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Clancy, Tom - Jack Ryan 05 - Das Echo aller

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mußten sie jagen und schießen lernen: oft kam zum Abendessen auf den Tisch,<br />

was sie mit ihren Kleinkalibern erbeutet hatten. Fast ebensooft mußten die<br />

Kinder die Mahlzeit selbst zubereiten. Obwohl sie nicht die einzigen armen<br />

und vernachlässigten Jugendlichen im Reservat waren, gehörten sie doch<br />

zweifellos zur untersten Schicht, und im Gegensatz zu manchen Nachbarskindern<br />

gelang ihnen der Sprung in ein besseres Leben nicht. Schon lange bevor<br />

sie den Führerschein hätten haben dürfen, saßen sie am Steuer von Vaters<br />

klapprigem altem Pick-up und fuhren in klaren, kalten Nächten zig Kilometer<br />

weit in andere Städte, um sich auf eigene Faust zu besorgen, was die Eltern<br />

ihnen nicht geben konnten. Als sie zum ersten Mal erwischt wurden - von<br />

einem Sioux mit Schrotflinte -, ertrugen sie die Tracht Prügel mannhaft und<br />

zogen, versehen mit blauen Flecken und einer ernsthaften Ermahnung, wieder<br />

heim. Aus dieser Erfahrung lernten sie, von nun an nur noch Weiße zu<br />

bestehlen.<br />

Im Lauf der Zeit wurden sie natürlich auch dabei geschnappt, und zwar auf<br />

frischer Tat von einem Stammespolizisten in einem Laden auf dem Land. Zu<br />

ihrem Pech kam jede auf Bundesland begangene Straftat vor ein Bundesgericht,<br />

und ausgerechnet diesem saß ein Richter vor, der neu war und über mehr<br />

Mitgefühl als Scharfsinn verfügte. Zu diesem Zeitpunkt hätte eine strenge<br />

Lektion die Jungs von der schiefen Bahn abbringen können, aber der Mann<br />

stellte das Verfahren ein und schickte sie zur Beratungsstelle des Jugendamts.<br />

Monatelang schärfte ihnen dort eine sehr ernste junge Sozialpädagogin, die an<br />

der Uni Wisconsin studiert hatte, ein, Eigentumsdelikte verhinderten die Entwicklung<br />

eines positiven Selbstwertgefühls. Eine sinnvolle Beschäftigung wäre<br />

den Buben sicher besser bekommen. Nach den Therapiesitzungen fragten sie<br />

sich lediglich, wie die Sioux sich von diesen weißen Schwätzern hatten besiegen<br />

lassen können, und sie planten von nun an ihre Verbrechen sorgfältiger.<br />

Doch nicht sorgfältig genug, denn eine so gründliche Ausbildung, wie sie ein<br />

richtiges Gefängnis vermittelt, hätte ihnen die Sozialpädagogin nie bieten<br />

können. So wurden sie ein Jahr später wieder geschnappt, diesmal außerhalb<br />

des Reservats, und diesmal bekamen sie anderthalb Jahre, weil sie in ein<br />

Waffengeschäft eingebrochen waren.<br />

<strong>Das</strong> Gefängnis war die furchteinflößendste Erfahrung ihres Lebens. Die<br />

jungen Indianer, an den freien Himmel und das weite Land des Westens<br />

gewöhnt, wurden für ein Jahr zusammen mit hartgesottenen Kriminellen in<br />

einen Käfig gesperrt, der ihnen weniger Platz bot, als die Bundesregierung<br />

Mardern im Zoo zumißt. In ihrer ersten Nacht hörten sie im Zellblock Schreie<br />

und begriffen, daß Vergewaltigungsopfer nicht immer Frauen sein müssen.<br />

Dann hatten sie sich schutzsuchend in die Arme ihrer indianischen Mitgefangenen<br />

vom American Indian Movement geflüchtet.<br />

Bis zu diesem Zeitpunkt hatten sie an ihre Ahnen kaum einen Gedanken<br />

verschwendet. Unbewußt mochten sie gespürt haben, daß Menschen, wie sie<br />

es waren, Sekundärtugenden, wie sie im Fernsehen propagiert wurden, fehlten,<br />

und wahrscheinlich schämten sie sich ein wenig, weil sie so anders waren.<br />

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