Das Nürnberger Schwein oder: Wohnungsbau ... - Kunstlexikon Saar
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Fritz Schmoll gen. Eisenwerrth, <strong>Das</strong> <strong>Nürnberger</strong> <strong>Schwein</strong>, Beitrag zur Festschrift J. A. Schmoll gen. Eisenwerth, 2005, S. 7 / 24<br />
(und nicht etwa Folge) weiterer sozialer, ethischer und hygienisch-medizinischer Probleme<br />
sind. 9<br />
Zwischen 1842 und 1870 erschienen im deutschsprachigen Raum etwa 70 Beiträge zur „Arbeiterwohnungsfrage“,<br />
meist kleinere Einzelschriften <strong>oder</strong> Artikel in Fachzeitschriften, letztere<br />
vor allem im „Arbeiterfreund“ des Centralvereins in Preußen für das Wohl der arbeitenden<br />
Klassen, 10 vereinzelt auch in Bau-Fachzeitschriften. Die Diskussion war verbunden mit praktischen<br />
Versuchen, vor allem durch Gründung von Baugesellschaften, vereinzelt auch durch<br />
Stiftungen, die Wohnungssituation der Arbeiter zu verbessern. Die Bewegung war getragen<br />
von bürgerlichen Kreisen. Die jeweiligen lokalen Initiatoren waren meist auch über die Diskussion<br />
anderwärts informiert, insbesondere die Beispiele aus London und Mulhouse waren<br />
wohl allgemein bekannt. Der erste und auch der zweite internationale Wohltätigkeitskongress<br />
in Brüssel (1856 und 1857) hatte jeweils auch dieses Thema auf der Tagesordnung, der internationale<br />
Gedankenaustausch zur Arbeiterwohnungsfrage fand also auch dort ein Forum.<br />
Innerhalb der Wohnungsreform-Diskussion gab es unterschiedliche Strömungen. Einer der<br />
frühesten und profiliertesten Autoren war der christlich-konservative Publizist Victor Aimé<br />
Huber, Professor für Literaturgeschichte in Berlin und Mitinitiator der Berliner gemeinnützigen<br />
Baugesellschaft. 11 In seinem Konzept verband sich Wohnungsreform als innere Kolonisation<br />
mit Vorstellungen von einer ständisch strukturierten Gesellschaft, deren Grundlage und<br />
Kernelement ethisch und ökonomisch intakte Familien sein sollten. Eine der Familie übergeordnete<br />
Struktureinheit war in Hubers Gesellschaftsmodell die Genossenschaft (vor allem im<br />
Konsum-, weniger im Produktionsbereich), die es den Familien ermöglichen und erleichtern<br />
sollte, durch gemeinschaftliche Selbsthilfe den Alltag zu meistern und den Lebensstandard<br />
allmählich zu erhöhen. Wohnungsreform verband sich bei Huber mit der Idee genossenschaftlich<br />
organisierter Arbeitersiedlungen am Rand <strong>oder</strong> im Umland der wachsenden Städte.<br />
Im Gegensatz zu Huber vertraten die Anhänger des Wirtschaftsliberalismus die Auffassung,<br />
dass der Markt die Wohnungsfrage entsprechend den Marktgesetzen lösen werde. Der 9.<br />
Kongress deutscher Volkswirte befand im Jahre 1867:<br />
„Die Wohnungsfrage in Städten kann nur gelöst werden, wenn es gelingt, die Herstellung der<br />
Wohngebäude, namentlich auch der kleinen und billigeren Wohnungen unter der Berücksichtigung<br />
der nothwendigen, abseiten des Staats festzustellenden Sanitäts-Bedingungen, nach<br />
Maaßgabe des Bedürfnisses durch die Privat-Spekulation zu beschaffen.“ 12<br />
Diese liberale Position differenziert sich bis Ende der 1860er Jahre in unterschiedliche Argumentationsstränge<br />
aus. Eine Fraktion, publizistisch angeführt von Julius Faucher, stellte die<br />
Rolle des Bodenmarktes in den Mittelpunkt und behauptete eine Monopolstellung der städtischen<br />
Grundbesitzer, die es ihnen ermögliche, Grundstückspreise und dadurch die Kosten des<br />
Wohnens hoch zu halten. Dieses Monopol sollte durch Ausdehnung der Städte in die Fläche<br />
aufgehoben werden und – für einen profilierten Wirtschaftsliberalen der Jahre um 1850 eine<br />
erstaunliche Forderung – durch ein staatliches Verbot von Mietskasernen in den neu zu erschließenden<br />
Stadterweiterungsgebieten. 13 Insofern war diese Fraktion ein Vorläufer der Bo-<br />
9<br />
Schmoll, Fritz: Wohnungsnot und Wohnungsreform, S. 96 ff<br />
10<br />
<strong>Das</strong> Organ des Centralvereins in Preußen für das Wohl der arbeitenden Klassen kam von 1852 bis 1860 unter<br />
dem Titel „Mitteilungen des Zentralvereins...“, von 1861 bis 1863 als „Zeitschrift des Zentralvereins ...“ und ab<br />
1863 als „Der Arbeiterfreund“ heraus und enthält zahlreiche Beiträge zu Wohnungsfragen.<br />
11<br />
Huber, Victor Aimé: Über innere Ansiedlung und Colonisation; in: Janus, Jg. 1846. Danach zahlreiche Schriften<br />
bis Ende der 1860er Jahre<br />
12<br />
Vierteljahresschrift für Volkswirthschaft und Kulturgeschichte, Bd. 19 (Jg. 5/1867) S. 122 ff<br />
13<br />
So: Faucher, Julius: Die Bewegung für Wohnungsreform, in: Vierteljahresschrift für Volkswirthschaft und<br />
Kulturgeschichte, , Jg. 1865/66. Ders.: Über Häuserbauunternehmung im Geiste der Zeit; das. Jg. 1869