Volltext Prokla 26
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logisierung def "anderen Arbeiterbewegung" (78) ist insofern in ihrer politischen<br />
Wirkung noch schadlicher al:;; die traditionelle marxistische Verachtung fUr das Kleinbiirgertum.<br />
Von den bereits dmch die Praxis und konzeptionelle Ausarbeitung def Einheitsfrontpolitik<br />
1921 - 23 aufgeworfenen Problemen jenseits def Arbeitereinheit, die<br />
dann zw6lf Jahre spater unter der Parole def Volksfront wieder aufgegriffen wurdenderen<br />
vollstandiger Miflerfolg resultierte, wie zu zeigen versucht wmde, nicht aus der<br />
Benennung def Probleme und firer bi.indnispolitischen Aspekte als solcher, sondern<br />
aus ihrer Verkntipfung mit auflenpolitischen Interessen der UdSSR statt ihrer Ableitung<br />
aus praktischen Erfahrungen und Realanalysen def deutschen Gesellschaft - ,<br />
kann keines heute als auch nm theoretisch bewhltigt gelten. Insofern haben uns die<br />
btindnispolitischen Experimente wahrend der 20er und 30er Jahre auch heute noch<br />
etwas zu sagen. Die wichtigste Lehre: groflartige Resolutionen, Deklarationen, Aufrufe<br />
niitzen gar nicht, wenn dahinter nicht bestimmte gemeinsame Interessen - erfahrene<br />
Interessen - stehen. Viel relevanter als die Formulierung von Btindnisangeboten<br />
an "das Volk" ist die Liquidierung einer Haltung, die in allen nichtproletarischen<br />
Klassen und Schichten nm Objekte der Politik sieht, denen gegentiber eine<br />
"kluge Taktik" in Anwendung zu bringen sei, urn sie zu "neutralisieren". Den Vorwmf<br />
populistischer Abweichung von der "proletarischen Klassenlinie" nehme man<br />
in Kauf: Jede revolutionar Massenbewegung ist bis zu einem gewissen Grade "populistisch",<br />
und wer die nichtproletarischen Massen lediglich als Man6vriermasse betrachtet,<br />
wird auch dazu neigen, die reale Arbeiterbewegung zu verklaren, urn deren<br />
Unvollkommenheit schlieBlich terroristisch zu korrigieren.<br />
1m hochentwickelten Kapitalismus der Bundesrepublik besteht das zentrale<br />
btindnisstrategische Problem nicht mehr in der Gewinnung def selbstandigen Mittelschichten<br />
(obwohl etwa die Bauernfrage damit keineswegs ededigt 1st), sondern in<br />
der Vereinheitlichung der tiber 80 % lohnabhangig Beschiiftigten. Damit ist Bi.indnispolitik<br />
zwar unkomplizierter geworden, denn in den Gewerkschaften gibt es bereits<br />
ein Instrument, diese Vereinheitlichung voranzu treiben. Es besteht jedoch die Gefahr,<br />
aufgrund des gemeinsamen Lohnabhangigen-Status der groBen Bevolkerungsmehrheit<br />
die Nicht-Identitat ihrer Interessen zu iibersehen, aus der sich ja erst die speziellen<br />
Bundnisaufgaben ergeben.<br />
Wie gegeniiber den MiHelschichten ist jeder Dogrnatismus auch gegeniiber den<br />
biirgerlichen Parteien fehl am Platze, insbesondere wenn organisierte werktatige Gruppen<br />
in ihnen wirken. Das Hauptproblem der westdeutschen Linken in ihrem Verhaitnis<br />
zu den etablierten Parteien besteht eindeutig darin, eine emotionale und sektie-<br />
78 Heinrich Boll stellt in seinem Nachwort zu KopeJew die simple, aber umso berechtigtere<br />
Frage (S. 599): "Hat man sich je iiberlegt, ist man sich je klar geworden innerhalb der<br />
westlichen Kommunistischen Parteien, innerhalb der gesamten ,linken' internationalen<br />
Szene, warum Deutschland, das einst die starkste KP hatte, auf die man viele Hoffnungen<br />
setzte, nach 1945 die schwachste kommunistische Bewegung gehabt hat - trotz aller Einsicht<br />
in den Wahnsinn des Faschismus? Ob flir die iiberlebenden und heimkehrenden<br />
Kommunisten dieser Anschauungsunterricht nicht weitaus abschreckender war als aller<br />
gepredigter Antikommunismus - und wie viele ehemaligen Kommunisten haben in ihn<br />
eingestimmt?"<br />
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