zeitschrift für die praxis des verkehrsjuristen - SVR

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23.01.2013 Aufrufe

Straßenverkehrsrecht ZEITSCHRIFT FÜR DIE PRAXIS DES VERKEHRSJURISTEN In Zusammenarbeit mit dem Deutschen Anwaltsinstitut e.V. herausgegeben von Dr. jur. Frank Albrecht,Regierungsdirektor im Bundesverkehrsministerium, Berlin; Hans Buschbell,Rechtsanwalt, Düren/Köln; Wolfgang Ferner, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht, Koblenz/Heidelberg; Dr. Christian Grüneberg, Richter am OLG Köln; Ottheinz Kääb,Rechtsanwalt,Fachanwalt für Versicherungsrecht,München;Prof.Dr.Jürgen-Detlef Kuckein,Richter am BGH,Karlsruhe;Ulf D. Lemor, Geschäftsführer Europa, Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft, Brüssel; Dr.-Ing. Werner Möhler, Aachen; Dr. Dr. Frank Pluisch, Köln; Prof. Dr. Michael Ronellenfitsch, Universität Tübingen; Priv. Doz. Dr. Stephan Seidl, Nürnberg/Erlangen. Schriftleitung:Wolfgang Ferner,Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht, Koblenz/Heidelberg; Ass. jur. Rüdiger Balke, Koblenz; Wolfgang E. Halm, Rechtsanwalt, Köln; Prof. Dr. Helmut Janker,Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege, Berlin. Schutz der Kinder im Straßenverkehr 1. Ausgangspunkt Soweit es um den Schutz der Kinder im Straßenverkehr geht, sind sich alle einig, dass sie als die schwächsten Verkehrsteilnehmer eines besonderen Schutzes bedürfen. 1 Gemeint ist damit in jedem Falle der fließende Verkehr. Ob Kinder bis zum 10. Lebensjahr jedoch auch im ruhenden Verkehr dieses Schutzes bedürfen, wird häufig in Frage gestellt. Eine grundlegende Entscheidung steht noch aus. Solange bleibt nicht nur die Fachwelt verunsichert. 2 2. Rechtslage vor der Gesetzesänderung 2.1 Ansprüche des Kindes Im ruhenden Verkehr, aber auch in der Situation, in der ein Kraftfahrer verkehrsbedingt halten musste, war bisher grundsätzlich von einem unabwendbaren Ereignis auszugehen. Der Fahrzeughalter konnte sich regelmäßig nach § 7 Abs. 2 StVG a.F. entlasten. Schadensersatzansprüche waren damit ausgeschlossen. 2.2 Ansprüche des Autobesitzers 3 Hier richtete sich alles nach den Altersstufen der beteiligten Kinder. c Bis zum 7. Lebensjahr bestand in allen Bereichen keine Schuldfähigkeit und somit auch keine Haftung, § 828 Abs. 1 BGB a.F.; Ausnahme Billigkeitshaftung nach § 829 BGB. c Mit vollendetem 7. Lebensjahr richtete sich die Haftung nach der Zurechnungsfähigkeit, ob also neben dem Verschulden auch die Fähigkeit bestand, das gefährliche Tun wahrzunehmen, die Unrechtmäßigkeit zu erkennen und sich hierüber im Klaren zu sein, für die Folgen aufkommen zu müssen. 3. Auslegung nach dem Wortlaut des neu gefassten Gesetzes 3.1 Ansprüche des Kindes Verkehrszivilrecht Versicherungsrecht Strafrecht Ordnungswidrigkeiten Verkehrsverwaltungsrecht AUFSÄTZE Versicherungsfachwirt Josef Hernig, Weistropp und Ass. jur. Hans-Josef Schwab, Wiesbaden In der Kombination von § 828 Abs. 2 BGB mit § 7 Abs. 1 und 2 StVG lässt sich gut vertreten, 4 dass das bis zu 10 Jahre alte Kind seinerseits auch bei grob fahrlässigem Verhalten vollen Schadensersatz vom Fahrzeughalter fordern kann. Dies beruht darauf, dass das im öffentlichen Verkehrsraum geparkte 1Weitergehende Gedanken zu dieser Thematik im Anschluss an das ADAC- Rechtsforum „Kinderunfälle im Straßenverkehr – Haftung und Versicherung“ vom 12.5.2004 in München, SVR 2004, 358. 2 Das Problem war Thema auf dem 42. Verkehrsgerichtstag, Arbeitskreis V, Neues Schadensersatzrecht in der Praxis. Siehe auch Schirmer, Neues Schadensersatzrecht in der Praxis, DAR 04, 21 (22). 3 Gemeint sind Ansprüche des Eigentümers an einem Kraftfahrzeug. 4 Himmelreich/Halm/Bücken, Kfz-Schadensregulierung, Rn 446e; Becker/ Böhme/Biela, Kraftverkehrshaftpflichtschäden, 22. Aufl. 2002, A 59; Kunschert in Geigel, Der Haftpflichtprozess, 24. Aufl. 2004, 25. Kapitel, Rn 185; Cahn, Einführung in das neue Schadenersatzrecht, 2003, Rn 235; Bachmeier, Dokumentation zum ADAC-RechtsForum „Kinderunfälle im Straßenverkehr – Haftung und Versicherung“, 2004, 71. SVR 11/2004 | 401

Straßenverkehrsrecht<br />

ZEITSCHRIFT FÜR DIE PRAXIS DES VERKEHRSJURISTEN<br />

In Zusammenarbeit mit dem Deutschen Anwaltsinstitut e.V.<br />

herausgegeben von Dr. jur. Frank Albrecht,Regierungsdirektor im Bun<strong>des</strong>verkehrsministerium, Berlin; Hans Buschbell,Rechtsanwalt, Düren/Köln;<br />

Wolfgang Ferner, Rechtsanwalt und Fachanwalt <strong>für</strong> Strafrecht, Koblenz/Heidelberg; Dr. Christian Grüneberg, Richter am OLG Köln;<br />

Ottheinz Kääb,Rechtsanwalt,Fachanwalt <strong>für</strong> Versicherungsrecht,München;Prof.Dr.Jürgen-Detlef Kuckein,Richter am BGH,Karlsruhe;Ulf D. Lemor,<br />

Geschäftsführer Europa, Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft, Brüssel; Dr.-Ing. Werner Möhler, Aachen; Dr. Dr. Frank Pluisch,<br />

Köln; Prof. Dr. Michael Ronellenfitsch, Universität Tübingen; Priv. Doz. Dr. Stephan Seidl, Nürnberg/Erlangen.<br />

Schriftleitung:Wolfgang Ferner,Rechtsanwalt und Fachanwalt <strong>für</strong> Strafrecht, Koblenz/Heidelberg; Ass. jur. Rüdiger Balke, Koblenz; Wolfgang E. Halm,<br />

Rechtsanwalt, Köln; Prof. Dr. Helmut Janker,Fachhochschule <strong>für</strong> Verwaltung und Rechtspflege, Berlin.<br />

Schutz der Kinder im Straßenverkehr<br />

1. Ausgangspunkt<br />

Soweit es um den Schutz der Kinder im Straßenverkehr geht,<br />

sind sich alle einig, dass sie als <strong>die</strong> schwächsten Verkehrsteilnehmer<br />

eines besonderen Schutzes bedürfen. 1 Gemeint ist<br />

damit in jedem Falle der fließende Verkehr. Ob Kinder bis<br />

zum 10. Lebensjahr jedoch auch im ruhenden Verkehr <strong>die</strong>ses<br />

Schutzes bedürfen, wird häufig in Frage gestellt. Eine grundlegende<br />

Entscheidung steht noch aus. Solange bleibt nicht nur<br />

<strong>die</strong> Fachwelt verunsichert. 2<br />

2. Rechtslage vor der Gesetzesänderung<br />

2.1 Ansprüche <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong><br />

Im ruhenden Verkehr, aber auch in der Situation, in der ein<br />

Kraftfahrer verkehrsbedingt halten musste, war bisher grundsätzlich<br />

von einem unabwendbaren Ereignis auszugehen. Der<br />

Fahrzeughalter konnte sich regelmäßig nach § 7 Abs. 2 StVG<br />

a.F. entlasten. Schadensersatzansprüche waren damit ausgeschlossen.<br />

2.2 Ansprüche <strong>des</strong> Autobesitzers 3<br />

Hier richtete sich alles nach den Altersstufen der beteiligten<br />

Kinder.<br />

c Bis zum 7. Lebensjahr bestand in allen Bereichen keine<br />

Schuldfähigkeit und somit auch keine Haftung, § 828 Abs. 1<br />

BGB a.F.; Ausnahme Billigkeitshaftung nach § 829 BGB.<br />

c Mit vollendetem 7. Lebensjahr richtete sich <strong>die</strong> Haftung<br />

nach der Zurechnungsfähigkeit, ob also neben dem Verschulden<br />

auch <strong>die</strong> Fähigkeit bestand, das gefährliche Tun<br />

wahrzunehmen, <strong>die</strong> Unrechtmäßigkeit zu erkennen und<br />

sich hierüber im Klaren zu sein, <strong>für</strong> <strong>die</strong> Folgen aufkommen<br />

zu müssen.<br />

3. Auslegung nach dem Wortlaut <strong>des</strong> neu<br />

gefassten Gesetzes<br />

3.1 Ansprüche <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong><br />

Verkehrszivilrecht<br />

Versicherungsrecht<br />

Strafrecht<br />

Ordnungswidrigkeiten<br />

Verkehrsverwaltungsrecht<br />

AUFSÄTZE<br />

Versicherungsfachwirt Josef Hernig, Weistropp und Ass. jur. Hans-Josef Schwab, Wiesbaden<br />

In der Kombination von § 828 Abs. 2 BGB mit § 7 Abs. 1 und<br />

2 StVG lässt sich gut vertreten, 4 dass das bis zu 10 Jahre alte<br />

Kind seinerseits auch bei grob fahrlässigem Verhalten vollen<br />

Schadensersatz vom Fahrzeughalter fordern kann. Dies beruht<br />

darauf, dass das im öffentlichen Verkehrsraum geparkte<br />

1Weitergehende Gedanken zu <strong>die</strong>ser Thematik im Anschluss an das ADAC-<br />

Rechtsforum „Kinderunfälle im Straßenverkehr – Haftung und Versicherung“<br />

vom 12.5.2004 in München, <strong>SVR</strong> 2004, 358.<br />

2 Das Problem war Thema auf dem 42. Verkehrsgerichtstag, Arbeitskreis V, Neues<br />

Schadensersatzrecht in der Praxis. Siehe auch Schirmer, Neues Schadensersatzrecht<br />

in der Praxis, DAR 04, 21 (22).<br />

3 Gemeint sind Ansprüche <strong>des</strong> Eigentümers an einem Kraftfahrzeug.<br />

4 Himmelreich/Halm/Bücken, Kfz-Schadensregulierung, Rn 446e; Becker/<br />

Böhme/Biela, Kraftverkehrshaftpflichtschäden, 22. Aufl. 2002, A 59; Kunschert<br />

in Geigel, Der Haftpflichtprozess, 24. Aufl. 2004, 25. Kapitel, Rn 185; Cahn,<br />

Einführung in das neue Schadenersatzrecht, 2003, Rn 235; Bachmeier, Dokumentation<br />

zum ADAC-RechtsForum „Kinderunfälle im Straßenverkehr –<br />

Haftung und Versicherung“, 2004, 71.<br />

<strong>SVR</strong> 11/2004 | 401


AUFSÄTZE | Hernig/Schwab, Schutz der Kinder im Straßenverkehr<br />

Kraftfahrzeug noch in Betrieb sein kann und durch <strong>die</strong> Streichung<br />

<strong>des</strong> Entlastungsbeweises der Halter grundsätzlich haftet.<br />

Er könnte sich allenfalls auf höhere Gewalt berufen. Der Begriff<br />

wird allerdings sehr eng ausgelegt. Ob das Beschädigen<br />

eines Fahrzeugs durch ein Kind, das sich dabei selbst verletzt,<br />

so großen Ausnahmecharakter 5 hat, mag angesichts der bislang<br />

bekannt gewordenen Fälle in der Rechtsprechung 6 mit sogar<br />

min<strong>des</strong>tens vier anhängigen Revisionsverfahren 7 bezweifelt<br />

werden. Wegen der umfassenden Haftungsprivilegierung<br />

<strong>des</strong> Kin<strong>des</strong> kommt auch keinerlei Mithaftung in Frage.<br />

3.2 Ansprüche <strong>des</strong> Autobesitzers<br />

Mit Berufung auf den ausdrücklichen Wortlaut <strong>des</strong> neu gefassten<br />

§ 828 Abs. 2 BGB, nach dem das Haftungsprivileg <strong>für</strong><br />

Kinder bis zum 10. Lebensjahr gegenüber Kraftfahrzeugen,<br />

Schienenbahnen und Schwebebahnen ohne Ausnahme 8 gilt,<br />

sind Ansprüche von geschädigten Autobesitzern zurückzuweisen.<br />

Zwar hatte der Gesetzgeber den motorisierten 9 Fahrzeugverkehr<br />

und damit auch den fließenden Verkehr im Auge, dennoch<br />

wurde <strong>die</strong> frühere Entwurfsfassung, in der es um den<br />

motorisierten Verkehr ging, nicht Gesetz. Elsner 10 sieht darin,<br />

dass sich der Gesetzgeber letztlich <strong>für</strong> eine umfassende Privilegierung<br />

von Kindern ausgesprochen hat, keine Möglichkeit, hier<br />

eine einengende Auslegung vorzunehmen. Zudem komme man<br />

zu Abgrenzungsschwierigkeiten, 11 falls ein Fahrzeug nicht geparkt<br />

ist, sondern nur verkehrsbedingt hält. 12 Das AG Münster 13<br />

hatte in wörtlicher Anwendung <strong>des</strong> § 828 Abs. 2 BGB Schadensersatzansprüche<br />

eines Autobesitzers abgewiesen. 14<br />

4. Teleologische Reduktion<br />

4.1 Ansprüche <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong><br />

Den Autoren sind bislang keine Fälle bekannt, in denen<br />

Minderjährige bis 10 Jahre Schadensersatzansprüche geltend<br />

gemacht haben, weil sie sich an einem ordnungsgemäß geparkten<br />

Fahrzeug verletzt 15 haben. Denkbar sind hier Fälle,<br />

in denen Kinder einem Ball nachlaufen und im Rennen nicht<br />

mehr rechtzeitig vor dem Hindernis – geparktes Fahrzeug –<br />

stoppen können, dagegen laufen und sich hierbei verletzen.<br />

Lemcke 16 sieht hierin einen Fall der höheren Gewalt, 17 da es<br />

keinen Unterschied machen könne, ob ein Kind gegen ein<br />

Fahrzeug, einen Baum oder eine Mauer laufe, da in dem speziellen<br />

Fall von dem Fahrzeug keine weitergehende Gefahr ausgeht,<br />

als von jedem anderen Gegenstand. Aus Sicht eines Erwachsenen<br />

erscheint <strong>die</strong>s auf den ersten Blick zutreffend. Mit<br />

den Augen eines Kin<strong>des</strong> wird sein Betätigungs- und Spielumfeld<br />

durch <strong>die</strong> verschieden Formen, Größen und auch Farben<br />

der unterschiedlichen Kraftfahrzeuge jeden Tag neu gestaltet.<br />

Entgegen dem Ansatz von Lemcke, der im Zusammenhang mit<br />

geparkten Fahrzeugen von statischen Gegenständen ausgeht,<br />

erleben und erfahren Kinder Fahrzeuge keinesfalls als statische<br />

Elemente, wie etwa einen Baum oder eine Mauer. Schon <strong>die</strong> bestehenden<br />

Grundsätze zur Annahme von höherer Gewalt würden<br />

beim Ansatz von Lemcke überschritten werden, denn<br />

<strong>die</strong>se Fälle sind vorhersehbar und auch nicht selten, weswegen<br />

ihnen kein besonderer Ausnahmecharakter 18 zukommt.<br />

402 | <strong>SVR</strong> 11/2004<br />

4.2 Ansprüche der Autobesitzer<br />

In der Literatur 19 wird vertreten, dass der Gesetzgeber bei der Gesetzesänderung<br />

nur den fließenden Verkehr vor Augen hatte,<br />

nicht aber auch den ruhenden Verkehr. Da sich entwicklungsbedingte<br />

Besonderheiten beim ruhenden Verkehr nicht auswirkten,<br />

entspräche <strong>die</strong> Anwendung auf den nicht motorisierten<br />

ruhenden Verkehr nicht der Ratio 20 <strong>des</strong> § 828 Abs. 2 BGB.<br />

Mehrere Instanzgerichte 21 beurteilen <strong>die</strong> Haftungssituation im<br />

ruhenden Verkehr so, wie sie vor der Gesetzesnovelle bestanden<br />

hat. Sie heben damit <strong>die</strong> im Gesetz niedergelegte Haftungsprivilegierung<br />

der Kinder bis zum 10. Lebensjahr auf.<br />

5. Vermittelnder Lösungsansatz<br />

Bei allen unterschiedlichen Rechtsauffassungen und Interessenlagen<br />

darf eines nicht entstehen: eine Polarisierung Kfz-<br />

Halter/Kind. Dies war auch <strong>die</strong> einhellige Meinung beim<br />

ADAC-Rechtsforum in München. 22<br />

5So wohl Lemcke, Gefährdungshaftung im Straßenverkehr unter Berücksichtigung<br />

der Änderungen durch das 2. SchadÄndG, zfs 2002, 318 (321)<br />

6 AG Sinsheim NJW 04, 453 = NZV 04, 146; LG Münster SP 04, 76; AG Husum,<br />

Urteil vom 24.11.2003 – 2 C 1130/03, besprochen von Schröder, <strong>SVR</strong> 04, 235;<br />

LG Heilbronn, Urteil vom 12.5.2004 – 1 S 9/04 St.<br />

7 BGH VI ZR 276/03 zu LG Bielefeld vom 20.8.2003 – 21 S 152/03; BGH VI ZR<br />

335/03 zu LG Trier vom 28.10.2003 – 1 S 104/03 (SP 04, 3 = r+s 04, 172 = VA<br />

04, 4); BGH VI ZR 345/03 zu LG Koblenz vom 30.10.2003 – 14 S 153/03 (NJW<br />

04, 858 = NZV 04, 362); BGH VI ZR 365/03 zu LG Duisburg vom 4.12.2003 – 12<br />

S 206/03.<br />

8 So wohl auch Spindler in Bamberger/Roth, Kommentar zum BGB, RN 9 zu<br />

§ 828 BGB.<br />

9 Bollweg, 2. Schadensersatzrechtsänderungegesetz: Regierungsentwurf vom<br />

24.9.2001, Sonderheft zfs 02, 1 (3).<br />

10 Elsner, Streitpunkte <strong>des</strong> neuen Schadensrechts, DAR 2004, 130 (134); derselbe,<br />

42. VGT 2004, 181<br />

11 So auch Wagner in Münchener Kommentar zum BGB, RN 6 zu § 828 BGB; Beispiel<br />

AG Ahaus NZV 04, 145.<br />

12 Weiterer Sonderfall <strong>für</strong> Abgrenzungsschwierigkeiten bei Huber, Das neue<br />

Schadensersatzrecht, 2003, S. 157, Rn 51.<br />

13 AG Münster, Urteil vom 18.7.2003 – 3 C 5875/02.<br />

14 Jedoch aufgehoben durch LG Münster SP 04, 76.<br />

15 Zur Theorie: Schirmer, Neues Schadensersatzrecht in der Praxis, DAR 04, 21 (22);<br />

zur Praxis: Lang/Stahl/Suchomel, Die Unfallregulierung nach neuem Schadensersatzrecht,<br />

NZV 03, 441 (445); Hellmuth, Dokumentation zum ADAC-<br />

RechtsForum „Kinderunfälle im Straßenverkehr – Haftung und Versicherung“,<br />

2004, 57.<br />

16 Lemcke, Gefährdungshaftung im Straßenverkehr unter Berücksichtigung der<br />

Änderungen durch das 2. SchadÄndG, zfs 02, 318 (321); so auch Heß/Jahnke,<br />

Das neue Schadenrecht, S. 18 u. 58; Huber, aaO, Rn 49; Dobring, 42. VGT<br />

2004, 170; anders Friedrich, Die Selbstaufopferung <strong>für</strong> Minderjährige im<br />

Straßenverkehr, NZV 04, (229); mit anderer Begründung Gebhardt, Das Kind<br />

als Opfer, MittBl der Arge VerkR, 04, 37.<br />

17 Neue Definitionen und Abgrenzungen <strong>für</strong> das Straßenverkehrsrecht fordert Steiger,<br />

Neuregelung schadensersatzrechtlicher Vorschriften, DAR 02, 377 (379); das<br />

LG Itzehoe übernimmt dagegen <strong>die</strong> gängige Definition <strong>für</strong> das Straßenverkehrsrecht,<br />

NJW-RR 03, 1465 (1466); <strong>für</strong> seltene Ausnahmefälle Budewig in<br />

Budewig/Gehrlein, Das Haftpflichtrecht nach der Reform, 1. Kapitel, Rn 127.<br />

18 Allgemein hierzu Himmelreich/Halm/Bücken, Kfz-Schadensregulierung,<br />

Rn 500.<br />

19 Lemcke aaO, zfs 02, 318 (324); Filthaut, 2. SchadÄndG und Bahnhaftung – Zweifelsfragen<br />

zum Begriff <strong>des</strong> „motorisierten Verkehrs“, NZV 03, 161; Oechsler in<br />

Staudinger, Kommentar zum BGB, §§ 826 – 829 BGB, Rn 4a zu § 828 BGB; <strong>für</strong><br />

eine differenzierende Einzelfallbetrachtung Haag in Geigel, Der Haftpflichtprozess,<br />

24. Aufl. 2004, 16. Kapitel, Rn 8; Heß/Buller, Der Kinderunfall und das<br />

Schmerzensgeld nach der Änderung <strong>des</strong> Schadensrechtes, zfs 03, 218 (220); Müller,<br />

Privilegierung von Kindern nach der Schadensersatzreform 2002, zfs 03, 433.<br />

20 Schröder, <strong>SVR</strong> 04, 235.<br />

21 AG Sinsheim NJW 04, 453 = NZV 04, 146; LG Trier SP 04, 3 = r+s 04, 172 = VA<br />

04, 4; LG Koblenz NJW 04, 858 = NZV 04, 362; LG Münster SP 04, 76; AG<br />

Husum, Urteil vom 24.11.2003 – 2 C 1130/03, besprochen von Schröder, <strong>SVR</strong><br />

04, 235; LG Heilbronn, Urteil vom 12.5.2004 – 1 S 9/04 St.<br />

22 Tagungsbericht, Hernig /Schwab, <strong>SVR</strong> 04, 358; ADAC, Juristische Zentrale,<br />

DAR 04, 552.


Nach unserer Auffassung sollte in den Fällen, in denen Kinder<br />

bis zum 10. Lebensjahr in Unfälle mit Fahrzeugen im ruhenden<br />

Verkehr verwickelt werden, weder dem sich selbst schädigenden<br />

Kind noch dem geschädigten Eigentümer <strong>des</strong> Fahrzeugs<br />

ein Schadensersatzanspruch zustehen.<br />

5.1 Gründe, dem Kind Ansprüche gegen den Fahrzeughalter zu<br />

versagen<br />

Es ist in der Tat nicht nachzuvollziehen, dass jemand nur <strong>des</strong>wegen<br />

haften soll, weil er einen Gegenstand in den öffentlichen<br />

Verkehrsraum einbringt, von dem eine potentielle Gefahr<br />

ausgehen kann, aber in der konkreten Situation offenkundig<br />

nicht ausgeht. Bei einem ordnungsgemäß 23 abgestellten Fahrzeug<br />

ist <strong>die</strong>s der Fall. Ob ein Fahrzeug geparkt ist, oder ob nur<br />

ein verkehrsbedingtes Halten vorliegt, lässt sich leicht unterscheiden.<br />

Es ist somit der Auffassung von Lemcke 24 zu folgen,<br />

<strong>die</strong>se speziellen, aber nicht seltenen Fälle differenziert 25 zu behandeln.<br />

Auch wenn bei dem ADAC-RechtsForum zum Thema Kinderunfall<br />

26 kaum Fälle bekannt waren, in denen Kinder Ansprüche<br />

geltend gemacht haben, so ist doch davon auszugehen, dass<br />

sich Kinder bei der Beschädigung von Fahrzeugen häufig selbst<br />

verletzen. Hier jedoch höhere Gewalt und somit den Haftungsausschluss<br />

nach § 7 Abs. 2 StVG begründen zu wollen, geht zu<br />

weit. Andererseits wäre es schon grotesk, 27 andere <strong>für</strong> eine<br />

Selbstschädigung zur Haftung heranzuziehen. Dies käme einer<br />

Garantenpflicht von Autobesitzern gegenüber Kindern gleich.<br />

Es bieten sich zwei Lösungswege an, eine Haftung <strong>des</strong> Fahrzeughalters<br />

doch noch auszuschließen:<br />

5.1.1 Begriff der Betriebsgefahr 28<br />

Ein Weg wäre es, den Begriff der Betriebsgefahr noch einmal<br />

zu überdenken und zu überlegen, ob entgegen der bestehenden<br />

herrschenden 29 Rechtsauffassung der ruhende Verkehr<br />

insgesamt auszunehmen ist. 30<br />

5.1.2 Treu und Glauben<br />

Der andere Weg kann nur nach § 242 BGB über den Grundsatz<br />

von Treu und Glauben 31 gehen. Bedenkt man, dass <strong>die</strong><br />

Zahl der Fälle, in denen <strong>für</strong> Kinder Ansprüche aus selbstverursachten<br />

Unfällen geltend gemacht werden verschwindend<br />

gering sind, 32 so spiegelt <strong>die</strong>s das natürliche Rechtsempfinden<br />

in der Bevölkerung wider. Im Ergebnis ist es rechtsmissbräuchlich,<br />

33 auf <strong>die</strong> Durchsetzung von Ansprüchen zu bestehen,<br />

<strong>die</strong> letztlich nur auf dem Reflex weiter Auslegung der<br />

Betriebsgefahr auch auf den ruhenden Verkehr, beruhen. Auch<br />

wenn keine vertragliche Ebene gegeben ist, so liegt in der<br />

Teilnahme am Straßenverkehr, gestattet durch <strong>die</strong> Erziehungsberechtigten,<br />

eine Beziehung unter den Verkehrsteilnehmern<br />

vor, da von jedem ohne Alterseinschränkung eine<br />

entsprechende Rücksichtnahme gefordert werden kann.<br />

5.2 Ansprüche <strong>des</strong> Autobesitzers und <strong>die</strong> Folgen<br />

Bei der Diskussion, ob eine teleologische Reduktion <strong>des</strong> § 828<br />

Abs. 2 BGB auf den motorisierten bzw. fließenden Verkehr ge-<br />

Hernig/Schwab, Schutz der Kinder im Straßenverkehr | AUFSÄTZE<br />

recht sei, werden schnell <strong>die</strong> Auswirkungen <strong>für</strong> den Autobesitzer<br />

und das Kind vergessen.<br />

5.2.1 Folgen <strong>für</strong> den Autobesitzer, falls man seine Ansprüche versagt<br />

Hält man am Wortlaut fest, geht der Fahrzeugeigentümer leer<br />

aus, hat er doch keinen Anspruch gegen das Kind.<br />

Er ist jedoch in der Lage, den drohenden wirtschaftlichen<br />

Schaden durch den Abschluss einer Vollkaskoversicherung 34<br />

zu mildern. Zwar bleibt er auf der Selbstbeteiligung sitzen<br />

und wird zudem in seinem Schadensfreiheitsrabatt schlechter<br />

gestellt, kann weder Mietwagenkosten oder Nutzungsausfall,<br />

weder <strong>die</strong> Kostenpauschale noch <strong>die</strong> Rechtsanwaltskosten<br />

geltend machen; dennoch führt <strong>die</strong>s noch nicht zu seinem<br />

wirtschaftlichen Ruin.<br />

5.2.2 Gründe, dem Autobesitzer den Anspruch gegen das Kind<br />

zu versagen<br />

Wer sein Fahrzeug in einem Wohngebiet parkt, muss mit Kindern<br />

rechnen. So auch insbesondere an Schulen, Kindergärten<br />

und Freizeiteinrichtungen, wie Turnhallen, Sportplätzen<br />

und Schwimmbädern. Oftmals wird zudem noch gesondert<br />

mit dem Gefahrenzeichen 136 auf Kinder hingewiesen. Dies<br />

gilt noch intensiver, wenn eine Straße als Spielstraße ausgewiesen<br />

ist. Insbesondere an <strong>die</strong>sen Orten müssen Kraftfahrer<br />

mit Kindern rechnen und zwar nicht nur dann, wenn sie <strong>die</strong><br />

Straße befahren, 35 sondern auch und gerade, wenn sie ihr<br />

Fahrzeug in <strong>die</strong>ser Straße parken. Die Fahrzeugbesitzer gehen<br />

folglich bewusst mit ihrem Fahrzeug das Risiko ein, dass es hier<br />

zu einem Kontakt zwischen Kind und Auto kommen kann.<br />

23 Daher nicht vergleichbar der Unfall auf der Trabrennbahn, bei dem ein in Panik<br />

geratenes Pferd gegen ein ordnungswidrig abgestelltes Fahrzeug lief, BGH NZV<br />

95, 19 f.<br />

24 Lemcke, aaO, zfs 02, 318 (321).<br />

25 Haag in Geigel, Der Haftpflichtprozess, 24. Aufl. 2004, 16. Kapitel, Rn 8.<br />

26 Siehe Tagungsbericht, Hernig /Schwab, <strong>SVR</strong> 04, 358 und ADAC, Juristische<br />

Zentrale DAR 04, 552.<br />

27 Groteskfall in Teilungsabkommen zwischen Haftpflichtversicherern und z.B.<br />

Krankenkassen schließt <strong>die</strong> Anwendung <strong>des</strong> Abkommens aus. Ein Groteskfall<br />

liegt vor, wenn ein noch so verwegener Anspruchsteller nicht auf den Gedanken<br />

kommen würde, eine Klage gegen den „Schädiger“ zu erheben, BGH VersR 83,<br />

771 = DAR 83, 323 = zfs 83, 302; BGH VersR 84, 889 (890) = zfs 84, 332;<br />

Becker/Böhme/Biela, Kraftverkehrshaftpflichtschäden, 22. Aufl. 2004, Rn O 12;<br />

AG Frankfurt VersR 99, 1256 mit Anm. von Engelbrecht.<br />

28 Insbesondere Himmelreich/Halm/Bücken, a.a.O, Rn 417a ff.<br />

29 BGHZ 115, 84 = NJW 91, 2568 Schutzzweck der Norm, verneint bei Panikreaktionen<br />

von Zuchtschweinen nach Unfallknall; BGH NZV 95, 19; Hentschel,<br />

Änderungen im Haftungsrecht <strong>des</strong> Straßenverkehrs durch das Zweite Gesetz<br />

zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften vom 19.7.2002, NZV 02,<br />

433 (434).<br />

30 So Kunschert in Geigel, Der Haftpflichtprozess, 24. Aufl. 2004, 25. Kapitel, Rn 185.<br />

31 So wohl auch Lang/Stahl/Suchomel, Die Unfallregulierung nach neuem<br />

Schadensersatzrecht, NZV 03, 441 (444).<br />

32 Lang/Stahl/Suchomel, Die Unfallregulierung nach neuem Schadensersatzrecht,<br />

NZV 03, 441 (445).<br />

33 Beispiel <strong>für</strong> umgekehrten Fall <strong>des</strong> Rechtsmissbrauchs: Autovermieter lässt verbotswidrig<br />

(damals noch mit 18 1/2 Jahren) Minderjährigen fahren und nimmt<br />

ihm nach Unfall in Anspruch, OLG Stuttgart NJW 69, 612 (614).<br />

34 Heß/Buller, Der Kinderunfall und das Schmerzensgeld nach der Änderung <strong>des</strong><br />

Schadensrechtes, zfs 03, 218 (219); Roth, in Urteilsbesprechung OLG Schleswig<br />

vom 18.12.2002 – 9 U 63/01. PVR 03, 154 (156); Jaeger/Luckey, Das neue<br />

Schadenersatzrecht, Rn 303; zur Unfallvorsorge bereits BGH NJW 79, 2096<br />

(2097).<br />

35 Aufzählung mit Erläuterung auch bei Budewig in Budewig/Gehrlein, Das Haftpflichtrecht<br />

nach der Reform, 9. Kapitel, Rn 24 ff.<br />

<strong>SVR</strong> 11/2004 | 403


AUFSÄTZE | Hernig/Schwab, Schutz der Kinder im Straßenverkehr<br />

Fraglich ist, ob sich <strong>die</strong>se Fälle nicht eher mit Herausforderungsfällen<br />

36 vergleichen lassen. Ist der Autobesitzer wirklich<br />

nur Opfer? Gerade Kinder im Alter von 7 bis 10 Jahren interessieren<br />

sich sehr <strong>für</strong> <strong>die</strong> optischen Anreize eines besonders<br />

auffälligen Fahrzeugs, etwa eines Sportwagens. Sie fahren dann<br />

schnell mal auf dem Fahrrad mit den Freunden zu dem geparkten<br />

Wagen und schauen auf den Tacho, da <strong>die</strong>ses Auto<br />

doch besonders schnell sein muss. Beschädigen sie bei der Befriedigung<br />

der geweckten Neugier in Ihrem Tatendrang mit<br />

dem Fahrradlenker den Lack oder den Spiegel, sollen sie dann<br />

da<strong>für</strong> aufkommen müssen?<br />

5.2.3 Folgen <strong>für</strong> das Kind sind nicht nur finanzieller Natur<br />

Wer ein Fahrzeug unterhält, hat auch meistens das nötige<br />

Einkommen hier<strong>für</strong> zur Verfügung. Kinder im Alter zwischen<br />

7 und 10 Jahren verfügen noch über kein Einkommen und<br />

dürfen gar nicht arbeiten, 37 um sich selbiges zu verschaffen.<br />

Hohe Fahrzeugwerte fordern schnell hohe Reparaturkosten.<br />

Hinzu kommen <strong>die</strong> oftmals sehr hohen Nebenkosten bei einem<br />

Schaden. Gutachterkosten, Kosten der Fahrzeugverbringung<br />

zum Lackieren, Nutzungsausfall oder Mietwagenkosten<br />

und auch <strong>die</strong> Anwaltskosten lassen <strong>die</strong> Schadenssumme<br />

beträchtlich wachsen. Da reicht das Taschengeld vielleicht<br />

gerade noch aus, <strong>die</strong> Kostenpauschale zu bezahlen.<br />

In jedem Falle würde man aber auf das Ersparte <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong><br />

zurückgreifen müssen. Aber auch <strong>die</strong>s würde oft nicht viel<br />

weiterhelfen, denn im Rahmen von Hartz IV wurde bekannt,<br />

dass das Durchschnittssparvermögen 38 der Kinder vom 6. bis<br />

zum 13. Lebensjahr gerade einmal 612 EUR beträgt. Bei den<br />

hier interessierenden 7- bis 10-jährigen Kindern dürfte das Ersparte<br />

noch niedriger sein.<br />

Die Streitwerte der bekannt gewordenen Verfahren sind oftmals<br />

jedoch um ein Vielfaches höher:<br />

Streitwert in EUR 1. Instanz 2. Instanz Revision<br />

ca. 310,00 AG Husum<br />

528,30 AG Ahaus<br />

1.060,97 AG Münster LGMünster,<br />

“nur“ noch<br />

EUR 832,41<br />

1.227,00 AG Marburg<br />

1.904,16 AG Saarburg LG Trier BGH VI<br />

ZR 335/03<br />

1.948,49 AG Sinsheim<br />

2.578,92 AG Heilbronn LG Heilbronn<br />

unbekannt unbekannt LG Bielefeld BGH VI<br />

ZR 276/03<br />

unbekannt unbekannt LG Koblenz BGH VI<br />

ZR 345/03<br />

unbekannt unbekannt LG Duisburg BGH VI<br />

ZR 365/03<br />

404 | <strong>SVR</strong> 11/2004<br />

Angesichts der Tatsache, dass auch bei Hartz IV nun eingelenkt<br />

und Kindern ihr Sparbuch mit einer unantastbaren Höhe von<br />

4.850 EUR 39 belassen wurde, erscheint es wenig sinnvoll, dem<br />

geschädigten Autobesitzer den Zugriff auf <strong>die</strong>ses zum Zwecke<br />

der Armutsprävention verschonte Vermögen zugreifen zu<br />

lassen. Kinder könnten andernfalls durch Unfälle in <strong>die</strong> Armutsfalle<br />

40 geraten. Dies hat bereits das AG Münster 41 erkannt<br />

und versucht, <strong>die</strong> Minderjährigen ausdrücklich vor ruinösen<br />

Schadensersatzforderungen zu schützen. Dabei hat das AG<br />

Münster aus der Perspektive <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong> wohl zu recht angenommen,<br />

dass hier<strong>für</strong> bereits ein Streitwert von 1.060,97 EUR<br />

ausreicht. Schließlich kommen ja auch noch 5 % Zinsen über<br />

dem Basiszinssatz und <strong>die</strong> Verfahrenskosten hinzu.<br />

Da <strong>die</strong> Kinder kaum den vollen Betrag bezahlen können und<br />

über Jahre oder gar mehr als ein Jahrzehnt mit Schulden und<br />

wachsenden Zinsen rechnen müssen, ist auch der Gläubiger<br />

gehalten durch entsprechen<strong>des</strong> Anerkenntnis oder per Mahnbescheid<br />

seine Forderung vor der Verjährung zu schützen. In<br />

wirtschaftlich schlechten Zeiten steigen zudem <strong>die</strong> Zwangsmaßnahmen<br />

gegen Privatpersonen. 42<br />

Wenn man sich <strong>die</strong> Zahlen verdeutlicht, so wird man sich<br />

fragen müssen, ob es dann noch angemessen ist, <strong>für</strong> den teuren<br />

Lackschaden am Blech, <strong>die</strong> Entwicklung eines Kin<strong>des</strong> zu behindern.<br />

Es dürfte klar sein, dass sich Kinder mit dem Ersparten kleine<br />

Wünsche erfüllen, an einer Klassenfahrt oder Jugendfreizeit<br />

teilnehmen können und auch mit dem Ersparten den Umgang<br />

mit Geld lernen. Wird ihm <strong>die</strong>s weggenommen, werden ihm<br />

auch Entwicklungschancen weggenommen. Da hilft ein Verweis<br />

von Müller 43 auf <strong>die</strong> Insolvenzrechtsreform mit Restschuldbefreiung<br />

wenig. Wie sollen das Kind oder <strong>die</strong> Eltern<br />

<strong>die</strong>s praktikabel handhaben?<br />

Unter Berücksichtigung aller Umstände und im Interesse eines<br />

besseren Schutzes der Kinder, gelangen wir zu der Überzeugung,<br />

dass keiner vom anderen etwas fordern solle. Dies entspricht<br />

unserer Auffassung von Billigkeit sowohl aus der Sicht<br />

<strong>des</strong> einen als auch <strong>des</strong> anderen am Unfall Beteiligten. Wir<br />

plä<strong>die</strong>ren daher <strong>für</strong> eine Billigkeits-Nicht-Haftung.<br />

6. Ventillösung durch Billigkeitshaftung<br />

nach § 829 BGB?<br />

Im Bestreben, den geschädigten Fahrzeughalter zu entlasten,<br />

wird über eine großzügigere Anwendung der Billigkeitshaftung<br />

36 Teichmann in Jauernig, Kommentar zum BGB, Rn 28 zu § 823 BGB.<br />

37 „Manche treibt <strong>die</strong> Lust zum Luxus, manche <strong>die</strong> schiere Not – 700.000 Kinder<br />

gehen arbeiten/Experten streiten über Sinn und Gefahren“, Wiesbadener Kurier<br />

vom 1. 9.2004, Seite13.<br />

38 Kids Verbraucheranalyse 2004 – KVA – Egmont Ehapa Verlag, Mitteilung im<br />

Wiesbadener Kurier vom 6.8.2004.<br />

39 Derzeitiger Stand <strong>des</strong> Freibetrages http://www.bun<strong>des</strong>regierung.de/Politikthemen/Arbeitslosengeld-II-Hartz-IV-,11889/Vermoegen-und-Einkommen.htm<br />

#Sparbücher.<br />

40 (www.kursbuch-schuldenpraevention.de).<br />

41 AG Münster, Urteil vom 18.7.2003 – 3 C 5875/02, aufgehoben durch LG Münster<br />

SP 04, 76.<br />

42 „Schuldner vor Gericht, Gläubiger greifen bei Privatpersonen durch“, Wiesbadener<br />

Kurier vom 1.9.2004, Seite 27.<br />

43 Hans-Friedrich Müller, Privilegierung von Kindern nach der Schadensersatzrechtsreform<br />

02, zfs 2002, 433 (435).


nachgedacht. In <strong>die</strong>sem Zusammenhang wird auch erwogen,<br />

immer dann Zugeständnisse zu machen, wenn in der bestehenden<br />

Privathaftpflichtversicherung das mitversicherte<br />

Kind Deckung erfährt. 44<br />

Derartigen Bestrebungen 45 ist jedoch entgegenzuwirken. 46<br />

Nach der ständigen Rechtsprechung <strong>des</strong> BGH 47 begründet 48<br />

das Bestehen eines Haftpflichtversicherungsvertrages keinen<br />

Anspruch aus der Billigkeitshaftung. Eine Aufweichung der Regelung<br />

hat nach zutreffender Auffassung <strong>des</strong> LG Heilbronn 49<br />

der Gesetzgeber im Rahmen der Novellierung unterlassen.<br />

7. Ventillösung durch eine Ausweitung<br />

der Aufsichtspflicht?<br />

Die Anforderungen an <strong>die</strong> Aufsichtspflicht der Eltern zu verschärfen,<br />

50 ist ebenfalls kein geeignetes Mittel. 51 Kinder<br />

brauchen Freiräume, sich kindgerecht langsam entwickeln zu<br />

können. Eine totale Kontrolle der Kinder, auf <strong>die</strong> es dann hinauslaufen<br />

würde, kann von niemandem ernsthaft gewünscht<br />

werden und ist gesellschaftspolitisch 52 verfehlt, da letztlich<br />

kinderfeindlich.<br />

8. Ventillösung durch Angebote der Versicherungswirtschaft<br />

8.1 Verzicht auf Höherstufung bei der Vollkaskoversicherung<br />

Sicherlich ist es bequem und nahe liegend, den Fahrzeugschaden<br />

über <strong>die</strong> eigene Versicherung regulieren zu lassen,<br />

ohne auch noch da<strong>für</strong> eine höhere Prämie im nächsten Jahr<br />

zahlen zu müssen. Für den Versicherer und letztlich <strong>die</strong> Versichertengemeinschaft<br />

und Prämienzahler bedeutet <strong>die</strong>s aber<br />

ein nicht unerhebliches Risiko. Manipulationen bei der Sachverhaltsdarstellung<br />

und der Geltendmachung unberechtigter<br />

Forderungen könnte mit solch einer Lösung Tür und Tor geöffnet<br />

werden. Im Ergebnis müsste <strong>die</strong>s über Beitragserhöhungen<br />

wieder hereingeholt werden. 53 Der ehrliche<br />

Beitragszahler zahlt dann den Schaden mit. Darüber hinaus<br />

widerspricht ein solches Vorgehen der anerkannten und bewährten<br />

Praxis.<br />

Schließlich hat <strong>die</strong> Rückstufung beim Schadensfreiheitsrabatt<br />

auch präventive Bedeutung. Der Fahrzeughalter wird sich erwartungsgemäß<br />

sorgfältiger darum kümmern, wo genau er<br />

sein Fahrzeug abstellt und damit dem Risiko einer Beschädigung<br />

aussetzt.<br />

8.2 Regulierung der Privathaftpflichtversicherung auch<br />

ohne Anspruch gegen das Kind<br />

In der privaten Haftpflichtversicherung sind derartige Fallgestaltungen<br />

auch aus anderen Zusammenhängen bekannt. 54<br />

Immer da, wo es um Gefälligkeitsverhältnisse oder Schäden<br />

durch Kinder bei Nachbarn oder Verwandten geht, besteht<br />

ein gewisser Bedarf, auch ohne Haftung Schäden im Rahmen<br />

einer Art Kulanz zu regulieren. Genau in <strong>die</strong>sen Fällen mit der<br />

besonderen Nähebeziehung 55 zwischen Schädiger und Ge-<br />

Hernig/Schwab, Schutz der Kinder im Straßenverkehr | AUFSÄTZE<br />

schädigtem kann es zu erheblichen Spannungen und Zerwürfnissen<br />

kommen, wenn der Schaden nicht reguliert wird.<br />

Das weitere gedeihliche Zusammenleben mit den Nachbarn<br />

und Verwandten kann hierdurch gefährdet sein. Für <strong>die</strong>sen<br />

Fall besteht bei einigen 56 Gesellschaften <strong>die</strong> Möglichkeit, sich<br />

im Rahmen der privaten Haftpflichtversicherung zusätzlich zu<br />

versichern. Hierbei lassen sich bis zu meist 3.000 EUR je Fall<br />

Schäden versichern, <strong>die</strong> der Haftpflichtversicherer auch ohne<br />

Haftung <strong>des</strong> Versicherungsnehmers, aber auf <strong>des</strong>sen ausdrücklichen<br />

Wunsch hin reguliert.<br />

In der Mehrzahl der Fälle mit geparkten Fahrzeugen, wird es<br />

genau auf <strong>die</strong>se Situation ankommen, in der ein Fahrzeug im<br />

Wohnviertel geparkt und vom Nachbarkind beschädigt wird.<br />

In <strong>die</strong>sem Zusammenhang sei auf den typischen Fall <strong>des</strong> AG<br />

Sinsheim 57 hingewiesen, bei dem ebenfalls ein Nachbarkind<br />

den Schaden verursachte. Der Streitwert belief sich im dortigen<br />

Fall auf 1.948,49 EUR und liegt wie alle anderen bekannt<br />

gewordenen Streitwerte unter der von der Versicherungswirtschaft<br />

favorisierten Höchstentschädigung von 3.000 EUR.<br />

Der Appell von Jung 58 an <strong>die</strong> Versicherungswirtschaft, hier<br />

eine spezielle Lösung in der Haftpflichtversicherung zu schaffen,<br />

sollte gehört werden. Ein verbreiterter Versicherungsschutz,<br />

wie oben dargestellt, sollte verstärkt angeboten werden.<br />

59 Die zu erwartenden Reaktionen auf <strong>die</strong> in Kürze<br />

anstehenden Entscheidungen <strong>des</strong> BGH zu der Thematik könnten<br />

hier<strong>für</strong> verstärkt Veranlassung geben.<br />

9. Pflichtversicherung <strong>für</strong> Schäden durch Kinder?<br />

Es ist richtig und gut, <strong>die</strong> Angebote der Versicherungswirtschaft<br />

zu nutzen und den Versicherungsschutz in der Form zu<br />

44 Huber, Das neue Schadensersatzrecht, 2003, S. 163, Rn 77; zweifelnd Jaeger/Luckey,<br />

Das neue Schadenersatzrecht, Rn 307 f.; in grundsätzlicher Erwägung AG Münster,<br />

Urteil vom 18.7.2003 – 3 C 5875/02.<br />

45 Wolf, Billigkeitshaftung statt überzogener elterlicher Aufsichtspflichten – ein erneutes<br />

Plädoyer <strong>für</strong> <strong>die</strong> Anwendung <strong>des</strong> § 829 BGB aufgrund einer Haftpflichtversicherung,<br />

VersR 98, 812.<br />

46 Siehe auch Budewig in Budewig/Gehrlein, Das Haftpflichtrecht nach der Reform,<br />

9. Kapitel, Rn 15; Müller, Privilegierung von Kindern nach der Schadensersatzrechtsreform<br />

2002, zfs 03, 433 (434); Diehl, zfs 03, 444; AG Ahaus NZV<br />

04, 145 (146).<br />

47 BGH NJW 79, 2096 (2097); AG Marburg zfs 03, 443.<br />

48 Schmidt, Kinderschutz im Schadenrecht, SP 03, 52 (54); Roth, in Urteilsbesprechung<br />

OLG Schleswig vom 18.12.2002 – 9 U 63/01. PVR 03, 154 (156).<br />

49 LG Heilbronn NJW 04, 2391.<br />

50 Zum Problem Jaeger/Luckey, Das neue Schadensersatzrecht, Rn 304; Pardey, Aufsichts-<br />

und Schutzpflichten zur Teilnahme von Kindern am Straßenverkehr,<br />

DAR 01, 1 (7).<br />

51 Mit Nachdruck Gebhardt, Dokumentation zum ADAC-RechtsForum „Kinderunfälle<br />

im Straßenverkehr – Haftung und Versicherung“, 04, 52 ff.; Heß/Jahnke,<br />

Das neue Schadenrecht, S. 61.<br />

52 Schmintowski, Pflicht einer Privathaftpflichtversicherung <strong>für</strong> Schäden durch<br />

Kinder?, ZRP 03, 391 (393).<br />

53 Zur bereits bestehenden Mehrbelastung siehe Pfeiffer, Das neue Schadensersatzrecht<br />

und <strong>die</strong> Kosten <strong>für</strong> <strong>die</strong> Kfz-Versicherer, VW 03, 1312 ff.<br />

54 Hunger in Halm/Engelbrecht/Krahe, Handbuch <strong>des</strong> Fachanwalts Versicherungsrecht,<br />

24. Kapitel, Rn 42 und 43.<br />

55 Gewisse Parallelen hierzu bieten im Ansatz das Familienprivileg nach § 116<br />

Abs. 6 SGB X, der Haftungsausschluss nach den §§ 104 ff. SBG VII und § 67<br />

Abs. 2 VVG.<br />

56 Schwintowski, Pflicht einer Privathaftpflichtversicherung <strong>für</strong> Schäden durch<br />

Kinder?, ZRP 03, 391 (393) mit verwies auf den LVM in Münster; so aber auch<br />

Allianz, HUK-Coburg und R+V Versicherung.<br />

57 AG Sinsheim NJW 04, 453 = NZV 04, 146.<br />

58 Appell von Jung auf 3. Karlsruher Rechtsgespräch: „Unfallrisiko – zahlt das Opfer<br />

<strong>die</strong> Zeche?“, Tagungsbericht Hindenlang, DAR 04, 357 (359).<br />

59 So auch Schirmer, Zwangshaftpflichtversicherung <strong>für</strong> Kinder?, DAR 04, 509.<br />

<strong>SVR</strong> 11/2004 | 405


AUFSÄTZE | Grüneberg, Das neue Schadensrecht im Lichte der Rechtsprechung<br />

ergänzen. In dem Falle spart man sich Ärger und Feindseligkeiten<br />

in Nachbarschaft und im Verwandtenkreis. Unserer<br />

Auffassung nach besteht aber dennoch keine Notwendigkeit,<br />

eine Pflichtversicherung <strong>für</strong> Schäden durch Kinder einzuführen,<br />

60 wie <strong>die</strong>s teilweise gefordert 61 wird. Dies wäre erst dann<br />

in den obigen Fällen zu diskutieren, wenn man eine Haftung<br />

der Kinder bejaht. Zudem ist zweifelhaft, ob es hier gelingt,<br />

einen lückenlosen Schutz zu gewährleisten. Ab welchem Alter<br />

soll denn <strong>die</strong> Pflichtversicherung abgeschlossen werden?<br />

10. Fazit<br />

Kinder sind kein störender Fremdkörper in der von uns Erwachsenen<br />

geschaffenen motorisierten Gesellschaft, sondern<br />

ein wesentlicher Teil zu deren Erhalt auch <strong>für</strong> <strong>die</strong> Zukunft. Sie<br />

sollten nicht als schädlicher Faktor zur Zerstörung unserer<br />

finanziellen Eigeninteressen, sondern müssen als Bereicherung<br />

unseres Gemeinwesens angesehen werden. Hier<strong>für</strong> sind Ein-<br />

406 | <strong>SVR</strong> 11/2004<br />

griffe, auch wenn sie den einzelnen Autobesitzer schmerzen,<br />

hinzunehmen. Sie treiben ihn weder in den Ruin, noch wird<br />

dadurch sein weiteres Fortkommen bedeutend beeinträchtigt.<br />

Hingegen kann eine Schadensersatzforderung das gerade sich<br />

entwickelnde Kind derart belasten, dass nicht nur seine Entwicklung<br />

gestört wird, sondern auch eine Benachteiligung unbelasteten<br />

Kindern gegenüber erfolgt. Quasi vom Start weg haben<br />

solche Kinder ein ewiges Nachsehen. Dies kann nicht nur<br />

nicht das Interesse <strong>des</strong> Gesetzgebers sein, sondern muss auch<br />

jedem Erwachsenen, ob Elternteil oder nicht, einleuchten. Wir<br />

be<strong>für</strong>worten daher <strong>die</strong> Billigkeits-Nicht-Haftung.<br />

60 Ebenso wohl Huber, aaO S. 160, Rn 67 mit Hinweis auf das Unterlassen <strong>des</strong> Gesetzgebers;<br />

Hans-Friedrich Müller, Privilegierung von Kindern nach der Schadensersatzrechtsreform<br />

2002, zfs 02, 433 (435); Schirmer, Zwangshaftpflichtversicherung<br />

<strong>für</strong> Kinder?, DAR 04, 509.<br />

61 Pardey, Aufsichts- und Schutzpflichten zur Teilnahme von Kindern am Straßenverkehr,<br />

DAR 01, 1 (7) und Pardey, Gesteigerter Schutz von Kindern bei der<br />

Teilnahme im Straßenverkehr, DAR 98,1 (7); Herbert Müller, 36. VGT 1998, 235;<br />

Schwintowski, Pflicht einer Privathaftpflichtversicherung <strong>für</strong> Schäden durch<br />

Kinder?, ZRP 03, 391 (394); Friedrich, Die Selbstaufopferung <strong>für</strong> Minderjährige<br />

im Straßenverkehr und <strong>die</strong> Haftung nach dem zweiten Gesetz zur Änderung<br />

schadensersatzrechtlicher Vorschriften, NZV 04, 227 (231).<br />

Das neue Schadensrecht im Lichte der Rechtsprechung<br />

Eine erste Bilanz<br />

Richter am OLG Dr. Christian Grüneberg, Bonn<br />

1. Das Zweite Gesetz zur Änderung schadenersatzrechtlicher<br />

Vorschriften<br />

Die mit dem Zweiten Gesetz zur Änderung schadensersatzrechtlicher<br />

Vorschriften vom 19. Juli 2002 1 verbundenen Neuerungen<br />

haben eine Vielzahl von offenen Fragen entstehen<br />

lassen. Der 42. Verkehrsgerichtstag 2004 in Goslar hat sich<br />

mit der Thematik in seinem Arbeitskreis V befasst. 2 Gut zwei<br />

Jahre nach dem Inkrafttreten <strong>des</strong> Änderungsgesetzes am 1. August<br />

2002 soll auf der Grundlage der hierzu ergangenen Rechtsprechung<br />

eine erste Bilanz gezogen werden. Dabei zeigt sich,<br />

dass <strong>die</strong> Mehrzahl der (vermeintlichen) Streitfragen in der<br />

Praxis bereits sachgerecht gelöst worden sind, andere allerdings<br />

noch einer höchstrichterlichen Entscheidung harren.<br />

2. Umsatzsteuer (§ 249 Abs. 2 Satz 2 BGB)<br />

Nach neuem Recht wird bei der Regulierung von Sachschäden<br />

gemäß § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB <strong>die</strong> Umsatzsteuer nur noch erstattet,<br />

wenn und soweit sie tatsächlich angefallen ist. Die in<br />

§ 249 Abs. 2 Satz 1 BGB zugelassene fiktive Schadensberechnung<br />

gilt insoweit also nicht.<br />

2.1. Anwendungsbereich<br />

Die Vorschrift <strong>des</strong> § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB erfasst alle Sachverhalte<br />

der Restitution, somit auch den Fall eines wirtschaftlichen<br />

Totalschadens. Die amtliche Begründung 3 hatte<br />

ausdrücklich auf <strong>die</strong> ständige Rechtsprechung <strong>des</strong> BGH<br />

Bezug genommen, nach der <strong>die</strong> Beschaffung eines gleichartigen<br />

und gleichwertigen Ersatzfahrzeugs ein Fall der Naturalrestitution<br />

(§ 249 BGB) und nicht der Kompensation (§ 251<br />

BGB) ist und somit von § 249 Abs. 2 BGB miterfasst wird. 4 Erwartungsgemäß<br />

hat <strong>des</strong>halb der BGH mit Urteil vom 20. April<br />

2004 <strong>die</strong>se Rechtsprechung auch <strong>für</strong> das neue Recht bestätigt<br />

und entgegenstehenden Literaturmeinungen eine klare Absage<br />

erteilt. 5 Nur wenn wegen Unmöglichkeit der Restitution,<br />

etwa bei einem Unikat oder einem Oldtimer, gemäß § 251 BGB<br />

das Wertinteresse zu ersetzen ist, dürfte § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB<br />

unanwendbar sein.<br />

1 BGBl. I S. 2674.<br />

2 Siehe Tagungsband und Tagungsberichte in <strong>SVR</strong> 2004, 78; NZV 2004, 122;<br />

DAR 2004, 133.<br />

3BT-Drs. 14/7752 S. 13, 23.<br />

4 BGH NJW 1976, 1396; NJW 1984, 2282; NJW 1992, 302.<br />

5 BGH NJW 2004, 1943 = NZV 2004, 341 m. w. Nachw. (Anm. Müller <strong>SVR</strong> 2004,<br />

303); bestätigt durch BGH NJW 2004, 2086 = NZV 2004, 395.

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