Klimawandel – Faktum oder Spuk? - OPUS - Friedrich-Alexander ...

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23.01.2013 Aufrufe

Alles Theater? Mediengesellschaft als Inszenierungsgesellschaft Handlung gibt, gibt es in der Vorführung zwei: die gezeigte Handlung und die zeigende Handlung (oder die Handlung des Zeigens).“ 6 Menke führt in dieser Passage gleich zwei Besonderheiten des Theaters an: 1. Im Theater ereignen sich immer gleichzeitig zwei Handlungen: die Handlung und die zeigende Handlung; die Handlung, die vorgeführt wird, und die Handlung des Vorführens. Das ist die charakteristische Doppelung, die sich in fast allen Definitionen des Theaters findet. Der Schauspieler trinkt ein Glas Wasser, aber gleichzeitig zeigt er mir auch etwas: dass er nämlich ein Glas Wasser trinkt. Auch dieses Zeigen ist eine Handlung eine zweite Handlung, neben der vorgeführten Handlung. 2. Im Theater wird mit der Handlung, die gezeigt wird, nicht der sonst mit dieser Handlung verbundene Zweck verfolgt. Wenn der Schauspieler auf der Bühne ein Glas Wasser trinkt, tut er das nicht, um seinen Durst zu löschen. Wenn der Schauspieler auf der Bühne einen Mord vorführt, wird nicht wirklich gestorben. Wenn der Schauspieler auf der Bühne jemanden küsst, ist er nicht wirklich verliebt. Diese Suspendierung des gewohnten Zwecks einer Handlung, und die damit verbundene Betonung der Form der Handlung, macht das Spielerische des Theaters aus. Im Theater wird gespielt; Theater ist ein Spiel; beide Seiten, Akteure und Zuschauer, wissen, dass sie in ein Spiel verwickelt sind. Hierin liegt ein Unterschied zu den politischen Inszenierungen, die wir tagtäglich in den Medien zu sehen und zu hören bekommen. Politiker inszenieren sich zwar sehr bewusst, wann immer sie die mediale Aufmerksamkeit auf sich spüren, aber sie legen dabei doch Wert auf den Eindruck, dass es ihnen ernst ist, dass sie es ernst mit uns meinen und dass sie mit ihrem Handeln einen wichtigen Zweck verfolgen. Deshalb soll das Publikum die Inszenierung auch möglichst gar nicht als solche erkennen. Während sich im Theater beide Seiten, Akteure wie Zuschauer, darüber im Klaren sind, dass etwas gespielt wird, ist das bei den Darbietungen des Politikers nicht unbedingt der Fall. Der Politiker will echt, ehrlich, authentisch und verlässlich wirken. Dass er sich inszeniert, seine Auftritte einstudiert, sein Image in Szene setzt, bindet er der Öffentlichkeit lieber nicht auf die Nase. So jedenfalls stellte man sich bis vor kurzem politische Inszenierungen in der Regel vor. Politische Insze- 6 Christoph Menke, 2005: Die Gegenwart der Tragödie. Versuch über Urteil und Spiel, Frankfurt/M., S. 123. 93

94 Matthias Warstat nierungen, so die landläufige Auffassung, dienen der Manipulation, sie gleichen einem Täuschungsversuch und werden deshalb im Verborgenen ausgeheckt. Der Inszenierungsbegriff schien in der Politik negativ besetzt: Im Theater ist spielen in Ordnung, aber in der Politik sollte es eigentlich ernst und ehrlich zugehen. Genau in dieser Haltung scheint sich nun aber gegenwärtig ein Wandel abzuzeichnen. Wir werden womöglich Zeugen schleichender Veränderungen in der politischen Kultur. Ablesbar ist dieser Wandel an dem Erfolg einiger Politikerpersönlichkeiten, die aus dem Inszenierungscharakter ihres öffentlichen Auftretens keinen Hehl mehr machen. Gerhard Schröder zum Beispiel pflegte als Politiker mit sehr unterschiedlichen Images zu operieren: Ob als „Genosse der Bosse“, als Putzfrauensohn aus dem Lipperland, als Lebemann, Genussmensch oder treusorgender Adoptivvater, als Populist, Marktwirtschaftler oder Freund der Künste Schröder beherrschte viele verschiedene öffentliche Rollen, und er gefiel sich darin, diese Rollen auch ganz unverhohlen zu wechseln und gegeneinander auszuspielen. Keiner konnte sich darüber täuschen, dass Schröder ein begnadeter Politik-Darsteller war, der damit kokettierte, sich nicht auf ein einzelnes Rollenmodell festlegen zu lassen. Mal ließ er sich mit Zigarre im Brioni-Anzug ablichten, dann wieder sah man ihn in eine Currywurst beißen, und gerne ließ sich der Mann aus dem Norden auch im Habit eines Werftarbeiters oder Schiffskapitäns fotografieren. Das breite Publikum schätzte an ihm offenbar gerade die Virtuosität der Inszenierung. Und diese Haltung, es auch außerhalb des Theaters zu genießen, dass man etwas vorgespielt bekommt, einen Politiker also gerade für seine gelungenen Inszenierungen zu mögen und ihm dafür Kompetenz zuzuschreiben, diese Haltung wäre wohl noch vor wenigen Jahrzehnten schwer vorstellbar gewesen. Sie steht vielleicht in einem größeren Zusammenhang. Denn auch in den Chatforen des Internets oder in der elektronischen Partnervermittlung ist es durchaus erlaubt oder sogar gewünscht, dem anderen etwas vorzuspielen. Sich gut verkaufen zu können, etwas darstellen zu können, kann heute zur Attraktivität eines Menschen beitragen und wird als Pluspunkt gewertet bei Bewerbungsgesprächen, am Arbeitsplatz wie auch im Privatleben. Es ist womöglich eine neue gesellschaftliche Tendenz, dass wir uns gerne etwas vorspielen lassen. Der Theaterdramaturg Carl Hegemann hat auf diese Tendenz hingewiesen und zugleich die Frage aufgeworfen, was es eigentlich für das Theater als Kunstform bedeutet, wenn theatrales Handeln plötzlich

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Matthias Warstat<br />

nierungen, so die landläufige Auffassung, dienen der Manipulation, sie gleichen<br />

einem Täuschungsversuch und werden deshalb im Verborgenen ausgeheckt.<br />

Der Inszenierungsbegriff schien in der Politik negativ besetzt: Im Theater<br />

ist spielen in Ordnung, aber in der Politik sollte es eigentlich ernst und<br />

ehrlich zugehen.<br />

Genau in dieser Haltung scheint sich nun aber gegenwärtig ein Wandel<br />

abzuzeichnen. Wir werden womöglich Zeugen schleichender Veränderungen<br />

in der politischen Kultur. Ablesbar ist dieser Wandel an dem Erfolg einiger<br />

Politikerpersönlichkeiten, die aus dem Inszenierungscharakter ihres öffentlichen<br />

Auftretens keinen Hehl mehr machen. Gerhard Schröder zum Beispiel<br />

pflegte als Politiker mit sehr unterschiedlichen Images zu operieren: Ob<br />

als „Genosse der Bosse“, als Putzfrauensohn aus dem Lipperland, als Lebemann,<br />

Genussmensch <strong>oder</strong> treusorgender Adoptivvater, als Populist, Marktwirtschaftler<br />

<strong>oder</strong> Freund der Künste <strong>–</strong> Schröder beherrschte viele verschiedene<br />

öffentliche Rollen, und er gefiel sich darin, diese Rollen auch ganz unverhohlen<br />

zu wechseln und gegeneinander auszuspielen. Keiner konnte sich<br />

darüber täuschen, dass Schröder ein begnadeter Politik-Darsteller war, der<br />

damit kokettierte, sich nicht auf ein einzelnes Rollenmodell festlegen zu lassen.<br />

Mal ließ er sich mit Zigarre im Brioni-Anzug ablichten, dann wieder sah<br />

man ihn in eine Currywurst beißen, und gerne ließ sich der Mann aus dem<br />

Norden auch im Habit eines Werftarbeiters <strong>oder</strong> Schiffskapitäns fotografieren.<br />

Das breite Publikum schätzte an ihm offenbar gerade die Virtuosität der<br />

Inszenierung.<br />

Und diese Haltung, es auch außerhalb des Theaters zu genießen, dass<br />

man etwas vorgespielt bekommt, einen Politiker also gerade für seine gelungenen<br />

Inszenierungen zu mögen und ihm dafür Kompetenz zuzuschreiben,<br />

diese Haltung wäre wohl noch vor wenigen Jahrzehnten schwer vorstellbar<br />

gewesen. Sie steht vielleicht in einem größeren Zusammenhang. Denn auch<br />

in den Chatforen des Internets <strong>oder</strong> in der elektronischen Partnervermittlung<br />

ist es durchaus erlaubt <strong>oder</strong> sogar gewünscht, dem anderen etwas vorzuspielen.<br />

Sich gut verkaufen zu können, etwas darstellen zu können, kann heute<br />

zur Attraktivität eines Menschen beitragen und wird als Pluspunkt gewertet<br />

<strong>–</strong> bei Bewerbungsgesprächen, am Arbeitsplatz wie auch im Privatleben.<br />

Es ist womöglich eine neue gesellschaftliche Tendenz, dass wir uns gerne etwas<br />

vorspielen lassen. Der Theaterdramaturg Carl Hegemann hat auf diese<br />

Tendenz hingewiesen und zugleich die Frage aufgeworfen, was es eigentlich<br />

für das Theater als Kunstform bedeutet, wenn theatrales Handeln plötzlich

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