Clancy, Tom - Jack Ryan 05 - Das Echo aller
Clancy, Tom - Jack Ryan 05 - Das Echo aller Clancy, Tom - Jack Ryan 05 - Das Echo aller
"Das Fernsehen hochzujagen. Die meisten Revolutionäre sind blöd, weil sie die Psychologie übersehen. Eigentlich braucht man keinen Haufen Leute umzubringen. Es reicht schon, wenn man ihnen angst macht, stimmt's?" "Du hast viel gelernt, mein Freund." "Das ist ja stark", meinte Ryan beim Durchblättern. "Ich fand es auch nicht schlecht", stimmte Mary Patricia Foley zu. "Wie fühlen Sie sich?" Die Augen der Agentin funkelten. "Clyde hat sich gesenkt. Ich warte jetzt nur noch, daß die Fruchtblase platzt." Ryan schaute auf. "Clyde?" "So soll es heißen - ganz gleich, was es wird." "Machen Sie auch Ihre Übungen?" "Klar, ich bin fitter als Rocky Balboa. Ed hat das Kinderzimmer gestrichen und das Bettchen aufgestellt. Alles ist bereit, Jack." "Wie lange wollen Sie sich freinehmen?" "Vier Wochen, vielleicht auch sechs." "Bitte sehen Sie sich das zu Hause an", sagte Ryan, der gerade bei Seite zwei hängengeblieben war. "Kein Problem, solange ich dafür bezahlt werde", versetzte Mary Pat lachend. "Was halten Sie von der Sache, Mary Pat?" "Ich finde, SPINNAKER ist unsere beste Quelle. Wenn er das sagt, stimmt es vermutlich." "Wir haben nirgendwo anders so einen Hinweis bekommen." "Sehen Sie, deshalb rekrutiert man hochplazierte Agenten." "Stimmt", sagte Ryan. Agent SPINNAKERs Bericht war zwar nicht gerade weltbewegend, aber vielleicht dem ersten Grummeln vergleichbar, das ein schweres Erdbeben ankündigt. Mit Beginn der Liberalisierung in der Sowjetunion war das Land politisch schizophren geworden - oder hatte das Syndrom der alternierenden Persönlichkeit entwickelt. Es gab fünf identifizierbare politische Gruppierungen: die überzeugten Kommunisten, die jede Abweichung vom marxistischen Pfad für einen Fehler hielten (manche nannten sie die Vorwärts-in-die-Vergangenheit-Fraktion); die progressiven Sozialisten, die einen menschlichen Sozialismus verwirklichen wollten (ein Modell, das in Massachusetts kläglich versagt hat, dachte Jack ironisch); die politische Mitte, die ein bißchen Marktwirtschaft mit einem dichten sozialen Netz wollte (also die Nachteile beider Welten, wie jeder Ökonom wußte); die Reformer, denen der Sinn nach einem grobmaschigen sozialen Netz und uneingeschränktem Kapitalismus stand (nur wußte außer dem rapide expandierenden kriminellen Sektor niemand, was freie Marktwirtschaft überhaupt war); und ganz rechts standen jene, die ein autoritäres Regime errichten wollten (wie es vor 70 Jahren mit dem Kommunismus eingeführt worden war). Im Kongreß der Volksdeputierten verfügten 354
die beiden extremen Gruppen jeweils über rund zehn Prozent der Stimmen. Die restlichen 80 Prozent entfielen ziemlich gleichmäßig auf die drei anderen, gemäßigteren Positionen. Selbstverständlich brachten gewisse Themen die Loyalitäten durcheinander - um Fragen des Umweltschutzes wurde ganz besonders hitzig gekämpft -, aber am explosivsten war die Diskussion um den bevorstehenden Zerfall der Union, das Abdriften der Republiken, die schon immer das russische Joch hatten abschütteln wollen. Und schließlich hatte jede Fraktion noch ihre Untergrüppchen. Zum Beispiel ging bei der Rechten im Augenblick die Rede, man sollte einen Romanow, also einen Aspiranten auf den Zarenthron, zurück ins Land holen - nicht als Herrscher, sondern um sich bei ihm offiziell für die Ermordung seiner Vorfahren zu entschuldigen. So ging jedenfalls das Gerücht. Wer diese Idee ausgebrütet hat, dachte Ryan, ist entweder so naiv wie Alice im Wunderland oder ein gefährlicher Vereinfacher. Zum Glück meldete die CIA-Station Paris, der Fürst aller Reußen habe ein besseres politisches Gespür als seine Sponsoren und dächte nicht an eine solche Reise. Negativ war, daß die politische und wirtschaftliche Lage in der Sowjetunion völlig hoffnungslos aussah, und SPINNAKERs Bericht machte alles noch ominöser. Andrej Iljitsch Narmonow war verzweifelt. Er verlor Optionen, Verbündete, Ideen, Zeit und Spielraum. Er konzentrierte sich, wie der Agent meldete, viel zu sehr auf das Nationalitätenproblem und versuchte nun sogar, den Sicherheitsapparat fester in den Griff zu bekommen - Innenministerium (MWD), KGB und Militär -, um das Imperium mit Gewalt zusammenzuhalten. Aber das Militär, berichtete SPINNAKER, war weder mit diesem Auftrag noch mit den halbherzigen Maßnahmen, die Narmonow plante, glücklich. Schon seit Lenins Zeiten waren über das sowjetische Militär und seine angeblichen politischen Ambitionen Spekulationen angestellt worden. Stalin hatte Ende der dreißiger Jahre mit der Sense in seinem Offizierskorps gewütet; man war allgemein der Auffassung, daß Marschall Tuchatschewski keine politische Bedrohung dargestellt hatte, sondern nur ein weiteres Opfer von Stalins bösartiger Paranoia geworden war. Auch Chruschtschow hatte in den späten fünfziger Jahren Säuberungen angeordnet, aber keine Massenhinrichtungen; er wollte weniger Geld für Panzer ausgeben und sich mehr auf Atomwaffen verlassen. Narmonow selbst hatte eine ganze Reihe von Generälen und Obersten in Pension geschickt; seine Absicht war ausschließlich die generelle Reduzierung der Rüstungsausgaben gewesen. Aber diesmal ging die Kürzung des Verteidigungshaushalts mit einer politischen Wiedergeburt des Militärs einher. Zum ersten Mal existierte im Land eine echte Opposition, und Tatsache war, daß die sowjetischen Streitkräfte über alle Waffen verfügten. Als Gegengewicht zu diesem bedenklichen Potential gab es seit Generationen das 3. Hauptdirektorat des KGB, dessen Mitglieder Uniformen trugen und das Militär überwachen sollten. Doch das 3. Hauptdirektorat war nur noch ein Schatten seiner selbst. Die Militärs hatten Narmonow bewegen, es 355
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Loyalitäten durcheinander - um Fragen des Umweltschutzes wurde ganz<br />
besonders hitzig gekämpft -, aber am explosivsten war die Diskussion um<br />
den bevorstehenden Zerfall der Union, das Abdriften der Republiken, die<br />
schon immer das russische Joch hatten abschütteln wollen. Und schließlich<br />
hatte jede Fraktion noch ihre Untergrüppchen. Zum Beispiel ging bei der<br />
Rechten im Augenblick die Rede, man sollte einen Romanow, also einen<br />
Aspiranten auf den Zarenthron, zurück ins Land holen - nicht als Herrscher,<br />
sondern um sich bei ihm offiziell für die Ermordung seiner Vorfahren zu<br />
entschuldigen. So ging jedenfalls das Gerücht. Wer diese Idee ausgebrütet<br />
hat, dachte <strong>Ryan</strong>, ist entweder so naiv wie Alice im Wunderland oder ein<br />
gefährlicher Vereinfacher. Zum Glück meldete die CIA-Station Paris, der<br />
Fürst <strong>aller</strong> Reußen habe ein besseres politisches Gespür als seine Sponsoren<br />
und dächte nicht an eine solche Reise.<br />
Negativ war, daß die politische und wirtschaftliche Lage in der Sowjetunion<br />
völlig hoffnungslos aussah, und SPINNAKERs Bericht machte alles<br />
noch ominöser. Andrej Iljitsch Narmonow war verzweifelt. Er verlor Optionen,<br />
Verbündete, Ideen, Zeit und Spielraum. Er konzentrierte sich, wie der<br />
Agent meldete, viel zu sehr auf das Nationalitätenproblem und versuchte nun<br />
sogar, den Sicherheitsapparat fester in den Griff zu bekommen - Innenministerium<br />
(MWD), KGB und Militär -, um das Imperium mit Gewalt zusammenzuhalten.<br />
Aber das Militär, berichtete SPINNAKER, war weder mit diesem<br />
Auftrag noch mit den halbherzigen Maßnahmen, die Narmonow plante,<br />
glücklich.<br />
Schon seit Lenins Zeiten waren über das sowjetische Militär und seine<br />
angeblichen politischen Ambitionen Spekulationen angestellt worden. Stalin<br />
hatte Ende der dreißiger Jahre mit der Sense in seinem Offizierskorps gewütet;<br />
man war allgemein der Auffassung, daß Marschall Tuchatschewski keine<br />
politische Bedrohung dargestellt hatte, sondern nur ein weiteres Opfer von<br />
Stalins bösartiger Paranoia geworden war. Auch Chruschtschow hatte in den<br />
späten fünfziger Jahren Säuberungen angeordnet, aber keine Massenhinrichtungen;<br />
er wollte weniger Geld für Panzer ausgeben und sich mehr auf Atomwaffen<br />
verlassen. Narmonow selbst hatte eine ganze Reihe von Generälen<br />
und Obersten in Pension geschickt; seine Absicht war ausschließlich die<br />
generelle Reduzierung der Rüstungsausgaben gewesen. Aber diesmal ging die<br />
Kürzung des Verteidigungshaushalts mit einer politischen Wiedergeburt des<br />
Militärs einher. Zum ersten Mal existierte im Land eine echte Opposition,<br />
und Tatsache war, daß die sowjetischen Streitkräfte über alle Waffen verfügten.<br />
Als Gegengewicht zu diesem bedenklichen Potential gab es seit Generationen<br />
das 3. Hauptdirektorat des KGB, dessen Mitglieder Uniformen trugen<br />
und das Militär überwachen sollten. Doch das 3. Hauptdirektorat war nur<br />
noch ein Schatten seiner selbst. Die Militärs hatten Narmonow bewegen, es<br />
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