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Clancy, Tom - Jack Ryan 05 - Das Echo aller

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Bücher über die Geschichte seines Volkes - nun, nicht unbedingt alle; er<br />

achtete sorgfältig auf die Tendenz. Alles, was sein Volk auch nur im geringsten<br />

negativ darstellte, reflektierte natürlich weiße Vorurteile. Vor der Ankunft der<br />

Weißen hatten die Sioux weder Alkohol getrunken noch in armseligen kleinen<br />

Dörfern gelebt und schon gar nicht ihre Kinder mißhandelt. Nein, das waren<br />

alles Folgen der Intervention des weißen Mannes.<br />

Aber was tun? fragte er die Sonne. Die glühende Gaskugel färbte sich rot in<br />

der staubigen Luft dieses heißen, trockenen Sommers, und vor Marvin tauchte<br />

das Gesicht seines Bruders auf, die Zeitlupenaufnahmen aus dem Fernsehen.<br />

Anders als die große Anstalt hatte der Regionalsender das Videoband in<br />

Standbilder aufgelöst und diese separat gezeigt: Der Augenblick, in dem die<br />

Kugel Johns Kopf traf, war in zwei Einzelbildern festgehalten, auf denen sich<br />

das Gesicht seines Bruders vom Kopf löste. Dann die grausigen Nachwirkungen<br />

des Treffers. Der Schuß aus dem Revolver - zur Hölle mit diesem Nigger<br />

und seiner kugelsicheren Weste! - und Johns Hände vor der blutigen Masse wie<br />

im Horrorfilm. Er sah sich die Sequenz fünfmal an und wußte, daß sie ihm bis<br />

ins letzte Detail unauslöschlich im Gedächtnis haften bleiben würde.<br />

Ein toter Indianer mehr. "Sicher, ich habe ein paar gute Indianer gesehen",<br />

hatte General William Tecumseh - ein indianischer Name! - Sherman einmal<br />

gesagt. "Aber die waren tot." John Russell war tot, wie so viele andere, die<br />

keine Chance zu einem ehrenhaften Kampf bekommen hatten, abgeknallt wie<br />

ein Tier, aber noch brutaler. Marvin war davon überzeugt, daß der Schuß für<br />

die laufende Kamera inszeniert worden war. Diese Pißnelke von Reporterin in<br />

ihren modischen Fetzen! Der hatte das FBI einmal zeigen wollen, wo es<br />

langgeht. Genau wie die Kav<strong>aller</strong>ie bei Sand Creek und Wounded Knee und auf<br />

hundert anderen namenlosen und in Vergessenheit geratenen Schlachtfeldern.<br />

Und so wandte Marvin Russell sein Gesicht der Sonne zu, einer der Gottheiten<br />

seines Volkes, und suchte nach Antwort. Es gibt keine, sagte ihm die Sonne.<br />

Seine Kameraden waren unzuverlässig; diese Erkenntnis hatte John mit dem<br />

Leben bezahlt. Welcher Wahnsinn, die Bewegung durch Drogenhandel zu<br />

finanzieren, gar selbst Drogen zu nehmen! Als wäre das Feuerwasser, mit dem<br />

der weiße Mann die Indianer ruiniert hatte, nicht schon schlimm genug gewesen!<br />

Die anderen "Krieger" waren Kreaturen ihrer von Weißen geschaffenen<br />

Umwelt und wußten nicht, daß diese sie bereits kaputtgemacht hatte.<br />

Sioux-Krieger nannten sie sich und waren doch nichts als Säufer und kleine<br />

Kriminelle, die selbst auf diesem anspruchslosen Feld versagt hatten. In einer<br />

seltenen Anwandlung von Ehrlichkeit - wie konnte man im Angesicht einer<br />

Gottheit unaufrichtig sein? - gestand sich Marvin ein, daß er besser war als sie.<br />

Und als sein Bruder. Schwachsinn, beim Rauschgifthandel mitzumachen.<br />

Alles nutzlos. Was hatten sie schon erreicht? Zwei FBI-Agenten und einen<br />

Vollzugsbeamten umgelegt, aber das war schon lange her gewesen. Und seitdem?<br />

Nichts weiter, immer nur mit diesem einzigen Triumph geprahlt. Doch<br />

was für ein Sieg war das schon gewesen? <strong>Das</strong> Reservat, der Schnaps, die<br />

Hoffnungslosigkeit, alles war noch da, nichts hatte sich geändert. Wen hatten<br />

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