Das Nürnberger Schwein oder: Wohnungsbau ... - Kunstlexikon Saar
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Fritz Schmoll gen. Eisenwerrth, <strong>Das</strong> <strong>Nürnberger</strong> <strong>Schwein</strong>, Beitrag zur Festschrift J. A. Schmoll gen. Eisenwerth, 2005, S. 8 / 24<br />
denreform-Bewegung, die um 1900 diese Argumentationslinie wieder aufnahm, dann angeführt<br />
von Rudolf Eberstadt mit zahlreichen Publikationen. 14<br />
Eine andere Fraktion stellte die genossenschaftliche Selbsthilfe in den Mittelpunkt: Wohnungssuchende<br />
sollten sich zu Baugenossenschaften (Spar- und Bauvereinen) zusammenschließen,<br />
durch kleine Sparbeiträge Eigenkapital ansammeln und davon Häuser bauen. Dabei<br />
folgten die meisten Anhänger dieser Richtung der Vorstellung von geschlossenen Siedlungen<br />
mit kleinen Häusern im Umland großer Städte, insoweit an die Gedanken von V. A. Huber<br />
anknüpfend. Die Genossenschaften sollten fertiggestellte Häuser den Mitgliedern übergeben,<br />
die sie nach und nach abbezahlen sollten. 15<br />
Die Wohnungsreformdiskussion reflektiert die räumlichen und sozialen Erscheinungen der<br />
frühen Urbanisierung. Vor 1870 war der Wohnungsmarkt in Deutschland wenig entwickelt,<br />
Wohnen zur Miete konnte noch kein funktionierendes Versorgungsmodell sein. Selbst höhere<br />
Löhne hätten den Arbeitern zunächst kaum die Möglichkeit eröffnet, bessere und größere<br />
Wohnungen zu konsumieren, denn diese waren kaum vorhanden. Zwar gab es schon vor dem<br />
19. Jahrhundert in den Städten auch Mietwohnungen, in einzelnen Städten waren bis zur Hälfte<br />
der Wohnungen nicht vom Eigentümer, sondern von Mietern bewohnt. Insbesondere Gruppen,<br />
die nicht als selbstständige Handwerker und Händler im eigenen Haus eine eigene Wirtschaft<br />
betrieben, wohnten zur Miete. Schon seit dem 18. Jahrhundert und bis zur Einführung<br />
der Gewerbefreiheit war diese Gruppe ständig gewachsen. Daneben gab es auch Adelige, Militärs<br />
und Beamte, die ihre Stadtwohnung mieteten. Kleine, billige Mietwohnungen für die<br />
Versorgung der sehr schnell anwachsenden Arbeiter- und Unterschichten waren bis gegen<br />
1870 eher ein „Abfallprodukt“ des bürgerlichen Wohnhausbaus: in Kellern, Dachböden, Hinterhäusern,<br />
in Räumen innerhalb der Wohnung anderer Familien (als „Aftermieter“) <strong>oder</strong><br />
ganz ohne Anspruch auf einen eigenen Raum (als „Schlafgänger“) musste sich mit Wohnraum<br />
versorgen, wer auf der Suche nach Lohnarbeit in die Stadt zog. So verdichtete sich die<br />
Bebauung in früh industrialisierten Städten das ganze 19. Jahrhundert über durch Anbau, Aufstockung<br />
und Bebauung von Hofflächen.<br />
Demgegenüber mussten Industrieunternehmer, die „auf der grünen Wiese“ neue Standorte<br />
entwickelten, auch für den <strong>Wohnungsbau</strong> selber sorgen – insbesondere in der standortgebundenen<br />
Bergbau- und Hüttenindustrie bildete sich früh der Werkswohnungsbau heraus. Als<br />
älteste deutsche Werkssiedlung, die im Zuge der Industrialisierung errichtet wurde, gilt gemeinhin<br />
die Siedlung „Eisenheim“ der Gute-Hoffnungs-Hütte in Oberhausen (ab 1846). Aber<br />
auch andernorts entstanden früh Werkswohnungen. Bisweilen lässt sich eine kontinuierliche<br />
Entwicklung nachzeichnen von der merkantilistischen Ansiedlungspolitik des 18. Jhs. zum<br />
Werkswohnungsbau des 19. Jhs.. So etwa im Finowtal nahe Eberswalde (Preußen) nordöstlich<br />
von Berlin, wo zusammen mit einem Messingwerk von der Kriegs- und Domänenkammer,<br />
also vom preußischen Fiskus, von der 30er Jahren des 18. Jhs. an Arbeiter- und „Officianten“-Häuser<br />
gebaut wurden, die den Kern einer bis in die 20er Jahre des 20. Jhs. ständig<br />
erweiterten Siedlung bildeten. 16<br />
Wo in der ersten Hälfte des 19. Jhs. vereinzelt doch städtische Mietwohngebäude errichtet<br />
wurden, waren sie bekannt und berüchtigt: etwa die „Wülknitz’schen Familienhäuser“ in der<br />
Rosenthaler Vorstadt in Berlin – dort hat der Kammerherr von Wülcknitz, märkischer Gutsbesitzer,<br />
schon um 1825 sechs mehrgeschossige Miethäuser errichten lassen, die insgesamt<br />
ungefähr 425 einzelne Stuben enthielten, jede als Wohnung für eine Familie gedacht und auch<br />
14<br />
Eberstadt, Rudolf: Städtische Bodenfrage, Berlin 1894 und danach zahlreiche weitere Beiträge<br />
15<br />
Ein prominenter Vertreter dieser Richtung ist: Sax, Emil: Die Wohnungszustände der arbeitenden Klassen und<br />
ihre Reform, Wien 1869<br />
16<br />
Vgl. Seifert/Bodenschatz/Lorenz, <strong>Das</strong> Finowtal im Barnim, Berlin 2000, S. 17