Clancy, Tom - Jack Ryan 05 - Das Echo aller

Clancy, Tom - Jack Ryan 05 - Das Echo aller Clancy, Tom - Jack Ryan 05 - Das Echo aller

schulte.josefine23
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23.01.2013 Aufrufe

Russe wählt ein Gedicht aus, und ich revanchiere mich mit einer passenden Passage aus einem amerikanischen Lyriker. Das vertreibt uns die Zeit. Captain, und fördert die Sprachgewandtheit auf beiden Seiten. Lyrik ist tierisch schwer zu übersetzen - also eine gute Übung." Da die Sowjets ihre Nachrichten in Russisch sandten und die Amerikaner in Englisch, mußten an beiden Enden gute Übersetzer sitzen. "Läuft viel Geschäftliches über den Draht?" "Captain, ich bekomme fast nur Testübertragungen zu sehen. Gut, wenn der Außenminister rüberfliegt, erkundigen wir uns manchmal nach dem Wetter, und als die sowjetische Hockey-Nationalmannschaft im vergangenen August hier war, haben wir das bekakelt. Die meiste Zeit aber ist es stinklangweilig, und wenn die Gedichte nicht wären, gingen wir alle die Wände hoch. Schade, daß wir uns nicht unterhalten dürfen wie auf CB oder so, aber das lassen die Vorschriften nicht zu." "Kann ich mir vorstellen. Haben die Russen etwas über das Abkommen von Rom gesagt?" "Keinen Pieps. Das dürfen wir nicht, Sir." "So streng sind hier die Bräuche." Rosselli sah den Lieutenant einen Vers aus "Annabel Lee" auswählen. Das überraschte ihn. Er hatte etwas aus dem "Raben" erwartet. Nimmermehr... Der Tag der Ankunft war von Erholung, Pomp und Spannung geprägt. Der Inhalt des Abkommens war immer noch nicht durchgesickert, und die Nachrichtenagenturen, denen klar war, daß sich etwas "Historisches" ereignet hatte, versuchten verzweifelt herauszufinden, worum es denn exakt ging ­ vergeblich. Die Staatsoberhäupter von Israel, Saudi-Arabien, der Schweiz, der Sowjetunion, der Vereinigten Staaten und des Gastgeberlandes Italien setzten sich zusammen mit ihren Spitzendiplomaten und den Vertretern des Vatikans und der griechisch-orthodoxen Kirche an einen mächtigen Tisch aus dem 15. Jahrhundert. Den einzigen Mißton an diesem Abend verursachte für einige die Tatsache, daß man mit Rücksicht auf die Saudis mit Wasser oder Orangensaft anstieß. Andrej Iljitsch Narmonow, der sowjetische Präsident, war besonders euphorisch. Die Teilnahme seines Landes war für ihn von großer Bedeutung, und die Aufnahme der russisch-orthodoxen Kirche in die Kommission, die die christlichen Heiligtümer verwaltete, mußte in Moskau viel politisches Kapital einbringen. Das Festessen dauerte drei Stunden. Anschließend verabschiedeten sich die Gäste vor den auf der gegenüberliegenden Straßenseite postierten Kameras. Die Medienleute waren erneut über die freundschaftliche Atmosphäre verblüfft. Ein jovialer Fowler fuhr zusammen mit Narmonow in sein Hotel, um dort die Gelegenheit für ein zweites Gespräch über Themen von beiderseitigem Interesse zu nutzen. "Sie liegen in Ihrem Zeitplan für die Vernichtung der Interkontinentalraketen zurück", bemerkte Fowler nach den einleitenden Höflichkeitsfloskeln und kompensierte die Aggression mit einem Glas Wein, das er Narmonow reichte. 168

"Danke, Mr. President. Wie wir Ihren Leuten gestern mitteilten, hat sich unsere Entsorgungsanlage als unzureichend erwiesen. Wir können die Dinger nicht rasch genug verschrotten, und die Umweltschützer im Parlament erheben Einspruch gegen unser Verfahren zur Neutralisierung der Treibstoffvorräte." Fowler lächelte mitfühlend. "Dieses Problem kenne ich." In der Sowjetunion hatte die Ökobewegung im vergangenen Frühjahr an Schwung gewonnen, nachdem vom Parlament der Russischen Republik nach US-Vorbild formulierte, aber stark verschärfte Umweltgesetze verabschiedet worden waren. Sein Erstaunen über die Tatsache, daß der Kreml diese Gesetze auch einhielt, konnte Fowler natürlich nicht ausdrücken. Es mußten wohl zwanzig Jahre vergehen, bis die von über siebzig Jahren Planwirtschaft angerichtete Umweltkatastrophe beseitigt war. "Wird das den für die Erfüllung der Vertragsbedingungen gesetzten Termin gefährden?" "Ich stehe bei Ihnen im Wort", erwiderte Narmonow ernst. "Diese Raketen werden bis zum 1.März zerstört, und wenn ich sie persönlich in die Luft sprengen muß." "Gut, das genügt mir, Andrej." Der Abrüstungsvertrag, um den sich schon Fowlers Vorgänger bemüht hatte, sah die Reduzierung der Interkontinentalraketen um fünfzig Prozent vor. Alle Minuteman-II der Vereinigten Staaten sollten verschrottet werden, und dieses Programm lief auch nach Plan. Wie bei dem Abkommen über die Mittelstreckenraketen wurden die Flugkörper in ihre Hauptkomponenten zerlegt und dann vor Zeugen entweder zusammengepreßt oder anders unbrauchbar gemacht. Das Medieninteresse an solchen Aktionen hatte inzwischen nachgelassen. Aus den Raketensilos, die ebenfalls der Inspektion unterlagen, wurde die Elektronik entfernt, und in Amerika waren sogar vier von fünfzehn für überflüssig erklärte Einrichtungen an Farmer verkauft worden, die sie nun als Getreidesilos nutzten. Eine japanische Firma mit Grundbesitz in North Dakota hatte einen Befehlsbunker erworben und in einen Weinkeller für ihr Jagdhaus umgewandelt, in das die Geschäftsleitung jeweils im Herbst einfiel. Nach Berichten amerikanischer Inspektoren in der Sowjetunion gaben sich die Russen alle Mühe, lagen aber wegen einer Fehlplanung der Verschrottungsanlage um dreißig Prozent zurück. Hundert Raketen auf Anhängern stauten sich vor der Fabrik; ihre Silos waren bereits gesprengt worden. Zwar hatten die Sowjets die Lenksysteme aus den Nasen der Flugkörper entfernt und verbrannt, aber beim Nachrichtendienst hielt sich hartnäckig der Verdacht auf ein Täuschungsmanöver - die Geschosse könnten nach wie vor auf ihren Hängern in Startstellung gebracht und abgefeuert werden, argumentierte man. Mißtrauen den Sowjets gegenüber war in der amerikanischen Geheimdienstgemeinde eine alte Angewohnheit, die man nur schwer ablegte. Fowler vermutete, daß es den Sowjets ähnlich ging. "Das Abkommen ist ein gewaltiger Schritt vorwärts, Robert", sagte Narmonow, nachdem er einen Schluck Wein getrunken hatte. Endlich sind wir allein 169

Russe wählt ein Gedicht aus, und ich revanchiere mich mit einer passenden<br />

Passage aus einem amerikanischen Lyriker. <strong>Das</strong> vertreibt uns die Zeit. Captain,<br />

und fördert die Sprachgewandtheit auf beiden Seiten. Lyrik ist tierisch schwer<br />

zu übersetzen - also eine gute Übung." Da die Sowjets ihre Nachrichten in<br />

Russisch sandten und die Amerikaner in Englisch, mußten an beiden Enden<br />

gute Übersetzer sitzen.<br />

"Läuft viel Geschäftliches über den Draht?"<br />

"Captain, ich bekomme fast nur Testübertragungen zu sehen. Gut, wenn der<br />

Außenminister rüberfliegt, erkundigen wir uns manchmal nach dem Wetter,<br />

und als die sowjetische Hockey-Nationalmannschaft im vergangenen August<br />

hier war, haben wir das bekakelt. Die meiste Zeit aber ist es stinklangweilig,<br />

und wenn die Gedichte nicht wären, gingen wir alle die Wände hoch. Schade,<br />

daß wir uns nicht unterhalten dürfen wie auf CB oder so, aber das lassen die<br />

Vorschriften nicht zu."<br />

"Kann ich mir vorstellen. Haben die Russen etwas über das Abkommen von<br />

Rom gesagt?"<br />

"Keinen Pieps. <strong>Das</strong> dürfen wir nicht, Sir."<br />

"So streng sind hier die Bräuche." Rosselli sah den Lieutenant einen Vers aus<br />

"Annabel Lee" auswählen. <strong>Das</strong> überraschte ihn. Er hatte etwas aus dem<br />

"Raben" erwartet. Nimmermehr...<br />

Der Tag der Ankunft war von Erholung, Pomp und Spannung geprägt. Der<br />

Inhalt des Abkommens war immer noch nicht durchgesickert, und die Nachrichtenagenturen,<br />

denen klar war, daß sich etwas "Historisches" ereignet<br />

hatte, versuchten verzweifelt herauszufinden, worum es denn exakt ging ­<br />

vergeblich. Die Staatsoberhäupter von Israel, Saudi-Arabien, der Schweiz, der<br />

Sowjetunion, der Vereinigten Staaten und des Gastgeberlandes Italien setzten<br />

sich zusammen mit ihren Spitzendiplomaten und den Vertretern des Vatikans<br />

und der griechisch-orthodoxen Kirche an einen mächtigen Tisch aus dem<br />

15. Jahrhundert. Den einzigen Mißton an diesem Abend verursachte für einige<br />

die Tatsache, daß man mit Rücksicht auf die Saudis mit Wasser oder Orangensaft<br />

anstieß. Andrej Iljitsch Narmonow, der sowjetische Präsident, war besonders<br />

euphorisch. Die Teilnahme seines Landes war für ihn von großer Bedeutung,<br />

und die Aufnahme der russisch-orthodoxen Kirche in die Kommission,<br />

die die christlichen Heiligtümer verwaltete, mußte in Moskau viel politisches<br />

Kapital einbringen. <strong>Das</strong> Festessen dauerte drei Stunden. Anschließend verabschiedeten<br />

sich die Gäste vor den auf der gegenüberliegenden Straßenseite<br />

postierten Kameras. Die Medienleute waren erneut über die freundschaftliche<br />

Atmosphäre verblüfft. Ein jovialer Fowler fuhr zusammen mit Narmonow in<br />

sein Hotel, um dort die Gelegenheit für ein zweites Gespräch über Themen von<br />

beiderseitigem Interesse zu nutzen.<br />

"Sie liegen in Ihrem Zeitplan für die Vernichtung der Interkontinentalraketen<br />

zurück", bemerkte Fowler nach den einleitenden Höflichkeitsfloskeln und<br />

kompensierte die Aggression mit einem Glas Wein, das er Narmonow reichte.<br />

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