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uhrGebiet<br />

Nix los in Bochum?<br />

Kinder in die Stadt!<br />

Die innerstädtischen Zentren des Ruhrgebietes<br />

leiden an mehr oder weniger starken Problemen.<br />

Immer weniger Fachgeschäfte und eingesessene<br />

Spezialisten, dafür immer mehr Filialisten,<br />

Discounter und Ein-Euro-Shops. Viel beklagt wird<br />

daher landauf landab die Konkurrenz großer<br />

Einkaufszentren im Ballungsgebiet, die den<br />

Innenstädten erfolgreich Kaufkraft streitig<br />

machen.<br />

Ob CentrO Oberhausen, Ruhrpark Bochum, Indupark<br />

Dortmund, Rhein-Ruhr-Zentrum Mülheim: Diese architektonischen<br />

Saurier entfesselter Konsumlust besitzen offenbar<br />

Qualitäten, die den organisch gewachsenen Innenstädten<br />

(nicht nur) des Reviers abgehen. Angeführt werden insbesondere<br />

kostenfreie Parkplätze für die blechernen Lieblinge<br />

sowie weitgehend witterungsunabhängige Trottoirs. Vorteile,<br />

die in echten Citylagen kaum umzusetzen sind und wenn,<br />

dann nur zu Lasten von authentischer Urbanität. Doch die<br />

ist es, die unkopierbar das Standortkapital der Innenstädte<br />

ausmacht. Gerade bewusst konsumierende Zeitgenossen<br />

schätzen die höhere Aufenthaltsqualität „echter“ Städte<br />

gegenüber den Retorten-Boulevards.<br />

Kinderfeindlich, elternfeindlich, konsumentenfeindlich<br />

Nicht so geschätzt werden Innenstädte hingegen vom<br />

Nachwuchs der begehrten TrägerInnen innenstädtischer<br />

Kaufkraft: Für Kinder der Altersgruppe zwischen Lauffähigkeit<br />

und beginnender Pubertät ist ein Einkaufsbummel in den<br />

Fußgängerzonen des Reviers ein trostloser Zug vom Plastikschaukelpferd<br />

über die Wackelschnecke hin zum demolierten<br />

Lastkraftfahrzeug. Für einen Euro rattert und schaukelt es<br />

für einige Sekunden bis die Eltern genervt sind, während<br />

das Kindchen nochmal will und heult. „Shopping“ stellen<br />

Frau und Mann sich anders vor.<br />

Innenstädte also eher als kinder- und damit auch elternund<br />

damit auch konsumfeindliche Umgebungen? Warum<br />

also keine Zonen des Kindervergnügens einrichten?<br />

Balancierstangen und Rutschen, Wippen und Schaukeln,<br />

Wasserspiele und Klettergerüste über weichen Matten? Geht<br />

doch in besagten Einkaufszentren auch ...<br />

Angesichts umwälzender Baumaßnahmen in der Stadt, die<br />

in den letzten Jahren ausgesprochen stark unter Auszehrung<br />

und Abwanderung von Innenstadthändlern und Kaufhäusern<br />

zu leiden hatte, fragten wir nach, ob das Problem mittlerweile<br />

erkannt und be-hoben ist.<br />

Gute Absichten der Bochumer Bürokratie<br />

In Bochum entsteht nämlich in diesen Tagen nach gefühlten<br />

zwanzig Jahren Bauzeit eine City aus Ruinen: U-Bahnbau,<br />

Kanalsanierung, Verkehrsberuhigung und Baumgrün sind<br />

die Bausteine des Masterplans zur Attraktivitätssteigerung<br />

der Innenstadt. Jahrelanger, erbitterter politischer Streit<br />

um Baukosten und Ausführung, um die Farbe der Gehwegplatten<br />

und die Höhe der Bordsteinkante sollen nun vorbei<br />

sein und der „Massenbergboulevard“ im Herbst für neue<br />

Lust am Shoppen sorgen. Grund genug also zu fragen, inwiefern<br />

auch Ansprüche von Kindern hinsichtlich „Aufenthaltsqualität“<br />

Berücksichtigung gefunden haben. Zumal in<br />

einer Stadt, in der unlängst die Oberbürgermeisterin noch<br />

stolz vier Wipptiere auf der Kortumstraße höchstpersönlich<br />

einweihte!<br />

Schon nach kurzer Recherche wird deutlich, welch heißes<br />

Eisen der einfache Wunsch nach Spielgeräten und Kinderzonen<br />

im durchkommerzialisierten Interessengeflecht aus<br />

Kaufmannschaft, Hauseigentümern, Ordnungsamt und Grünflächenamt,<br />

Stadtplanung und Kämmerer, politischen Gruppen<br />

und Versicherungswirtschaft darstellt. Da müssen Schaufenster<br />

frei bleiben und die Anlieferung problemlos sein.<br />

Da dürfen kein Dreck und Lärm entstehen, da sollen Obdachlose<br />

nicht schlafen und Busse sollen rollen. Und was ist,<br />

„Spielplatz“ Boulevard<br />

Kinder wissen am besten,<br />

was ihnen Spaß macht<br />

Shopping – für Kinder<br />

oft kein Vergnügen<br />

Von kinderfreien Innenstädten und dass<br />

in Bochum nun alles besser werden soll<br />

wenn „etwas passiert?“ Und was ist, wenn Weihnachtsmarktstände<br />

allen Platz einnehmen wollen? Spielgerät ein Politikum<br />

und Risikofaktor also.<br />

Mondkreisel und Sausewind<br />

Umso erstaunlicher, was der Leiter der Stadtplanung Innenstadt<br />

Torß-Christian Schulz schließlich berichtet, nachdem<br />

das Kinderbüro keine richtige Auskunft geben konnte oder<br />

wollte oder durfte und das Presseamt grünes Licht für ein<br />

Gespräch gab. Lange bekannt sei der Stadtplanung das<br />

Problem fehlender Möglichkeiten zum unbeschwerten Kinderspiel<br />

in der City. Doch es sollte gewartet werden, bis der<br />

Boulevard erstellt und in der „Örtlichkeit die Freiräume zu<br />

sehen“ sind. Leider sind darüber nun ganze Generationen<br />

von Kleinkindern herangewachsen. Aber nun: Sieben (!)<br />

Freiräume sind ausgemacht und Edelstahlspielgerät angefordert.<br />

Schwingende Rohre, Mondkreisel, Wirbel, Sausewind<br />

und Tolle Rolle sollen ab Herbst für Möglichkeiten zur Zerstreuung<br />

der Kleinsten bieten. Und damit den gestressten<br />

Eltern die Möglichkeit zur kurzen inneren Rast zwischen den<br />

Einkaufsstationen.<br />

Hoffentlich bestehen die Gerätschaften auch den alles entscheidenden<br />

Kindertest der Akzeptanz. Ansonsten entpuppen<br />

sich die teuren Geräte auf den aufwändigen Fundamenten<br />

mit den wohlklingenden Namen nämlich als fehlinvestiertes<br />

Feigenblatt einer bemühten Bürokratie. Die Gefahr besteht,<br />

denn davon, dass auch Kinder gefragt wurden, wo sie welche<br />

Geräte gut finden würden, davon hat uns niemand der<br />

vielen erwachsenen Gesprächspartner berichtet. (gs)<br />

Gelungenes Beispiel: Kettwiger Straße in Essen<br />

Kommentar<br />

von Claudia Grzelak,<br />

Mutter einer Dreijährigen<br />

Wenn ich mir ansehe, was die Stadt Bochum dieser<br />

Tage nun als kindgerechte Gestaltung des Boulevards<br />

abliefert, dann muss ich leider sagen: Thema verfehlt.<br />

Haben die Damen und Herren im Rathaus keine<br />

Kleinkinder? Weiß dort wirklich niemand, was Kinder<br />

zum Spaßhaben brauchen? Bestimmt sehen die neuen<br />

Spielgeräte schick aus und passen ästhetisch ganz<br />

besonders gut zum „neuen Bochum“. Nur ist dies der<br />

Zielgruppe Kleinkind schnurzpiepegal. Kleinkinder<br />

wollen Anregung, „Kinder suchen Kinder“. Gelungene<br />

Spielplätze, von denen es in Bochum ja durchaus<br />

welche gibt - nur eben nicht in der Shoppingzone -<br />

zeichnen sich doch gerade dadurch aus, dass Kinder<br />

und Eltern sich begegnen und austauschen können.<br />

Erst das macht diese Orte attraktiv und nicht eine<br />

Aneinanderreihung möglichst schöner Gerätschaften<br />

zum nacheinander abarbeiten.<br />

Damit kein Missverständnis aufkommt: Was jetzt in<br />

Bochums City entsteht, ist gegenüber dem Status<br />

Quo schon ein Fortschritt. Dennoch wurde meiner<br />

Meinung nach eine große Chance vertan, Kinder- und<br />

Familienfreundlichkeit wirklich in die Innenstadt zu<br />

holen. Ein echter Spiel- und Begegnungsplatz für die<br />

Kleinen, mit angrenzendem Café für die Eltern. Aufenthaltsqualität<br />

stelle ich mir eher so vor als tütenbepackt<br />

an irgendwelchen Gerätschaften herumzustehen.<br />

Plätze hat Bochum genug: Direkt am Boulevard hinterm<br />

Kuhirten, auf dem Dr. Ruer- und dem Husemannplatz,<br />

am Bermudadreieck, wo ein „Filetstück“ bis auf<br />

weiteres geschottert und abgesperrt ist. Solange sich<br />

Bochum so schwer tut, wird vielen Eltern und Kindern<br />

der „Einkaufspark“ mit McDonald’s und angeschlossener<br />

Plastikrutsche und Blick auf den Großraumparkplatz<br />

ein attraktiverer Rastpunkt sein als der Boulevard.<br />

Ich finde das schade.<br />

16 Stadtblatt: September & Oktober 2006 Nr. 08 Stadtblatt: September & Oktober 2006 Nr. 08 17

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