katalog-overlapping voices - Ritesinstitute
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oniere, die das Land Israel erbauten. Sie verstärkte bei den orientalischen juden<br />
die Ambivalenz gegenüber den eigenen Wurzeln und deren Verankerung in<br />
der arabischen Welt. Die orientalischen Juden wurden dadurch angetrieben, sich<br />
so schnell wie möglich als „westlich“ neu zu erschaffen.<br />
Es liegt auf der Hand, dass eine Symmetrie besteht zwischen der Schaffung<br />
einer Geschichte, die ganze Stöße leerer Blätter enthielt – diese Geschichte<br />
wurde als unerheblich oder als interessant höchstens für ein begehbares Archivprojekt<br />
angesehen – und der Geografie, die menschengefüllte Landstriche<br />
als ausradierte und leere Blätter auffasste.<br />
Orientalismus und Orient<br />
Beim Entleeren des orients hinein in die israelische-jüdische Existenz im<br />
neuen Staat entstand die Kategorie „orientalisch“ (mizrahi). In vielen Sprachen<br />
gilt der „osten“ (misrach), der „orient“ als „orientierung“. man hatte<br />
das Zierschild misracha an jener Wohnungswand hängen, die der Richtung<br />
des Sonnenaufgangs am nächsten lag, denn gen morgen lag das heilige Land,<br />
lag im Schutt der heilige Tempel, zu dem hin sich alle Herzen und münder<br />
sehnsüchtig richteten (man denke an ‚Agnons bidmi jameha). Eine solche<br />
Setzung ist genau das Gegenteil von den bekannten Etikettierungen von „orientalisch“<br />
als unterdrückend, beleidigend und erniedrigend. Aus dem weiten<br />
Raum des orients wurde die enge Nische des „orientalismus“: Das Herausschneiden<br />
und Herausziehen des orientalischen aus seinem Platz im<br />
judentum in der islamischen Welt, bedeutete, dass der orientalismus als herausgerissenes<br />
(= ihrer selbst, des orients, der Leitrichtung entbehrendes)<br />
schwaches Paradigma gesehen wird. Ein Paradigma, das geschichtslos ist,<br />
nur aus der Gegenwart besteht und das sich selbst nur in Jetztzeitbezügen konstituiert<br />
gegenüber einer Kultur, die alle legitimen Codes beherrscht (man muss<br />
jedoch darauf hinweisen, dass im Gegensatz zum orientalismus, diese Kultur<br />
für sich selbst einen Zugangskanal zu ihrer Vergangenheit bewahrt hat,<br />
sei es aus ihrer Verneinung, Akzeptanz, Zerstörung, Umwandlung oder Säkularisierung).<br />
Letztendlich ergibt sich daraus, dass die israelische orientalität<br />
viel eher ein, durch eine übergeordnete Gruppe in der Kultur für eine<br />
untergeordnete Gruppe innerhalb derselben Kultur hervorgebrachtes Erzeugnis<br />
ist, als ein selbständiges Kulturprodukt. Anders ausgedrückt, sie ist ein<br />
Strukturierungsprodukt des europäischen judentums.<br />
Die sensible Phase des Übergangs und die Gefahr der Festschreibung<br />
von Einheitlichkeit im Namen des Multikulturalismus<br />
Die israelische Kultur befindet sich in einer gefährdeten und zerbrechlichen<br />
Entwicklungsphase. Einerseits scheint die historische Stunde der Geschichtsenteignung<br />
vorüber zu sein, eine Stunde, die so lange währte wie ein Generationendreitakt:<br />
sechzig jahre, und himmelschreiend krasse Erscheinungen<br />
von Diskriminierung oder Ausgrenzung werden in der israelischen Kulturlandschaft<br />
nicht mehr hingenommen. Allerdings: Die Abwesenheit beherrscht<br />
immer noch den allgemeinen, selbstverständlichen Raum; oberflächlich gesehen,<br />
ist sie Gegenstand des Diskurses über Vielstimmigkeit. In einem anderen<br />
Sinn wirkt die Abwesenheit, tief eingebaut und verwoben im Raum der<br />
israelischen Kultur und pulsiert immer noch aus den Tiefen ihrer Institutionalisierung<br />
heraus: im beredten Schweigen der Geschichtsbücher, im Bildungswesen<br />
und seinen Lehranstalten, in der marginalisierung der orte an<br />
der Peripherie, in einer diskriminierenden Raumplanung 5 und dadurch, welche<br />
kulturellen Codes als legitim gelten.<br />
Dieser vorangestellte Überblick ist notwendig, um die Geschichte der orientalischen<br />
Kunst in Israel zu verstehen und neu zu ordnen. Die Kunst einer<br />
unterdrückten Gruppe leidet doppelt, weil selbst die Kunstkritik, deren Aufgabe<br />
eigentlich ist, die Kunst einer breiten Öffentlichkeit begreiflich zu machen,<br />
unempfänglich für Botschaft und Codes dieser Kunst ist; diese Kunst bedient<br />
sich anderer als der als erlaubt geltenden Ausdrucksweisen der<br />
„allgemeinen“ Kultur – und so wird sie von dieser leicht als kulturell minderwertig<br />
aufgefasst. Deshalb ist das Projekt der neuen Kunst zugleich ein Projekt<br />
der eigenen Neugründung, ein Projekt des Protests und des Geländes,<br />
welches Kritik einfordert, deren Bestrebung es ist, die Festgefahrenheit dieser<br />
Kunst zu sehen und ihre Befreiung aus der Nische „orientalische Kunst“<br />
voranzutreiben. Tatsächlich besitzt die als „orientalisch“ abgestempelte Kunst<br />
die subversive, Einspruch erhebende und lebendige Kraft des gesellschaftlichen<br />
Randes, nur dass die Diskussion über sie von neuem die Problematik<br />
des Bewusstseins der „Verstärkungseinheit“ hervorruft. mit Panoramablick<br />
betrachtet, kann man in diesen Kräften die bedeutende Avantgarde<br />
sehen, vielleicht nicht das hegemoniale Zentrum der Gesellschaft, aber das<br />
Zentrum lebendiger und wichtiger Tätigkeit, das festlegt, was morgen sein<br />
wird. Die Aufgabe des Künstlers/der Künstlerin ist es, die toten, herausgerissenen<br />
und verstreuten Teile ausfindig zu machen und sie wieder durch einen<br />
einenden Filter zu führen, sich zu befreien von der entzweienden und<br />
dichotomen Perspektive von „Zentrum“ gegenüber „Peripherie“.<br />
Die künstlerische und intellektuell-kritische Tätigkeit in Israel muss verstehen,<br />
dass sie sich mit einem Raum auseinandersetzt, dessen symbolische Gestaltung<br />
ihren Ursprung hauptsächlich im jüdisch-christlichen Raum hat, während<br />
er weiterhin ein kleines und tatsächliches Territorium beherrscht, in dem<br />
zwei andere Identitätsprobleme, die geleugnet wurden, zentral sind: der jüdisch-muslimische<br />
und der arabisch-palästinensische Raum.<br />
Früher habe ich versucht, das Grundmuster der Fernhaltung vom Buch und<br />
die Wegleitung zum Grenzland zu entwickeln. Dieses ist eine Grundstruktur,<br />
die ihre Umsetzung im israelischen Kulturraum durch den Versuch der hegemonialen<br />
Kultur erfahren hat, die Gestaltung der tatsächlichen Landschaft<br />
nach möglichkeit mit der Gestaltung von Erinnerungslandschaften in Deckung<br />
zu bringen, so wie dies ihren Niederschlag in den Geschichtsbüchern<br />
findet.<br />
Geografie und Geschichte sind zwei einander ergänzende Disziplinen, und<br />
Hand in Hand mit der hegemonialen Kraft einer Gesellschaft können sie einen<br />
Kulturraum als tot oder als lebendig bestimmen und ihn auf Dauer zu<br />
den Akten legen.<br />
Löschen und Einschreiben, Bauen und Zerstören, Ansiedeln und Lenken der<br />
Einwanderung das sind alles sich ergänzende Praktiken – Praktiken, die das<br />
Symbolische zum Ausdruck bringen, in Bezug sowohl auf die gesellschaftliche<br />
ordnung als auch auf den Kontext, in dem das Religiöse institutionalisiert-religiös<br />
übersetzt wird. 6<br />
Die Szene des Orients in der visuellen Kunst<br />
In diesem Rahmen werde ich entlang folgender Punkte eine verdichtete, grob<br />
chronologisch geordnete Skizze vorlegen:<br />
Frage des Refrains, die Frage der Vergangenheit, die auf traumatische Art<br />
und Weise abgekappt wurde, eine Beschäftigung mit dem <strong>katalog</strong>isierenden<br />
und etikettierenden Blick, eine Analyse dieses Blickes und ein Durchschaubarmachen<br />
jener methoden, durch die das orientalische zu einem Stereotyp<br />
wurde.<br />
Es ist abzuschätzen, dass sich parallel dazu auf der Achse zwischen den Generationen<br />
eine Bewegung abzeichnen wird, die die stufenweise Bewusstseinsentwicklung<br />
des Kunstschaffens ausdrückt. Die Beschreibung der Geschichte<br />
der Spannung der orientalischen Kunst [so wie bei anderen<br />
Themenkreisen des orients oder des orientalismus in Israel] erfordert eine<br />
neue Sprachregelung in folgenden Bereichen: a.) Chronik, b.) Konzeptionalisierung,<br />
c.) Problematik, d.) Kontext, e.) Formen und Inhalte, f.) die Frage<br />
des Refrains, g.) das Verhältnis Kunst und Kritik.<br />
Als Paradebeispiel für Freiheit und Fülle des orientalischen in seinem Zugang<br />
zur eigenen Vergangenheit (obzwar in verdeckter Auseinandersetzung mit der<br />
hegemonialen Gruppe) möchte ich den Künstler Avschalom okaschi vorstellen<br />
und mich dabei gründlich mit der Forschungsarbeit mordechai omers über<br />
diesen Künstler auseindandersetzen, wenn auch auf andere als die von ihm<br />
gewählte Weise. okaschi wird dabei als Beispiel eines schaffenden orientalischen<br />
Künstlers gesehen, der schon vor der „Schmelztiegel“-Zeit ins Land<br />
kommt und hier in die Gesellschaft hineinwächst und der im Einflussbereich<br />
des besten Erbes der europäischen Bildung der malerei, dessen Vertreter in<br />
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