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III. Empirischer Teil - E-Beratungsjournal

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Gibt es kein persönliches Gespräch in der Ordination, sondern läuft der Kontakt nur<br />

über Videotelefon, so beschreiben die Befragten die psychotherapeutische Allianz als<br />

„anders“. Dieses „anders“ ist wertfrei und bedeutet nicht, dass der Erfolg einer Skype-<br />

Therapie dadurch beeinträchtigt wird. Es bedeutet auch nicht, dass es zu keiner tiefen<br />

Beziehung kommen kann. Die empfundene Tiefe und die Reaktionen der Patienten, das<br />

Einlassenkönnen auf die Nähe zum Therapeuten, trotz der räumlichen Trennung,<br />

versetzen die deutschsprachigen Psychotherapeuten in Erstaunen. Bei der Frage nach<br />

berührenden Momenten in einer Skype-Therapie weisen sie darauf hin, dass sie die tiefe<br />

Verbundenheit schwer in ihre Erfahrungen einordnen können. Ganz im Gegensatz dazu<br />

erinnert sich die australische Interviewpartnerin an viele berührende Momente in<br />

Therapien, allerdings ob das in einer Screen-to-Screen- oder in einer Präsenzsitzung<br />

war, das kann sie nicht mehr sagen. Es scheint, dass das psychotherapeutische Arbeiten,<br />

über Videotelefon, auf der anderen Seite der Erde, z. B. in Australien, bereits zu einer<br />

selbstverständlichen Form des Settings geworden ist. Im Vordergrund steht, die<br />

geeignete Hilfe für Menschen mit Problemen anzubieten. Ob diese Hilfe nun<br />

psychotherapeutische Beratung oder Psychotherapie genannt wird, oder ob sie als Life-<br />

Sitzung oder Screen-to-Screen-Sitzung angeboten wird, scheint vor dem Hintergrund<br />

der Bedeutung der psychosozialen Versorgung zu einer Nebensächlichkeit zu<br />

verblassen.<br />

Durch die eingeschränkte Wahrnehmung über den Bildschirm ergeben sich für den<br />

Therapeuten und den Patienten vermutlich mehr Projektionsmöglichkeiten. Der Patient<br />

kreiert seinen eigenen „perfekten“ Therapeuten. Ein Interviewpartner (IP4) beschreibt<br />

die Situation, nachdem er eine Patientin nach erfolgreicher Skype-Therapie persönlich<br />

kennenlernte, als „Melange von Kennen und nicht Kennen“. Durch den Wegfall von<br />

zusätzlichen Informationen, wie z. B. Kleidung, Figur, Geruch, Praxiseinrichtung,<br />

Bilder, steht das eigentliche Problem des Patienten im Mittelpunkt. Der Patient<br />

fokussiert sein Problem und will dieses mit Eigenverantwortung lösen. Anscheinend<br />

wird ihm durch die räumliche Trennung intensiver bewusst, einen eigenen Beitrag zur<br />

Therapie zu leisten. Obwohl der Patient auf der einen Seite bereit ist, seinen<br />

Therapeuten in seine Wohnung, an einen ruhigen Platz, zu lassen, bestimmt er, wie viel<br />

Nähe er zulassen will. Bei Bedarf kann er die Verbindung selber sofort trennen.<br />

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