Spurensuche - Bernd Bräuer

Spurensuche - Bernd Bräuer Spurensuche - Bernd Bräuer

Novalis<br />

<strong>Spurensuche</strong><br />

Orte und Städte<br />

2011


Die Wartburg in der Frühe<br />

Friedrich von Hardenberg, 1772 in Oberwiederstedt, im Mansfeldischen<br />

geboren und 1801 in Weißenfels gestorben, gilt als der bedeutendste<br />

frühromantische Dichter. Er nennt sich seit 1798 Novalis (der Neuland<br />

Bestellende) – nach seinem mittelalterlichen Familienname de Novali. Zwar<br />

wird der Name Novalis nicht Wenigen heute noch geläufig sein, aber Werk<br />

und Leben des vor allem in Mitteldeutschland tätigen und früh verstorbenen<br />

Dichters kaum. Am ehesten dürften von seinen Schöpfungen das Märchen<br />

von Hyacinth und Rosenblüthe und sein unvollendeter Roman Heinrich von<br />

Ofterdingen, geltend als der romantische Roman schlechthin, bekannt sein<br />

und von einem literarisch interessierten Publikum gelesen werden. Novalis hat<br />

neben einem reichen dichterischen, auch ein umfangreiches philosophischtheoretisches<br />

Werk und naturwissenschaftliche Studien hinterlassen – vieles<br />

davon allerdings als Fragment. Eine gleichermaßen berührende wie lehrreiche<br />

Literatur sind auch seine Tagebücher und Briefe.<br />

Der vorliegende Wandkalender Novalis <strong>Spurensuche</strong> präsentiert 13 farbige Bilder<br />

von Orten und Städten, die mit Leben und Werk des Dichters eng verwoben<br />

sind – vertieft und erweitert durch zusätzliche Fotos, Texte, Lebensdaten und<br />

Gedichte von Novalis auf den Kalender-Rückseiten.<br />

Das Kalender-Titelbild Die Wartburg in der Frühe steht mit Werk und Leben<br />

des Novalis in mannigfacher Beziehung. Da ist zum einen sein schon erwähnter<br />

Roman Heinrich von Ofterdingen. Diese, als Reise dargestellte symbolische<br />

Reifungsgeschichte zum Dichter, nimmt auf der Wartburg (gegründet im<br />

Jahr 1067) beziehungsweise beim Ausschreiten aus den Thoren von Eisenach,<br />

ihren eigentlichen Anfang. Ferner betrachtet Novalis den Ofterdingen nicht<br />

als fiktive, sondern als historische Gestalt. Er sieht in ihm einen bedeutenden<br />

Dichter des Mittelalters – berühmt durch den Sängerkrieg auf der Wartburg,<br />

ein mittelhochdeutscher Gedichtzyklus aus dem 13. Jahrhundert. In diesem<br />

sagenumwobenen Wettstreit stellt der Ofterdingen, neben Wolfram von<br />

Eschenbach und Walther von der Vogelweide, eine bedeutsame Figur dar.<br />

Aber auch sein Leben führt Novalis immer wieder zur Wartburg, in der er<br />

verweilt, sich für ihre Geschichte interessiert und von hoch oben seinen Blick<br />

über das dicht bewaldete Thüringen weit schweifen lässt. Und vielleicht träumt<br />

auch er hier, wie sein Heinrich von Ofterdingen, von einer Welt in vielfältigen<br />

Blautönen und von einer hohen lichtblauen Blume – Symbol der romantischen<br />

Poesie, der Suche und Sehnsucht nach erfüllter Liebe und Glück, nach<br />

Erkenntnis, nach der unendlichen Ferne.<br />

Silhouette der Wartburg Schloss Oberwiederstedt - Geburtsort von Novalis Wohn- und Sterbehaus von Novalis Bildnis – undatiert,<br />

Novalis in Weißenfels von unbekannter Hand<br />

Novalis <strong>Spurensuche</strong> Orte und Städte<br />

Zueignung<br />

Du hast in mir den edeln Trieb erregt<br />

Tief ins Gemüth der weiten Welt zu schauen;<br />

Mit deiner Hand ergriff mich ein Vertrauen,<br />

Das sicher mich durch alle Stürme trägt.<br />

Mit Ahndungen hast du das Kind gepflegt,<br />

Und zogst mit ihm durch fabelhafte Auen;<br />

Hast, als das Urbild zartgesinnter Frauen,<br />

Des Jünglings Herz zum höchsten Schwung bewegt.<br />

Was fesselt mich an irdische Beschwerden?<br />

Ist nicht mein Herz und Leben ewig Dein?<br />

Und schirmt mich Deine Liebe nicht auf Erden?<br />

Ich darf für Dich der edlen Kunst mich weihn;<br />

Denn Du, Geliebte, willst die Muse werden,<br />

Und stiller Schutzgeist meiner Dichtung seyn.<br />

Aus: Heinrich von Ofterdingen<br />

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Schloss Oberwiederstedt – Geburtsort von Novalis<br />

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Wir sind auf einer Mission<br />

Der frühromantische Dichter Friedrich von Hardenberg, der sich mit seiner<br />

ersten Veröffentlichung Blüthenstaub im Jahre 1798 Novalis nennt, wird<br />

am 2. Mai 1772 auf Schloss Oberwiederstedt (Kalenderblatt Januar), einst<br />

eine Klosteranlage, als der älteste Sohn von elf Geschwistern geboren. Sein<br />

Vater, Heinrich Ulrich Erasmus von Hardenberg (1738 bis 1814), Direktor der<br />

kursächsischen Salinen, herrnhuterisch fromm, wird als rüstiger, unermüdet<br />

tätiger Mann, von offenem, starken Charakter (Ludwig Tieck), aber auch als<br />

ein harter, strenger Charakter (Herbert Uerlings) beschrieben, überzeugt von<br />

der Sündhaftigkeit des Menschen und der Notwendigkeit, diese energisch zu<br />

bekämpfen. Gut vorstellbar, wie die Familie unter dieser patriarchalischen<br />

Regierung des Vaters gelitten hat. Glücklicherweise besitzt der Heranwachsende<br />

in seiner Mutter, Auguste Bernhardine von Hardenberg (1749 bis 1818), einen<br />

verständnisvollen, klugen, feingeistigen und zur emotionalen Intimität fähigen<br />

Menschen. Du trugst beynah alles zur Entwicklung meiner Kräfte bey, wird er ihr<br />

im Alter von neunzehn Jahren dankbar schreiben.<br />

Friedrich von Hardenberg wird in eine Zeit des gesellschaftlichen und<br />

geistigen Wandels und Umbruches hineingeboren. Sein Leben und Werk,<br />

seine Freundschaft und Bekanntschaft mit bedeutenden Zeitgenossen, wie<br />

Friedrich Schiller, Johann Gottlieb Fichte, Jean Paul, Ludwig Tieck, Friedrich<br />

und August Wilhelm Schlegel zeugen davon. Wir sind auf einer Mission. Zur<br />

Bildung der Erde sind wir berufen – so bringt es Novalis im Blüthenstaub<br />

auf den Punkt. Seine nicht unglückliche Kindheit verlebt der Dichter in<br />

Oberwiederstedt – bis zur 1785 erfolgten Übersiedlung der Familie nach<br />

Weißenfels (Kalenderblätter November und Dezember). Man muss sich ihn<br />

bis zu seinem neunten Lebensjahr wohl als ein kränkelndes, schwächliches<br />

und stilles Kind vorstellen. Doch nach einer ausgeheilten Ruhr-Erkrankung<br />

im Jahre 1780 scheint der Heranwachsende sich plötzlich physisch und<br />

vor allem psychisch rasch entwickelt zu haben – befördert auch durch die<br />

formende Erziehung seines Onkels auf Schloss Lucklum. Zurückgekehrt nach<br />

Weißenfels, damals eine Kleinstadt von kaum 4 000 Einwohnern, aber nahe<br />

zu den bedeutenden Städten Leipzig, Jena und Weimar, wird dieser Ort sein<br />

Lebensmittelpunkt. In Mitteldeutschland, der großen Kultur-Landschaft, spielt<br />

sein kurzes, schaffensreiches Leben. Darüber hinaus ist er nicht gekommen.<br />

Schloss Oberwiederstedt, bis 1945 im Besitz der von Hardenbergs und<br />

1989 durch Bürgermut vor dem Zerfall bewahrt, beherbergt heute das<br />

Novalis-Museum, eine Forschungsstätte für Frühromantik und den Sitz der<br />

Internationalen Novalis-Gesellschaft.<br />

Eingangstür ins Schloss Novalis-Museum in Oberwiederstedt Schlossturm Schloss Oberwiederstedt - Innenhof<br />

Novalis <strong>Spurensuche</strong> Orte und Städte<br />

Lebensgeheimnis<br />

Alle Menschen seh ich leben<br />

Viele leicht vorüberschweben<br />

Wenig mühsam vorwärtsstreben<br />

Doch nur Einem ists gegeben<br />

Leichtes Streben, schwebend leben.<br />

…<br />

In dem Streit mit Sturm und Wochen<br />

Wird der Weise fortgezogen<br />

Kämpft um niemals aufzuhören<br />

Und so wird die Zeit betrogen<br />

Endlich unters Joch gebogen<br />

Muß des Weisen Macht vermehren.<br />

Ruh ist Göttern nur gegeben<br />

Ihnen ziemt der Überfluß<br />

Doch für uns ist Handeln Leben<br />

Macht zu üben nur Genuß.<br />

2011


Novalis-Büste in Weißenfels<br />

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ich habe ihn nie erMüdet gesehn Wenn alle<br />

Nur wenige Bilder gibt es von Novalis. Eine Silberstiftzeichnung existiert,<br />

die ihn als Knaben zeigt und zwei Schattenrisse des Kindes. Das Bildnis<br />

des erwachsenen Novalis ist nur in einem einzigen Gemälde überliefert,<br />

das sich einst im Familienbesitz befunden hat und heute im Museum von<br />

Oberwiederstedt ausgestellt ist (Kalenderblatt Titel, Rückseite). Es ist unsigniert<br />

und undatiert; es zeigt den Dichter wahrscheinlich im Jünglingsalter, der<br />

seine Reife zum Poeten und philosophischen Denker noch vor sich hat.<br />

Der Schöpfer dieses Gemäldes ist zwar bis heute unbekannt. Nicht wenige<br />

Kunstkenner vermuten aber aus guten Gründen, dass es vom sächsischen<br />

Portrait- und Historienmaler Franz Gareis (1775 bis 1803) geschaffen worden<br />

ist, der, wie Novalis, zum Freundeskreis der Romantiker Ludwig Tieck und<br />

der Brüder August Wilhelm und Friedrich Schlegel gehört hat. Von Friedrich<br />

Schlegel stammt auch die Bitte an Novalis, sich von Franz Gareis bei seinem<br />

Aufenthalt in Dresden malen zu lassen. Von dem Novalis-Gemälde existiert<br />

ein berühmter Stahlstich von Eduard Eichens (1804 bis 1877), den dieser 1845<br />

für eine Novalis-Werkausgabe geschaffen hat. Ein Vergleich beider Kunstwerke<br />

belegt, dass in Eichens-Werk offensichtlich dessen subjektives Novalis-Bild<br />

stark eingeflossen ist und es dadurch vom Original stark abweicht.<br />

Wie dem auch sei, Ludwig Tieck (1773 bis 1853), der Freund, hat den gereiften<br />

Novalis 1815, in seiner Vorrede zur dritten Auflage von Novalis´ Schriften,<br />

sehr plastisch portraitiert: Er war groß, schlank und von edlen Verhältnissen. Er<br />

trug sein lichtbraunes Haar in herabfallenden Locken,…, sein braunes Auge war<br />

hell und glänzend und die Farbe seines Gesichtes, besonders der geistreichen Stirn,<br />

fast durchsichtig. Hand und Fuß war etwas zu groß und ohne feinen Ausdruck.<br />

Seine Miene war stets heiter und wohlwollend… dem geübteren Auge… bot er<br />

die Erscheinung der Schönheit dar… Sein Gespräch war lebhaft und laut, seine<br />

Gebärde großartig, ich habe ihn nie ermüdet gesehn…<br />

Ein besonderes Novalis-Bildnis stellt seine Büste dar, die der berühmte Bildhauer<br />

Fritz Schaper (1841 bis 1919, unter anderem auch Goethe-Denkmal in Berlin)<br />

zum 100. Geburtstag des Dichters 1872 geschaffen hat – orientiert wohl am<br />

Stahlstich von Eichens. Als Grabmahl des Dichters steht sie im Stadtpark von<br />

Weißenfels, dem einstigen Nikolaifriedhof (Kalenderblatt Februar) – unweit<br />

seines Lebenszentrums, wo er am 25. März 1801 - im Beisein seines Freundes<br />

Friedrich Schlegel - sanft verstarb.<br />

Heute befindet sich hier ein kleines, liebevoll gestaltetes Novalis- Museum.<br />

Novalis-Hain in Weißenfels Novalis-Museum in Weißenfels Novalis-Pavillon in Weißenfels Novalis-Büste<br />

Novalis <strong>Spurensuche</strong> Orte und Städte<br />

untreu werden<br />

Wenn alle untreu werden,<br />

So bleib’ ich dir doch treu;<br />

Daß Dankbarkeit auf Erden<br />

Nicht ausgestorben sey.<br />

Für mich umfing dich Leiden<br />

Vergingst für mich in Schmerz;<br />

Drum geb’ ich dir mit Freuden<br />

Auf ewig dieses Herz.<br />

Aus: Geistliche Lieder<br />

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Schloss Vorderort – Spuren der Schlösser und Festungsanlage in Mansfeld<br />

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Ein laut grunzender Eber Ich kenne wo<br />

ein festes Schloss<br />

Die Hardenbergs sind ein altes niedersächsisches Adelsgeschlecht, das<br />

Anfang des 12. Jahrhunderts erstmals urkundlich erwähnt wird und<br />

das seit dem Jahre 1219 den Namen von Hardenberg trägt. Bei Nörten,<br />

zirka 10 Kilometer nördlich von Braunschweig gelegen, hat sich der frühere<br />

Stammsitz der Hardenbergs befunden, der heute noch als Burg-Ruine zu<br />

besichtigen ist. Im 17. Jahrhundert teilt sich dieses Adelsgeschlecht in<br />

drei Linien. Georg Anton von Hardenberg, der Urgroßvater von Novalis<br />

(1666 bis 1721), erhält den Freiherrentitel und das Gut Oberwiederstedt<br />

im Mansfeldischen, womit die Geschichte dieser Adelsfamilie in<br />

Mitteldeutschland beginnt. Nach dem Ende des Siebenjährigen Krieges<br />

(1756 bis 1763) erbt Novalis´ Vater das Oberwiederstedter Anwesen. Unweit<br />

davon liegt der historisch bedeutsame Ort Mansfeld (Kalenderblatt März,<br />

Rückseite), wo der Reformator Martin Luther (1483 bis 1546) aufwuchs.<br />

Hoch über der Stadt thront die mächtige und malerische Mansfelder<br />

Schlossanlage – einst Sitz der Grafen von Mansfeld (Kalenderblatt<br />

März). Sie besteht aus drei Schlössern im Stile der Frührenaissance, einer<br />

gotischen Schlosskirche und kraftvollen Befestigungsanlagen, die auf<br />

dem Grund einer mittelalterlichen Burganlage aus dem 11. Jahrhundert<br />

stehen. Bereits zu Lebzeiten von Novalis ist diese prachtvolle Schlossanlage<br />

zum größten Teil verfallen – unter anderem bedingt durch den Machtverfall<br />

der Grafen von Mansfeld und durch die Schleifung der Festungsanlagen<br />

von 1674. Zu vermuten ist, dass Novalis diese zu seinen Lebzeiten noch<br />

imposante und romantische Schlossanlage besichtigt und bestaunt hat.<br />

Beispielsweise das Schloss Vorderort, das im Renaissancestil erhalten und<br />

bewohnt war – sein Umbau im Stile der Neo-Gotik ist erst Mitte des 19.<br />

Jahrhunderts erfolgt. Oder den prachtvollen spätgotischen Treppenturm<br />

(Kalenderblatt März, Rückseite), die Spuren der Befestigungsanlagen sowie<br />

die Renaissanceplastiken. Ein Höhepunkt seiner Besichtigung dürfte die<br />

spätgotische Schlosskirche mit ihrem hohen, schlichten Innenraum und<br />

den schmalen Steinemporen gewesen sein. Die Kirche ist Anfang des 15.<br />

Jahrhunderts gebaut und ist das älteste Bauwerk der Schlossanlage. In ihren<br />

prachtvollen spitzbogigen Fenstern ist das Wappen der von Hardenbergs zu<br />

erkennen – auf silbernem Grund der schwarze Eberkopf mit roter Zunge<br />

und den silbernen Waffen. Der Legende nach ist es ein laut grunzender Eber<br />

gewesen, der die Bewohner der Burg Hardenberg bei einem nächtlichen<br />

Überfall geweckt und so letztendlich gerettet haben soll.<br />

Die Mansfelder Schlossanlage beherbergt heute eine christliche<br />

Jugendbildungs- und Begegnungsstätte.<br />

Ich kenne wo ein festes Schloß<br />

Ein stiller König wohnt darinnen,<br />

Mit einem wunderlichen Troß;<br />

Doch steigt er nie auf seine Zinnen.<br />

Verborgen ist sein Lustgemach<br />

Und unsichtbare Wächter lauschen;<br />

Nur wohlbekannte Quellen rauschen<br />

Zu ihm herab vom bunten Dach.<br />

…<br />

Sein Schloß ist alt und wunderbar,<br />

Es sank herab aus tiefen Meeren<br />

Stand fest, und steht noch immerdar,<br />

Die Flucht zum Himmel zu verwehren.<br />

Von innen schlingt ein heimlich Band<br />

Sich um des Reiches Unterthanen,<br />

Und Wolken wehn wie Siegesfahnen<br />

Herunter von der Felsenwand.<br />

Schloss Vorderort – Detail Blick auf den Ort Mansfeld – vom Schloss aus Linden-Allee im Schlossgarten Humboldt-Schlösschen in Hettstedt<br />

von Oberwiederstedt<br />

Novalis <strong>Spurensuche</strong> Orte und Städte<br />

…<br />

Nur Wenige sind schlau und wach,<br />

Und dürsten nicht nach seinen Gaben;<br />

Sie trachten unablässig nach,<br />

Das alte Schloß zu untergraben.<br />

Der Heimlichkeit urmächtgen Bann,<br />

Kann nur die Hand der Einsicht lösen;<br />

Gelingt’s das Innere zu entblößen<br />

So bricht der Tag der Freyheit an.<br />

Aus: Heinrich von Ofterdingen<br />

2011


Andreaskirche, Altes Gymnasium und Agricola-Haus in Eisleben<br />

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führnehMe LateinschuLe Jüngst wolltest du<br />

Novalis gilt in seinen frühen wie reifen Jahren als ein wissbegieriger, fleißiger,<br />

scharfsinniger, rasch auffassender und gelehriger Schüler mit Vorlieben<br />

für Dichten und Fabulieren – belegt durch Zeugnisse unterschiedlicher<br />

Zeitgenossen. Der Heranwachsende erhält die für seinen Stand erforderliche<br />

Bildung und Erziehung vor allem durch Hauslehrer und in der Lateinschule.<br />

So hat der Schiller-Freund Carl Christian Erhard Schmid (1761 bis 1812),<br />

Theologe und Philosoph, der später Vorlesungen über Kant an der Universität<br />

Jena gehalten hat, Novalis unterrichtet und wird dessen väterlicher Freund. Von<br />

Juni bis Oktober 1790 besucht der Achtzehnjährige das bedeutende Luther-<br />

Gymnasium (Führnehme Lateinschule) in Eisleben, dessen Gründung direkt<br />

auf Luther (1483 bis 1546) zurückgeht (Kalenderblatt April und Rückseite),<br />

um sich unmittelbar auf das Studium an der Universität vorzubereiten, das er<br />

Ende Oktober 1790 in Jena als Student der Jurisprudenz beginnt. Friedrich von<br />

Hardenberg hat bekundet, dass er sowohl das Gymnasium als auch die Stadt<br />

Eisleben ungern wieder verlassen hat. Einerseits wegen der geistreichen, vielseitig<br />

gebildeten Menschen, denen er hier begegnet. Dazu gehört sicher Christian<br />

David Jani (1743 bis 1790), Rektor des Gymnasiums seit 1780, Philologe<br />

und Schulreformer. Bedeutsam sind dessen Arbeiten zum römischen Dichter<br />

Horaz, der auch Novalis begeistert hat – eigene Horaz-Übersetzungen belegen<br />

seine Vorliebe für diesen Dichter. Andererseits ist es wohl die Stadt Eisleben<br />

selbst mit ihrer großen und langen Kultur-Geschichte, ihren faszinierenden<br />

Kirchen, den beeindruckenden Bürgerhäusern, dem mittelalterlichen Markt<br />

(Kalenderblatt April, Rückseite). Das von Novalis besuchte Gymnasium<br />

steht unmittelbar neben der St. Andreas-Kirche (Kalenderblatt April), deren<br />

Geschichte im 12. Jahrhundert beginnt und die im 15. Jahrhundert als eine<br />

spätgotische Hallen-Kirche neu gebaut wird. Martin Luther hat hier seine<br />

letzten Predigten gehalten. Sein Sterbehaus steht gegenüber der Andreaskirche<br />

und in Blickweite des Gymnasiums. Novalis wird die Kirche zu Gottesdiensten<br />

besucht und ihre spätgotische Ausstattung bestaunt, vielleicht bewundert<br />

haben – den monumentalen Flügelaltar, die berühmte Lutherkanzel sowie<br />

die Grab-Denkmäler der Mansfelder Grafen. Sicher hat ihn seine Spazierreise<br />

durch Eisleben oft auch zum Haus des Johann Agricola (1492 bis 1566) geführt<br />

(Kalenderblatt April) – Luthers Zeitgenosse und Mitstreiter sowie Begründer<br />

und erster Rektor der Lateinschule St. Andreas in Eisleben im Jahre 1525.<br />

Im historischen Gymnasium (Altes Gymnasium), das Novalis besucht hat,<br />

ist bis 1883 gelehrt und gelernt worden. Heute befindet sich das historische<br />

Stadtarchiv in diesem Anwesen.<br />

Altes Gymnasium in Eisleben – Lernort von Novalis Luthers Sterbehaus Lutherdenkmal auf dem Markt in Eisleben Blick auf Eisleben – Stadt der Kirchen<br />

Novalis <strong>Spurensuche</strong> Orte und Städte<br />

von mir Gedichte<br />

In unserm lieben deutschen Vaterlande<br />

Ist nun die Mode einmal so,<br />

Daß jeder Jüngling reimt, bald traurig und bald froh,<br />

Bald schlummert an der Aganippe Rande,<br />

Bald an des Oceanes Strande<br />

Von Wellen eingelullt, auch schrecklich tosend reimt,<br />

Sich in die graue Vorzeit träumt,<br />

Nur raue Bardenlieder singet<br />

Und voll Begeistrung schäumt,<br />

Und bald Cytheren Opfer bringet<br />

Oft einen Faun für einen Amor nimmt<br />

Und seine Leyer nur für trunkne Satyrs stimmt;<br />

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Friedrich Schillers Gartenhaus in Jena<br />

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sein bLick Warf Mich nieder Vergiss mein nicht<br />

Die Universität Jena entwickelt sich in den letzten beiden Jahrzehnten des<br />

18. Jahrhunderts zu einer der bedeutendsten und größten Universitäten<br />

in Mitteldeutschland. Durch Berufung berühmter Gelehrter wird sie in dieser<br />

Zeit zu einem wichtigen geistigen Zentrum in Deutschland. Nicht Wenige<br />

nennen sie eine Gelehrtenrepublik. So ist es nur zu verständlich, dass Friedrich<br />

von Hardenberg sein Studium der Jurisprudenz im Oktober 1790 an dieser<br />

Universität aufnimmt. Beeinflusst ist die Entscheidung für Jena möglicherweise<br />

auch durch die Nähe des idyllisch gelegenen Familiengutes in Schlöben<br />

(Kalenderblätter Mai und November, Rückseiten), das eine große Bibliothek<br />

beherbergt, und durch seinen einstigen Hauslehrer und väterlichen Freund Carl<br />

Christian Erhard Schmid (1761 bis 1812), der bereits seit 1785 Vorlesungen an<br />

der Jenaer Universität hält. Aufgeschlossen für die Philosophie überhaupt wird<br />

Novalis durch Professor Karl Leonhard Reinhold (1757 bis 1823), der seit 1787<br />

in Jena engagiert die Philosophie Immanuel Kants vorträgt. Reinhold ist für<br />

Novalis dabei nicht nur Lehrender, sondern auch Berater für Selbstbildung, für<br />

eine richtige und gute Lebensführung. Empfangen Sie … meinen glühendsten<br />

Dank … für alles was sie mittelbar oder unmittelbar für mich thaten – schreibt<br />

er 1791 einfühlsam an Reinhold. Eine Novalis besonders prägende und tiefe<br />

Bindung entsteht zu Friedrich Schiller (1759 bis 1805), der mit seiner 1789 in<br />

Jena begeistert und stürmisch aufgenommenen Antrittsvorlesung Was heißt und<br />

zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte? als Professor für Philosophie<br />

Geschichte lehrt. Novalis hört bei ihm Vorlesungen über die Kreuzzüge und<br />

zur Geschichte der europäischen Staaten. Er bewundert Schiller als Dichter, als<br />

Dramatiker, als Lyriker. Sein Blick warf mich nieder in den Staub und richtete<br />

mich wieder auf. Das vollste … uneingeschränkte Zutraun schenkte ich ihm.<br />

Als Schiller im Januar 1791 lebensgefährlich erkrankt, steht Novalis äußerst<br />

teilnehmend zu Pflege und Nachtwachen bereit. So kommen Schiller und<br />

Novalis sich auf eine besondere Weise menschlich näher – nachlesbar in den<br />

Novalis-Briefen an den verehrten Lehrer und Dichter. Schiller hat während<br />

seiner Jenaer Zeit (1789 bis 1799) in verschiedenen Stadtwohnungen gelebt.<br />

In den Sommermonaten von 1797 bis zu seinem Umzug nach Weimar Ende<br />

1799 wohnt er in seinem zauberhaften kleinen Gartenhaus (Kalenderblatt<br />

Mai) – damals still und ruhig vor den Toren der Stadt gelegen. Novalis, der in<br />

dieser Zeit nicht selten in Jena weilte, hat das Schillersche Gartenhaus gekannt.<br />

Nehmen wir an, dass er auch hier zu Gast gewesen ist.<br />

Schiller-Büste am Eingang Gartenzinne in Schillers Gartenanlage Letzte Spuren des Hardenbergschen Gutes in Schlöben – Blick auf das historische Gröben – zu Schlöben gehörend<br />

zu Schillers Gartenhaus unweit von Jena gelegen<br />

Novalis <strong>Spurensuche</strong> Orte und Städte<br />

Vergiß mein nicht wenn lokre kühle Erde<br />

Dieß Herz einst dekt das zärtlich für dich schlug<br />

Denk das es dort volkomner lieben werde<br />

Als da voll Schwachheit ichs vielleicht voll Fehler trug.<br />

Dann soll mein freier Geist oft segnend dich umschweben<br />

Und deine Geiste Trost und süße Ahndung geben<br />

Denk das ichs sey wenns sanft in deiner Seele spricht;<br />

Vergiß mein nicht! Vergis mein nicht!<br />

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Silhouette von Wittenberg mit Elbe<br />

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ich bin jetzt vieL LebenskLüger Walzer<br />

Novalis studiert nur ein knappes Jahr an der Universität in Jena. In einem<br />

Brief an seinen vertrauten Jenaer Philosophieprofessor Karl Leonard<br />

Reinhold von Anfang Oktober 1791 schreibt er von Thorheiten und Verirrungen,<br />

die ihn in Jena verfolgen. Er nennt sich gar einen pfadlosen Irrling. Sich selbst<br />

ständig beobachtend, gleichsam nach innen schauend, geht der junge Student<br />

nahezu unbarmherzig selbstkritisch mit sich ins Gericht. Er weiß, dass es ihm<br />

trotz bester Vorsätze nicht gelungen ist, eine feste und bestimmte, auf sein<br />

Rechtsstudium und auf die Vorbereitung seines Berufslebens ausgerichtete<br />

Lebensführung zu gestalten. Deshalb verlässt er Jena und geht Ende Oktober<br />

1791 an die Universität in Leipzig, um nach einer gänzlich veränderten<br />

Lebensordnung zu leben. Jurisprudenz, Mathematik und Philosophie will er hier<br />

mit Leib und Seele studieren – mehr Festigkeit, mehr Bestimmtheit, mehr Plan will<br />

er dabei gewinnen. In Leipzig leben zu Novalis Zeiten zirka 30 000 Menschen.<br />

Eine Großstadt, die einem jungen Menschen viel Zerstreuung und Abwechslung<br />

bietet – was auch Goethe mehr als 25 Jahre früher in Leipzig erfahren hat. Die<br />

Leipziger Universität ist mit etwa 650 Studenten zwar kleiner als die in Jena, sie<br />

gilt dafür aber – im Vergleich mit Jena oder Halle – als vornehm, heiter, elegant<br />

und mit Privilegien für adlige Studenten ausgestattet. Mit guten Vorsätzen<br />

ist Novalis nach Leipzig gekommen. Aber auch Leipzig ist für ihn eine Zeit<br />

stärkster innerer Bewegungen und Unruhen, nicht ausreichender Fortschritte<br />

im Studium, eine Zeit der Irrungen und Wirrungen – auch durch eine ernste<br />

Liebschaft, die den lang anhaltenden Zorn seines strengen Vaters hervorruft.<br />

Der eigentliche Gewinn seiner Leipziger Studienzeit ist die Bekanntschaft und<br />

beginnende Freundschaft mit Friedrich Schlegel (1772 bis 1829) – wenige Jahre<br />

später wird dieser neben Novalis einer der führenden Geister der Frühromantik<br />

sein. Ihre Freundschaft hält bis zum frühen Tod von Novalis.<br />

Im April 1793 wechselt der Studierende erneut mit großen und guten<br />

Absichten die Universität und geht nach Wittenberg (Kalenderblatt Juni)<br />

– einst Festungsstadt an der Elbe mit großer Geschichte, durch Martin<br />

Luther Geburtsort der Reformation. Zu Novalis-Zeiten leben hier zirka<br />

4 500 Menschen. Die Universität, 1502 gegründet, ist nicht groß und ihr<br />

Ruf zu dieser Zeit in Deutschland nicht besonders gut. Kaum mehr als 300<br />

Studenten sind immatrikuliert. Aber Novalis findet gute Lehrer, er studiert<br />

offensichtlich fleißig und seinem Bruder Erasmus schreibt er von seinem<br />

inneren Reifungsprozess: Ich bin jetzt viel gründlicher und lebensklüger. Am 14.<br />

Juni 1794 beendet Friedrich von Hardenberg in Wittenberg erfolgreich seine<br />

Studienjahre mit der Ablegung des juristischen Staatsexamens.<br />

Universitätsportal in Wittenberg Novalis-Gedenktafel – Universität Wittenberg Universität in Wittenberg Schloss-Kirche in Wittenberg<br />

Novalis <strong>Spurensuche</strong> Orte und Städte<br />

Hinunter die Pfade des Lebens gedreht<br />

Pausirt nicht, ich bitt euch so lang es noch geht<br />

Drükt vester die Mädchen ans klopfende Herz<br />

Ihr wißt ja wie flüchtig die Jugend und Scherz.<br />

Laßt fern von uns Zanken und Eifersucht seyn<br />

Und nimmer die Stunden mit Grillen entweihn<br />

Dem Schuzgeist der Liebe nur gläubig vertraut<br />

Es findet noch jeder gewiß eine Braut.<br />

2011


Schacht Alte Elisabeth in Freiberg – heute Museum<br />

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31 Juli


geburtsstätte des roMantikers Der ist der Herr<br />

Friedrich von Hardenberg kehrt im Juni 1794 nach erfolgreichem Abschluss<br />

seines Studiums in Wittenberg ins heimatliche Weißenfels zurück –<br />

getrieben von der Sehnsucht einer beruflichen Anstellung, nach Verantwortung<br />

und Verpflichtung, um endlich auch vom polternden und drohenden Vater<br />

finanziell nicht mehr abhängig zu sein. Er fühlt sich männlich gereift, nicht<br />

mehr schwankend, fest im Entschluss gegen seinen Leichtsinn. An Friedrich<br />

Schlegel schreibt er im August 1794, dass er gelassen den Ruf seines Schicksals<br />

erwartet und dass er vor allem tätig sein will. Und das Schicksal ruft schon bald<br />

kräftig nach ihm – in Tennstedt, in Grüningen und in Gestalt von Sophie von<br />

Kühn, in den Jahren von Ende 1794 bis Mitte 1797 (Kalenderblatt Oktober).<br />

Doch eilen wir dieser Zeit ein wenig voraus. Der fast 24-jährige Novalis wird,<br />

durch ein Ersuchen seines Vaters beim sächsischen Kurfürsten, im Februar 1796<br />

kursächsischer Salinenbeamter. Er nimmt diese Tätigkeit sehr ernst und führt<br />

sie gründlich sowie mit wachsendem Eifer auch erfolgreich aus. Novalis beginnt<br />

sich für den Salzbergbau zu interessieren. Er spürt aber, dass ihm dafür vor allem<br />

naturwissenschaftliche Kenntnisse und eine entsprechende Ausbildung fehlen.<br />

So entschließt er sich im September 1797, an der berühmten Bergakademie<br />

in Freiberg zu studieren. Anfang November erhält er dafür die kurfürstliche<br />

Genehmigung – für Vorlesungen und Befahrung und Besichtigung der Berg- und<br />

Hüttenwerke. Ab 01. Dezember 1797 ist er Student in Freiberg (Kalenderblatt<br />

Juli und Rückseite) – davon wenigstens drei Tage in der Woche praktisches Tun<br />

unter Tage. Die Stadt, deren Geschichte Mitte des 12. Jahrhunderts beginnt<br />

und mit dem Bergbau aufs engste verknüpft ist, zählt zu Novalis Zeiten wohl<br />

über 8 000 Einwohner. Die Bergakademie, 1765 gegründet und damit eine der<br />

ältesten der Welt, ist Ende des 18. Jahrhunderts vor allem durch die Professoren<br />

Wilhelm August Lampadius (1772 bis 1842, Chemie und Hüttenkunde) und<br />

Abraham Gottlob Werner (1749 bis 1817, Mineralogie), bei denen auch Novalis<br />

studiert, wissenschaftlich entscheidend geprägt (Kalenderblatt Juli, Rückseite).<br />

In seinem Roman Heinrich von Ofterdingen hat Novalis später seinem verehrten<br />

Lehrer Werner ein literarisches Denkmal gesetzt. In Freiberg ist er ein gern<br />

gesehener Gast auch im Haus des Berghauptmanns und Geologen Wilhelm<br />

von Charpentier (1738 bis 1805). Novalis verlobt sich mit dessen jüngster<br />

Tochter Julie von Charpentier Ende 1798. Sein Studium an der Bergakademie<br />

beendet er erfolgreich im Mai 1799. Die Freiberger Zeit ist für Novalis aber<br />

auch mit Blick auf seine philosophischen, naturwissenschaftlichen und<br />

dichterischen Arbeiten eine ausgesprochen produktive Zeit – bedeutende Werke<br />

entstehen oder nehmen hier ihren Anfang. Freiberg wird so zur Geburtsstätte<br />

des Romantikers Novalis (Herbert Uerling).<br />

Schloss Freudenstein in Freiberg Abraham-Gottlob-Werner-Denkmal Bergakademie in Freiberg – Hauptgebäude Historische Altväter-Brücke über die Mulde bei Freiberg –<br />

in Freiberg Spuren der Wasserversorgung für den Bergbau<br />

Novalis <strong>Spurensuche</strong> Orte und Städte<br />

der Erde<br />

Der ist der Herr der Erde,<br />

Wer ihre Tiefen mißt,<br />

Und jeglicher Beschwerde<br />

In ihrem Schooß vergißt.<br />

Wer ihrer Felsenglieder<br />

Geheimen Bau versteht,<br />

Und unverdrossen nieder<br />

Zu ihrer Werkstatt geht.<br />

Aus: Heinrich von Ofterdingen<br />

Er ist mit ihr verbündet,<br />

Und inniglich vertraut,<br />

Und wird von ihr entzündet,<br />

Als wär’ sie seine Braut.<br />

Er sieht ihr alle Tage<br />

Mit neuer Liebe zu<br />

Und scheut nicht Fleiß und Plage,<br />

Sie lässt ihm keine Ruh.<br />

2011


Schloss Goseck in Goseck – gelegen zwischen Naumburg und Weißenfels<br />

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in eineM geMach des bergschLosses Wie selig war die Zeit<br />

Ermüdet von tausend Genüssen, die Natur und Kunst mir heute gaben, und<br />

gestimmt zu einer wunderbaren Heiterkeit sitze ich hier in einem hohen,<br />

gewölbten, gothischen Gemach des alten Bergschlosses Gosek (Kalenderblatt<br />

August) – so schreibt Novalis am 5. Oktober 1791 an seinen Lehrer und<br />

Professor Karl Leonhard Reinhold in Jena. Von dort kommend ist er auf<br />

dem Weg nach Weißenfels. Novalis hat soeben der Jenaer Universität aus<br />

mannigfachen Gründen den Rücken gekehrt; er will und wird sein Studium<br />

Ende Oktober 1791 in Leipzig fortsetzen (Kalenderblatt Juni, Rückseite).<br />

Zwar innerlich noch umtönt vom herzlichen Lebewohl der Jenaer Freunde,<br />

ist er bei den Gedanken an seine neuen Lebensaussichten froh gestimmt und<br />

heiter, voll Mut, voll Zuversicht, voll Klarheit. Befördert wohl auch durch<br />

diesen prachtvollen milden Herbsttag, der ihn auf dem romantischen Weg<br />

zum Schloss Goseck hin umfängt, zumal der Herbst für ihn überhaupt die<br />

herrlichste Jahreszeit darstellt. Im Spatziergang nach Gosegk hat er diese ihn<br />

umgebende reizvolle Landschaft mit flüchtigem Pinsel beschrieben: Vor mir lag<br />

ein weites Thal mit blauen Gebirgen bekränzt, mit Weiden und andern Buschwerk<br />

hin und wieder durchflochten … unter mir ein Wiesengrund … in dem das<br />

herbstliche Gelb mit sparsamen Grün abwechselten … Auf Schloss Goseck,<br />

zwischen Naumburg und Weißenfels und romantisch auf einer Anhöhe über<br />

der Saale gelegen, verweilt Novalis auf Einladung des Schlossherren Ludwig<br />

Wilhelm von Eckart (Besitzer des Schlosses wahrscheinlich von 1776 bis 1808).<br />

Sicher hat es für Novalis verschiedene Gründe und Antriebe gegeben, diese<br />

Einladung anzunehmen. Da ist das freundschaftliche Gespräch mit L. W. von<br />

Eckart zu nennen, dessen Novalis nach dem Abschied von Jena und vor der<br />

Rückkehr ins väterliche Haus in Weißenfels möglicherweise bedarf. Vielleicht<br />

auch die Stille und Ruhe des Schlosses, die er für sein inneres Sammeln, für das<br />

Ordnen seiner ihn kräftig bewegenden Gedanken und Gefühle braucht und<br />

die er an diesem Abend aufschreibt. Aber es ist noch ein Anderes dahinter: Das<br />

alte, malerisch gelegene und durch eine gleichermaßen lange wie wechselvolle<br />

Geschichte geprägte Anwesen selbst fasziniert den am Mittelalter interessierten<br />

Novalis. Das Schloss ist im 9. Jahrhundert als eine Schutzburg mit romanischer<br />

Kapelle erbaut und ist ab dem Jahr 1003 Sitz der sächsischen Pfalzgrafen<br />

(Saale-Unstrut-Region). Daraus wird ab 1041 eine Benediktinerabtei, die im<br />

Ergebnis der Säkularisierung Mitte des 16. Jahrhunderts zu einem prachtvollen<br />

Renaissanceschloss umgebaut wird – ohne die Spuren der großen Geschichte<br />

auszulöschen. Die bekannten Quellen sagen nichts darüber aus, ob und wie<br />

oft Novalis Schloss Goseck vor oder nach dem 5. Oktober 1791 besucht hat.<br />

Anzunehmen ist beides aus vielen Gründen.<br />

Einst – Burg Goseck Gefunden – musizierende Putte auf Schloss-Kirche Goseck – Portal Schloss-Kirche Goseck – Detail<br />

Schloss Goseck<br />

Novalis <strong>Spurensuche</strong> Orte und Städte<br />

der Knabenspiele<br />

Wie selig war die Zeit der Knabenspiele<br />

Als Kummer noch nicht nächtlich mich umschlang;<br />

Und harmlos ich mit glücklichem Gefühle<br />

Für Gegenwart durch Thal und Wiesen sprang<br />

Und flink und froh ich zum gewählten Ziele<br />

Den Wurfpfeil warf und nach dem Kranze rang<br />

Noch honigsüß sind die Erinnerungen<br />

Und Wunder! daß ich sie noch nie besungen.<br />

2011


Schloss Siebeneichen – im Herbst-Morgendunst<br />

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ich Lebe jetzt WirkLich recht schön<br />

Während seiner Studienzeit in Freiberg (Ende 1797 bis Mai 1799) reist<br />

Novalis per Kutsche oder reitend auf dem Pferd oft in die nahe gelegene<br />

sächsische Residenzstadt Dresden mit ihrer bedeutenden Gemäldegalerie, ihren<br />

imposanten Kirchen und prachtvollen Bauten, um dies alles voll Neugier und voll<br />

Anteilnahme zu besichtigen. Er besucht hier befreundete Familien, in denen er<br />

auf Grund seiner Lebhaftigkeit, seiner vorzüglichen Manieren, seiner Offenheit,<br />

seiner Gelehrsamkeit, seiner feinen Urteile etc. begeistert aufgenommen wird.<br />

Beziehungen pflegt Novalis in dieser Zeit beispielsweise zu Hans Georg von<br />

Carlowitz (1772 bis 1840), den er vom Studium in Leipzig her kennt und der<br />

als Amtshauptmann auf seinem Gut in Oberschöna in der Nähe von Freiberg<br />

lebt. Oft ist der Dichter zu Gast bei seinem Freund Dietrich von Miltitz (1769<br />

bis 1853), Herr auf Schloss Siebeneichen (Kalenderblatt September), das hoch<br />

oben auf einem Bergsporn des südlichen Elbhanges in der Nähe von Meißen<br />

steht, so auch Weihnachten 1797 – direkt von Freiberg kommend. Beider<br />

Lebenswege sind auf besondere Weise verschlungen. Dietrich von Miltitz´ Vater,<br />

der für die Ausbildung des späteren Philosophen Johann Gottlieb Fichte (1762<br />

bis 1841) sorgte, stirbt als sein Sohn kaum fünf Jahre alt ist. Novalis´ Vater,<br />

Erasmus von Hardenberg, wird daraufhin sein Vormund und befördert dessen<br />

Erziehung bei den Herrnhutern. Dietrich Freiherr von Miltitz hat wie Novalis<br />

Jurisprudenz in Leipzig und Wittenberg studiert. Er dient beim sächsischen<br />

Militär, reist durch die Schweiz, Frankreich und England. Seine Heirat mit<br />

einer bürgerlichen Engländerin 1796 verursacht kräftigen gesellschaftlichen<br />

Wirbel. Gemeinsam mit anderen Adligen aus Sachsen versucht er, die sächsische<br />

Ständeverfassung zu reformieren – dabei auch auf die geistige Unterstützung<br />

durch Novalis bauend. Anregende Gespräche bis zur Erschöpfung werden dazu<br />

auch Weihnachten 1797 auf Schloss Siebeneichen geführt worden sein, aber<br />

auch über Literatur, Poesie, Philosophie, Naturwissenschaften und Bergbau.<br />

Novalis schreibt von hier an Friedrich Schlegel: Ich lebe jetzt wirklich recht schön<br />

– heiter – unaufhörlich beschäftigt. Die Freunde sind in diesen Weihnachtstagen<br />

vielleicht zur Elbe nach Meißen hinunter geritten, haben den spätgotischen<br />

Meißner Dom besucht und die Architektur der Albrechtsburg in Augenschein<br />

genommen. Vom Elbufer bei Meißen eröffnet sich ihnen bei klarem Wetter<br />

ein malerischer Blick auf Schloss Siebeneichen (Kalenderblatt September,<br />

Rückseite), das – auf den Grundfesten einer mittelalterlichen Burg stehend<br />

– im 16. Jahrhundert zu einem Schloss im Renaissancestil umgebaut worden<br />

ist; sein barockes Aussehen hat es Mitte des 18. Jahrhunderts erhalten. Heute<br />

beherbergt das Schloss das Fortbildungs- und Tagungszentrum des Sächsischen<br />

Bildungsinstituts.<br />

Schloss Siebeneichen – Detail Schloss Siebeneichen im Herbstdunst – von der Elbe in Meißen aus gesehen Albrechtsburg und Dom – Meißen an der Elbe<br />

Novalis <strong>Spurensuche</strong> Orte und Städte<br />

Distichen 1798<br />

I.<br />

Freunde, der Boden ist arm, wir müßen reichlichen Samen<br />

Ausstreun, daß uns doch nur mäßige Erndten gedeihn.<br />

2.<br />

Welten bauen genügt nicht dem tiefer dringenden Sinne,<br />

Aber ein liebendes Herz sättigt den strebenden Geist.<br />

4.<br />

Einem gelang es – er hob den Schleyer der Göttin zu Saïs –<br />

Aber was sah er? Er sah – Wunder des Wunders – Sich Selbst.<br />

2011


Schloss Sophie von Kühn in Grüningen – Lebens- und Sterbeort der Verlobten von Novalis<br />

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für natur, freundschaft und Liebe eMpfängLiches herz<br />

Novalis kehrt nach erfolgreichem Studium der Jurisprudenz in Wittenberg<br />

(Kalenderblatt Juni) im Juni 1794 nach Weißenfels zurück. Er versucht,<br />

durch Vermittlung des preußischen Staatskanzlers und Reformers Karl August<br />

von Hardenberg (1750 bis 1822), eine Anstellung im preußischen Staatsdienst<br />

zu erhalten. Aber die Verhandlungen ziehen sich hin. Deshalb beginnt er Anfang<br />

November 1794 eine praktische Ausbildung zum Verwaltungsfachmann beim<br />

fachlich hochgebildeten und menschlich aufgeschlossenem August Cölestin<br />

Just (1750 bis 1822), Kreisamtmann in Tennstedt und Leiter der obersten<br />

Verwaltungs- und Gerichtsbehörde des kursächsischen Thüringen, die hier<br />

ihren Sitz hat. Novalis zieht in das Haus von Just ein (Kalenderblatt Oktober,<br />

Rückseite), der bald nicht nur sein Mentor, sondern auch sein Freund und<br />

Vertrauter wird. Just wird der erste Novalis-Biograph nach dessem frühen<br />

Tod. In dieser 1805 erstmals veröffentlichten Biographie beschreibt er nicht<br />

nur anschaulich die Lebensstationen und den geistigen Reifungsprozess<br />

des Friedrich von Hardenberg, sondern er zeichnet auch ein lebendiges und<br />

ganzheitliches Bild seiner Persönlichkeit. Novalis hat die mühsame Erlernung<br />

der Details und Kleinigkeiten nicht gescheut, die ein guter Praktiker notwendig<br />

kennen und anwenden muß. Er hat ein für alles Gute und Schöne, besonders<br />

für Natur, Freundschaft und Liebe empfängliches Herz gehabt – im besten<br />

Einklang mit seinem Geist stehend, Kopf und Herz gleichermaßen ausbildend.<br />

Diese kenntnisreiche, aus dem unmittelbaren Erleben Novalis´ schöpfende<br />

Biographie belegt, dass er nicht der wirklichkeitsfremde, todessehnsüchtige<br />

Träumer, der für das praktisch tätige Leben wenig taugende Romantiker<br />

und keine Arbeit zu Ende führende Adlige gewesen ist. Auf einer Dienstreise<br />

begegnet Novalis am 17. November 1794 auf dem Gut des Rittmeisters<br />

Johann Rudolf von Rockenthien (1755 bis 1820) in Grüningen (Kalenderblatt<br />

Oktober) dessen Stieftochter Sophie von Kühn (1782 bis 1797) – eine<br />

gleichermaßen zauberhafte, wie schicksalsschwere Begegnung, die Novalis´<br />

Leben entscheidend prägt. Er neigt sich augenblicklich dem ungewöhnlich<br />

schönen und kindhaft anmutenden Mädchen in Liebe zu. Bereits vier Monate<br />

später verloben sie sich. Wenig weiß man über Sophie von Kühn. Novalis sieht<br />

in ihr die Bestimmung für sein Leben, für die Erfüllung seiner Sehnsucht nach<br />

Brautnacht, Ehe und Nachkommenschaft. Doch Sophie von Kühn erkrankt<br />

schwer und stirbt im März 1797 (Kalenderblatt Oktober, Rückseite). Novalis<br />

hat seine danach ausbrechenden inneren Kämpfe zwischen Nachsterben und<br />

Weiterleben schonungslos in seinem vom 18. April bis 6. Juli 1797 geführtem<br />

Journal aufgezeigt. Sophie von Kühn und das Bild, das von ihr in Novalis<br />

entsteht, durchzieht seine Dichtung, seine poetischen Werke.<br />

Eingang ins Schloss Sophie von Kühn Gedenk-Tafel für Sophie von Kühn – Spuren der Wohn- und Arbeitsstätte des Novalis beim St. Petri Kirche in Grüningen<br />

St. Petri Kirche in Grüningen Kreisamtmann August Cölestin Just in Tennstedt<br />

Novalis <strong>Spurensuche</strong> Orte und Städte<br />

Letzte Liebe<br />

Also noch ein freundlicher Blick am Ende der Wallfahrt<br />

Ehe die Pforte des Hains leise sich hinter mir schließt.<br />

Dankbar nehm’ ich das Zeichen der treuen Begleiterin Liebe<br />

Fröhlichen Muthes an, öffne das Herz ihr mit Lust.<br />

Sie hat mich durch das Leben allein rathgebend geleitet,<br />

Ihr ist das ganze Verdienst, wenn ich dem Guten gefolgt,<br />

Wenn manch’ zärtliches Herz dem Frühgeschiedenen nachweint…<br />

2011


Blick auf Weißenfels – Lebensmittelpunkt von Novalis<br />

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so koMM ich und hoLe dich ab<br />

Friedrich von Hardenberg kommt 1785 als Dreizehnjähriger in das Städtchen<br />

Weißenfels (Kalenderblatt November), das der Lebensmittelpunkt seines<br />

kurzen, aber schaffensreichen Lebens wird. Zu diesem Ort ist er immer<br />

wieder zurückgekehrt – sei es nach seinem Schulbesuch in Eisleben, nach den<br />

Studienaufenthalten in Jena, Leipzig, Wittenberg und Freiberg, nach seiner<br />

praktischen Tätigkeit in Tennstedt, nach seinen Dienst- und Bildungsreisen<br />

durch Mitteldeutschland. Von hier übt er seine Tätigkeit als Salinen-Assessor<br />

aus. In Weißenfels verfasst er seine wichtigsten Werke und empfängt berühmte<br />

Zeitgenossen. Und: Hier stirbt er am 25. März 1801. Auf dem Nikolaifriedhof<br />

der Stadt findet er seine letzte Ruhestätte (Kalenderblatt Februar). Weißenfels,<br />

gegründet Ende des 12. Jahrhunderts und an der Kreuzung zweier großer<br />

Handelsstraßen des Mittelalters gelegen, der Via Regia und der Osterländischen<br />

Salzstraße, ist als Residenzstadt des Fürstentums Sachsen-Weißenfels bis<br />

1746 bedeutsam. Zu Novalis Lebzeiten ist es zwar auf dem Weg zu einem<br />

Provinzstädtchen, doch die barocke Architektur, der gewaltige Marktplatz, die<br />

gotische Stadtkirche und das Barockschloss Neu-Augustusburg (Kalenderblätter<br />

November und Dezember) zeugen von seiner beeindruckenden Geschichte. Bis<br />

Mitte des 18. Jahrhunderts gilt Weißenfels als ein wichtiges kulturelles Zentrum<br />

in Mitteldeutschland. Berühmte Komponisten und Musiker des 17. und 18.<br />

Jahrhunderts wirken an diesem Ort. Beispielsweise Heinrich Schütz (1585 bis<br />

1672), Johann Beer (1655 bis 1700) und Johann Sebastian Bach (1685 bis 1750).<br />

Novalis´ Wohn- und Haushaltsverhältnisse im elterlichen Anwesen von<br />

Weißenfels sind bescheiden, aber nicht ärmlich. Genügend Raum und Platz<br />

gibt es für ihn, um konzentriert nachzudenken, zu studieren, zu schreiben. Im<br />

lebendigen Austausch steht er mit Vater und Mutter, mit seinen Geschwistern,<br />

mit Menschen des kleinen und überschaubaren Städtchens. Von den Fenstern<br />

des Wohnhauses blickt er direkt auf das einstige Clarissenkloster von 1301<br />

(Kalenderblatt November, Rückseite), zu seiner Zeit das berühmte Gymnasium<br />

illustre Augusteum, zur gotischen Stadtkirche, über barocke Bürgerhäuser.<br />

Ganz in der Nähe seines Wohnsitzes steht der einstige Gasthof Zum Dreyen<br />

Schwanen, in dem sich Friedrich Schiller, Wilhelm von Humboldt und<br />

Gottfried Friedrich Körner im August 1794 zu vertraulichen Gesprächen<br />

getroffen haben. Novalis wird an diesem Anwesen oft gedankenschwer vorbei<br />

spaziert sein. Freudig und mit Ungeduld hat er aus vielen Gründen seine<br />

Dichter- und Philosophenfreunde in Weißenfels erwartet. Vor allem seinen<br />

Freund und Vertrauten Friedrich Schlegel – wenn ich weiß, daß Du in Leipzig<br />

bist, so komm ich und hole Dich ab.<br />

In Novalis´ Todesstunde ist Friedrich Schlegel bei ihm in Weißenfels.<br />

Einst – Clarissenkloster, gesehen vom Novalis-Museum in Weißenfels Novalis-Hain in Weißenfels Kirche in Schlöben Letzte Ruhestätte der von Hardenbergs – Friedhof in Schlöben<br />

Novalis <strong>Spurensuche</strong> Orte und Städte<br />

Hinüber wall ich<br />

Hinüber wall ich,<br />

Und jede Pein<br />

Wird einst ein Stachel<br />

Der Wollust seyn.<br />

Noch wenig Zeiten,<br />

So bin ich los,<br />

Und liege trunken<br />

Der Lieb’ im Schooß.<br />

Unendliches Leben<br />

Wogt mächtig in mir<br />

Ich schaue von oben<br />

Herunter nach dir.<br />

An jenem Hügel<br />

Verlischt dein Glanz –<br />

Aus: Hymnen an die Nacht<br />

2011


Schloss Neu-Augustusburg in Weißenfels<br />

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Zeittafel<br />

1772 2. Mai: Georg Philipp Friedrich von Hardenberg in Oberwiederstedt geboren.<br />

Eltern: Heinrich Ulrich Erasmus von Hardenberg (1738-1814) und<br />

Auguste Bernhardine, geb. von Bölzig (1749-1818)<br />

1780 Schwere Ruhrerkrankung<br />

1783 Aufenthalt auf Schloss Lucklum beim Onkel Gottlob Friedrich Wilhelm von<br />

Hardenberg (1728 bis 1800)<br />

1785 Umzug der Familie von Oberwiederstedt nach Weißenfels<br />

1788 Erste Gedichte<br />

1790 Juni-Oktober: Besuch des Luther-Gymnasiums in Eisleben, Studium in Jena<br />

1791 Begegnungen mit Friedrich Schiller,<br />

Besuch auf Schloss Goseck, Spatziergang nach Gosegk, Studium in Leipzig<br />

1792 Erste Begegnung mit Friedrich Schlegel in Leipzig<br />

1793 Studium in Wittenberg<br />

1794 Juristisches Examen in Wittenberg<br />

8. November: Dienstantritt als Aktuarius beim Kreisamt in Tennstedt<br />

17. November: Erste Begegnung mit Sophie von Kühn (1782-1797)<br />

in Grüningen<br />

1795 Verlobung mit Sophie von Kühn<br />

Beginn der Fichte-Studien<br />

1796 Beginn der Tätigkeit bei der Salinendirektion in Weißenfels<br />

Friedrich Schlegels Besuche in Weißenfels<br />

1797 19. März: Tod der Sophie von Kühn<br />

Studium in Freiberg<br />

Weihnachten: auf Schloss Siebeneichen<br />

1798 Beziehungen zu Professor Abraham Gottlob Werner (1749-1817)<br />

Reisen nach Dresden und Siebeneichen von Freiberg aus<br />

Blüthenstaub unter dem Pseudonym Novalis erscheint<br />

Beginn der naturwissenschaftlichen Studien<br />

Verlobung mit Julie von Charpentier (1776-1811)<br />

1799 Rückkehr von Freiberg nach Weißenfels<br />

Entstehung der Geistlichen Lieder, Beginn der Arbeit am<br />

Heinrich von Ofterdingen<br />

1800 Hymnen an die Nacht erscheinen<br />

Schwere Erkrankung<br />

Oktober: Reise nach Siebeneichen, Meißen und Dresden<br />

Dezember: Ernennung zum Amtshauptmann<br />

1801 23. März: Friedrich Schlegel triff in Weißenfels ein<br />

25. März: Novalis stirbt in Weißenfels<br />

Stadtkirche von Weißenfels – Wohn- und Sterbehaus von Novalis Schloss-Portal von Neu-Augustusburg Tauf-Kirche des Novalis´ in<br />

vom Schloßplatz aus gesehen in Weißenfels Oberwiederstedt – einst Klostenkirche<br />

Novalis <strong>Spurensuche</strong> Orte und Städte<br />

Wenn nicht<br />

mehr zahlen …<br />

Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren<br />

Sind Schlüssel aller Kreaturen<br />

Wenn die so singen, oder küssen,<br />

Mehr als die Tiefgelehrten wissen,<br />

Wenn sich die Welt ins freye Leben<br />

Und in die (freye) Welt wird zurück begeben,<br />

Wenn dann sich wieder Licht und Schatten<br />

Zu ächter Klarheit wieder gatten,<br />

Und man in Mährchen und Gedichten<br />

Erkennt die (alten) wahren Weltgeschichten,<br />

Dann fliegt vor Einem geheimen Wort<br />

Das ganze verkehrte Wesen fort.<br />

Aus: Materialien zu Heinrich von Ofterdingen<br />

2011


Andreaskirche, Altes Gymnasium und Agricola-Haus in Eisleben<br />

Schloss Goseck in Goseck – gelegen zwischen Naumburg und Weißenfels<br />

Schloss Neu-Augustusburg in Weißenfels<br />

Novalis<br />

<strong>Spurensuche</strong><br />

Orte und Städte<br />

2011 Schloss<br />

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Oberwiederstedt – Geburtsort von Novalis<br />

Friedrich Schillers Gartenhaus in Jena<br />

Schloss Siebeneichen – im Herbst-Morgendunst<br />

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30 September<br />

Silhouette von Wittenberg mit Elbe<br />

Novalis-Büste in Weißenfels<br />

Schloss Sophie von Kühn in Grüningen – Lebens- und Sterbeort der Verlobten von Novalis<br />

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31 Oktober<br />

Schloss Vorderort – Spuren der Schlösser und Festungsanlage in Mansfeld<br />

Schacht Alte Elisabeth in Freiberg – heute Museum<br />

Blick auf Weißenfels – Lebensmittelpunkt von Novalis<br />

2011<br />

Literaturverzeichnis: Titelbild: Die Wartburg in der Frühe<br />

Novalis. Briefwechsel mit Friedrich und August Wilhelm, Charlotte und Caroline Schlegel. 1880.<br />

Novalis. Dokumente seines Lebens. Herausgegeben von Hermann Hesse und Karl Isenberg. 1976.<br />

Novalis. Schriften, Herausgegeben von J. Minor , Bände 1 bis 4. 1923.<br />

Novalis. Schriften. Werke, Tagebücher und Briefe Friedrich von Hardenbergs. Herausgegeben von<br />

Hans-Joachim Mähl und Richard Samuel, Bände 1 bis 3. 1999.<br />

Schulz, Gerhard, Novalis. 1993. Tieck, Ludwig, Das Leben des Novalis. 1923.<br />

Uerlings, Herbert, Novalis 1998.<br />

Novalis – <strong>Spurensuche</strong> Orte und Städte<br />

<strong>Bernd</strong> <strong>Bräuer</strong> Verlag, Leipzig<br />

Fotos und Texte: Dr. <strong>Bernd</strong> <strong>Bräuer</strong><br />

Gestaltung: Dr. <strong>Bernd</strong> <strong>Bräuer</strong>, Jörn Schütze<br />

Satz und Layout: Jörn Schütze<br />

Druck: Druckerei Gebrüder Schütze GbR, Wolkenstein<br />

Printed in Germany<br />

ISBN 978-3-9813802-1-7<br />

www.berndbraeuerverlag.de<br />

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