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Das Nürnberger Schwein oder: Wohnungsbau ... - Kunstlexikon Saar

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Fritz Schmoll gen. Eisenwerrth, <strong>Das</strong> <strong>Nürnberger</strong> <strong>Schwein</strong>, Beitrag zur Festschrift J. A. Schmoll gen. Eisenwerth, 2005, S. 10 /<br />

24<br />

sen, das Alte reibt sich am Neuen. Auch die Wohnungsreformbewegung des 19. Jhs. ist insgesamt<br />

Ausdruck unterschiedlicher Entwicklungsgeschwindigkeiten: der <strong>Wohnungsbau</strong> bleibt<br />

qualitativ und vor allem quantitativ hinter dem schnell steigenden Bedarf an Wohnraum in<br />

den wachsenden Städten zurück. Weder von der liberalen Position aus, die eine Lösung durch<br />

den Markt beschwor, noch von der sozialistischen Position aus, die die Wohnungsfrage als<br />

Nebenwiderspruch des antagonistischen Verhältnisses von Kapital und Arbeit definierte,<br />

konnte die Ökonomie des Wohnungsmarktes und des <strong>Wohnungsbau</strong>s begriffen werden.<br />

Ökonomisch betrachtet sind Mietwohngebäude Sachkapital. <strong>Das</strong> in Wohngebäuden gebundene<br />

Kapital gibt über lange Zeiträume Nutzungen ab: ein Haus kann man hundert Jahre <strong>oder</strong><br />

länger bewohnen. Dementsprechend besteht nur ein kleiner Teil des Wohnungsangebots aus<br />

neu errichteten Gebäuden, der Wohnungsmarkt ist ein Bestandsmarkt, das Angebot ist nahezu<br />

starr, für eine rasch steigende Nachfrage steht nicht sofort ein entsprechend größeres Angebot<br />

zur Verfügung. Vielmehr passt sich das Angebot nur langsam an eine gestiegene Nachfrage<br />

an, die Angebotsfunktion reagiert unelastisch auf Nachfrageveränderungen.<br />

Die unelastische Reaktion des Wohnungsangebots hat Folgen: bei steigender Nachfrage wird<br />

zunächst der vorhandene Wohnraum intensiver genutzt, und die Mieten (Preise) steigen über<br />

einen theoretisch gedachten „Gleichgewichtspreis“ hinaus. Intensivere Nutzung des Wohnungsbestands<br />

heißt: überbelegte Wohnungen, Nutzung von Kellerräumen, Nebengelassen<br />

und Dachböden als Wohnung, eben die Erscheinungen, die die Wohnungsreformer um 1850<br />

beobachteten.<br />

Wie lange es dauert, bis aus einer gestiegenen Einwohnerzahl eine steigende Wohnungsnachfrage<br />

und aus steigender Wohnungsnachfrage eine rege Bautätigkeit entsteht, hängt von vielen<br />

Faktoren ab und kann nicht allgemeingültig beantwortet werden. Zunächst spielt natürlich<br />

Zahlungsfähigkeit, also die oben angesprochene Lohnfrage eine Rolle, die vom wirtschaftlichen<br />

Wachstum abhängt und natürlich auch davon, wie sich das (im Falle von Wachstum)<br />

größer werdende Sozialprodukt auf Investitionen und Konsum verteilt und wie gewachsene<br />

Konsummöglichkeiten sozial verteilt sind. Die Realeinkommen der breiten Schichten sind<br />

wohl erst nach 1870 gestiegen, erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts hatten Lohnabhängige<br />

vermehrt die Freiheit, zu entscheiden, welchen Anteil des gestiegenen Einkommens sie auf<br />

Wohnen und andere Konsumgüter verteilen.<br />

Die Frage des Anteils der Miete an den Konsumausgaben hat die Zeitgenossen sehr beschäftigt,<br />

seit Hermann Schwabe 1868 seine Ergebnisse einer statistischen Analyse der Konsumausgaben<br />

der Berliner Steuerpflichtigen und der Berliner Kommunalbeamten veröffentlicht<br />

hat. 21 Anhand beider Datenreihen hat Schwabe einen Zusammenhang entdeckt, den zuvor der<br />

Leipziger Statistiker Engel schon für die Nahrungsmittel-Ausgaben belegt hat und der danach<br />

vielfach diskutiert und überprüft wurde. Heute gilt das „Schwabe’sche Gesetz“ als allgemeine<br />

Tendenz des Konsumverhaltens von Haushalten und verursacht keinerlei Aufregung mehr: je<br />

höher das Einkommen, um so geringer der Anteil, der für lebensnotwendige Güter ausgegeben<br />

wird. Wohnen gehört zum Lebensnotwendigen, mit sinkendem Einkommen steigt der<br />

Anteil der Mietausgaben am gesamten verfügbaren Einkommen. Schwabe formuliert: „Je<br />

ärmer jemand ist, einen desto größeren Theil seines Einkommens muß er für Wohnung verausgaben.“<br />

Selbstverständlich ist dieser Zusammenhang kulturell überformt: in verschiedenen<br />

Kulturen, Subkulturen, Schichten und Regionen ist der Anteil der Wohnausgaben am Haushaltsbudget<br />

unterschiedlich.<br />

<strong>Das</strong> Verhältnis der Veränderungsrate (beispielsweise in Prozent) der Mietausgaben zur Veränderungsrate<br />

des Einkommens nennt man Einkommenselastizität der Miete. Eine Elastizität<br />

21 Schwabe, Hermann: <strong>Das</strong> Verhältnis von Miethe und Einkommen in Berlin; in: Berlin und seine Entwicklung –<br />

Gemeinde-Kalender und städtisches Jahrbuch für 1868

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