Clancy, Tom - Jack Ryan 05 - Das Echo aller

Clancy, Tom - Jack Ryan 05 - Das Echo aller Clancy, Tom - Jack Ryan 05 - Das Echo aller

schulte.josefine23
von schulte.josefine23 Mehr von diesem Publisher
23.01.2013 Aufrufe

"Diese Leute sind doch alle tot! Und ihre Kinder auch!" konterte Narmonow ärgerlich. Immerhin lag die Säuberung über fünfzig Jahre zurück, und die, die noch eine direkte Erinnerung daran hatten, saßen nun im Rollstuhl oder lebten in Pension. "Ihre Enkel aber nicht, und wir müssen auch an das kollektive Gedächtnis der Streitkräfte als Institution denken." Kadischow lehnte sich zurück und erwog einen neuen Gedanken, der ihm gerade gekommen war. Könnte so etwas möglich sein? fragte er sich. "Gewiß, das Militär hat sein Anliegen, und die unterscheiden sich etwas von meinen. Wir mögen unsere Differenzen haben, wie das Problem zu lösen ist, sind uns aber einig, daß der Prozeß kontrolliert ablaufen muß. Wenn ich auch am Urteilsvermögen der Militärs meine Zweifel habe, so bin ich mir seiner Loyalität ganz sicher." "Kann sein, daß Sie recht haben. Ich bin da nicht so optimistisch." "Mit Ihrer Hilfe können wir den Verfechtern der raschen Auflösung eine geeinte Front bieten. Das wird ihnen den Mut nehmen und uns ein paar Jahre zur Normalisierung geben. Dann können wir über eine geordnete Entlassung der Republiken in ein echtes Commonwealth - oder eine Gemeinschaft unabhängiger Staaten, wie Sie wollen - nachdenken, ein wirtschaftlich eng verflochtenes, politisch aber loses Gebilde." Der Mann ist verzweifelt, dachte Kadischow. Er bricht unter der Belastung zusammen. Der Mann, der durch die politische Arena tobt wie ein Hockeystürmer, wirkt erschöpft... kann er ohne meine Hilfe überleben? Vermutlich ja, dachte Kadischow. Wahrscheinlich. Schade, sagte sich der jüngere Mann. Kadischow führte de facto die "Linke", jene Kräfte also, die Union und Zentralregierung auflösen und den Rest der Nation mit der Russischen Föderation als Kern ins 21. Jahrhundert schleifen wollten. Wenn Narmonow stürzte, wenn er nicht mehr weiter wußte, wer...? Ich natürlich, dachte Kadischow triumphierend. Hätte ich die Unterstützung der Amerikaner? Was blieb ihnen anderes übrig, als dem Agenten SPINNAKER von ihrer eigenen CIA Rückhalt zu geben? Kadischow arbeitete für die Amerikaner, seit er vor sechs Jahren von Mary Pat Foley rekrutiert worden war, und sah darin keinen Verrat. Er arbeitete für die Entwicklung seines Landes - mit Erfolg, wie er glaubte. Den Amerikanern spielte er Interna aus der sowjetischen Regierung zu, teils sehr wertvolles Material, teils Informationen, die auch der Presse zu entnehmen waren. Er wußte, daß er bei den Amerikanern die wichtigste politische Quelle war, insbesondere seitdem er 40 Prozent der Stimmen im neuen Kongreß der Volksdeputierten kontrollierte. Nun ja, 39 Prozent, verbesserte er sich. Man muß ehrlich bleiben. Noch acht Prozent mehr, dann konnte er seinen Schritt wagen. Das politische Spektrum im 2500köpfigen Parlament hatte viele Schattierungen. Es gab echte Demokraten, russische Nationalisten der demokratischen und sozialistischen Richtung, Links- und Rechtsradikale und vorsichtige Ver­ 320

treter der Mitte, die sich entweder um die Zukunft des Landes oder nur um die Erhaltung ihres politischen Status sorgten. An wie viele konnte er appellieren? Wie viele konnte er für sich gewinnen? Noch nicht genug... Aber er hatte noch eine Karte in der Hand. Da. War er kühn genug, sie auszuspielen? "Andrej Iljitsch", sagte er beschwichtigend, "Sie verlangen, daß ich von einem wichtigen Prinzip abweiche, um Ihnen auf dem Weg zu einem gemeinsamen Ziel weiterzuhelfen - aber es ist ein Weg, dem ich nicht traue. Das ist eine sehr knifflige Angelegenheit. Ich bin nicht einmal sicher, daß ich die notwendige Unterstützung finde. Es ist möglich, daß sich meine Freunde von mir abwenden." Das regte Narmonow nur noch mehr auf. "Unsinn! Ich weiß, wie sehr man Ihnen und Ihrem Urteil traut." Meine Parteifreunde sind nicht die einzigen, die mir vertrauen, dachte Kadischow. Wie die meisten Ermittlungen fand auch diese vorwiegend auf Papier statt. Ernest Wellington war ein ehrgeiziger junger Staatsanwalt. Als Volljurist und Mitglied der Anwaltskammer hätte er sich beim FBI bewerben und dort das Handwerk des Ermittlers richtig lernen können, aber erstens interessierte ihn die Rechtsprechung mehr als der Vollzug, und zweitens hatte er Spaß an der Politik - über die das FBI wenn immer möglich stolz erhaben blieb. Wellington hatte da keine Hemmungen. Politik hielt, wie er fand, die Regierungsmaschine in Gang und half auch beim raschen Aufstieg innerhalb und außerhalb der Regierung. Die Kontakte, die er nun knüpfte, würden seinen Wert bei Anwaltssozietäten "mit Beziehungen" um das Fünffache steigern und seinen Namen im Justizministerium zu einem Begriff machen. Bald stand eine Beförderung zum "Special Assistant" in Aussicht, und in fünf Jahren konnte er Abteilungsleiter werden, vielleicht sogar Bundesanwalt in einer Großstadt oder Chef eines Ermittlungsstabes beim Justizministerium. Damit stand ihm die Tür zur Politik offen, und Ernest Wellington war fest entschlossen, bei dem großen Spiel in Washington mitzumischen. Beste Aussichten also für einen ambitionierten 27jährigen Einserkandidaten von Harvards juristischer Fakultät, der lukrative Angebote angesehener Kanzleien abgelehnt hatte, um die Anfangsjahre seiner Karriere dem öffentlichen Dienst zu widmen. Wellington hatte einen Stoß Akten vor sich auf dem Schreibtisch. Sein Büro befand sich praktisch im Dachgeschoß des Justizministeriums in der Mall, und das einzige Fenster bot Ausblick auf den Parkplatz im Innenhof des Gebäudes. Das Zimmer war klein, und die Klimaanlage funktionierte nicht richtig, aber es war sein eigen. Es ist weithin kaum bekannt, daß Anwälte sich um Auftritte vor Gericht ebenso eifrig drücken wie Prahlhänse um Anlässe, bei denen sie ihre Fähigkeiten unter Beweis stellen müssen. Hätte er die Angebote der großen New Yorker Anwaltsfirmen angenommen - man hatte ihm bis zu 100000 Dollar im Jahr offeriert -, wäre seine echte Funktion die eines Korrektors 321

"Diese Leute sind doch alle tot! Und ihre Kinder auch!" konterte Narmonow<br />

ärgerlich. Immerhin lag die Säuberung über fünfzig Jahre zurück, und die, die<br />

noch eine direkte Erinnerung daran hatten, saßen nun im Rollstuhl oder lebten<br />

in Pension.<br />

"Ihre Enkel aber nicht, und wir müssen auch an das kollektive Gedächtnis<br />

der Streitkräfte als Institution denken." Kadischow lehnte sich zurück und<br />

erwog einen neuen Gedanken, der ihm gerade gekommen war. Könnte so<br />

etwas möglich sein? fragte er sich.<br />

"Gewiß, das Militär hat sein Anliegen, und die unterscheiden sich etwas von<br />

meinen. Wir mögen unsere Differenzen haben, wie das Problem zu lösen ist,<br />

sind uns aber einig, daß der Prozeß kontrolliert ablaufen muß. Wenn ich auch<br />

am Urteilsvermögen der Militärs meine Zweifel habe, so bin ich mir seiner<br />

Loyalität ganz sicher."<br />

"Kann sein, daß Sie recht haben. Ich bin da nicht so optimistisch."<br />

"Mit Ihrer Hilfe können wir den Verfechtern der raschen Auflösung eine<br />

geeinte Front bieten. <strong>Das</strong> wird ihnen den Mut nehmen und uns ein paar Jahre<br />

zur Normalisierung geben. Dann können wir über eine geordnete Entlassung<br />

der Republiken in ein echtes Commonwealth - oder eine Gemeinschaft unabhängiger<br />

Staaten, wie Sie wollen - nachdenken, ein wirtschaftlich eng verflochtenes,<br />

politisch aber loses Gebilde."<br />

Der Mann ist verzweifelt, dachte Kadischow. Er bricht unter der Belastung<br />

zusammen. Der Mann, der durch die politische Arena tobt wie ein Hockeystürmer,<br />

wirkt erschöpft... kann er ohne meine Hilfe überleben?<br />

Vermutlich ja, dachte Kadischow. Wahrscheinlich. Schade, sagte sich der<br />

jüngere Mann. Kadischow führte de facto die "Linke", jene Kräfte also, die<br />

Union und Zentralregierung auflösen und den Rest der Nation mit der Russischen<br />

Föderation als Kern ins 21. Jahrhundert schleifen wollten. Wenn Narmonow<br />

stürzte, wenn er nicht mehr weiter wußte, wer...?<br />

Ich natürlich, dachte Kadischow triumphierend.<br />

Hätte ich die Unterstützung der Amerikaner?<br />

Was blieb ihnen anderes übrig, als dem Agenten SPINNAKER von ihrer<br />

eigenen CIA Rückhalt zu geben?<br />

Kadischow arbeitete für die Amerikaner, seit er vor sechs Jahren von Mary<br />

Pat Foley rekrutiert worden war, und sah darin keinen Verrat. Er arbeitete für<br />

die Entwicklung seines Landes - mit Erfolg, wie er glaubte. Den Amerikanern<br />

spielte er Interna aus der sowjetischen Regierung zu, teils sehr wertvolles<br />

Material, teils Informationen, die auch der Presse zu entnehmen waren. Er<br />

wußte, daß er bei den Amerikanern die wichtigste politische Quelle war,<br />

insbesondere seitdem er 40 Prozent der Stimmen im neuen Kongreß der Volksdeputierten<br />

kontrollierte. Nun ja, 39 Prozent, verbesserte er sich. Man muß<br />

ehrlich bleiben. Noch acht Prozent mehr, dann konnte er seinen Schritt wagen.<br />

<strong>Das</strong> politische Spektrum im 2500köpfigen Parlament hatte viele Schattierungen.<br />

Es gab echte Demokraten, russische Nationalisten der demokratischen<br />

und sozialistischen Richtung, Links- und Rechtsradikale und vorsichtige Ver­<br />

320

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!