Clancy, Tom - Jack Ryan 05 - Das Echo aller
Clancy, Tom - Jack Ryan 05 - Das Echo aller Clancy, Tom - Jack Ryan 05 - Das Echo aller
Das darf nicht sein, sagte sich der Kommandant. Aber sein Magen krampfte sich erneut zusammen, als er den trockenen, präzisen Vertragstext las. War es möglich, daß sich die Palästinenser, sein edles, unerschrockenes Volk, von dieser Infamie hatten verführen lassen? Kati stand auf und eilte ins Bad. Als er sich erbrach, fand sein Verstand eine Antwort auf die Frage. Nach einer Weile richtete er sich auf und spülte den Mund aus. Ein anderer, bitterer Geschmack aber wollte nicht weichen. Auf der anderen Straßenseite hörte Günther Bock in einem Haus, das ebenfalls der Organisation gehörte, die Nachrichten der Deutschen Welle. Bock war zwar Internationalist und nun auch Emigrant, verstand sich aber nach wie vor und an erster Stelle als Deutscher, wenn auch ein revolutionärer und sozialistischer. Das Wetter in der Heimat war heute wieder warm und trocken gewesen; ein schöner Tag also, um Petra an die Hand zu nehmen und einen Spaziergang am Rhein zu machen ... Bei der Kurzmeldung blieb ihm fast das Herz stehen. "... die Terroristin Petra Hassler-Bock wurde heute in ihrer Zelle erhängt aufgefunden. Hassler- Bock, verheiratet mit dem flüchtigen RAF-Mitglied Günther Bock, wurde wegen des brutalen Mords an Wilhelm Manstein zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Sie war achtunddreißig Jahre alt. Zum Fußball: Dresdens unaufhaltsamer Aufstieg geht weiter. Unter Mannschaftskapitän Willi Scheer..." Bock saß in dem dunklen Zimmer, und seine Augen weiteten sich. Da er noch nicht einmal den Anblick der Leuchtskala des Kurzwellenempfängers ertragen konnte, starrte er zum Fenster hinaus in die sternhelle Nacht. Petra tot? Er wußte, daß es wahr war, er redete sich nichts ein. Es war zu wahrscheinlich ... ja unvermeidlich. "Erhängt aufgefunden!" Natürlich, ein vorgetäuschter Selbstmord wie im Fall der drei Baader-Meinhof-Mitglieder; eines hatte sich angeblich sogar dreimal in den Kopf geschossen. Sie hatten seine Frau ermordet. Seine schöne Petra war tot. Sein bester Kamerad, seine treueste Genossin, seine Liebe. Tot. Günther war überrascht, wie schwer die Nachricht ihn traf. Was hätte er auch anderes erwarten sollen? Man mußte sie ja aus dem Weg räumen. Sie war ein Bindeglied zur Vergangenheit und auch eine potentiell gefährliche Symbolgestalt für Deutschlands sozialistische Zukunft. Der Mord an ihr diente zur weiteren politischen Stabilisierung des neuen Deutschlands, des Vierten Reiches. "Petra", flüsterte er. Sie war mehr als eine politische Figur gewesen, mehr als eine Revolutionärin. Er erinnerte sich an jede Kontur ihres Gesichts, jede Kurve ihrer mädchenhaften Figur. Er dachte an die Stunden, die er auf die Geburt ihrer Kinder wartend verbracht hatte, und an Petras Lächeln danach. Auch von Erika und Ursel war er nun getrennt; es schien, als seien auch sie tot. Bock ertrug die Einsamkeit nicht mehr. Er zog sich an und ging über die 216
Straße. Kati war. wie er zu seiner Erleichterung feststellte, noch wach, sah aber sehr schlecht aus. "Was ist, mein Freund?" fragte der Kommandant. "Petra ist tot." Katis Miene zeigte echten Schmerz. "Was ist geschehen?" "Es heißt, sie sei erhängt in ihrer Zelle gefunden worden." Meine Petra, dachte Bock, und der Schock setzte erst jetzt ein, aufgehängt an ihrem anmutigen Hals. Die Vorstellung war unerträglich. Zusammen mit Petra hatte er einen Klassenfeind auf diese Weise hingerichtet und zugesehen, wie das Gesicht erst bleich und dann dunkler wurde, bis... Grauenhaft. Er durfte sich Petra so nicht vorstellen. Kati senkte betrübt den Kopf. "Möge Allah unserer lieben Genossin gnädig sein." Bock ließ sich sein Mißfallen nicht anmerken. Petra hatte so wie er nie an Gott geglaubt. Aber er verstand, daß Kati es nur gut gemeint hatte - als Freund. Und da Bock nun einen Freund brauchte, ignorierte er die bedeutungslose Bemerkung und holte tief Luft. "Ein schlimmer Tag für unsere Bewegung, Ismael." "Es steht noch ärger, als Sie glauben. Dieses verfluchte Abkommen ..." "Ich weiß", sagte Bock. "Ich weiß." "Was halten Sie davon?" Auf eines konnte sich Kati bei Bock verlassen: seine Ehrlichkeit und Objektivität. Der Deutsche nahm sich eine Zigarette vom Schreibtisch des Kommandanten und zündete sie mit dem Tischfeuerzeug an. Er setzte sich nicht, sondern ging im Raum auf und ab. Offenbar mußte er in Bewegung bleiben, um sich zu beweisen, daß er noch lebte. Nun zwang er sich, die Frage objektiv zu beantworten. "Man muß dies als Teil eines größeren Plans sehen. Als die Russen den Weltsozialismus verrieten, setzten sie eine Reihe von Ereignissen in Gang, deren Ziel die Konsolidierung der Herrschaft der kapitalistischen Klassen über den Großteil der Welt war. Früher hielt ich die sowjetischen Konzessionen nur für eine kluge Strategie, um an Wirtschaftshilfe aus dem Westen heranzukommen - Sie müssen verstehen, daß die Russen ein rückständiges Volk sind, Ismael, das es noch nicht einmal geschafft hat, aus dem Kommunismus etwas zu machen. Karl Marx war Deutscher, wie Sie wissen", fügte er mit einem ironischen Grinsen hinzu und verschwieg diplomatisch die Tatsache, daß Marx Jude gewesen war. Bock machte eine kurze Pause und fuhr dann in einem kalten, analytischen Tonfall fort. Er war dankbar, sich kurz gegen den Gram verschließen und wieder wie ein Revolutionär reden zu können. "Ich war im Irrtum. Es ging nicht um eine Strategie, sondern um kompletten Verrat. Die fortschrittlichen Kräfte in der Sowjetunion sind noch gründlicher ausmanövriert worden als selbst in der DDR. Die Annäherung an die USA ist durchaus real. Man tauscht die reine Ideologie gegen vorübergehen 217
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Straße. Kati war. wie er zu seiner Erleichterung feststellte, noch wach, sah<br />
aber sehr schlecht aus.<br />
"Was ist, mein Freund?" fragte der Kommandant.<br />
"Petra ist tot."<br />
Katis Miene zeigte echten Schmerz. "Was ist geschehen?"<br />
"Es heißt, sie sei erhängt in ihrer Zelle gefunden worden." Meine Petra,<br />
dachte Bock, und der Schock setzte erst jetzt ein, aufgehängt an ihrem anmutigen<br />
Hals. Die Vorstellung war unerträglich. Zusammen mit Petra hatte er<br />
einen Klassenfeind auf diese Weise hingerichtet und zugesehen, wie das Gesicht<br />
erst bleich und dann dunkler wurde, bis...<br />
Grauenhaft. Er durfte sich Petra so nicht vorstellen.<br />
Kati senkte betrübt den Kopf. "Möge Allah unserer lieben Genossin gnädig<br />
sein."<br />
Bock ließ sich sein Mißfallen nicht anmerken. Petra hatte so wie er nie an<br />
Gott geglaubt. Aber er verstand, daß Kati es nur gut gemeint hatte - als<br />
Freund. Und da Bock nun einen Freund brauchte, ignorierte er die bedeutungslose<br />
Bemerkung und holte tief Luft.<br />
"Ein schlimmer Tag für unsere Bewegung, Ismael."<br />
"Es steht noch ärger, als Sie glauben. Dieses verfluchte Abkommen ..."<br />
"Ich weiß", sagte Bock. "Ich weiß."<br />
"Was halten Sie davon?" Auf eines konnte sich Kati bei Bock verlassen:<br />
seine Ehrlichkeit und Objektivität.<br />
Der Deutsche nahm sich eine Zigarette vom Schreibtisch des Kommandanten<br />
und zündete sie mit dem Tischfeuerzeug an. Er setzte sich nicht, sondern<br />
ging im Raum auf und ab. Offenbar mußte er in Bewegung bleiben, um sich<br />
zu beweisen, daß er noch lebte. Nun zwang er sich, die Frage objektiv zu<br />
beantworten.<br />
"Man muß dies als Teil eines größeren Plans sehen. Als die Russen den<br />
Weltsozialismus verrieten, setzten sie eine Reihe von Ereignissen in Gang,<br />
deren Ziel die Konsolidierung der Herrschaft der kapitalistischen Klassen<br />
über den Großteil der Welt war. Früher hielt ich die sowjetischen Konzessionen<br />
nur für eine kluge Strategie, um an Wirtschaftshilfe aus dem Westen<br />
heranzukommen - Sie müssen verstehen, daß die Russen ein rückständiges<br />
Volk sind, Ismael, das es noch nicht einmal geschafft hat, aus dem Kommunismus<br />
etwas zu machen. Karl Marx war Deutscher, wie Sie wissen", fügte er<br />
mit einem ironischen Grinsen hinzu und verschwieg diplomatisch die Tatsache,<br />
daß Marx Jude gewesen war. Bock machte eine kurze Pause und fuhr<br />
dann in einem kalten, analytischen Tonfall fort. Er war dankbar, sich kurz<br />
gegen den Gram verschließen und wieder wie ein Revolutionär reden zu<br />
können.<br />
"Ich war im Irrtum. Es ging nicht um eine Strategie, sondern um kompletten<br />
Verrat. Die fortschrittlichen Kräfte in der Sowjetunion sind noch gründlicher<br />
ausmanövriert worden als selbst in der DDR. Die Annäherung an die<br />
USA ist durchaus real. Man tauscht die reine Ideologie gegen vorübergehen<br />
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