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katalog-overlapping voices - Ritesinstitute

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arTIsT sTaTemenT<br />

Turn rIghT<br />

„Turn Right“ ist ein Ausdruck aus der Militärsprache. Zunächst einmal nicht<br />

so erstaunlich, dass Raed Bawayah diesen Titel für seine Fotoserie über palästinensische<br />

Soldaten gewählt hat. Allerdings sind die Soldaten von Bawayah<br />

nicht beim Marschieren oder in einer Militärparade zu sehen. Die meisten sind<br />

bewegungslos abgebildet. Dieser Stillstand offenbart die Komplexität des Titels,<br />

der nämlich je nach Auslegung der zwei Wörter, aus denen er besteht,<br />

ganz verschiedene Bedeutungen annehmen kann: „Rechts schwenkt!“, „die<br />

rechte/richtige Wendung“ oder auch „das Recht auf eine Wendung“. Auf den<br />

simplen Befehl „Turn Right!“ hält jedes Armeemitglied und ganz allgemein jedes<br />

menschliche Wesen kurz inne, und sei es nur für den Bruchteil einer Sekunde,<br />

bevor es reagiert. Seine Reaktion, wenn sie zu einer beobachtbaren<br />

Aktion führt, sagt allerdings nichts über die zugrundeliegende geistige Haltung<br />

aus. Was wäre denn auch angesichts der Komplexität der momentanen gesellschaftspolitischen<br />

und individualbiografischen Entwicklung jedes Einzelnen<br />

der rechte Weg? Soll man sich nach rechts wenden, im Kreis gehen, sich zurückwenden<br />

oder sich abwenden?<br />

Der kurze Zeitraum zwischen dem militärischen Befehl und der damit verbundenen<br />

Reaktion erscheint wie ein tausendfach gefaltetes Stück Papier, das sich<br />

vor der Kamera von Bawayah entfaltet und berührende Oasen des Alltags enthüllt.<br />

Obwohl die Soldaten alle Militäruniform tragen und damit mit der öffentlichen<br />

Ordnung in Verbindung stehen, entstanden doch die meisten Aufnahmen<br />

in Innenräumen, in einem Privatbereich. Jene Männer, die im Freien mit<br />

ihren Waffen posieren, richten ihren Blick nicht auf die Kamera. Die Männer<br />

auf den Innenaufnahmen blicken in die Kamera und zeigen andere Insignien:<br />

Gekritzel an der Wand, ein Brief in der Hand, Schuhe und Socken, Nahrungsmittel,<br />

eine bunte Decke, Fotos an der Wand, ein Wasserschlauch … Sie haben<br />

ihre Waffen abgelegt und sind von jenen Ressourcen umgeben, die ihre<br />

Individualität im Alltag ausmachen. Denn um Individualität geht es in den Frontalaufnahmen<br />

von Raed Bawayah. Jenseits aller Uniformierung, die für den<br />

Soldaten zur zweiten Haut wird, die seine Identität, seine Zugehörigkeit, seine<br />

Rolle und seine Gedanken bestimmt, suchte der Künstler zu ergründen, was<br />

unterhalb der uniformierten Gleichschaltung liegt, unterhalb jenes sand- und<br />

aschefarbenen Stoffes. Sein Weg führte zum Gesicht.<br />

Die Soldaten posieren zu zweit oder einzeln vor der Kamera. Sie werden von<br />

der Sonne beschienen, und was man nicht von ihnen weiß, liegt im Halbschatten.<br />

Sie geben ihr Gesicht preis: desillusionierte Unschuld, männliche Sanftheit,<br />

entwaffnende Schlichtheit und übertriebene Expressivität des Blickes.<br />

Sind die Männer in dieser desolaten Umgebung, die von Mauern, Metallbetten<br />

und vergitterten Fenstern, Symbolen eines seltsamen Eingesperrtseins,beherr<br />

scht wird, Soldaten oder Häftlinge? Ob mit oder ohne Waffen – vor dem Objektiv<br />

sind sie wehrlos. Wenn sie sich nicht bewegen und mit ihrem Schatten den<br />

Boden streifen, sieht man sie sitzen, stehen oder liegen. In dieser Serie, die<br />

der Künstler im Herbst 2007 in Ramallah, Hebron und Jericho aufnahm, gibt<br />

es ein Foto, auf dem keine Soldaten, sondern nur ihre Stellvertreter zu sehen<br />

sind. An Stelle der Soldaten posieren hier ihre Waffen, die auf Decken auf dem<br />

Boden ausgebreitet sind. Unter der drückend heißen Sonne entsteht ein eindrucksvolles<br />

Bild, das eine Metapher des Endes evoziert – ein Ende des Wartens,<br />

mit Kalaschnikows, die als einsame und schwarze Kadaver auf ihrem Leichentuch<br />

liegen.<br />

Indem er den Soldaten die Möglichkeit gibt, „auf einem Foto verewigt zu werden“,<br />

erfasst Raed Bawayah sie aus einer ganz anderen Perspektive, die sie<br />

aus dem undifferenzierten und anonymen Militärkorps heraushebt. Also eine<br />

„Aktualisierung“ des so viel benutzten, missbrauchten und aller Illusionen beraubten<br />

Bildes vom Soldaten und eine „Aktualisierung“ der so oft im Schatten<br />

liegenden Individualität. „Turn Right“ wird damit zum Diskurs des Blickes, der<br />

auf eine Innerlichkeit gerichtet ist, um sich dem Anderen, dem Nächsten, zu<br />

nähern, der so nah und zugleich so fern ist.<br />

Turn rIghT<br />

“Turn Right” is a term lifted from military vocabulary, and hence a priori it is<br />

no wonder that Raed Bawayah would choose it as a title for his photo series<br />

on Palestinian soldiers. Bawayah’s soldiers, however, are not shown marching<br />

or parading. Most of them are not moving at all in front of the camera. Their<br />

very stillness reveals the complex resonance of the title which, depending on<br />

how one reads the two constituent words, can be taken to mean very different<br />

things: a command to turn right, a right or correct change of direction,<br />

or the right to change direction. Faced with the simple command: “Turn<br />

Right!”, every soldier and, generally, every human being, would pause for<br />

thought, even if just for a microsecond, before reacting. The response, if it<br />

leads to an observable external action, would not, however, reveal anything<br />

about the inner state of mind. Indeed, in view of the complexities of today’s<br />

socio-political environment and of individual histories, what would be the right<br />

turn to take? Should one turn to the right, turn around in circles, turn back,<br />

or turn away?<br />

The short pause between the military command and the reaction it implies<br />

appears like a very tightly folded piece of paper which then unfolds in front<br />

of Bawayah’s camera. Even if all the soldiers wear military garb which makes<br />

them an element of public order, most of the photos have been taken indoors,<br />

in private areas. The men who pose outside, festooned with their weapons,<br />

look away from the camera. Those portrayed inside face the camera and show<br />

other insignia: graffiti on the walls, a letter in the hand, shoes and socks, food,<br />

colourful blankets, photos pinned on the wall, a water hose … Bereft of their<br />

arms they are equipped with the things that make up their individuality in<br />

daily life. For, it is indeed individuality that is at issue in the frontal portraits<br />

of Raed Bawayah. The artist has gone looking beyond the military dress that<br />

is a second skin to the soldier, determining his identity, his appearance, his<br />

role and his thinking, beyond that sandy and ashen coloured fabric. He has<br />

taken the turn that leads one to confront the face.<br />

Posing alone or in pairs in front of the camera, the soldiers are sprinkled with<br />

sunlight, the shade hiding the things one doesn’t know about them. They offer<br />

their faces to the viewer: innocence marked by disillusionment, gentle virility,<br />

disarming and over-expressive simplicity in their eyes. In that sparse<br />

environment dominated by walls and bars on beds and windows, symbols of<br />

a strange confinement, are these men really soldiers or prisoners? Armed or<br />

not, they are defenceless in front of the camera’s lens. When they are not<br />

moving, their reflections playing on the ground, they are sitting, standing or<br />

lying down and all seem to be waiting for something. In this series produced<br />

in Ramallah, Hebron, Bethlehem and Jericho in the autumn of 2007, there<br />

is one photo which does not show soldiers but only their equipment. Posing<br />

in their place are rifles lying in orderly fashion on blankets on the floor. Under<br />

the blazing sun they make for a powerful metaphor of finality, the end of<br />

waiting, these Kalashnikovs lying like solitary black corpses on their<br />

shrouds.<br />

By giving these soldiers the opportunity to be “taken on a photograph”, he<br />

captures them from a unique perspective that sets them apart from the undifferentiated<br />

military contingent and lifts their anonymity. It is a new take on<br />

the – much used, abused and disabused – image of the soldier and a new<br />

take on individuality that is too often left hidden in gloomy shade. “Turn Right”<br />

thus provides a discourse through turning one’s eyes to the inside so as to<br />

get closer to ‘the other’, the ‘fellow man’, who is so near and yet so far.<br />

ritta Baddoura<br />

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