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Das Nürnberger Schwein oder: Wohnungsbau ... - Kunstlexikon Saar

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Fritz Schmoll gen. Eisenwerrth, <strong>Das</strong> <strong>Nürnberger</strong> <strong>Schwein</strong>, Beitrag zur Festschrift J. A. Schmoll gen. Eisenwerth, 2005, S. 6 / 24<br />

schossige Zweispänner, die in der Grundrissdisposition mit dem von C. W. Hoffmann entwickelten<br />

Typ so gut wie identisch sind (Abb. 4).<br />

Nicht nur die Architekten mussten sich mit der Frage auseinandersetzen, wie eine gute Arbeiterwohnung<br />

aussehen soll. Auch die Bewohner mussten sich mit der neuen – städtischen –<br />

Lebensweise auseinandersetzen. Arbeiterfamilien in den rasch wachsenden Städten des mittleren<br />

und späten 19. Jahrhunderts waren zu einem Teil Zuwanderer aus ländlichen Regionen,<br />

zu einem Teil rekrutierten sie sich aus der vorindustriellen städtischen Unterschicht, die im<br />

18. und frühen 19. Jahrhundert stetig angewachsen war. Ob aus ländlichen <strong>oder</strong> städtischen<br />

Verhältnissen kommend – Erfahrungen hatten sie damit, sich als Familien auf der Basis vorindustrieller<br />

Erwerbs- und Sozialstrukturen irgendwie durchzubringen. Erfahrungen mit einer<br />

städtischen Lebensweise, mit der Trennung von Wohnen und Arbeiten, mit einer weniger auf<br />

Subsistenzwirtschaft und Eigenproduktion und mehr auf Warenkonsum ausgerichteten Lebensweise<br />

hatten sie nicht. Die Grundlage, in der eigenen Hauswirtschaft einen Grossteil des<br />

alltäglichen Bedarfs selbst zu produzieren, war ihnen jedoch durch die städtische Wohnform<br />

genommen. <strong>Das</strong> wird am Beispiel einer Mieterfamilie der <strong>Nürnberger</strong> Wohnungsverein AG<br />

besonders plastisch: sehr zum Entsetzen des wohlmeinenden großbürgerlichen Vorstands der<br />

AG versuchten sie nämlich, auf dem Dachboden des dreigeschossigen Mietshauses, ein<br />

<strong>Schwein</strong> zu halten. 6 Ja, wo auch sonst? <strong>Das</strong> wird wohl ein Kündigungsgrund gewesen sein,<br />

denn die Hausordnung sah unter Ziff. 11 vor:<br />

„Untersagt sind alle Zänkereien im Hause, und alles unnütze Geräusch, Geschrei, dann alle<br />

lärmenden Spiele und lästiges Herumtreiben der Kinder, überhaupt alles, was die Ruhe und<br />

Ordnung der übrigen Hausbewohner stören <strong>oder</strong> dem Hause Schaden zufügen kann.“ 7<br />

II Wohnungsreform und Urbanisierung zwischen 1850 und 1870<br />

Nürnberg ist nicht die einzige Stadt, in der um 1850 erste Anstrengungen zur Verbesserung<br />

der Wohnungssituation der „arbeitenden Klassen“ unternommen wurden. <strong>Das</strong> Thema kam im<br />

Zuge der Industrialisierung in England, Frankreich, Belgien, der Schweiz und Deutschland<br />

um die Jahrhundertmitte auf. Charakteristisch ist die enge Verknüpfung der theoretischen<br />

Diskussion mit praktischen Versuchen. Nürnberg ist hierfür nur ein Beispiel.<br />

In den – vor 1870 noch wenigen – schnell wachsenden Städten war die soziale Lage der hereinströmenden<br />

Bevölkerung miserabel, das ist hinreichend dokumentiert und analysiert. Engels<br />

„Lage der Arbeitenden Klassen in England“ 8 ist nach wie vor ein überaus lesenswertes<br />

Dokument. In den Kategorien von Marx gedacht, ist dies eine Folge der Ausbeutung. Die industrielle<br />

Reservearmee der Arbeits-, Land- und Vermögenslosen hat nur die eigene Arbeitskraft<br />

zu verkaufen und muss den Lohn akzeptieren, den das Kapital bietet, und das hat um<br />

1850 zum anständigen Wohnen, Kleiden, Essen meist nicht gereicht. In den Kategorien der<br />

liberalen Ökonomie sind niedrige Löhne Voraussetzung für Investitionen und Investitionen<br />

Voraussetzung für Wachstum und Wohlstand: nur was nicht konsumiert wird, kann investiert<br />

werden. Sowohl aus der einen wie aus der anderen Sicht wäre die Wohnungsfrage also eigentlich<br />

eine Lohnfrage. Aber zwischen den beiden Polen einer sozialistischen und einer rein<br />

wirtschaftsliberalen Position gab es eine Diskussion um Wohnungsreform, die die Wohnungsfrage<br />

als eigenes Feld der Fürsorge bzw. Sozialpolitik entdeckt und um die Mitte des 19.<br />

Jahrhunderts wichtige grundlegende Gedanken zur Wohnungsreform entwickelt hat. Beherrschend<br />

ist in der damaligen Diskussion die Vorstellung, dass Wohnungsprobleme Ursache<br />

6 Sitta, Josef: Die Entwicklung der gemeinnützigen Bautätigkeit in Nürnberg von 1850 bis 1930; Wirtschaftswiss.<br />

Diplomarbeit Erlangen-Nürnberg 1965 (Typoskript vorh. in Stadtarchiv Nürnberg), S. 28<br />

7 Stadtarchiv Nürnberg, Rep. E 6, Verein 201, Band 1<br />

8 Leipzig 1845

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