Klimawandel – Faktum oder Spuk? - OPUS - Friedrich-Alexander ...

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23.01.2013 Aufrufe

Alles Theater? Mediengesellschaft als Inszenierungsgesellschaft Matthias Warstat An drei charakteristischen Begebenheiten aus der Mediengesellschaft der Gegenwart soll das Thema eingangs genauer umrissen werden. I. Im März 2011, anderthalb Wochen nach seinem Rücktritt als Bundesverteidigungsminister, wurde Karl Theodor zu Guttenberg im Berliner Bendlerblock mit einem sog. „Großen Zapfenstreich“ verabschiedet. Die ARD entschloss sich aus diesem Anlass erstmals zu einer Live-Übertragung dieser Verabschiedungs-Zeremonie; die Fernsehserie „Marienhof“ musste dafür an dem betreffenden Abend ausfallen. Mediengeschichtlich war das ein bemerkenswertes Ereignis, denn der Zapfenstreich ist eine sehr alte Zeremonie, die hier erstmals zu einem Fernseh-Liveereignis wurde. Die Ursprünge des Zapfenstreichs liegen in der Zeit der Landsknechte des 16. Jahrhunderts, damals handelte es sich noch um ein tageszeitliches Ritual: Dem Truppenführer eines Landsknecht-Verbandes oblag es, am späteren Abend in den Kneipen und Gasthöfen, in die die Soldaten eingekehrt waren, mit einem Streich auf die Zapfen der Getränkefässer den Beginn der Nachtruhe zu signalisieren. Danach war Sperrstunde, und die Gastwirte durften (jedenfalls an die Soldaten) nichts mehr ausschenken. Mit den Jahrhunderten wurde die Zeremonie komplexer. Es kamen vor allem musikalische Darbietungen hinzu, zumeist das militärtypische Trompeten-, Flöten- und Trommelspiel. Die heutige Form, die am 10. März 2011 im Vorabendprogramm der ARD zu besichtigen war, hat sich im frühen 19. Jahrhundert herausgebildet. Auch in der Berichterstattung über zu Guttenbergs Zapfenstreich spielte die musikalische Seite eine Rolle, denn in den meisten Reportagen und Kommentaren wurde erwähnt, dass sich der scheidende Minister vom Musikcorps den Song „Smoke on the water“ von Deep Purple aus dem Jahr 1971 gewünscht hatte. Dieses Detail verweist auf den Inszenierungsaspekt des Ereignis ses. Der telegene und medienbewusste zu Guttenberg wählte das Musikstück sicherlich mit Bedacht, um noch bei seiner Verabschiedung ein ihm gemäßes Zeichen zu setzen. Nun ist „Smoke on the water“ kein brandaktuelles Stück, 77

78 Matthias Warstat durch dessen Auswahl man die eigene Jugendlichkeit oder einen ausgefallenen Geschmack unterstreichen könnte. Für Guttenbergs eigene Generation, die mit der Musik der 80er-Jahre groß wurde, ist der Deep Purple-Song schon eher ein Oldie, aber im Rahmen eines Rituals, das über 400 Jahre alt ist und auch ein bisschen so aussieht, ist ein Rock-Song durchaus ein Signal der Innovation. Zugleich eignet sich diese spezielle Musik als Kompromiss zwischen politisch wichtigen Generationen, denn sowohl für die 4050-Jährigen als auch für die 2030-Jährigen klingt Deep Purple akzeptabel. Für das Thema der Mediengesellschaft ist jenseits solcher Stilfragen bereits bemerkenswert, dass das militärische Zeremoniell in voller Länge live ins Fernsehen gelangt. In der alten Bundesrepublik gehörte es zur Staatsräson, militärische Rituale weitgehend hinter die Mauern der Kasernen zu verbannen und von der Öffentlichkeit fernzuhalten. Diese Zurückhaltung hatte mit der problematischen Tra dition der Bundeswehr zu tun, nämlich mit der Frage, wie sich die Kultur der Bundeswehr zu der diskreditierten Vorgeschichte der Wehrmacht und ihrer Verstrickung in die nationalsozialistische Vernichtungspolitik verhielt. Erst nach der Wiedervereinigung und vor allem im Zuge der Beteiligung an den Einsätzen in Jugoslawien und in Afghanistan wurde das eigenartige, fremd und anachronistisch wirkende Zeremoniell des Militärs wieder offensiver ins Licht der Öffentlichkeit und in die Medien gerückt und auf diese Weise die Grenze zwischen verborgener Politik und öffentlicher Politik neu gezogen. Der Zapfenstreich für zu Guttenberg markiert eine Station auf diesem Weg: Als Teil einer pikanten, in Teilen auch boulevardesken Personality-Geschichte wird die Zeremonie erstmals zum Fernsehereignis. II. In der 192. Ausgabe von „Wetten dass …“ am 4. Dezember 2010 versuchte der 23-jährige Samuel Koch aus dem Kreis Lörrach, der gerade ein Schauspielstudium aufgenommen hatte, fünf entgegenkommende Autos auf Sprungstelzen zu überspringen. Bei drei kleineren Autos gelang ihm das problemlos, auch das vierte Auto, eine Limousine, überwand er nach Anlauf mit einem Salto, gelangte dabei allerdings in Vorderlage, verlor das Gleichgewicht und prallte beim Aufkommen bäuchlings auf den Bühnenboden der Düsseldorfer Stadthalle. Der Kandidat erlitt schwere Wirbelsäulenverletzungen, musste in ein künstliches Koma versetzt werden und wird voraussichtlich dauerhaft querschnittsgelähmt bleiben. Dieses traurige Ereignis, das die Öffentlichkeit in allen zugeschalteten Ländern dieser Eurovisionssendung über viele Tage und Wochen beschäf-

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Matthias Warstat<br />

durch dessen Auswahl man die eigene Jugendlichkeit <strong>oder</strong> einen ausgefallenen<br />

Geschmack unterstreichen könnte. Für Guttenbergs eigene Generation,<br />

die mit der Musik der 80er-Jahre groß wurde, ist der Deep Purple-Song<br />

schon eher ein Oldie, aber im Rahmen eines Rituals, das über 400 Jahre alt ist<br />

und auch ein bisschen so aussieht, ist ein Rock-Song durchaus ein Signal der<br />

Innovation. Zugleich eignet sich diese spezielle Musik als Kompromiss zwischen<br />

politisch wichtigen Generationen, denn sowohl für die 40<strong>–</strong>50-Jährigen<br />

als auch für die 20<strong>–</strong>30-Jährigen klingt Deep Purple akzeptabel.<br />

Für das Thema der Mediengesellschaft ist jenseits solcher Stilfragen bereits<br />

bemerkenswert, dass das militärische Zeremoniell in voller Länge live<br />

ins Fernsehen gelangt. In der alten Bundesrepublik gehörte es zur Staatsräson,<br />

militärische Rituale weitgehend hinter die Mauern der Kasernen zu verbannen<br />

und von der Öffentlichkeit fernzuhalten. Diese Zurückhaltung hatte<br />

mit der problematischen Tra dition der Bundeswehr zu tun, nämlich mit der<br />

Frage, wie sich die Kultur der Bundeswehr zu der diskreditierten Vorgeschichte<br />

der Wehrmacht und ihrer Verstrickung in die nationalsozialistische<br />

Vernichtungspolitik verhielt. Erst nach der Wiedervereinigung und vor allem<br />

im Zuge der Beteiligung an den Einsätzen in Jugoslawien und in Afghanistan<br />

wurde das eigenartige, fremd und anachronistisch wirkende Zeremoniell<br />

des Militärs wieder offensiver ins Licht der Öffentlichkeit und in die Medien<br />

gerückt und auf diese Weise die Grenze zwischen verborgener Politik und<br />

öffentlicher Politik neu gezogen. Der Zapfenstreich für zu Guttenberg markiert<br />

eine Station auf diesem Weg: Als Teil einer pikanten, in Teilen auch boulevardesken<br />

Personality-Geschichte wird die Zeremonie erstmals zum Fernsehereignis.<br />

II. In der 192. Ausgabe von „Wetten dass …“ am 4. Dezember 2010 versuchte<br />

der 23-jährige Samuel Koch aus dem Kreis Lörrach, der gerade ein<br />

Schauspielstudium aufgenommen hatte, fünf entgegenkommende Autos auf<br />

Sprungstelzen zu überspringen. Bei drei kleineren Autos gelang ihm das problemlos,<br />

auch das vierte Auto, eine Limousine, überwand er nach Anlauf mit<br />

einem Salto, gelangte dabei allerdings in Vorderlage, verlor das Gleichgewicht<br />

und prallte beim Aufkommen bäuchlings auf den Bühnenboden der<br />

Düsseldorfer Stadthalle. Der Kandidat erlitt schwere Wirbelsäulenverletzungen,<br />

musste in ein künstliches Koma versetzt werden und wird voraussichtlich<br />

dauerhaft querschnittsgelähmt bleiben.<br />

Dieses traurige Ereignis, das die Öffentlichkeit in allen zugeschalteten<br />

Ländern dieser Eurovisionssendung über viele Tage und Wochen beschäf-

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