Existenz zu befreien suchen – schaffen<br />
Plakate, auf denen keinerlei Abstand zwischen Kunst und dem Aufbegehren<br />
im wirklichen Leben besteht. In den Siebzigerjahren drückt sich der Schrei<br />
des gewaltsam Unterdrückten im Schaffen der (ebenfalls aus jemen stammenden)‚<br />
Afiah Secharjah am deutlichsten aus, die sich manisch gedrängt<br />
fühlt, alle Wände ihres Hauses in grellen Farben anzustreichen 7 um es von den<br />
Wänden der kleinen Sozialwohnung zu befreien, neu zu bearbeiten, Raum in<br />
dieses Haus zu verpflanzen – wenn auch als apokalyptischen Schrei.<br />
Pinechas Cohen Gan (geboren 1942 in meknes) kam als sechsjähriges Kind<br />
nach Israel. man kann in seinem Schaffen eine Fortsetzung und Weiterentwicklung<br />
der Erscheinung der distanzierten Beschreibung des ost-West-Problems<br />
sehen, die ich bei ‚okaschi aufzuzeigen versuchte (es bestehen auch<br />
weitere Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Künstlern). Zwar drücken seine<br />
ersten Arbeiten über den ost-West Konflikt bewusstes Ringen mit Bruch, Schnitt<br />
und Kluft aus, aber gleichzeitig hält er sich doch entfernt vom Direkten und<br />
verarbeitet es zu einem prinzipiellen Strukturproblem. Der prinzipiell-strukturelle<br />
Gestaltungswille drückt sich schon in seinem Entschluss am Anfang seines<br />
Schaffensweges aus, Kunst im Kuhstall auszustellen.<br />
Seine Schöpfung am Toten meer (1972-73), wo er Polyäthylenschläuche mit<br />
Süßwasser und lebenden Fischen füllte und in eine Umgebung steckte, die<br />
Leben nicht ermöglicht, ist ein Projekt über das Exil, das zu einer apokalyptischen<br />
Erlösungsvision verkehrt wird, wie sie im Buch des Propheten Hesekiel<br />
Kapitel 47 beschrieben steht. 8<br />
man kann dieses Kunstprojekt als Wehklage über das Auswandern auffassen.<br />
Eine Erlösungsvision wird zu einer Exilvision. Tötung von Fischen im Salzland<br />
des „Salzes der Erde“ [Vergleiche, viele jahre später: jossi Sukeri, savta emiliah<br />
umelach haarets. widui („oma Emilie und das Salz der Erde. Eine Beichte“)<br />
und die Schöpfung Eli Petels: shethikath hadagim („Das Schweigen der<br />
Fische“).]<br />
Ich möchte nun in diesem Projekt einen Ausdruck der tötenden Archivierung<br />
sehen. Die lebendige Erinnerung, die in eine zerstörerische, zersetzende Umgebung<br />
integriert wird – eine Auswanderung, die der Speicherung von Erinnerungen<br />
kein Recht auf Dasein gewährt.<br />
Andere strukturelle Ausdrücke des Themenkreises migration im Schaffen Cohen<br />
Gans haben sich auf Reisen in Landschaften des Indischen ozeans und<br />
nach Alaska niedergeschlagen, Reisen und Projekte mit dem Ziel, den Salzgehalt<br />
des ozeanwassers um einen nicht mehr messbaren Prozentbruchteil<br />
zu erhöhen.<br />
Das Finden der materiellen Umgebung, wo man in einer Art untergeordneten<br />
Wirklichkeit Stellung bezieht und von dieser aus auf die „höhere“ Wirklichkeit<br />
blickt, ist charakteristisch für alle seine Arbeiten, von der Kuhstallausstellung<br />
126 OVERLAPPING VOICES<br />
bis hin zu seinem Beziehen eines Zeltes im Flüchtlingslager bei jericho (1974).<br />
Seine Grundaussage ist, dass man die Dinge nur versteht, wenn man in ihnen<br />
wohnt, nur dann den Blick der niederen Wirklichkeit auf die höhere sieht. 9<br />
Zunächst also setzt Pinechas Cohen-Gan sich mit verschiedenen strukturellen<br />
Themen von Spannung und von dichotomen Widersprüchen gegensätzlicher<br />
Teile eines Ganzen auseinander.<br />
Das ost-West-Thema erscheint bei ihm dabei zunächst eher in abstrakter Form,<br />
indem er es mit weitläufigen, strukturellen Problemen verknüpft. Seine Arbeit<br />
misrach-ma‘arav [hebräisch „ost-West“, also „orient-okzident“] jedoch stellt<br />
nun ganz deutlich (bibliografische Thesen zu den orientalismusthesen von Edward<br />
Sa‘id 1982-94) [siehe auch: Tsalmonah, S. 113] das gespaltene Ich dar,<br />
dessen zwei Teile aus dem Archivierenden und dem Archivierten zusammengesetzt<br />
sind (abendländischer Archäologe und ägyptischer Arbeiter).<br />
Erst Mitte bis Ende der Achtzigerjahre werden die Stimmen laut, die aus der Künstlerausbildung<br />
und der Hochschulbildung resultieren, zu denen schon die zweite<br />
und dritte nachgeborene Generation der Eingewanderten vorgedrungen ist, die<br />
nicht notwendigerweise durch den behütenden fördernden Filter der Einwanderungsaufnahme<br />
und der Kibutzim gegangen sind. Zum Teil haben sie ihre Schulzeit<br />
schon als Israelis erlebt, ohne ein besonderes Bewusstsein der einen oder<br />
anderen Art, und sind daraus im Verbund neuer machtsysteme mit Stimmen<br />
hervorgegangen, die sich mit Protest beschäftigen, mit seiner Verarbeitung und<br />
mit inhaltlichen Fragen bezüglich des orients.<br />
Kurze und lange Erinnerung – die Dynamik des Verneinenden und des<br />
Verneinten<br />
Die Gegenüberstellung judentum/Israelitum setzt mit der Frage der langen oder<br />
kurzen Erinnerung jedes einzelnen Subjekts auf einer senkrechten und des Ausdrucks<br />
dieser Zusammenstöße im Raum auf der waagrechten Achse ein.<br />
In seinem berühmten Aufsatz „Notiz über den Wunderblock“ sprach Freud über<br />
ein modell der menschlichen Erinnerung, das er einem Schreibgegenstand, auf<br />
den er gestoßen ist, entnommen hat – einem Block, der aus Paaren von Blättern<br />
zusammengesetzt ist. Alles, was auf das obere Blatt eines Paares geschrieben<br />
wird, erscheint auch als Kopie im unteren Blatt und bleibt dort<br />
auch dann stehen, wenn die Schrift auf dem oberen Blatt ausradiert und etwas<br />
anderes dort geschrieben wird. Das ist ein großartiges Bild für den Zusammenhang<br />
zwischen kurzem und langem Gedächtnis. Für die Betrachtung<br />
hier möchte ich diese metapher jedoch vom Einzelsubjekt auf das Kollektivgedächtnis<br />
übertragen. Wir sind nicht im Geringsten dazu im Stande<br />
uns selbst zu erklären, wie sehr unsere Existenz unmöglich ist, ohne der tiefen<br />
Schicht, die sich unter dem bewussten Gedächtnis befindet, auch wenn<br />
sie halb gelöscht ist. Diese Schicht muss unbedingt existieren. Dieser in der<br />
psychoanalytischen und philosophischen Literatur vieldiskutierte Text von<br />
Freud, liefert auch einen guten Anhaltspunkt für die Diskussion über Auslöschung<br />
und Erinnerung in der Sprache und im kollektiven Bewusstsein.<br />
Das Erlebnis von Erinnerung und Vergessen, oder Schreiben und Auswischen,<br />
bei den Einwanderern erster, zweiter und dritter Generation aus muslimischen<br />
Ländern, hängt mit dem Gefühl der ersten Generation zusammen. Diese kamen<br />
mit einer Sprache ins Land, die sie nun nicht mehr sprechen sollten.<br />
Dies ähnelt keineswegs dem, was die erste Generation der Pioniere erlebte,<br />
die auch eine fremde Sprache mitgebracht, diese dann aber freiwillig abgeschafft<br />
hatten, um eine neue Welt zu erschaffen: Im Gegensatz zu ihnen ist<br />
der orientalische Einwanderer mit seiner Sprache gekommen und hat empfunden,<br />
dass diese nicht legitim ist. Da ist zu unterscheiden zwischen dem,<br />
der seine eigene Vergangenheit verneint und dem, dessen Vergangenheit von<br />
anderen verneint wird. Die Dynamik in der ersten Generation orientalischer<br />
Einwanderer bestand vor allem darin, sich selbst in der Öffentlichkeit unkenntlich<br />
zu machen und nur in den eigenen vier Wänden dem verpönten<br />
Vergnügen zu frönen. Die Dynamik der zweiten Generation orientalischer Einwanderer,<br />
orientalischer Erfahrung in Israel, ist die ernsthafte Arbeit daran,<br />
in die Öffentlichkeit zu gelangen: der von der Herkunft seiner Eltern Gezeichnete<br />
bemühte sich zwanghaft – bewusst oder unbewusst, tut nichts zur Sa-