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Diplomarbeit Suburbanisierung - Die Grünen Wolfsgraben

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<strong>Diplomarbeit</strong><br />

Titel der <strong>Diplomarbeit</strong><br />

„Wienerwald – nachhaltige <strong>Suburbanisierung</strong>?“<br />

Eine siedlungsgeographische Analyse zur Bewertung der Wirksamkeit<br />

von Schutzgebieten im suburbanen Raum am Beispiel des<br />

Wien, im Mai 2007<br />

Studienkennzahl lt. Studienblatt: A 454<br />

Landschaftsschutzgebietes Wienerwald<br />

Verfasserin<br />

Wibke Strahl<br />

Angestrebter akademischer Grad<br />

Magistra (Mag. rer. nat.)<br />

Dissertationsgebiet lt. Studienblatt: Raumforschung und Raumordnung<br />

Betreuer: Univ.-Prof. Dr. Heinz Faßmann


Hiermit erkläre ich, dass ich vorliegende <strong>Diplomarbeit</strong> nach den anerkannten<br />

Grundsätzen für wissenschaftliche Abhandlungen selbstständig verfasst und<br />

alle verwendeten Hilfsmittel, insbesondere zugrunde liegende Literatur,<br />

genannt habe.<br />

Wibke Strahl<br />

I


Danksagung<br />

Es ist Zeit Danke zu sagen, an all die Personen, die geholfen haben, dass diese<br />

Arbeit verwirklicht werden konnte. Ein ganz herzliches Dankeschön an:<br />

II<br />

• Herr o. Univ. Prof. Heinz FASSMANN als Betreuer der <strong>Diplomarbeit</strong>,<br />

der mir im Entstehen der Arbeit immer wieder Denkanstöße gab<br />

• Herrn Dr. MMag. Robert MUSIL (ISR/ Österreichische Akademie der<br />

Wissenschaften): für die Bereitstellung der DKM und der Orthophotos<br />

der Wienerwaldgemeinden von der NÖ Landesregierung im Rahmen<br />

meiner <strong>Diplomarbeit</strong>, sowie für sein/e Hilfe und Feedback bei der<br />

Umsetzung der Arbeit<br />

• Herrn Mag. Peter PINDUR (ISR/ Österreichische Akademie der<br />

Wissenschaften): für seine Ratschläge bei der GIS-gestützten<br />

Gebäudeanalyse und seine Unterstützung<br />

• Herrn Mag. Marco HELBICH (ISR/ Österreichische Akademie der<br />

Wissenschaften), der mir von Anfang bis Ende der Arbeit zur Seite<br />

stand. Danke für den Gedanken-Input beim Umgang mit dem GIS, bei<br />

der Umsetzung bestimmter Graphiken und für das Lesen der Arbeit.<br />

• Herrn Mag. Jörn BRIEN als Lektor der Arbeit<br />

• Herrn Clemens NADERER, der mir besonders am Ende der Arbeit<br />

hilfreichst zur Seite stand. Danke für die Unterstützung und das Lesen<br />

der Arbeit<br />

• Meinen Eltern Heike und Bernd für ihre tatkräftige Unterstützung<br />

während der gesamten Studienzeit. Danke für die Ermöglichung des<br />

Studiums in Wien.<br />

• Herrn DI Michael MAXIAN und Dr. Peter FRITZ für die<br />

Auskunftsbereitschaft und freundliche Unterstützung<br />

• Frau Claudia BOCK und Herrn Franz ALLMAYER, die mir in ihrer<br />

Funktion als Bürgermeister/in Rede und Antwort standen


Inhaltsverzeichnis<br />

1. EINLEITUNG 1<br />

1.1 Problemstellung 1<br />

1.2 Forschungsfrage 2<br />

1.3 Methodik 2<br />

1.4 Zielsetzung 3<br />

2. SUBURBANISIERUNG - BEGRIFFSANNÄHERUNG UND MERKMALE 4<br />

2.1 Begriffsannäherung 4<br />

2.2 <strong>Die</strong> Folgeerscheinung „Suburbia“ 5<br />

2.3 Ursachen und Gründe der <strong>Suburbanisierung</strong> 8<br />

2.4 Geschichtlicher Abriss des Phänomens <strong>Suburbanisierung</strong> 9<br />

2.5 <strong>Suburbanisierung</strong> – eine Phase im Stadtentwicklungszyklus 12<br />

2.6 Aktuelle Tendenzen der <strong>Suburbanisierung</strong> 16<br />

2.7 <strong>Die</strong> Bevölkerungs- oder Wohnsuburbanisierung 19<br />

2.8 <strong>Die</strong> Wiener Suburbia 22<br />

3. SCHUTZGEBIETE UND AUSWIRKUNGEN AUF DIE RAUMORDNUNG 25<br />

3.1 Annäherung an die Begrifflichkeit des Landschaftsschutzgebiets 25<br />

3.1.1 Naturschutzrecht und Landschaftsschutzgebiete -<br />

Deutschland vs. Österreich 26<br />

3.2 Der Landschaftsschutz in Österreich 29<br />

3.2.1 Geschichtlicher Abriss 29<br />

3.2.2 Naturschutz und Raumordnung 31<br />

3.2.3 Naturschutzrechtliche Implikationen auf den Flächen-<br />

widmungsplan im niederösterreichischen Raumordnungsgesetz 33<br />

3.3 Das Landschaftsschutzgebiet im Naturschutzgesetz 36<br />

3.3.1 Landschaftsschutzgebiete nach niederösterreichischem Recht 36<br />

4. DER WIENERWALD – LANDSCHAFTSSCHUTZGEBIET UND<br />

SIEDLUNGSRAUM 42<br />

4.1 Schutzgebiete im Wienerwald 42<br />

4.1.1 Der Biosphärenpark Wienerwald 43<br />

4.2 Allgemeine Beschreibung des Untersuchungsgebietes –<br />

Lage, Größe, Topographie 45<br />

4.2.1 Naturräumliche Gegebenheiten 46<br />

4.3 Der Wienerwald als Siedlungsraum 47<br />

4.3.1 Der Siedlungscharakter des Wienerwaldes 48<br />

4.3.2 Aktuelle Siedlungssituation des Wienerwaldes 50<br />

4.3.3 <strong>Die</strong> Entwicklungsdynamik der Untersuchungsgemeinden im<br />

Landschaftsschutzgebiet Wienerwald 51<br />

4.3.3.1 Bevölkerungsdynamiken der Wienerwaldgemeinden 51<br />

4.3.3.2 Wanderungsbilanzen der Untersuchungsgemeinden 56<br />

4.3.3.3 <strong>Die</strong> Wohnbauten-Situation 60<br />

III


5. FALLGEMEINDEN: AUSWIRKUNGEN DES LANDSCHAFTSSCHUTZ-<br />

GEBIETS AUF DIE SIEDLUNGSRAUMENTWICKLUNG 65<br />

5.1 <strong>Die</strong> Gemeinde <strong>Wolfsgraben</strong> 71<br />

5.2 <strong>Die</strong> Gemeinde Maria-Anzbach 73<br />

5.3 Darstellende Siedlungsentwicklung 1980 bis 2005 75<br />

5.3.1 Gebäudeanalyse der Gemeinde <strong>Wolfsgraben</strong> 76<br />

5.3.2 Gebäudeanalyse der Gemeinde Maria-Anzbach 79<br />

5.3.3 Bauflächen und Bauflächenverfügbarkeit der Gemeinden 83<br />

5.4 Begehungen vor Ort 85<br />

5.5 Qualitative Interviews der beiden Beispielgemeinden 87<br />

5.5.1 Bürgermeisterin-Interview Gemeinde <strong>Wolfsgraben</strong> 89<br />

5.5.2 Bürgermeister-Interview Gemeinde Maria-Anzbach 93<br />

5.6 Expertenmeinungen zum Thema Schutz und Nutzen des<br />

Wienerwaldes 99<br />

5.4.1 Statement der Niederösterreichischen Landesregierung 100<br />

5.4.2 Statement des Niederösterreichischen Naturschutzbunds 107<br />

6. DARSTELLUNG DER ERGEBNISSE IN FOLGE EMPIRISCHER<br />

UNTERSUCHUNGEN 111<br />

6.1 Output aus den Bürgermeister-Interviews 111<br />

6.2 Output aus den Expertenmeinungen 113<br />

6.3 Aussage zur Forschungsfrage und Ausblick 116<br />

7. SUMMARY 117<br />

8. LITERATURVERZEICHNIS<br />

IV


Abbildungsverzeichnis<br />

Abb. 1: Phasenmodell der Stadtentwicklung 13<br />

Abb. 2: Ein morphologischer Prozess nach Cedric Price (1998) 15<br />

Abb. 3: Übersicht über Landschaftsschutzgebiete in Österreich 28<br />

Abb. 4: Logo Biosphärenpark 43<br />

Abb. 5: Zonierung eines Biosphärenparks 44<br />

Abb. 6: Gebietsabgrenzung des Landschaftsschutzgebiets nach der PGO 46<br />

Abb. 7: Grundrisstypen ländlicher Siedlungen (nach BORN 1977) 49<br />

Abb. 8: Bevölkerungsentwicklung der Gemeinden im Landschafts-<br />

schutzgebiet von 1961 bis 1981 52<br />

Abb. 9: Bevölkerungsentwicklung der Gemeinden im Landschafts-<br />

schutzgebiet von 1981 bis 2001 54<br />

Abb. 10: Wanderungsbilanz der Gemeinden im Landschaftsschutz-<br />

gebiet von 1971 bis 1981 56<br />

Abb. 11: Wanderungsbilanz der Gemeinden im Landschaftsschutz-<br />

gebiet von 1981 bis 1991 57<br />

Abb. 12: Wanderungsbilanz der Gemeinden im Landschaftsschutz-<br />

gebiet von 1991 bis 2000 59<br />

Abb. 13: Wohnbauten-Situation der Gemeinden im Landschafts-<br />

schutzgebiet um 1981 61<br />

Abb. 14: Wohnbauten-Situation der Gemeinden im Landschafts-<br />

schutzgebiet um 1981 62<br />

Abb. 15: Wohnbauten-Situation der Gemeinden im Landschafts-<br />

schutzgebiet um 2001 63<br />

Abb. 16: Potenzielle Wienerwaldgemeinden im Landschaftsschutzgebiet 65<br />

Abb. 17: Aktuelle Bevölkerungsentwicklung der Gemeinden im Landschafts-<br />

schutzgebiet von 2001-2005 66<br />

Abb. 18: Bevölkerungsentwicklung der Gemeinden im Landschaftsschutz-<br />

gebiet von 1961-2001 67<br />

Abb. 19: <strong>Die</strong> Untersuchungsgemeinden in Relation zu den Entwicklungs-<br />

Dynamiken 69<br />

V


Abb. 20: <strong>Die</strong> Untersuchungsgemeinden in Relation zur Entwicklungs-<br />

dynamik und Erreichbarkeit 70<br />

Abb. 21: Katasterflächenanteile (Nutzung) <strong>Wolfsgraben</strong> 2005 71<br />

Abb. 22: Zeitreihe Wohnbevölkerung absolut, <strong>Wolfsgraben</strong> 72<br />

Abb. 23: Wanderungsbilanzen im Vergleich 72<br />

Abb. 24: Anteil der Wohngebäude <strong>Wolfsgraben</strong> 73<br />

Abb. 25: Katasterflächenanteile (Nutzung) Maria-Anzbach 2005 74<br />

Abb. 26: Zeitreihe Wohnbevölkerung absolut, Maria-Anzbach 74<br />

Abb. 27: Anteil der Wohngebäude Maria-Anzbach 75<br />

Abb. 28: Überblick über die Siedlungssituation <strong>Wolfsgraben</strong>s 77<br />

Abb. 29: Übersicht Gebäudebestand <strong>Wolfsgraben</strong>, Neu und Alt (1) 78<br />

Abb. 30: Übersicht Gebäudebestand <strong>Wolfsgraben</strong>, Neu und Alt (2) 78<br />

Abb.: 31: Überblick über die Siedlungssituation Maria-Anzbachs 79<br />

Abb. 32: Übersicht Gebäudebestand Maria-Anzbach, Neu und Alt (1) 80<br />

Abb. 33: Übersicht Gebäudebestand Maria-Anzbach, Neu und Alt (2) 81<br />

Abb. 34: Baulandreserve <strong>Wolfsgraben</strong> 2005 83<br />

Abb. 35: Baulandreserve Maria-Anzbach 2005 84<br />

Abb. 36: Bautätigkeit Rumelsiedlung, <strong>Wolfsgraben</strong> 86<br />

Abb. 37: Hofstatt, Maria-Anzbach 86<br />

Abb. 38: Baulückenaufschließung <strong>Wolfsgraben</strong> 90<br />

Abb. 39: Rumelsiedlung, <strong>Wolfsgraben</strong> 91<br />

Abb. 40: 500m² Einfamilienhausparzellen, Maria-Anzbach 98<br />

Abb. 41: Flächige und lineare Siedlungsgrenzen im RROP innerhalb der<br />

Beispielgemeinde <strong>Wolfsgraben</strong> 102<br />

Abb. 42: Flächige und lineare Siedlungsgrenzen im RROP innerhalb der<br />

Beispielgemeinde Maria-Anzbach 103<br />

VI


1. Einleitung<br />

1.1 Problemstellung<br />

In den letzten Jahrzehnten ist vor allem rund um die großen Städte ein Phäno-<br />

men zu beobachten, das u. a. als <strong>Suburbanisierung</strong> bekannt ist. Im Allgemeinen<br />

versteht man darunter die Ausdehnung der Städte über ihre administrativen<br />

Grenzen hinaus. Infolgedessen sich eine Stadtregion heraus bildet, deren Über-<br />

gang von Stadt zu Umland nicht mehr klar ersichtlich ist, da sich städtische<br />

Strukturen auch in der Suburbia fortsetzen.<br />

Auch Wien ist von <strong>Suburbanisierung</strong>sprozessen gekennzeichnet, am intensivs-<br />

ten betroffenen sind dabei die Gemeinden im Süden von Wien. Sie gehören u. a.<br />

aufgrund der guten infrastrukturellen Anbindung zu den „frühen“ Suburbani-<br />

sierungsgemeinden Wiens. Wobei diese neben einer Wohn- auch von einer In-<br />

dustrie- bzw. Gewerbesuburbanisierung geprägt sind.<br />

In den letzten Jahren sind jedoch die potenziellen Freiflächen dieser südlichen<br />

Wiener Umland-Gemeinden bereits geschrumpft, was zu einer Verteuerung der<br />

Bodenpreise und im Weiteren der Immobilienpreise führte. Daraus schlussfol-<br />

gernd kommen für eine weitere <strong>Suburbanisierung</strong> nun Gemeinden in Betracht,<br />

die abgelegener und schlechter erschlossen sind, aber niedrigere Boden- und<br />

Immobilienpreise aufweisen. Potenzielle Suburbia-Bewohner nehmen eher wei-<br />

tere Pendlerdistanzen in Kauf, wenn dadurch die Bodenpreise sinken (BRAKE<br />

et al. 2001: 17). So gab es laut ÖROK-Studie (ÖROK-Prognosen 2004: I-de f.) be-<br />

reits im Zeitraum 1991 bis 2001 auch in den schlechter erschlossenen Wiener-<br />

wald-Bezirken (Wien-Umgebung, Korneuburg, Baden, Mödling, St. Pöltener<br />

Land, Tulln) Bevölkerungszuwächse. Tulln und Korneuburg zählten dabei mit<br />

ca. 12 Prozent zu den stärksten Gewinnern im österreichischen Vergleich. Auch<br />

für die kommenden Jahre bis 2031 prognostiziert die ÖROK (Szenario 1, 2004:<br />

116 f.) für diese Bezirke eine Bevölkerungszunahme von ca. 16 Prozent, die<br />

primär aus Wanderungsgewinnen resultiert.<br />

1


Anhand dieser Studie ist feststellbar dass der Wienerwald in einen Nutzungs-<br />

konflikt geraten ist, da zum einen ein Schutzgedanke im Sinne von Nachhaltig-<br />

keit verfolgt, dieser zum anderen jedoch von <strong>Suburbanisierung</strong>stendenzen be-<br />

einflusst wird. Somit gerät der Wald immer stärker unter einen Druck zwischen<br />

Schutz und Nutzung.<br />

1.2 Forschungsfrage<br />

Unter Schutz wurde der Wienerwald durch das Instrument des Landschafts-<br />

schutzgebiets 1 1979 gestellt, die aufgrund des auftretenden Konflikts resultie-<br />

rende Forschungsfrage lautet: Inwiefern konnte der Wienerwald mittels dieses<br />

Schutz-Instruments dem <strong>Suburbanisierung</strong>sprozess in den letzten 25 Jahren<br />

entgegenwirken? und weiterführend: Sind Schutzgebiete wirksame Instrumen-<br />

te um Suburbia einzuschränken?<br />

1.3 Methodik<br />

<strong>Die</strong>se Arbeit folgt einer induktiven Lösung, das heißt, die gewonnen Einzeler-<br />

kenntnisse werden zu einem Gesamtbild zusammengesetzt, infolge dessen sich<br />

die Ergebnisse herauskristallisieren.<br />

Nach der Bearbeitung des Theorieblocks wird zu allererst eine Flächenabgren-<br />

zung des Wienerwald-Gebiets anhand der PGO 2 -Vorgaben erfolgen. Wobei der<br />

darin inkludierte Wiener Teil außer Acht gelassen wird, da diese Arbeit Subur-<br />

bia und nicht die Kernstadt ansprechen soll. Des Weiteren folgen statistische<br />

Maßzahlen hinsichtlich der Bevölkerungsentwicklung, der Wanderungsbilan-<br />

zen sowie der Wohnbaustatistik. Darauf aufbauend werden zwei Beispielge-<br />

meinden als Repräsentanten aller anderen aus dem Untersuchungsgebiet her-<br />

1 Wurde daher gewählt, weil der <strong>Suburbanisierung</strong>sprozess der letzten 25 Jahre bzgl. der Beeinflussung<br />

durch den Naturschutz aufgezeigt werden sollte und das Landschaftsschutzgebiet die erste flächendeckende<br />

Schutzgebietskategorie war, durch die der Wienerwald unter Schutz gestellt wurde.<br />

2 Planungsgemeinschaft Ost (PGO) ist eine gemeinsame Organisation der Länderverwaltungen Burgenland,<br />

Niederösterreich und Wien zur Abstimmung, Koordination und Vorbereitung raumplanerisch relevanter<br />

Fragen in der österreichischen "Länderregion Ost".<br />

2


ausgefiltert, um anhand dieser die Siedlungsentwicklung (Zubauten, Flächen-<br />

verbrauch,…) in den letzten 25 Jahren im Wienerwald aufzuzeigen. Weiterfüh-<br />

rend soll nachgewiesen werden, inwiefern das Landschaftsschutzgebiet bei den<br />

Ausweisungen in den Flächenwidmungsplänen der zwei Beispielgemeinden<br />

<strong>Wolfsgraben</strong> und Maria-Anzbach berücksichtigt wurde und welche Wirkung<br />

davon ausgeht. Nachfolgend sollen qualitative Interviews mit den Bürgermeis-<br />

tern der zwei Beispielgemeinden helfen, die gewonnen Informationen anhand<br />

der statistischen Ergebnisse und anhand der Resultate der GIS-gestützten Sied-<br />

lungsanalyse abzurunden. Mittels abschließenden Experten-Interviews mit der<br />

Niederösterreichischen Landesregierung und einer nicht-staatlichen Natur-<br />

schutzbehörde sollen die zuvor angeführten Forschungsfragen beantwortet<br />

werden.<br />

1.4 Zielsetzung<br />

<strong>Die</strong> Absicht der <strong>Diplomarbeit</strong> liegt darin, einen Beitrag zur Problematik der<br />

<strong>Suburbanisierung</strong> Wiens zu leisten und dies im Besonderen unter Berücksichti-<br />

gung der Ausweisung von Schutzgebieten, in diesem Falle am Landschafts-<br />

schutzgebiet Wienerwald. Es soll aufgezeigt werden, inwieweit Suburbanisie-<br />

rung stattgefunden hat und in welchen Formen diese sich äußert. Zudem soll<br />

eine Aussage getroffen werden inwiefern das Instrumentarium Landschafts-<br />

schutzgebiet in den letzten 25 Jahren Wirkung gezeigt hat um Suburbanisie-<br />

rungsprozesse und ihre Auswirkungen (Flächenverbrauch, Zersiedelung, urban<br />

sprawl) einzugrenzen und in weiterer Folge den Wienerwald zu schützen.<br />

3


2. <strong>Suburbanisierung</strong> - Begriffsannäherung und Merkmale<br />

2.1 Begriffsannäherung<br />

<strong>Die</strong> Fachliteratur kennt zahlreiche Definitionen von <strong>Suburbanisierung</strong>. Im We-<br />

sentlichen bezeichnet sie den Vorgang der Dekonzentration von Bevölkerung,<br />

Produktion, Handel sowie <strong>Die</strong>nstleistungen innerhalb einer Region (HEINE-<br />

BERG 2001: 40 f.).<br />

Unter <strong>Suburbanisierung</strong> ist also im Allgemeinen die Ausdehnung großer Städte<br />

über ihre administrativen Grenzen hinaus zu verstehen, wobei die Übergänge<br />

zwischen Stadt und Umland eher fließend verlaufen und somit nicht mehr klar<br />

ersichtlich sind. <strong>Suburbanisierung</strong>sprozesse haben die Städte in siedlungsstruk-<br />

turell nicht mehr zu trennende und funktional eng miteinander verflochtene<br />

Stadtregionen verwandelt.<br />

Stadtregionen sind gekennzeichnet durch eine „geringere Dichte, wiederkeh-<br />

rende Siedlungselemente und einen abnehmbaren Kern-Rand-Gradienten“.<br />

Stadtkerne und ihre Ränder bilden somit zusammengenommen einen „relativ<br />

homogenen Siedlungskörper mit vereinzelten Nutzungsinseln“ (vgl. FASS-<br />

MANN 2004: 115). <strong>Die</strong> Stadt entwickelte sich im Zuge des <strong>Suburbanisierung</strong>s-<br />

prozesses von einem monozentrischen zu einem polyzentrischen System, in-<br />

dem die Kernstadt weiterhin als Zentrum fungiert. Daneben existieren aber<br />

noch weitere ausgelagerte Zentren, mono- oder multifunktionaler Art. (FASS-<br />

MANN 2004: 115).<br />

Eine weitere immer wieder aufscheinende Begriffserklärung für Suburbanisie-<br />

rung, ist jene nach FRIEDRICHS (1975): „Verlagerung von Nutzungen und Be-<br />

völkerung aus der Kernstadt, dem ländlichen Raum oder anderen metropolita-<br />

nen 3 Gebieten in das städtische Umland bei gleichzeitiger Reorganisation der<br />

Verteilung von Nutzungen und Bevölkerung in der gesamten Fläche des metro-<br />

politanen Gebietes". Anhand dieser Definition wird sichtbar, dass Suburbani-<br />

3 metropolitanes Gebiet ist zusammengenommen die Kernstadt und ihr angrenzendes städtisches Umland<br />

4


sierung nicht nur als Stadt-Randwanderung sondern auch als Wanderung von<br />

außen gesehen werden muss. Sie äußert sich zum einen in einer dynamischen<br />

Siedlungsexpansion ins angrenzende Umland und zum anderen in einer Um-<br />

verteilung ihrer einzelnen Siedlungskomponenten. Es lassen sich dabei drei<br />

Formen unterscheiden: die <strong>Suburbanisierung</strong> von Produktionsstätten (sekundä-<br />

rer Sektor), die Bevölkerungssuburbanisierung und in den letzten Jahrzehnten<br />

auch verstärkt die <strong>Suburbanisierung</strong> im Bereich <strong>Die</strong>nstleistung, (Einzel-)Handel<br />

und Entertainment. <strong>Die</strong>se einzelnen <strong>Suburbanisierung</strong>sdimensionen finden<br />

nicht losgelöst voneinander statt, sondern bedingen einander, d.h. sie können<br />

zwar parallel zueinander verlaufen, sich gegenseitig aber auch beeinflussen<br />

und verstärken. So stellt die Bevölkerungssuburbanisierung eine Vorausset-<br />

zung für die Ansiedlung von Einzelhandelsunternehmen im Agglomerations-<br />

raum dar. Durch die Verlagerung von Einzelhandelsunternehmen und Produk-<br />

tionsstätten jeglicher Art, werden Arbeitsplätze im Umland geschaffen, die<br />

wiederum die Wohnstandortwahl „suburbaner Raum“ positiv beeinflussen<br />

können (HEINEBERG 2001: 40ff.). Kennzeichen konstanter <strong>Suburbanisierung</strong><br />

sind demnach abnehmende Siedlungsdichten, ubiquitäres Wachstum sowie<br />

Ansätze flächenhafter Verstädterung (DOSCH 2004: 68). Wie sich diese Sied-<br />

lungsexpansion von Bevölkerung und Betrieben in der Fläche widerspiegelt,<br />

soll im nachfolgenden Kapitel näher erörtert werden.<br />

2.2 <strong>Die</strong> Folgeerscheinung „Suburbia“<br />

Dadurch, dass sich die Stadt durch die Verlagerung von Bevölkerung und<br />

Wirtschaftsbetrieben großflächig in ihr Umland ausdehnt, weicht das Bild einer<br />

kompakten Stadt dem einer Citta Diffusá 4 oder Ville Émergente 5 . Auch der eng-<br />

lische Begriff Urban Sprawl beschreibt die Erscheinungsformen der Suburbani-<br />

sierung treffend. DANGSCHAT (2004: 1) versteht unter Sprawling: „…eine Ka-<br />

4 Begriff von B. Secchi<br />

5 Begriff von G. Dubois-Taine verwendet<br />

5


tegorie zur Beschreibung des Ausmaßes der Zersiedelung ehemals naturnaher<br />

landwirtschaftlich genutzter Flächen und damit Ergebnis einer gesellschaftli-<br />

chen Organisation in Raum und Zeit.“ Naturnahe Landschaftselemente werden<br />

somit von städtischen Strukturen und Funktionen überformt. Im Zuge der Sub-<br />

urbanisierung wird die Stadt weitflächig, autoabhängig und erscheint unge-<br />

ordnet gleich einem „Siedlungsbrei“ (vgl. FASSMANN 2004: 115). <strong>Die</strong>ser Beg-<br />

riff birgt eine negative Komponente in sich, da die kompakte historisch ge-<br />

wachsene europäische Stadt durch die <strong>Suburbanisierung</strong> aufgelöst und die um-<br />

liegende Fläche der Großstadt zersiedelt wird. <strong>Die</strong> Zersiedelung, oftmals auch<br />

mit dem englischen Terminus „urban sprawl“ bezeichnet, ist aus funktionalen,<br />

ökologischen, aber auch ästhetischen Gründen eine ernstzunehmende Proble-<br />

matik. Zahlreiche Experten und Entscheidungsträger versuchen durch Setzung<br />

verschiedener Maßnahmen, wie der Schaffung attraktiver Betriebsstandorte<br />

oder der Verbesserung der Wohnqualität im dicht verbauten Stadtgebiet, etc.<br />

die Flächenzersiedelung einzudämmen und ihr entgegenzuwirken (PINTER<br />

2005: 15). Hervorgerufen wird sie zum einen durch Bevölkerungsbewegungen<br />

(Wohnsuburbanisierung) aber zu einem erheblichen Teil auch durch die Stand-<br />

ortwahl von <strong>Die</strong>nstleistungseinrichtungen und Gewerbe (Shopping Centers,<br />

Freizeiteinrichtungen oder Firmenniederlassungen).<br />

Suburbia ist in Bezug auf seine landschaftliche Lage, seine städtebauliche Typo-<br />

logie, der Sozialstruktur seiner Nutzer und Bewohner und seiner Funktionen<br />

ein extrem heterogener Raum (BODENSCHATZ 2004: 57). Deswegen ist es<br />

nicht nur schwierig, die US-amerikanischen Suburbs mit der (West-) Europäi-<br />

schen, sondern auch diese mit der osteuropäischen Suburbia zu vergleichen,<br />

welche durch postsozialistische <strong>Suburbanisierung</strong>sprozesse gekennzeichnet ist<br />

(MATTHIESEN et al. 2002: 34ff).<br />

Aufgrund der extrem unterschiedlichen räumlichen Dimensionen, aber auch<br />

wegen der unterschiedlichen politischen Systeme und städtebaulichen Traditi-<br />

onen zwischen der Suburbia der Vereinigten Staaten und der europäischen<br />

6


werden in Europa zahlreiche Versuche getätigt, neue Namen für das städtische<br />

Umland zu finden (s. Citta Diffusá oder Ville Émergente). In Deutschland hat<br />

SIEVERTS (1998: 7) erfolgreich den Begriff der Zwischenstadt als Weiterent-<br />

wicklung der klassischen Suburbia eingeführt. Er versteht darunter eine:<br />

„…Stadt zwischen den alten historischen Stadtkernen und der offenen Land-<br />

schaft, zwischen dem Ort als Lebensraum und den Nicht-Orten der Raum-<br />

überwindung, zwischen den kleinen örtlichen Wirtschaftskreisläufen und der<br />

Abhängigkeit vom Weltmarkt.“ <strong>Die</strong>se verstädterte Landschaft oder verland-<br />

schaftete Stadt, also weder Stadt noch Land, ist ein Raum ohne Namen und An-<br />

schauung, Suburbia ist ein Zustand aber dennoch bedeutender Lebensraum der<br />

Menschheit. Niemand spricht von einem Ort „Suburbia“ und gebraucht ihn<br />

gleich wie den Citybegriff, indem er sagt: „Heute fahre ich nach Suburbia“.<br />

Man bereist Suburbia nur dann, wenn man dort wohnt, arbeitet oder beispiels-<br />

weise von Freunden, dahin eingeladen wurde. (vgl. LOOTSMA 2004: 6)<br />

<strong>Die</strong> Siedlungsform Suburbia oder Zwischenstadt und die dazugehörigen Le-<br />

bensweisen haben sich im Zuge der Globalisierung der arbeitsteiligen kapitalis-<br />

tisch-industriellen Produktionsweisen auf der ganzen Welt ausgebreitet (SIE-<br />

VERTS 1998: 14f.). So muss auch die Tatsache ins Bewusstsein gelangen, dass<br />

der Großteil der Bevölkerung der industrialisierten Welt nicht mehr allein in<br />

den Großstädten selbst sondern ebenso in dessen Agglomerationsräumen lebt,<br />

die durch eine vergleichsweise günstigere Bevölkerungsentwicklung im Gegen-<br />

satz zur Kernstadt gekennzeichnet sind (MARETZKE 2004: 46). Suburbia ist<br />

spätestens seit den 1970er Jahren die normale dominante Wohnumgebung ge-<br />

worden, mit einem riesigen Flächenverbrauch – in den USA, in Europa wie<br />

überall auf der Welt.<br />

7


2.3 Ursachen und Gründe der <strong>Suburbanisierung</strong><br />

Der Hauptverursacher der verschiedenen Erscheinungsformen im Raum ist der<br />

Mensch selbst, indem er sich darin bewegt, handelt, agiert und auf bestimmte<br />

Gegebenheiten reagiert.<br />

<strong>Die</strong> wesentliche Ursache für <strong>Suburbanisierung</strong> ist der gestiegene Flächenbedarf<br />

jener Akteure, die ein Interesse am Gesamtstandort Stadt haben, sei es hinsicht-<br />

lich Wohnraumverwirklichungen, Gewerbe- oder Betriebsansiedlungen. <strong>Die</strong>se<br />

Bedürfnisse lassen sich mitunter aufgrund der hohen Grundstückspreise und<br />

Mieten, der beengten Wohnverhältnisse und des geringen Leerflächenangebots<br />

innerhalb der Kernstadt nicht befriedigen (BRAKE et al. 2001: 16). Auch suchen<br />

Akteure ganz gezielt das suburbane Umland auf, da sie Großstädte gleichsetzen<br />

mit Lärm, Aggression, Stress und erhöhter Umweltverschmutzung bei geringe-<br />

rer Naturnähe. Hinzu kommt der Aspekt, dass die City höhere Wohn- und Le-<br />

benshaltungskosten aufweist und die Bildung von Wohneigentum aufgrund<br />

der immens hohen Boden- und Immobilienpreise vielen Akteuren als Standort<br />

verwehrt bleibt.<br />

Eine Rolle spielt aber auch der Planungsaspekt: Bis zum 20. Jahrhundert ging<br />

die baulich-räumliche Entwicklung vom städtischen Kern aus, wohingegen sie<br />

heute von einer Vielzahl kommunaler und unternehmerischer Perspektiven<br />

einzelner Bauherren aus gesteuert oder zumindest beeinflusst wird. Sie sind<br />

maßgeblich an der Gestaltung der Agglomeration beteiligt (ZIBELL 2004: S.50).<br />

8<br />

Wegbereiter der <strong>Suburbanisierung</strong>sprozesse waren zweifelsohne das<br />

Bodenpreisgefälle zwischen Stadt und Umland, die Förderpolitik, die funkti-<br />

onsräumliche Trennung, die neuen Kommunikationstechnologien, der sozio-<br />

ökonomische Wandel 6 , die gestiegene Mobilität aber auch der gestiegene<br />

Wohlstand der kaufkräftigen Mittelschicht (MARETZKE 2004: 46 und MAYER<br />

2004: 5). Der Ausbau des Verkehrswegenetzes und des ÖPNVs 7 sowie die stark<br />

6 die Gesellschaft wie die Wirtschaft in ihrer gesellschaftlichen Struktur betreffend, gleich einem Strukturwandel;<br />

hier Übergang zur Wissensgesellschaft<br />

7 Öffentlicher Personennahverkehr


gestiegene Motorisierung ebneten dem <strong>Suburbanisierung</strong>sprozess noch zusätz-<br />

lich seinen Weg.<br />

2.4 Geschichtlicher Abriss des Phänomens <strong>Suburbanisierung</strong><br />

Nachfolgend wird auf die europäische <strong>Suburbanisierung</strong>sgeschichte näher ein-<br />

gegangen, die US-amerikanische soll hierbei außen vor bleiben, da sie im Kon-<br />

text der vorliegenden Arbeit nur eine untergeordnete Rolle spielt.<br />

Zwar sind die Vereinigten Staaten von Amerika der Prototyp einer suburbanen<br />

Gesellschaft, weshalb zahlreiche europäische Studien sich gern an dem US-<br />

Modell orientieren, doch darf dabei nie außer Acht gelassen werden, dass es in<br />

Europa noch immer so etwas wie eine Kultur das Städtischen gibt. Während die<br />

USA ihren Fokus bzgl. der Stadtentwicklung und -gestaltung auf die Bauin-<br />

dustrie und Developer (Entwicklungsgesellschaften) gerichtet haben, kann Eu-<br />

ropa auf eine lange Tradition der Städtebau- und Stadtplanungspolitik zurück-<br />

blicken. Hinzu kommen unterschiedliche geschichtliche, kulturelle und räumli-<br />

che Gegebenheiten um nur ein paar Unterschiede zwischen Europa und den<br />

USA aufzuzählen.<br />

<strong>Suburbanisierung</strong> ist nicht erst ein Phänomen der letzten Jahrzehnte, Vorboten<br />

gab es in Europa bereits schon im Mittelalter. Schon damals kam es aufgrund<br />

der Ansiedlung ärmerer Bevölkerungsschichten außerhalb der befestigten<br />

Stadtmauern zu Vorortbildungen, Eingemeindungen sowie Fusionierungen. So<br />

haben sich 1432 die zwei nebeneinander gelegenen und bisweilen nahezu zu-<br />

sammengewachsenen Städte Coelln und Berlin zur Stadtgemeinde Berlin zu-<br />

sammengeschlossen.<br />

Verstärkt wurde das Flächenwachstum der Städte vor allem mit der Schleifung<br />

der Stadtmauern und der aufgrund von Reformen erwirkten prinzipiellen Mög-<br />

lichkeit der freien Standortwahl, die im Feudalismus nur bedingt gegeben war.<br />

Sowohl in Deutschland als auch in Österreich liegen die ersten wesentlichen<br />

Ursprünge der <strong>Suburbanisierung</strong> im 19. Jahrhundert (BRAKE et al. 2001: 15).<br />

9


Mit dem Wegfall der Befestigungsmauer kam es zu einer Lösung der „bauli-<br />

chen und räumlichen Abschottung der Städte“ von ihrem weiteren Umland.<br />

Hinzu kam der „rasant gestiegene Baulandbedarf“ der Städte für „bürgerliches<br />

Wohnen, industrielles Gewerbe und für die Infrastrukturbauten der Ver- und<br />

Entsorgung“. Aufgrund dessen dehnten sich die Städte 8 auch damals weiter<br />

über ihre bislang gültigen Grenzen hinweg aus und es kam zur Bebauung ihrer<br />

äußeren großteils dünn besiedelten Umgebung (vgl. BRAKE et al. 2001: 15).<br />

Zu dieser Zeit entstanden als Folge besserer Verkehrsverbindungen so genann-<br />

te Landhaus- und Villenkolonien als neues Stadtrandphänomen. Es galt damals<br />

wie heute als schick unter der wohlhabenden Bevölkerung, eine Villa im Grü-<br />

nen in landschaftlich attraktiver Lage sowie in unmittelbarer Nähe zur Groß-<br />

stadt zu besitzen. Neben Villen wurden aber im Zuge der Industrialisierung zur<br />

selben Zeit an Rohstoffquellen oder entlang von Bahnlinien auch flächenexten-<br />

sive Produktionsstätten und Arbeiterwohnunterkünfte im Umland errichtet, da<br />

die Städte selbst nicht mehr über die notwendigen Flächenkapazitäten verfüg-<br />

ten. Somit setzte die Durchmischung des Umlandes zwischen reichen und ar-<br />

men Bevölkerungsschichten ein. Es entstanden Vororte, die im Zuge der sich<br />

weiter ausbreitenden Stadt wieder eingeholt wurden. So bildete sich etwa 1920<br />

aus einer bisweilen von einem starken Flächenwachstum gekennzeichneten<br />

Stadt die Einheitsgemeinde „Grosz-Berlin“ (MATTHIESEN et al. 2002: 73).<br />

Der unkoordinierte Bauboom des frühen industriellen Zeitalters führte zu<br />

Wildwuchs bzw. Fehlentwicklungen. Um diese zu korrigieren, entwickelte der<br />

Engländer E. Howard (1898) das Konzept der Gartenstadt. „Gartenstädte soll-<br />

ten aufgrund ihrer Lage im Einflussbereich von Großstädten sowohl deren<br />

Überschussbevölkerung aufnehmen, als auch einen Teil der Abwanderung vom<br />

Land in die Stadt abfangen. Gartenstädte sind durchgrünte und mit der Land-<br />

wirtschaft verknüpfte Städte, in der Einwohner aller sozialer Schichten in einem<br />

gesunden Umfeld, ohne räumliche Segregation, wohnen und arbeiten können<br />

8 Impulse für die <strong>Suburbanisierung</strong> gehen in Europa historisch von den solitär gelegenen Städten aus.<br />

10


sollen. Umgesetzt wurde dieses Konzept erstmals in England durch die Errich-<br />

tung der Städte Letchworth (1902) und Welwyn Garden City (1919) im Ein-<br />

zugsbereich von London“ (vgl. DIERCKE-Wörterbuch 2001: 240). Mit fort-<br />

schreitender Industrialisierung fand die Gartenstadtidee auch in Deutschland<br />

ihre Verbreitung. Um auf die Probleme und Nöte (beengte Wohnräume, Ge-<br />

sundheitsgefährdung aufgrund von Umweltverschmutzung etc.) der Arbeiter<br />

einzugehen, gründete sich 1902 in Berlin die Deutsche Gartenstadtgesellschaft<br />

DGG. <strong>Die</strong> erste deutsche Gartenstadt, die zugleich die vollständigste und radi-<br />

kalste Umsetzung einer Gartenstadt in Deutschland war, war neben der in Es-<br />

sen errichteten Krupp-Siedlung „Margaretenhöhe“ die Stadt Hellerau (1909),<br />

heute als Dresden-Hellerau bekannt (http://www.dresden-und-sachsen.<br />

de/dresden/hellerau.htm 25.03.2006).<br />

Ab Mitte des 20. Jahrhunderts erlangte die <strong>Suburbanisierung</strong> aufgrund ihrer<br />

dynamischen Prozesse an quantitativer Bedeutung. Ausschlaggebend dafür<br />

war der immer bessere Ausbau des öffentlichen Verkehrs- (Eisen- und Straßen-<br />

bahn) sowie des Automobilnetzes, wobei sich die Eisenbahn „sternförmig-<br />

linear“ in der Fläche ausdehnte, während das Auto die dazwischen liegenden<br />

Bereiche ausfüllte (vgl. SIEVERTS 1998: 13). Ein weiteres wesentliches Faktum<br />

waren die verbesserten Lagerungs- und Transportmöglichkeiten landwirt-<br />

schaftlicher Produkte und damit das Ende der Nahversorgung der Großstadt<br />

durch das Umland. Infolge dessen spezialisierte sich das Umland auf national<br />

sowie international nachgefragte landwirtschaftliche Produkte, die viel weniger<br />

Fläche in Anspruch nahmen. Es wurde dadurch billiger Boden für andere Nut-<br />

zungen freigesetzt, der in weiterer Folge der <strong>Suburbanisierung</strong> in den Bereichen<br />

Gewerbe und Bevölkerung dienlich wurde (MARIK 2001: 9f.).<br />

Sowohl Gewerbe als auch Wohnflächen mit entsprechender Infrastruktur wur-<br />

den ohne erkennbares Zentrum in aufgelockerter Weise ähnlich einem Patch-<br />

workmuster und zudem flächenextensiv im Umland angesiedelt. <strong>Die</strong>se Ent-<br />

wicklungen setzten etwa um 1920 ein und folgten somit nicht mehr den sied-<br />

11


lungsplanerischen Vorstellungen einer europäisch-kompakten Stadt (BRAKE et<br />

al. 2001: 16).<br />

Einen weiteren wesentlichen <strong>Suburbanisierung</strong>simpuls gab es nach dem Zwei-<br />

ten Weltkrieg. Mit dem Einsetzen des Wirtschaftswunders wuchs der<br />

Wohlstand, so dass sich nicht mehr nur die reiche Bevölkerung ihren Wunsch<br />

von einem Haus im <strong>Grünen</strong> erfüllen konnte, sondern nun auf Eigeninitiative<br />

auch die breite Mittelschicht. Seit den 1960er Jahren beginnen sich Freizeitein-<br />

richtungen, <strong>Die</strong>nstleistungs- und (Einzel-)Handelsunternehmen über die admi-<br />

nistrativen Grenzen hinweg im suburbanen Raum anzusiedeln, dies jedoch<br />

noch zunächst als eine Ergänzungsfunktion zum Wohnen. Erst ab den 1980er<br />

Jahren siedeln sich im städtischen Umland aufgrund der immer geringer wer-<br />

denden Überwindungskomponente „Raum“ auch Nutzungen für das gesamte<br />

metropolitane Gebiet an wie beispielsweise Einkaufszentren oder zum Teil<br />

auch produktionsorientierte <strong>Die</strong>nstleistungsbetriebe. Dabei fällt auf, dass nicht<br />

mehr nur von der Kernstadt kommend gesiedelt wird, gleich ob Unternehmen<br />

oder Bevölkerungswanderungen, sondern dass auch von außen aus dem länd-<br />

lichen Raum oder nahe liegenden Klein- und Mittelstädten Zuwächse im sub-<br />

urbanen Raum, in der Suburbia, zu bemerken sind (BRAKE et al. 2001: 16f.).<br />

2.5 <strong>Suburbanisierung</strong> – eine Phase im Stadtentwicklungszyklus<br />

<strong>Suburbanisierung</strong> und damit die Randwanderung von Bevölkerung, Handel<br />

und Gewerbe gehören zu den quantitativ bedeutenden Stadtentwicklungsphä-<br />

nomenen der westeuropäischen Industriegesellschaften seit der Nachkriegszeit.<br />

Zahlreiche Studien haben versucht diese Erscheinung im Stadtentwicklungs-<br />

zyklus zu verorten. Eines der einflussreichsten Phasenmodelle ist jenes nach<br />

Leo van den Berg et al. (1982) mit vier charakteristischen Entwicklungsetappen:<br />

Urbanisierung, <strong>Suburbanisierung</strong>, Desuburbanisierung und Resuburbanisirung.<br />

Das Modell schließt nicht aus, dass die einzelnen Entwicklungsphasen im städ-<br />

tischen Umfeld auch als parallele Phänomene anzutreffen sind (MATTHIESEN<br />

12


et al. 2002: 37). <strong>Die</strong>s setzt jedoch eine kontinuierliche Wiederkehr der einzelnen<br />

Phasen voraus. Demnach ist die Stadtentwicklung ein zyklischer und kein line-<br />

ar voranschreitender Prozess (FASSMANN 2005: 103).<br />

<strong>Die</strong> erste Phase ist die Urbanisierung, sie ist die älteste und historisch am wei-<br />

testen zurückreichende Phase. Während der Urbanisierung kam es zu einem<br />

Bevölkerungswachstum in der Kernstadt, was zu einer baulichen Verdichtung<br />

Abb.1: Phasenmodell der Stadtentwicklung<br />

Quelle: Nach VAN DEN BERG aus: FASSMANN 2004: 105<br />

bzgl. ansteigenden Wohn-<br />

bedarfs und zu einer Konzen-<br />

tration von Funktionen führte.<br />

<strong>Die</strong> innerstädtischen Freiflä-<br />

chen wurden aufgrund dessen<br />

stark verdichtet, was eine Sen-<br />

kung der Lebensqualität<br />

bewirkte. Neben der Verdich-<br />

tung der Flächen nahmen die-<br />

se innerhalb der Stadt rapide ab, so dass das Bauland verteuert werden musste<br />

(FASSMANN 2005: 103f.)<br />

Damit wurde die Phase der <strong>Suburbanisierung</strong> eingeleitet. <strong>Suburbanisierung</strong> aus<br />

heutiger Sicht ist ein flächendeckendes Phänomen, das zeitlich und räumlich<br />

(USA vs. Europa) unterschiedlich verläuft und auch in seiner Qualität und In-<br />

tensität von Region zu Region Unterschiede aufweist (MARETZKE 2004: 46).<br />

Hervorgerufen werden diese durch politische und ideologische, wirtschaftliche,<br />

gesellschaftliche und rechtliche Gegebenheiten der jeweiligen Staaten. Subur-<br />

banisierung ist eine Frage der Menge und eine Funktion von Wohlstand und<br />

Mobilität. Das heißt, dass <strong>Suburbanisierung</strong> auf der Vollmotorisierung der pri-<br />

vaten Haushalte und auf dem Vorhandensein von genügend Bauland im Stadt-<br />

umland sowie auf der Wohlstandsentwicklung der Bevölkerung beruht, die<br />

den Eigenheimwunsch mit Garten bzw. den Umzugswunsch ins Grüne allge-<br />

mein ermöglicht. Für die <strong>Suburbanisierung</strong> von entscheidender Bedeutung sind<br />

13


aber auch die neuen Formen des Einzelhandels (Factory Outlet Centers, groß-<br />

flächige Shopping Malls, etc.), die sich verstärkt im städtischen Umland ansie-<br />

deln.<br />

Daran anschließend kann van den Berg zufolge die Phase der Desuburbanisie-<br />

rung einsetzen. Darunter versteht man eine großräumige, interregionale De-<br />

konzentration der Unternehmen und der Wohnbevölkerung zulasten der Stadt-<br />

regionen und nicht mehr allein der großen Städte befinden. Von diesem Phä-<br />

nomen profitieren die ländlichen Regionen, die sich in großer Entfernung zu<br />

den Einzugsbereichen der großen Städte befinden. Es kommt zu einem Hinaus-<br />

schieben der Suburbia ins weiter entfernte Umland bei einer gleichzeitigen<br />

funktionalen Abkopplung von der Kernstadt, aufgrund der flächendeckend<br />

vorhandenen harten Standortfaktoren.<br />

<strong>Die</strong> darauf nachfolgende Phase ist die der Reurbanisierung. Sie wird eingeleitet,<br />

wenn die Verkehrsbelastung im Umland immens wird, und damit zahlreiche<br />

Staus zu Zeitverlust und starker Umweltbelastung führen. Das Wohnen im<br />

<strong>Grünen</strong> wird dann nicht minder wenig von Umweltverschmutzung beeinflusst<br />

wie es innerhalb der Stadt der Fall ist. Somit wird die Stadt als Wohnort wieder<br />

entdeckt. <strong>Die</strong> Wohnbevölkerung kehrt zurück, die Zahl der Beschäftigten<br />

nimmt zu, die städtische Bausubstanz wird durch Sanierung und Modernisie-<br />

rung wieder aufgewertet, so dass es zu einem soziodemographischen Wandel<br />

innerhalb der Bewohnerstruktur kommt, der mit Gentrification 9 gleichgesetzt<br />

werden kann (FASSMANN 2005: 104f.).<br />

Zur weiteren Veranschaulichung dieser vier Phasen wird seit neuestem die von<br />

C. PRICE (1998) vorgeschlagene Metapher „The City as an Egg“ herangezo-<br />

gen. Dabei werden Stadterweiterungsdynamiken mit Hilfe von vier Ag-<br />

gregatzuständen von Hühnereiern dargestellt. <strong>Die</strong> Phase der Urbanisierung<br />

9 Verdrängung einkommensschwächerer Haushalte wie Studenten, junge Familien, Alleinerziehende oder<br />

Mi-granten durch die neue urbane Elite, dadurch kommt es zu einer sozialen und baulichen Aufwertung<br />

von Wohnungen, Häusern und Stadtvierteln. Begriff geprägt durch R. GLASS 1964.<br />

14


wird mit dem Aussehen eines gekochten Eis gleichgesetzt: „die wachsende<br />

Stadt saugt<br />

Bevölkerungsreserven des Umlandes auf“. Dagegen gleicht die Suburbanisie-<br />

rung einem Spiegelei: „das Umland wächst, da der (Stadt-)Kern zu einem Eng-<br />

pass geworden ist.“ <strong>Die</strong><br />

Desuburbanisierung ist<br />

gleichzusetzen mit einem<br />

Rührei: „das Hinterland<br />

wächst auf Kosten des Bal-<br />

lungsraums, dies vor al-<br />

lem wegen seinen kumulie-<br />

renden Agglomerationsnachteilen.“ <strong>Die</strong> Reurbanisierung ist ein Omelett: da ei-<br />

ne Revitalisierung der Innenstädte einsetzt, die von einer Integration weiter ent-<br />

fernter ländlicher Gebiete begleitet wird. Es kommt zu einer Maßstabsvergröße-<br />

rung zum nächsten Zyklus. Inzwischen wird noch von einer weiteren, fünften<br />

Phase gesprochen, die der Post-<strong>Suburbanisierung</strong>. Sie hat das Aussehen einer<br />

Chorizo-Tortilla: verschiedenartige Inseln (Technologie-, Gewerbe-, Wohn-<br />

oder Freizeitparks) in der Suburbia, die zu einer gewissen Eigenständigkeit ge-<br />

langen.<br />

Trotz der guten Veranschaulichung der Stadterweiterungsprozesse gibt es be-<br />

gründete Kritik an diesem pfad- und kontextfreien Zyklen-Modell, das als vor-<br />

herbestimmt gilt. Nicht alle Stadterweiterungen können anhand dieses An-<br />

schauungsmodells a priori erklärt werden. Es können zwar die Wachstums-<br />

und Verteilungsdynamiken des westeuropäischen Städtesystems dargestellt<br />

werden, doch bei nachholenden <strong>Suburbanisierung</strong>stendenzen wie beispielswei-<br />

se in Osteuropa gerät das von C. PRICE erschaffene Modell an seine Grenzen,<br />

da es zu einfach wäre, westeuropäische erlebte Norm auf andere für lange Zeit<br />

unterschiedliche wirtschaftliche, ideologische und politische Systeme zu über-<br />

tragen (MATTHIESEN et al. 2002: 37f.).<br />

Abb.2: Ein morphologischer Prozess nach Cedric PRICE (1998)<br />

Quelle: http://www.stb.tuwien.ac.at/lehre/down/stadt_regio/<br />

Skript_01.pdf (20.03.06)<br />

15


2.6 Aktuelle Tendenzen der <strong>Suburbanisierung</strong><br />

Von Suburbia ist bereits bekannt, dass sie dezentral, dispers und flächenauf-<br />

wändig wächst und dies vor allem in nicht-zentralörtlichen Gemeinden. Dabei<br />

neu hinzugekommen ist das Reifestadium der frühen suburbanen Gemeinden<br />

(DOSCH 2004: 68). <strong>Die</strong>s drückt sich in der Verknappung der Freiflächen aus, da<br />

der suburbane Raum bereits zu einem großen Teil zersiedelt ist. <strong>Die</strong> Folge ist,<br />

dass auf eine weniger flächenaufwändige Bebauung zurückgegriffen werden<br />

muss und sich der Wunsch nach einem Eigenheim im <strong>Grünen</strong> nicht überall<br />

mehr in unmittelbarer Nähe zur Großstadt erfüllen lässt. Es ist eine neue weite-<br />

re Phase der Stadtentwicklung hinzugekommen, die den Abschluss der Subur-<br />

banisierung, die zunehmende Verstädterung des Umlandes, also das Reifesta-<br />

dium darstellt (BRAKE et al. 2001: 10). Es handelt sich hierbei um den Begriff<br />

der Postsuburbanisierung, der aus den USA stammt. Es wurde damit auf die<br />

schwindende Darstellungskraft der Begriffstrias „rural“, „urban“ und „subur-<br />

ban“ reagiert, die allein die neu auftretenden Raumtypen im suburbanen Raum<br />

nicht mehr charakterisieren können. Das verstädterte Umland ist während der<br />

<strong>Suburbanisierung</strong>sphase nicht nur gewachsen und weiter verdichtet worden,<br />

sondern hat gleichzeitig auch baulich, ökonomisch, kulturell und sozial an Viel-<br />

falt gewonnen (ARING und HERFERT 2001: 43).<br />

Suburbs haben sich urbanisiert, wodurch sich der Charakter und das Bild der<br />

suburbanen Räume gewandelt haben. <strong>Die</strong> heutigen Raumtypen der Suburbia<br />

sind nicht mehr nur hauptsächlich geprägt von den wenig verdichteten Ein-<br />

und Zweifamilienhaussiedlungen, sondern auch von postmodernen Bürohäu-<br />

sern, riesigen Shoppingmalls und von Freizeit-, Gewerbe- und Industrieparks<br />

mit den dazugehörigen großen Autostellplatzflächen. Für die USA, wo sich die-<br />

se Formen im Vergleich zu Europa in überproportionalen Dimensionen, finden<br />

lassen, prägte Garreau (1991) den Begriff der Edge Cities. Darunter werden im<br />

Wesentlichen junge, rasant gewachsene, kompakte Orte mit einer vielfältigen<br />

wirtschaftlichen Struktur verstanden, in denen es mehr Beschäftigte als Bewoh-<br />

16


ner und demnach auch ein positives Pendlersaldo gibt. Sie trugen dazu bei,<br />

dass die Peripherie der Verdichtungsräume neben der politischen auch zuneh-<br />

mend eine ökonomische Selbstständigkeit gewinnen konnte (MÜLLER und<br />

ROHR-ZÄNKER 2001: 27).<br />

Edge Cities sind derweil noch spezifisch für die USA und lassen sich in ihrer<br />

Form und Größe in Europa bislang noch nicht finden. Das europäische Raum-<br />

muster und Städtesystem ist viel feinmaschiger als das US-amerikanische. <strong>Die</strong><br />

europäische Peripherie ist großteils gekennzeichnet von traditionellen Mittel-<br />

und Kleinstädten, die auch der Ankerpunkt des europäischen Wirtschafts-<br />

wachstums sind. <strong>Die</strong> darüber hinaus übrig bleibenden Freiflächen sind zu klein<br />

und das Wachstumspotenzial ist zu gering, als dass sich neue große, vielfältig-<br />

dynamische Zentren am Rande der Verdichtungsräume entwickeln könnten, so<br />

wie es bei den Edge Cities in den USA der Fall war. <strong>Die</strong> Entwicklung der west-<br />

europäischen Agglomerationsräume wirft Parallelen zu den USA auf, ist aber<br />

keine Kopie davon. Es geht zwar auch klar in die polyzentrische Richtung, wird<br />

aber aufgrund der hiesigen Raum- und Marktbedingungen sowie der unter-<br />

schiedlichen Steuerungsmöglichkeiten der öffentlichen Hand, nie die Maß-<br />

stabsdimensionen der USA erreichen (MÜLLER und ROHR-ZÄNKER 2001, 36).<br />

<strong>Die</strong> fortgeschrittene <strong>Suburbanisierung</strong> in Westeuropa der letzten Jahre<br />

bzw. Jahrzehnte ist gekennzeichnet von einer Zersiedelung des Weiteren sub-<br />

urbanen Umlandes. Der anfänglich äußere Siedlungsbereich ist dabei flächen-<br />

deckend noch nicht ausgenutzt. Dem planerischen Idealbild der „dezentralen<br />

Konzentration“ wird damit völlig widersprochen. Das von der Stadt weiter ent-<br />

fernte beziehungsweise schlechter erschlossene Hinterland wird nun ebenfalls<br />

zunehmend suburbanisiert. So, dass BRAKE et al. von einem zweiten Suburba-<br />

nisierungsring spricht. Während im Ersten die <strong>Suburbanisierung</strong> auf die primär<br />

besser erschlossenen Umlandgemeinden ausgerichtet war, greift sie im Zweiten<br />

nicht zwingend auf die von der Kernstadt weiter entfernten Gemeinden zurück.<br />

Es können auch jene in Betracht kommen, die verkehrstechnisch ungünstiger zu<br />

erreichen sind, da sie zwischen den zentralen Verkehrsachsen liegen (BRAKE et<br />

17


al. 2001: 8). Daraus ergibt sich, dass sich der zweite <strong>Suburbanisierung</strong>sring nicht<br />

zwingend um den ersten legt, so dass in Suburbia keine konzentrischen son-<br />

dern vielmehr sektorale Erscheinungsformen anzutreffen sind. <strong>Die</strong>se zweite<br />

sektorale <strong>Suburbanisierung</strong>sphase geht zurück auf die Verknappung der Frei-<br />

flächen im engeren suburbanen Raum und die daraus resultierenden hohen<br />

Bauland- und Immobilienpreise, sodass von potenziellen Suburbaniten 10 weite-<br />

re Pendlerdistanzen in Kauf genommen werden, wenn dadurch der Bodenpreis<br />

sinkt. Hinzu kommt der Aspekt, dass Abkoppelungstendenzen der Suburbia<br />

von der Kernstadt feststellbar sind, sodass bei der Standortwahl die Distanz zu<br />

den herausgebildeten suburbanen Zentren schon oftmals bedeutender ist als je-<br />

ne zur Kernstadt (BRAKE et al. 2001: 17f.). <strong>Die</strong> einstigen Vororte der Großstadt<br />

sind urbanisiert und haben sich zu Orten mit nahezu stadtgleichen Qualitäten<br />

entwickelt. Sie gehören zu den neuen postsuburbanen Zentren, die sich aus ih-<br />

rer Abhängigkeit von der Ursprungsstadt gelöst haben und gleichzeitig mit ihr<br />

ein neues Verhältnis von Wechselwirkungen eingegangen sind (BRAKE et al.<br />

2001: 14).<br />

Während bei der traditionellen <strong>Suburbanisierung</strong>sphase von der Kernstadt ins<br />

Umland gewandert wurde, kommt es nun auch verstärkt zu Wohn- und Ge-<br />

werbeansiedlungen von außerhalb der Stadtregion. <strong>Die</strong>s weist auf die Attrakti-<br />

vität nicht mehr allein der Kernstadt, sondern auch ihres Umlandes hin. Unter-<br />

strichen wird diese Attraktivität durch die Tatsache, dass viele Suburbaniten<br />

die Kernstadtbereiche mit höchster Zentralitätsstufe nur noch selten aufsuchen.<br />

Sie bilden, arbeiten, versorgen und erholen sich vielmehr innerhalb Suburbias.<br />

Dadurch kommt es zu einem Anstieg der tangentialen Verkehrsverbindungen.<br />

<strong>Die</strong> jahrzehntelange Dominanz der radialen Verbindungen zwischen Kernstadt<br />

und Umland wird nun zunehmend von den „suburb-to-suburb“-Verbindungen<br />

gebrochen (HESSE 2004: 38), was wiederum ein Indiz für die Loslösung Subur-<br />

bias von der Kernstadt darstellt. Wenn diese vollständige Abkopplung eintritt,<br />

wird aus Suburbia die Postsuburbia.<br />

10 Begriff geprägt von FRIEDRICHS 1975: ursprünglich Bewohner der Suburbia, hier erweitert auf Un-<br />

ternehmer<br />

18


2.7 <strong>Die</strong> Bevölkerungs- oder Wohnsuburbanisierung<br />

Ja, das möchste:<br />

Eine Villa im <strong>Grünen</strong> mit großer Terrasse,<br />

vorn die Ostsee, hinten die Friedrichstraße;<br />

mit schöner Aussicht, ländlich-mondän,<br />

vom Badezimmer ist die Zugspitze zu sehn<br />

- aber abends zum Kino hast dus nicht weit.<br />

(...) Kurt Tucholsky (aus: „Das Ideal“,<br />

1927)<br />

Kurt Tucholsky sprach schon in den 1920er Jahren von den Bedürfnissen der<br />

Menschen nach großflächigem Wohnraum im <strong>Grünen</strong>, in landschaftlich-<br />

attraktiver Lage, aber dennoch ohne Verzicht auf Kultur und die Vorzüge der<br />

Stadt. Er sprach von der Sehnsucht beides zu vereinen, das Städtische mit dem<br />

Ländlichen.<br />

So unterscheiden sich die Wünsche nach knapp einem Jahrhundert nicht we-<br />

sentlich von damals. Es ist ein Abwägen des Für und Widers einer Standortent-<br />

scheidung. Nicht von vornherein wird ausschließlich der suburbane Raum als<br />

neuer Wohnstandort präferiert, oftmals versucht man auch die Wohnwünsche<br />

in der Kernstadt zu verwirklichen, scheitert dabei des Öfteren jedoch an der fi-<br />

nanziellen Machbarkeit und weicht auf Suburbia aus. Demnach ist die Wohn-<br />

suburbanisierung weitgehend eine Folge der vorherrschenden Gegebenheiten<br />

des regionalen Wohnungsmarkts. Wohnraum und Wohnfläche wie die Immo-<br />

bilien- und Bodenpreise sind in der Kernstadt um wesentlich teurer zu erwer-<br />

ben als im angrenzenden Umland (FRIEDRICHS 1995: 105).<br />

Der Wohnungswechsel und die damit verbundene Wohnflächen- und Wohn-<br />

umfeldaufwertung, liegen im Wunsch nach Veränderung des sozialen Status’<br />

und/ oder der Stellung im Lebenszyklus eines Menschen begründet (FRIED-<br />

RICHS 1975). Es ist mitunter ein Drahtseilakt, zwischen den Pull- und Pushfak-<br />

toren für oder gegen das Umland beziehungsweise die Kernstadt zu entschei-<br />

den. So will man doch beides: Wohnen im <strong>Grünen</strong>, wo Kinder beruhigt auf-<br />

wachsen können, eine Nähe zur Natur ohne Autoabgase und Umweltver-<br />

schmutzung, eine Ruhe fernab vom hektischen Großstadt-, Verkehrs- und Bau-<br />

19


lärm aber auch Sicherheit ohne Angst vor Kriminalität zu haben. Trotzdem<br />

möchte man auf das vielfältige Leistungsangebot der Kernstadt nicht verzich-<br />

ten, das sich unter anderem im Bereich der Versorgung, Bildung, Kultur, Ge-<br />

sundheit und in einem zumeist breiteren Arbeitsplatzangebot äußert (MA-<br />

RETZKE 2004: 46). Das oberste Ziel ist aber eine Verbesserung der Wohnfläche,<br />

des Wohnraums, der Wohnqualität und des Umfelds. In der Stadt sind die<br />

Wohnungen häufig zu klein und der Wohnkomfort der Altbauwohnungen ent-<br />

spricht zumeist nicht mehr den heutigen Vorstellungen. Dabei sind die Mieten<br />

und Bodenpreise hoch und steigen nach entsprechenden Sanierungs- und Auf-<br />

wertungsmaßen nochmals an. Hinzu kommen der Flächenmangel, Nutzungs-<br />

konflikte, Planungsrestriktionen oder schwierige Verkehrssituationen, die eine<br />

Verwirklichung des Wohnstandorts „Stadt“ zusätzlich erschweren. Im subur-<br />

banen Raum hingegen sind die Bodenpreise niedriger, der gestiegene Wohnflä-<br />

chenbedarf lässt sich auch dank Eigenheimförderung leichter verwirklichen.<br />

Eine gute Verkehrsanbindung im Bereich des ÖPNVs und des MIVs 11 zwischen<br />

Suburbia und Kernstadt erleichtern die Entscheidung für den suburbanen<br />

Raum (MARIK 2001: 8).<br />

Oft wurde Wohnsuburbanisierung gleichgesetzt mit Stadtflucht, Stadt-Umland-<br />

Wanderung besser verdienender Familien und Einfamilienhaussiedlungen am<br />

Stadtrand. Der Eigenheimsektor ist zwar nach wie vor ein klassisches Charakte-<br />

ristikum der Wohnsuburbanisierung, dennoch wird die Sozialstruktur der Su-<br />

burbaniten immer heterogener. Es wandern nicht mehr nur junge Familien mit<br />

Kindern in den suburbanen Raum wie es in Europa verstärkt in den 1960er bis<br />

1980er Jahren der Fall war (FRIEDRICHS 1995, 105 sowie ARING und HER-<br />

FERT 2001: 50), sondern heutzutage lassen sich in Suburbia meist in Mietwoh-<br />

nungen auch Singles, Alleinerziehende oder Zweipersonenhaushalte nieder.<br />

Trotz allem ist der suburbane Raum nach wie vor durch das dominierende<br />

Vorherrschen von Ein- und Zweifamilienwohnhäusern gekennzeichnet.<br />

11 Öffentlicher Personennahverkehr und Motorisierter Individualverkehr<br />

20


Neben der Auslagerung der Wohnfunktion siedelten sich in den letzten Jahr-<br />

zehnten auch verstärkt Gewerbe und Handel in Suburbia an. So ist es auch<br />

nicht verwunderlich, dass man nicht mehr nur im Umland der Städte wohnt,<br />

sondern auch dort arbeitet und sich versorgt. Hinzu kommt, dass Suburbia<br />

auch für die Kernstadtbevölkerung als Arbeitsort an Attraktivität gewinnt<br />

(DANGSCHAT 2004: 13). So ist nach HESSE (2004:: 38) die Kernstadt nicht<br />

mehr räumlicher Ausgangspunkt der Alltagsorganisation, vielmehr legt sich<br />

das individuelle Netz von Aktivitäten über die gesamte Stadtregion. Ermöglicht<br />

wurde dies über gut ausgebaute Verkehrswege und die Motorisierung der<br />

meisten Haushalte. Dadurch konnte ein selektives Raumnutzungsmuster ent-<br />

stehen, dass auch als ‚Regionalisierung von Lebensweisen’ gesehen werden<br />

kann: „Wohnen im <strong>Grünen</strong>, Arbeiten entweder dort oder in der Kernstadt,<br />

Freizeit im suburbanen Raum, aber auch in den metropolitanen Kulturzentren.“<br />

(HESSE 2004 : 38 f.).<br />

<strong>Die</strong> Wohn- oder Bevölkerungssuburbanisierung brachte dem Umland der gro-<br />

ßen Städte seit den 1970er Jahren einen steten Bevölkerungszuwachs, während<br />

in vielen Kernstädten Westeuropas das Bevölkerungswachstum zurückging<br />

(LOOTSMA 2004: 6 und DOSCH 2004: 68). <strong>Die</strong>s führte zu Steuerverlusten für<br />

die Kernstädte, obwohl sie weiterhin zumeist der Arbeitsort vieler Suburbani-<br />

ten blieb 12 . Im Zuge der Wohnsuburbanisierung kam es weiterhin zu einem er-<br />

höhten Verkehrsaufkommen aufgrund der Pendlerströme und dadurch wie-<br />

derum zu einer Belastung der Umwelt. Mitunter wurden wichtige Naturräume<br />

zerschnitten und der Grundwasserspiegel durch die immense Bautätigkeit ver-<br />

ändert. Zudem erforderte die Ausweisung neuer Siedlungsgebiete eine ange-<br />

messene Erschließung. <strong>Die</strong>s zeigt, dass Infrastruktur- und Siedlungsentwick-<br />

lung einander bedingen. Beide hingegen führen jedoch zur Flächenversiegelung<br />

des suburbanen Raumes (DANGSCHAT 2004: 2).<br />

12 die Lohnsteuer entfällt auf die Gemeinde, in der der Arbeitnehmer seinen Wohnsitz hat<br />

21


2.8 <strong>Die</strong> Wiener Suburbia<br />

<strong>Die</strong> <strong>Suburbanisierung</strong> hat in Wien im Vergleich zu den USA oder den deut-<br />

schen Städten spät eingesetzt, verändert seit den 1990er Jahren das Wiener Um-<br />

land jedoch durchaus dynamisch. Gründe dafür waren, dass Wien innerhalb<br />

seiner administrativen Grenzen über ausreichende Baulandreserven und Frei-<br />

flächen für Betriebsansiedlungen verfügte. Zwar gab es bereits in den 1960er<br />

Jahren erste verstärkte Tendenzen der Stadt-Umland-Wanderung einiger<br />

Haushalte, die sich auf das Konto des Wirtschaftswunders 13 zum einen und auf<br />

die Vollmotorisierung zum anderen zurückführen lassen, doch spielten diese<br />

im europäischen Vergleich eher eine untergeordnete Rolle. (MARIK 2002: 283).<br />

Primär erfolgte die Wiener <strong>Suburbanisierung</strong> entlang der radial ausstrahlenden<br />

Bahnlinien. Das heißt entlang der Westbahn Richtung Neulengbach, der Nord-<br />

westbahn Richtung Stockerau, entlang der Nordbahn Richtung Gänserndorf<br />

und entlang der Franz-Josefs-Bahn ins südliche Tullnerfeld. Dabei vollzog sich<br />

die <strong>Suburbanisierung</strong> im Bereich um Stockerau und dem Tullnerfeld in den<br />

letzten zehn Jahren besonders dynamisch. <strong>Die</strong> wichtigste Entwicklungsachse<br />

von Suburbia ist jedoch zweifelsohne die gen Süden. Innerhalb der südlichen<br />

Suburbia ist die stärkste Bevölkerungskonzentration innerhalb der Wiener Ag-<br />

glomeration zu verbuchen. <strong>Die</strong>s liegt unter anderem darin begründet, dass die<br />

Südbahnstrecke Richtung Mödling, Baden und Wiener Neudorf von einer lan-<br />

gen urbanen Tradition geprägt ist, sodass Kleinstädte und Industrieanlagen<br />

keine Seltenheit sind. Aufgrund der Straßenbahnverbindung „Badener Bahn“<br />

ist der Wiener Süden schon sehr früh mit <strong>Suburbanisierung</strong>stendenzen kon-<br />

frontiert gewesen. Es entstanden innerhalb dieser Region schon vor 1918 Villen<br />

und Landhäuser der Wiener Elite (MARIK 2002: 284 f.).<br />

Begünstigt wurde die <strong>Suburbanisierung</strong> neben dem Eisenbahnausbau auch<br />

durch die infrastrukturelle Verbesserung im motorisierten Individualverkehrs-<br />

13 Wohnsitzwechsel begünstigt durch Eigenheimzulage der öffentlichen Hand und andere steuerlichen<br />

Beihilfen wie zum Beispiel Pendlerpauschalen<br />

22


netz, wie beispielsweise durch den Bau der Süd- und Westautobahn, der B17 14<br />

sowie des Flughafens Schwechat.<br />

<strong>Die</strong> Gemeinden abseits der Verkehrsachsen wurden dagegen, wenn überhaupt,<br />

erst sehr spät von (Wohn-)<strong>Suburbanisierung</strong>stendenzen ergriffen. So waren<br />

<strong>Suburbanisierung</strong>sprozesse in den südwestlichen Wienerwald-Gemeinden<br />

Gaaden, Heiligenkreuz oder Laab im Walde erst in den 1970er Jahren zu be-<br />

merken (MUSIL 2002: 44).<br />

Seit den 1980er und frühen 1990er Jahren kam es im Wiener Umland und dies<br />

vor allem wiederum im Süden der Stadt zu suburbanen Sättigungserscheinun-<br />

gen. <strong>Die</strong>s ist zum wesentlichen Teil auf die Wohnsuburbanisierung zurückzu-<br />

führen, aber auch auf die seit den 1970er Jahren verstärkte Umlandwanderung<br />

von Industrie- und <strong>Die</strong>nstleistungsunternehmen, die aufgrund ihres gestiege-<br />

nen Flächenbedarfs und der hohen Grundstückspreise in der Kernstadt in die<br />

Suburbia auswichen. Baulandreserven waren größtenteils aufgebraucht, Immo-<br />

bilienpreise stiegen sukzessive an, so dass die <strong>Suburbanisierung</strong> auf Bereiche<br />

außerhalb der Verdichtungsachsen ausweichen musste, wie beispielsweise auf<br />

die Wienerwaldgemeinden (MUSIL 2002: 45). <strong>Die</strong>se Gebiete verfügten noch<br />

über größere Freiflächenreserven und die Bodenpreise waren wesentlich güns-<br />

tiger. Andererseits veränderte sich in den frühen <strong>Suburbanisierung</strong>sgemeinden<br />

wie in Mödling die Bauweise. So wich der über Jahrzehnte bestehende großflä-<br />

chige Einfamilienhausbau größtenteils dem verdichteten Wohnbau. Aufgrund<br />

des Bauflächenmangels versucht man in den letzten Jahren vor allem in der<br />

südlichen Suburbia dichter und höher zu bauen, was jedoch mitunter auf mas-<br />

siven Widerstand der Bevölkerung stößt (MAYER 2004: 12).<br />

Festzuhalten ist, dass das Einfamilienhaus im Wiener Umland nach wie vor die<br />

dominante Siedlungsform ist und dies zudem überwiegend in offener Verbau-<br />

ung am Ortsrand. Hinzu kommt, dass in Österreich nach 1945 der Einfamilien-<br />

hausbau überwiegend in privater Hand verblieb, da kommunale und genossen-<br />

14 südliche Bundesstraße Wien - Wiener Neustadt<br />

23


schaftliche Bauträger diese Bauweise als unwirtschaftlich ansahen. Aufgrund<br />

dessen ist eine zunehmend disperse Ausweitung der <strong>Suburbanisierung</strong> nicht<br />

verwunderlich, da jeder Grundstückseigentümer sein Grundstück nach den<br />

Richtlinien des Flächenwidmungs- und Bebauungsplanes so verbauen kann,<br />

wie es ihm beliebt ganz gleich ob das Bauland dabei optimal ausgenutzt wird<br />

oder nicht (MARIK 2002: 287).<br />

Das Wiener Umland ist gekennzeichnet von einer traditionellen klein- bis mit-<br />

telstädtischen und dörflichen Kulturlandschaft, die jedoch zu einem großen Teil<br />

bereits von suburbanen Wohn-, Gewerbe- und Industriebauten sowie kompli-<br />

mentierend von Shopping-Centern überformt wurde. So trifft man auch in der<br />

Wiener Suburbia auf Subzentren wie den Businesspark Wien-Süd CAMPUS 21<br />

in Brunn am Gebirge (potenzieller Arbeitsplatzgeber für die Wiener oder Su-<br />

burbaniten), die Tendenzen einer Verselbstständigung und Loslösung des Um-<br />

landes von der Kernstadt bilden. Er ist in der Wiener Suburbia jedoch bisweilen<br />

das einzige Subzentrum dieser Art, wo sich das Umland von der Kernstadt löst.<br />

24<br />

Laut Bevölkerungsprognosen der ÖROK 2001-2031 wird die Suburbanisie-<br />

rung auch weiterhin andauern und der Wiener Agglomerationsraum weiter<br />

wachsen, verstärkt im äußeren suburbanen Raum (ÖROK-Prognose 2004: 66).<br />

Obwohl die Siedlungsexpansion positive Effekte wie Wirtschaftswachstum<br />

oder Erhöhung der Wohnqualität 15 hervorbrachte, besteht Handlungsbedarf, da<br />

es im Zuge der <strong>Suburbanisierung</strong> auch zu vielen negativen Auswirkungen<br />

kam. So ist der Flächenverbrauch intensiver, die Landschaft unterliegt einer<br />

starken Zersiedlung und Versiegelung, was unter anderem Hochwassergefah-<br />

ren hervorruft. Zusätzlich wird durch den anwachsenden Individual- und Gü-<br />

terverkehr die Umwelt verstärkt belastet. <strong>Die</strong> Landschaft wird rücksichtslos<br />

vereinnahmt, Lebensräume von Tieren und Pflanzen werden zerstört, aber auch<br />

die Siedlungs-, Bau- und Wohnformen der Ortschaften in Suburbia verändern<br />

sich fortwährend (MAYER 2004: 15 und MAYER 2004: 67f.). Erschwerend<br />

15 Erhöhung der Wohnnutzfläche, Wohnraumanzahl und der Ausstattungskategorie gegenüber der Stadt


kommt hinzu, dass alle steuernden raumordnerischen Maßnahmen auf regiona-<br />

ler Ebene aufgrund der hohen Gemeindeautonomie und der politisch unter-<br />

schiedlich gesonnenen Bundesländer Wien und Niederösterreich 16 wirkungslos<br />

bleiben (FASSMANN 2004: 4). Inwiefern das Instrumentarium Landschafts-<br />

schutzgebiet auf die <strong>Suburbanisierung</strong> einwirken kann und Auswirkungen<br />

zeigt, soll innerhalb dieser Arbeit am Beispiel des Wienerwaldes geklärt wer-<br />

den.<br />

3. Schutzgebiete und Auswirkungen auf die Raumordnung<br />

3.1 Annäherung an die Begrifflichkeit des Landschaftsschutzgebiets<br />

Um hinter die Bedeutung des Begriffs Landschaftsschutzgebiet zu gelangen, ist<br />

es hilfreich sich mit der begrifflichen Zusammensetzung des Wortes auseinan-<br />

derzusetzen. So wird im Allgemeinen unter „Landschaft“ eine Region, eine erd-<br />

räumliche Gesamtheit oder aber auch nur der bildliche Eindruck eines begrenz-<br />

ten Gebietes verstanden. Berücksichtigt werden muss jedoch die Tatsache, dass<br />

es dabei zwei unterschiedliche Betrachtungsmöglichkeiten gibt: nämlich die<br />

Landschaft als Naturlandschaft oder als die vom Menschen geprägte und ge-<br />

formte Kulturlandschaft anzusehen. Unter Landschaftsschutz versteht man<br />

„allgemein Maßnahmen zur Erhaltung und Pflege der natürlichen und kulturel-<br />

len Eigenart einer Landschaft“ (DIERCKE-Wörterbuch 2001: 439 und 451), so<br />

dass diese in Hinblick auf das Prinzip der Nachhaltigkeit 17 nicht verloren geht.<br />

Aufgrund dessen soll durch die Ausweisung von Landschaftsschutzgebieten<br />

und deren rechtlichen Parametern der Schutz von Natur und Landschaft ge-<br />

16 Wien wird SPÖ - regiert, hingegen Niederösterreich von der ÖVP<br />

17 Nachhaltigkeit ist gleichzusetzen mit der Zukunftsfähigkeit einer modernen Gesellschaft und bedeutet<br />

soviel wie nicht zu Lasten zukünftiger Generationen zu leben. Das bedeutet u.a., mit Rohstoffen äußerst<br />

sparsam umzugehen, möglichst nur noch erneuerbare Energiequellen zu nutzen und so wenig wie möglich<br />

umweltschädlichen Müll und gasförmige Schadstoffe zu hinterlassen. Auch die Bewahrung der Artenvielfalt,<br />

intakter Böden, Gewässer und Wälder, sowie des labilen Klimasystems und der schützenden<br />

Ozonschicht gehört zu den Pflichten der Nachhaltigkeit (nach der Brundtland-Kommission 1987).<br />

25


währleistet werden. Im Allgemeinen wird unter einem Landschaftsschutzgebiet<br />

ein „gesetzlich geschützter und eindeutig abgegrenzter, meist größerräumiger<br />

Landschaftsraum, oft mit Erholungsgebietscharakter, der über ein charakteristi-<br />

sches Landschaftsbild verfügt“, verstanden, der „ebenso wie der Naturhaushalt<br />

in der Landschaft, vor nachhaltig schädigenden, wesentlichen Eingriffen durch<br />

wirtschaftliche und sonstige raum- und ökosystemwirksame Aktivitäten des<br />

Menschen geschützt werden […]“ soll (vgl. DIERCKE-Wörterbuch 2001: 451).<br />

Deswegen wurden Landschaftsschutzgebiete sowohl in Österreich als auch in<br />

Deutschland als rechtsverbindliche Instrumente ausgewiesen. Dennoch beste-<br />

hen Unterschiede in der Gesetzesgrundlage zwischen den beiden Republiken<br />

auf die nachfolgend kurz eingegangen wird.<br />

3.1.1 Naturschutzrecht und Landschaftsschutzgebiete - Deutschland<br />

vs. Österreich<br />

Der wichtigste Unterschied zwischen beiden Staaten ist die Tatsache, dass alle<br />

deutschen Bundesländer zwar ihre eigenen (Landes-) Naturschutzgesetze ha-<br />

ben, diese jedoch dem Bund unterstehen, da es in Deutschland ein einheitlich<br />

gültiges Bundesnaturschutzgesetz (BNschG) gibt. In Österreich hingegen fehlt<br />

die Bundeskompetenz völlig, Naturschutz ist hier komplett Ländersache.<br />

Das deutsche Bundesnaturschutzgesetz jedoch versteht sich gemäß §75 des<br />

Grundgesetzes als ein Rahmengesetz des Bundes und beinhaltet die bundes-<br />

weit geltenden Grundregeln des gesetzlichen Naturschutzes sowie die Vorga-<br />

ben für die Naturschutzgesetzgebung der Bundesländer.<br />

Im österreichischen Bundesverfassungsrecht ist der Begriff des Naturschutzes<br />

und in weiterer Folge auch der des Landschaftsschutzes nicht definiert bezie-<br />

hungsweise noch nicht einmal erwähnt. Aufgrund dessen fällt er unter die Ge-<br />

neralklausel des Art. 15 Abs. 1 B-VG 18 und somit in die Gesetzgebung- und<br />

18 Artikel 15 (B- VG): „Soweit eine Angelegenheit nicht ausdrücklich durch die Bundesverfassung der<br />

Gesetzgebung oder auch der Vollziehung des Bundes übertragen ist, verbleibt sie im selbstständigen Wirkungsbereich<br />

der Länder“.<br />

26


Vollziehungszuständigkeit der Bundesländer (BUSSJÄGER 1995: 17 sowie<br />

LIEHR et al. 1986: 17). Es gibt in Österreich daher im Gegensatz zu Deutschland<br />

kein Bundesnaturschutzgesetz, das Rahmenvorschriften vorgibt, die im jeweili-<br />

gen Landesnaturschutzrecht umzusetzen sind. Vielmehr haben die Bundeslän-<br />

der in Österreich ihre eigenen individuellen Naturschutzgesetze, die zudem un-<br />

terschiedlich in ihrem Aufbau und Inhalt sind. <strong>Die</strong>s führt unter anderem zu<br />

Problemen zwischen den Ländern beispielsweise im Hinblick auf ein landes-<br />

grenzenüberschreitendes Naturschutzvorhaben wie der Schaffung eines grenz-<br />

überschreitenden Landschaftsschutzgebietes oder Nationalparks (SCHACHT<br />

1997: 8). Aber auch im Bereich der Umsetzung von EU-Richtlinien erweist sich<br />

das unkoordinierte Vorgehen zwischen Bund und Ländern als nachteilig was<br />

zuletzt die Klage der EU-Kommission im Juli 2004 bezüglich mangelnder Um-<br />

setzung der Vogelschutz- und Habitatrichtlinie in Österreich bestätigte. Grund<br />

dafür ist, dass internationale Übereinkommen zum Schutz von Natur und<br />

Landschaft, im Einverständnis der Bundesländer, durch den Bund erfolgen, der<br />

auch die dafür notwendigen Gesetze verabschiedet, die nationalen Natur-<br />

schutzbestimmungen hingegen jedoch die Länder regeln (AUBRECHT et al.<br />

2002: 18).<br />

Landschaftsschutzgebiete und somit der Landschaftsschutz in Österreich sind<br />

Bestandteil der einzelnen Landesnaturschutzgesetze oder wurden wie im Bun-<br />

desland Vorarlberg als ein eigenes Landschaftsschutzgesetz erlassen. Im All-<br />

gemeinen versteht man in Österreich laut ÖROK-Definition unter einem Land-<br />

schaftsschutzgebiet einen „Teil der Landschaft, der sich durch hervorragende<br />

landschaftliche Schönheit oder Eigenart auszeichnet und/ oder besonderen Er-<br />

holungswert hat. In solchen Gebieten (Kulturlandschaft) soll der Mensch als<br />

gestaltender Faktor erhalten bleiben, das heißt, bisherige Nutzungen (nach Art<br />

und Ausmaß) werden beibehalten. Neue Nutzungen und Vorhaben bedürfen<br />

einer Bewilligung.“ (SCHACHT 1997: 12). <strong>Die</strong>se Ausführung kommt, trotz ge-<br />

27


gebenen Abweichungen, den jeweiligen Landesdefinitionen eines Landschafts-<br />

schutzgebiets recht nahe.<br />

Etwa 25 Prozent der Fläche Österreichs stehen in den verschiedenen Kategorien<br />

des Gebietsschutzes unter Schutz. Landschaftsschutzgebiete sind dabei unter<br />

allen anderen Schutzgebietskategorien wie Naturschutzgebiet oder Natur-<br />

denkmal 19 etc. flächenmäßig am weitesten verbreitet. So gab es im Dezember<br />

2000 253 Landschaftsschutzgebiete mit einer Flächengröße von 9.120 km², was<br />

rund elf Prozent der Gesamtfläche Österreichs ausmacht (http://www.umwelt<br />

bundesamt.at/umweltschutz/naturschutz/schutzgebiete/landschaftsschutz<br />

21.04.06).<br />

Nachstehende Karte zeigt die Verortung aller Landschaftsschutzgebiete inner-<br />

halb der österreichischen Landesgrenzen.<br />

Abb.3: Übersicht über Landschaftsschutzgebiete in Österreich mit eigener Heraus-<br />

hebung des LSG Wienerwald<br />

Quelle: http://www.umweltbundesamt.at/umweltschutz/naturschutz/schutzgebiete/<br />

landschaftsschutz (28.04.2006)<br />

19 <strong>Die</strong>se drei Schutzgebietskategorien existieren in allen neun Bundesländern, alle anderen Kategorien<br />

(Naturparke, Biosphärenreservate etc.) beschränken sich auf ein oder mehrere Länder.<br />

28


3.2 Der Landschaftsschutz in Österreich<br />

Um die Landschaft zu schützen sowie die unterschiedlichen Naturschutzbe-<br />

strebungen zu gewährleisten, bedarf es rechtlicher Grundlagen. <strong>Die</strong>se reichen<br />

von nationalen Naturschutzbestimmungen für den Arten-, Biotop- oder Land-<br />

schaftsschutz bis hin zu internationalen Übereinkommen wie beispielsweise der<br />

Umsetzung von Biosphärenreservaten. Alle Gebiete die den jeweiligen Schutz-<br />

gebietskategorien nach nationalen Bestimmungen zugehörig sind, werden<br />

durch Verordnung der Landesregierung oder durch Verordnung bzw. Bescheid<br />

der Bezirksverwaltungsbehörden unter Schutz gestellt, so auch das Land-<br />

schaftsschutzgebiet (AUBRECHT et al. 2002: 18).<br />

3.2.1 Geschichtlicher Abriss<br />

Der Landschaftsschutz darf nicht als historischer Kern des Naturschutzrechts<br />

gesehen werden. <strong>Die</strong> Landschaft als solche wurde erst relativ spät als eine<br />

schützenswerte Kategorie ins Naturschutzrecht mit aufgenommen. Zwar wur-<br />

de der Schutz des Landschaftsbildes bereits 1924 im niederösterreichischen Na-<br />

turschutzgesetz erwähnt. Man verstand darunter aber nur die Erhaltung eines<br />

schönen Landschaftsbildes, sodass gegebenenfalls Bauwerke an ihre natürliche<br />

Umgebung anzupassen waren.<br />

Einen Gebietsschutz gab es erst mit dem Reichsnaturschutzgesetz (RNG) 1939 20 ,<br />

wo es nach §5 besonders wertvolle Landschaftsteile, wenn diese zur Zierde<br />

oder zur Belebung des Landschaftsbildes beitrugen, zu schützen galt (BUSSJÄ-<br />

GER 1995: 16). <strong>Die</strong> ersten Naturschutzgesetze hatten zwar Regelungen über Na-<br />

turdenkmäler und Naturschutzgebiete inne, das RNG jedoch gewährte als Er-<br />

neuerung auch den Schutz einzelner Landschaftsteile, die zwar als Natur-<br />

denkmal oder Naturschutzgebiet nicht in Betracht kamen, aber doch wertvoll<br />

waren und stellte diese ebenfalls unter Schutz (BUSSJÄGER 1995: 12).<br />

20 mit 17.02.1939 wurde in ganz Österreich das 1935 geschaffene deutsche Reichsnaturschutzgesetz ein-<br />

geführt<br />

29


Da das RNG ein durchaus fortschrittliches, zukunftsweisendes Gesetz war und<br />

nur wenig NS-Jargon enthielt, ging es nach 1949 nahezu unverändert in das ös-<br />

terreichische Recht als landesgesetzliche Regelung ein und wandelte sich somit<br />

in neun einzelne Landesnaturschutzgesetze. Erst in den 1960er und 1970er Jah-<br />

ren wurde das RNG durch andere landesgesetzliche Regelungen abgeändert<br />

oder ersetzt, seine Institutionen sind aber im Wesentlichen bestehen geblieben.<br />

Als wesentliche Neuerung dieser Zeit ist der umfassende Landschaftsschutz zu<br />

sehen. Nicht mehr einzelne Teile sondern die Landschaft als Ganzes, als eigene<br />

Schutzgebietskategorie wurde seit Anfang der 1970er Jahre in die landesgesetz-<br />

lichen Naturschutzregelungen mit aufgenommen (BUSSJÄGER 1995: 13).<br />

Festgehalten werden kann, dass die Entwicklung des Landschaftsschutzes von<br />

einem punktuellen Eingriffsschutz (Bewilligungspflichten für bestimmte Ein-<br />

griffe) besonders bedeutender Landschaftsteile zu einem immer umfassenderen<br />

Flächenhaften (Bewilligungspflichten für alle Eingriffe in bestimmten Zonen)<br />

verlief. Dabei wurde der flächenhafte Gebietsschutz jedoch erst recht spät um-<br />

gesetzt, als große Teile der Landschaft bereits aufgrund der Industrialisierung,<br />

der Zersiedelung und Versiegelung in den Alpen zerstört waren. <strong>Die</strong> Begrün-<br />

dung dafür liegt unter anderem in dem erst ab den frühen 1970er Jahren beste-<br />

henden Reglement von umfassenden Bewilligungspflichten hinsichtlich stören-<br />

der Eingriffe in die Landschaft.<br />

Neben den Bewilligungspflichten enthalten die landesschutzrechtlichen Rege-<br />

lungen auch bestimmte Verbote zum Schutz der Landschaft, bei denen es sich<br />

oftmals allgemein um die Verunstaltung der freien Landschaft handelt. Trotz-<br />

dem sind die Natur- und Landschaftsschutzgesetze der Länder von einem tat-<br />

sächlich umfassenden Schutz der freien Natur und Landschaft großteils noch<br />

immer weit entfernt (BUSSJÄGER 1995: 16ff. und BUSSJÄGER 2001: 39).<br />

30


3.2.2 Naturschutz und Raumordnung<br />

Neben dem Naturschutz ist auch die österreichische Raumordnung keine Auf-<br />

gabe des Bundes, da auch sie in der Bundesverfassung keine Erwähnung findet.<br />

<strong>Die</strong>s besagt die Generalklausel des Art. 15, Abs. 1 des B-VGs, wonach all jene<br />

Materien, die nicht implizit in der Bundesverfassung benannt werden, dem<br />

selbstständigen Wirkungsbereich der Bundesländer zugewiesen werden. An-<br />

ders als in föderalistisch organisierten Staaten wie beispielsweise Deutschland<br />

oder der Schweiz hat der Bund in Österreich demnach keine Rahmenkompe-<br />

tenz im Bereich der Raumordnung und des Naturschutzes. Auch innerhalb die-<br />

ses Bereiches wäre eine Bundesraumordnung, wie es sie in Deutschland gibt,<br />

von Nöten, um sowohl Probleme wie Flächenzersiedelung oder<br />

Unkoordiniertheit der jeweiligen Landesraumordnungsgesetze als auch deren<br />

unterschiedliche Bezeichnungen einzudämmen.<br />

In Österreich ist Raumordnung daher Aufgabe der Länder, die entsprechende<br />

Raumordnungsgesetze (ROG) verabschieden, die als Grundlage und rechtlicher<br />

Rahmen für die eigenständige Ausgestaltung der jeweiligen Landesraumord-<br />

nung dienen, ebenso bei den Landesnaturschutzgesetzen.<br />

Beide Materien dürfen nicht losgelöst voneinander gesehen werden, vielmehr<br />

bedingen sie einander aufgrund ihrer zahlreichen Überschneidungen. Sicher<br />

haben beide Materien auch Aspekte, die nur peripher miteinander zu tun ha-<br />

ben. Doch kann mit Raumordnung die planmäßige und vorausschauende Ges-<br />

taltung eines Gebietes zur Gewährleistung der bestmöglichen Nutzung und zur<br />

Sicherung des Lebensraumes gleichgesetzt werden (ÖROK 2002: 138). Und<br />

ebenso verfolgt der Naturschutz das Ziel den Landschafts- und Lebensraum zu<br />

sichern, indem er jenen unter Schutz stellt.<br />

Naturschutz hat heute einen gesellschaftspolitischen Anspruch erlangt, wes-<br />

halb es nicht verwunderlich ist, dass er seinen Eingang in die Raum- und Land-<br />

schaftsplanung gefunden hat und mit den Instrumenten der Landschaftspla-<br />

nung und –pflege in den meisten österreichischen Naturschutzgesetzen veran-<br />

31


kert ist. Daher stellen die bereits benannten Gebietsschutzkategorien wie Na-<br />

turschutzgebiete, Naturdenkmäler, geschützte Landschaftsteile oder Land-<br />

schaftsschutzgebiete neben Instrumenten des Naturschutzes auch Planungsin-<br />

strumente dar, mit denen wirkungsvolle ökologische Raumplanung betrieben<br />

werden kann. So gelten beispielsweise nach §4 des OÖ. Naturschutzgesetz<br />

(LGBl. Nr. 37/95) „Naturschutzrahmenpläne als Raumordnungsprogramme für<br />

Sachbereiche“.<br />

Von besonderer Bedeutung für den Naturschutz ist auch die Regelung, dass in<br />

einigen Bundesländern alle Flächen außerhalb von Bauland und Verkehrsflä-<br />

chen als Grünland besonderen naturschutzrechtlichen Bestimmungen unter-<br />

worfen sind, wodurch der landschaftsplanerische und -pflegerische Hand-<br />

lungsspielraum entscheidend verbessert und erweitert wurde (BUSSJÄGER<br />

1995: 29ff.). <strong>Die</strong>se ersten Bemühungen, naturschutzrechtliche Bestimmungen<br />

mit raumordnungsrelevanten Fragestellungen in Verbindung zu setzen, signa-<br />

lisieren einen wichtigen und zukunftsweisenden Weg um nachhaltig mit der<br />

Materie Raum umgehen zu können.<br />

Von immenser Wichtigkeit ist, dass es entsprechend dem Beispiel einiger Bun-<br />

desländer zu einer bundesweit allgemein gültigen Verknüpfung zwischen Na-<br />

turschutz und Raumordnung kommt, da diese in einer wechselseitigen Inter-<br />

dependenz zueinander stehen sowie einander bedingen (BUSSJÄGER 1995: 30).<br />

32<br />

Im Bereich der örtlichen Raumordnung fehlt die Verbindung zwischen<br />

Naturschutz und Raumordnung zudem nahezu ganz, sodass auch hier umge-<br />

hender Handlungsbedarf erforderlich ist. Zwar sind in Flächenwidmungsplä-<br />

nen Natur- und Landschaftsschutzgebiete zu berücksichtigen. <strong>Die</strong> naturräumli-<br />

che Grundlagenforschung hingegen beruht auf sehr vagen Formulierungen,<br />

wie, dass „bei allen Eingriffen und Maßnahmen der örtlichen Raumordnung es<br />

den Naturraum zu berücksichtigen und schonend zu nutzen“ gilt. Nach man-<br />

chen Landesgesetzen haben naturschutzrechtliche Festlegungen wie beispiels-<br />

weise der Schutz des Grünlandes im Rahmen der Anzeige- und Bewilligungs-


pflicht von Maßnahmen im Bereich des Grünlandes einen direkten Einfluss auf<br />

die örtliche Raumordnung. In den Raumordnungsgesetzen sind hingegen Rege-<br />

lungen im Sinne des Naturschutzes zu allgemein gefasst bzw. fehlen gänzlich.<br />

<strong>Die</strong>ser Zustand muss dringend überdacht und erneuert werden. So sollte die<br />

Landschaftsplanung im Rahmen der Raumordnung als ökologisch-<br />

strukturelles, querschnittsorientiertes Fachinstrument berücksichtigt werden,<br />

wie beispielsweise bezüglich der Integration des Natur- und Landschafts- so-<br />

wie des Umweltschutzes als „zuständige“ Fachplanung (sektorale) in der örtli-<br />

chen und überörtlichen Raumordnung (vgl. SCHACHT 1997: 15).<br />

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Raumordnung wie der Natur-<br />

schutz Querschnittsmaterien sind, deren Überlappungsbereiche es sinnvoll zu<br />

kombinieren gilt, um einen nachhaltigen Schutz der Landschaft auch für die<br />

nachfolgenden Generationen garantieren zu können. So sind die Interessen des<br />

Naturschutzes – innerhalb der Länder graduell unterschiedlich - wesentliche<br />

Inhalte der meisten österreichischen Raumordnungsgesetze, doch bedarf es bei<br />

den Planungsinstrumenten noch einiger Abstimmung zwischen den Ländern.<br />

<strong>Die</strong>s vor allem im Bereich der Definition ihrer „Inhalte“, innerhalb der Bezeich-<br />

nung der Planung sowie bei ihrem Stellenwert. Besondere Wichtigkeit erlangt<br />

die Abstimmung und Vereinheitlichung bei grenzüberschreitenden Gemein-<br />

schaftsvorhaben der Länder. Daher ist es von maßgeblichem Interesse, die In-<br />

strumente der Landschafts- und Raumplanung bundesweit abgestimmt in den<br />

Raumordnungsgesetzen zu verankern. Naturschutz und Raumordnung sollen<br />

daher nicht mehr isoliert, sondern als „übergeordnete, umsetzungsorientierte“<br />

Gesamtplanung angesehen werden (SCHACHT 1997: 15).<br />

3.2.3 Naturschutzrechtliche Implikationen auf den Flächenwidmungsplan<br />

im niederösterreichischen Raumordnungsgesetz<br />

<strong>Die</strong> Raumordnung in Österreich ist hierarchisch aufgebaut und zudem zweige-<br />

teilt. So gibt es eine überörtliche und eine örtliche Raumordnung. Sie untersteht<br />

33


wie bereits zuvor erwähnt nicht dem Bund, so betreibt dieser doch in Hinsicht<br />

auf Bundesstraßen- und Schienenausbau, öffentlichen Einrichtungen oder bzgl.<br />

Regeln des Finanzausgleiches Raumordnung. Da (überörtliche) Raumordnung<br />

allerdings Landessache ist, ebenso wie der Naturschutz, gibt es von beiden Ma-<br />

terien neun verschiedene Gesetze, für jedes Bundesland eines. <strong>Die</strong> Raumord-<br />

nungsgesetze sehen auf überörtlicher Ebene verbindliche Pläne vor, deren In-<br />

halte die nachgeordneten Pläne auf Gemeindeebene binden. Sie sind somit<br />

dienlich, um Grundsätze und Ziele aufzustellen, die einen Rahmen für die örtli-<br />

che (Gemeinde-)Planung vorgeben sollen. Träger der überörtlichen Raumord-<br />

nung ist wie zuvor erwähnt die Landesregierung, welche im Zusammenhang<br />

mit der Raumordnung unterschiedliche Funktionen auszuüben hat. So tritt sie<br />

als Planungsbehörde für die überörtliche Raumordnung in Erscheinung, ist zu-<br />

dem Aufsichtsbehörde für die örtliche Raumordnung und übt weiters eine Be-<br />

ratungs- und Unterstützungstätigkeit für die Gemeinden aus.<br />

Der Flächenwidmungsplan ist im Land Niederösterreich, welches im Rahmen<br />

der <strong>Diplomarbeit</strong> besondere Beachtung findet, neben dem Örtlichen Entwick-<br />

lungskonzept und dem Bebauungsplan Bestandteil der örtlichen Raumord-<br />

nung, welcher den Gemeinden obliegt. In Österreich herrscht aufgrund Art 118<br />

Abs. 3 Z 9 B-VG eine ausgesprochene Gemeindeautonomie, wodurch die Ge-<br />

meinden befugt sind im Rahmen der Bundes- und Landesgesetze örtliche<br />

Raumordnung im eigenen Wirkungsbereich auszuüben. In Niederösterreich<br />

gibt darauf aufbauend das Land mittels dem Niederösterreichischen Raumord-<br />

nungsgesetz 1976 §13 einen Rahmenplan vor, wonach jede Gemeinde ein örtli-<br />

ches Raumordnungsprogramm aufzustellen und durch den Gemeinderat zu<br />

verordnen hat. Darauf folgend hat die Landesregierung dieses zu prüfen und<br />

bei entsprechender (Nicht-)Erfüllung der Vorgaben zu genehmigen oder zu<br />

versagen. Das örtliche Raumordnungsprogramm muss eine Grundlagenfor-<br />

schung, ein örtliches Entwicklungskonzept und einen Flächenwidmungsplan<br />

enthalten, mittels derer die Planungsziele der Gemeinden für die nächsten fünf<br />

34


is zehn Jahre sowie die Maßnahmen für deren Umsetzung, festzulegen sind.<br />

Des Weiteren muss dabei auf Planungen und Maßnahmen des Bundes, des<br />

Landes und benachbarter Gemeinden Bedacht genommen werden (vgl. NÖ<br />

ROG 1976: http://www.ris. bka.gv.at/lr-niederoesterreich (05.08.2006)).<br />

Der Flächenwidmungsplan ist planungsrechtlich das wichtigste Instrument der<br />

örtlichen Raumordnung. Nach § 14 des Niederösterreichischen Raumord-<br />

nungsgesetzes 1976 werden in ihm die Widmungen für alle Flächen im Ge-<br />

meindegebiet parzellenscharf festgelegt. Dabei ist grundsätzlich zwischen den<br />

Widmungsarten Bauland, Verkehrsflächen und Grünland zu unterscheiden.<br />

<strong>Die</strong> Bauland- und Grünlandarten untergliedern sich in Folge dessen entspre-<br />

chend den örtlichen Gegebenheiten in jeweilige Unterkategorien wie beispiels-<br />

weise Bauland Wohngebiet oder Grünland Land- und forstwirtschaftliche Flä-<br />

chen, womit jeweils der Rahmen ihrer möglichen Nutzung definiert ist. Neben<br />

den Widmungen, welche in der autonomen Entscheidungsfreiheit der Gemein-<br />

den liegen, müssen im Flächenwidmungsplan ebenso überörtliche Planungen<br />

und Nutzungen kenntlich gemacht werden. Kenntlichmachungen sind zum ei-<br />

nen Festlegungen von Bundes- und Landesbehörden wie Eisenbahnen oder be-<br />

stehende bzw. verbindlich geplante Bundesstraßen sowie zum anderen Nut-<br />

zungsbeschränkungen, die aufgrund von Bundes- und Landesgesetzen beste-<br />

hen. Dazu zählen Schutzgebiete von Wasserversorgungsanlagen, Naturschutz-<br />

oder Landschaftsschutzgebiete. Darüber hinaus sind im Flächenwidmungsplan<br />

auch Bereiche mit gravierenden Gefährdungen zum Beispiel durch Hochwas-<br />

ser, Lawinen oder Altlasten kenntlich zu machen.<br />

Somit fällt die örtliche Raumordnung zwar in den eigenen Wirkungsbereich der<br />

Gemeinden, jedoch können Bund und Länder verbindliche Bodennutzungen<br />

festlegen, die als Kenntlichmachung im Flächenwidmungsplan auszuweisen<br />

sind, und an deren Vorgaben sich die Gemeinden zu halten haben. Das heißt,<br />

die Flächen sind für die Gemeinden tabu und können kommunal nicht anders<br />

gewidmet werden. Damit ist die Planungshoheit der Gemeinden für diese Flä-<br />

35


chen reduziert. <strong>Die</strong>se überörtlich verordneten Nutzungsbeschränkungen kom-<br />

men dem Naturschutz und darin inkludiert den Landschaftsschutzgebieten zu<br />

Gute. Da diese in Flächenwidmungsplänen ausgewiesen werden müssen und<br />

dadurch für weitere Nutzungsarten beschränkt sind. Somit soll zumeist eine Si-<br />

cherung des Freiraums durch Besiedlung erwirkt werden (vgl.<br />

http://www.ris.bka.gv.at/lr-niederoesterreich (05.08.2006)).<br />

3.3 Das Landschaftsschutzgebiet im Naturschutzgesetz<br />

<strong>Die</strong> Ausweisung von Landschaftsschutzgebieten obliegt den einzelnen Bundes-<br />

ländern mit ihrer jeweiligen Gesetzgebung. Allen Ländern gleich ist (mit Aus-<br />

nahme von Vorarlberg), dass das Landschaftsschutzgebiet ein Bestandteil der<br />

einzelnen Landesnaturschutzgesetze ist, wenn es für diese auch keine nament-<br />

liche Vereinheitlichung gibt. So widmen sich beispielsweise das oberösterrei-<br />

chische Natur- und Landschaftsschutzgesetz im §11 und das niederösterreichi-<br />

sche Naturschutzgesetz im §8 dem Landschaftsschutzgebiet als eine schüt-<br />

zenswerte Gebietsschutzkategorie.<br />

3.3.1 Landschaftsschutzgebiete nach niederösterreichischem Recht<br />

In Niederösterreich, dem Land mit dem ältesten Naturschutzgesetz Österreichs<br />

von 1868, unterstehen Landschaftsschutzgebiete dem Naturschutzrecht. So gibt<br />

es in der aktuellen Fassung des Naturschutzgesetzes von 2000 im Abschnitt III:<br />

Besondere Schutzbestimmungen mit dem §8 einen eigenen Paragraphen<br />

„Landschaftsschutzgebiet“. Aufgrund dieser gesetzlichen Verankerung werden<br />

dem Landschaftsschutzgebiet eine eigene Gebietsschutzkategorie und ein In-<br />

strumentarium zuerkannt. Da in dieser Arbeit die Siedlungsentwicklung der<br />

letzten 25 Jahre innerhalb der sich im Landschaftsschutzgebiet Wienerwald be-<br />

findlichen Gemeinden aufgezeigt werden soll, ist es maßgeblich, neben dem<br />

36


heute gültigen NÖ Naturschutzgesetz 2000 21 auch jene Fassung von 1976 samt<br />

seiner Novellierungen zum Vergleich heranzuziehen.<br />

Am 11. November 1976 wurde ein Gesetz über die „Erhaltung und die Pflege<br />

der Natur“, LGBl. 5500-0, erlassen. Im damaligen Niederösterreichischen Na-<br />

turschutzgesetz im §1 Abs 1 heißt es wie folgt:<br />

„Der Naturschutz hat zum Ziel, die Natur in all ihren Erscheinungsformen, insbesondere<br />

in ihrem Wirkungsgefüge und in ihrer Vielfalt zu erhalten und zu pflegen; dazu<br />

gehört auch das Bestreben, die der Gesundheit des Menschen und seiner Erholung<br />

dienenden Umwelt als bestmögliche Lebensgrundlage zu erhalten oder wiederherzustellen<br />

oder zu verbessern. <strong>Die</strong> Erhaltung und Pflege der Natur erstreckt sich auf all ihre<br />

Erscheinungsformen, gleichgültig, ob sie sich in ihrem ursprünglichen Zustand befinden<br />

oder durch den Menschen gestaltet wurden.“<br />

(BUSSJÄGER 1995: 4).<br />

<strong>Die</strong> hier ausformulierten Ziele des Naturschutzes sind sehr allgemein gefasst.<br />

Es gilt die Natur in ihren jeglichen Erscheinungsformen, ob Natur- oder Kultur-<br />

landschaft, zu schützen, zu pflegen und für den Menschen als Erholungs- und<br />

Lebensraum zu erhalten.<br />

Erstmalig wurde im Naturschutzgesetz von 1976 dem Landschaftsgebietsschutz<br />

besondere Beachtung im §6 (3. Abschnitt: Besondere Schutzbestimmungen)<br />

beigemessen. So heißt es da wie folgt:<br />

(1) Gebiete, die eine hervorragende landschaftliche Schönheit oder Eigenart aufweisen,<br />

als charakteristische Kulturlandschaft von Bedeutung sind, oder die der Erholung<br />

der Bevölkerung oder dem Fremdenverkehr dienen, können durch Verordnung der<br />

Landesregierung zu Landschaftsschutzgebieten erklärt werden.<br />

(2) In Landschaftsschutzgebieten bedürfen der Bewilligung durch die Landesregierung<br />

1. die Widmung von Grundstücken als Bauland und als Verkehrsfläche, sowie die Festlegung<br />

von Nutzungsarten im Grünland, mit Ausnahme jener, die der Land- und<br />

Forstwirtschaft vorbehalten sind, nach Maßgabe der Bestimmung des NÖ Raumordnungsgesetzes;<br />

2. die Erlassung von Bebauungsplänen nach Maßgabe der Bestimmungen der NÖ Bauordnung,<br />

LGBl. 8200;<br />

und in folgenden Fällen der Bewilligung durch die Behörde<br />

3. Maßnahmen gemäß § 4 Abs. 1 Z. 1 und §5 Abs. 1 Z. 1 außerhalb des Geltungsbereichs<br />

von Bebauungsplänen;<br />

4. die Rodung, sowie der Kahlhieb von Baumgruppen, auf welche das Forstgesetz 1975,<br />

BGBl. Nr. 440, keine Anwendung findet.<br />

21 letzte Novelle 30.11.2005<br />

37


38<br />

5. Erdbewegungen im Grünland, die nicht im Zuge anderer nach diesem Gesetz bewilligungs-<br />

oder anzeigepflichtiger Vorhaben stattfinden, sofern sie sich auf eine<br />

Fläche von mehr als 1.000m² erstrecken, oder durch die eine Änderung des<br />

bisherigen Niveaus um mehr als einen Meter erfolgt.<br />

(3) Um die Bewilligung hat der Berechtigte anzusuchen.<br />

(4) <strong>Die</strong> Bewilligung ist zu versagen, wenn durch Maßnahmen oder Vorhaben gemäß<br />

Abs. 2<br />

1. das Landschaftsbild<br />

2. die Landschaft in ihrer Schönheit und Eigenart oder<br />

3. der Erholungswert der Landschaft für die Bevölkerung und den Fremdenverkehr dauernd<br />

und maßgeblich beeinträchtigt wird und nicht durch Vorschreibung von Vorkehrungen<br />

die Beeinträchtigung weitgehend ausgeschlossen werden kann. Dabei<br />

ist auf die Erfordernisse einer zeitgemäßen land- und forstwirtschaftlichen<br />

Nutzung soweit wie möglich Bedacht zu nehmen.<br />

(5) <strong>Die</strong> Behörde kann Landschaftsschutzgebiete kennzeichnen. Der Berechtigte über das<br />

betroffene Grundstück ist verpflichtet, die Anbringung der Kennzeichnung unentgeltlich<br />

zu dulden.<br />

Anhand der gesetzlichen Bestimmungen wird deutlich, dass die Erhaltung und<br />

Pflege der landschaftlichen Gestaltung eines Gebietes als oberstes Ziel ange-<br />

strebt wird, wobei es dabei unerheblich ist, welche Widmung die einzelnen<br />

Grundstücke dieses Gebietes aufweisen. In ein Landschaftsschutzgebiet können<br />

somit auch Grundstücke einbezogen werden, die die Widmung Bauland haben.<br />

Dafür kommen sowohl Gebiete in Frage, die eine hervorragende landschaftli-<br />

che Schönheit oder Eigenart aufweisen als auch die, die als charakteristische<br />

Kulturlandschaft von Bedeutung sind oder der Erholung der Bevölkerung bzw.<br />

dem Fremdenverkehr dienen. Zumindest einer dieser Gründe muss gegeben<br />

sein, damit die Landesregierung das Gebiet in der Kategorie Landschafts-<br />

schutzgebiet unter Schutz stellen kann.<br />

Verordnungen nach §6 NSchG gelten als Raumordnungsprogramme des Lan-<br />

des nach dem NÖ Raumordnungsgesetz 1976 (LGBl. 8000-1), und entfalten so-<br />

mit die Wirkung von Raumordnungsprogrammen. Daher darf ein örtliches<br />

Raumordnungsprogramm (§13 NÖ ROG 1976) einer Landschaftsschutzgebiets-<br />

verordnung nicht widersprechen (vgl. §21 Abs. 5 Z. 1 NÖ ROG 1976). Verord-<br />

nungen nach dem §6 NSchG dürfen aber nicht als Raumordnungsprogramme<br />

im Sinne des NÖ Raumordnungsgesetzes gesehen werden, da sie nicht den Er-


zeugungsregeln des NÖ ROG unterliegen. Sie sind nicht final determiniert,<br />

wodurch dem Verordnungsgeber der für die Raumordnungsprogramme typi-<br />

sche Planungsspielraum fehlt (LIEHR et al. 1986: 94).<br />

Es gibt neben zahlreichen Versagungsgründen auch zahlreiche Bewilligungs-<br />

pflichten für (Um-)Widmungen oder andere Eingriffe in die Landschaft. Das<br />

Anliegen des Naturschutzes ist zweifelsohne von überregionaler Bedeutung,<br />

daher sind die Bewilligungen für verschiedene Widmungen beispielsweise ei-<br />

nes Grundstückes als Bauland oder Verkehrsfläche durch die Landesregierung<br />

auch als Maßnahmen des Aufsichtsrechtes im Sinne des Art. 119a B-VG zu se-<br />

hen. Ebenso besteht auch kein Zweifel, dass die zahlreichen Versagungsgründe<br />

in §6 Abs. 4 NSchG überörtlichen Aspekten zugrunde liegen. Somit hat sich je-<br />

der Flächenwidmungs- und Bebauungsplan einer Gemeinde schon von vorn-<br />

herein gänzlich in überörtliche Interessen einzufügen (LIEHR et al. 1986: 96).<br />

Am 31. August 2000 kam es zu einer Neufassung des NÖ Naturschutzgesetzes,<br />

das bis dahin vier Mal novelliert worden ist. Gegenüber der Vorfassung wur-<br />

den die Ziele nur bedingt ergänzt bzw. vervollständigt. So heißt es wie folgt:<br />

§ 1<br />

Ziele<br />

(1) Der Naturschutz hat zum Ziel, die Natur in allen ihren Erscheinungsformen so zu<br />

erhalten, zu pflegen oder wiederherzustellen, dass<br />

1. ihre Eigenart und ihre Entwicklungsfähigkeit,<br />

2. die ökologische Funktionstüchtigkeit der Lebensräume, die Vielfalt, der Artenreichtum<br />

und die Repräsentanz der heimischen und standortgerechten Tier- und Pflanzenwelt<br />

und<br />

3. die Nachhaltigkeit der natürlich ablaufenden Prozesse regionstypisch gesichert und<br />

entwickelt werden; dazu gehört auch das Bestreben, die der Gesundheit des Menschen<br />

und seiner Erholung dienende Umwelt als bestmögliche Lebensgrundlage zu erhalten,<br />

wiederherzustellen oder zu verbessern.<br />

(2) <strong>Die</strong> Erhaltung und Pflege der Natur erstreckt sich auf alle ihre Erscheinungsformen,<br />

gleichgültig, ob sie sich in ihrem ursprünglichen Zustand befinden oder<br />

durch den Menschen gestaltet wurden (Kulturlandschaft).<br />

Anhand dieser Ausführungen wird deutlich, dass im Vergleich zum NSchG<br />

1976 zum einen die Ziele detaillierter formuliert worden sind und zum anderen<br />

im neuen NSchG 2000 die Aspekte der Nachhaltigkeit, der ökologischen Funk-<br />

39


tionstätigkeit der Lebensräume und die Erhaltung ihrer Tier- und Pflanzenwelt<br />

ihre Berücksichtigung fanden.<br />

Im Vergleich dazu wurden die Bestimmungen hinsichtlich des Landschafts-<br />

schutzgebietes im neuen NSchG 2000 kürzer gefasst und verallgemeinert wur-<br />

den So heißt es hier wie folgt:<br />

40<br />

§ 8<br />

Landschaftsschutzgebiet<br />

(1) Gebiete, die eine hervorragende landschaftliche Schönheit oder Eigenart aufweisen,<br />

als charakteristische Kulturlandschaft von Bedeutung sind oder die in besonderem<br />

Maße der Erholung der Bevölkerung oder dem Fremdenverkehr dienen, können<br />

durch Verordnung der Landesregierung zu Landschaftsschutzgebieten erklärt werden.<br />

(2) In Landschaftsschutzgebieten hat die Landesregierung vor Genehmigung des örtlichen<br />

Raumordnungsprogramms oder seiner Änderungen (§§ 21 und 22 des NÖ Raumordnungsgesetzes<br />

1976, LGBl. 8000), mit Ausnahme der Änderung der Widmungsart<br />

innerhalb des Wohnbaulandes und der Festlegung der Widmungsart Land- und<br />

Forstwirtschaft im Grünland, sowie im Verordnungsprüfungsverfahren von Bebauungsplänen<br />

(§ 88 der NÖ Gemeindeordnung 1973, LGBl. 1000) ein Gutachten eines<br />

Naturschutzsachverständigen zur Auswirkung auf die in Abs. 4 genannten<br />

Schutzgüter sowie eine Stellungnahme der NÖ Umweltanwaltschaft einzuholen.<br />

(3) Neben der Bewilligungspflicht nach § 7 Abs. 1 22 bedürfen in Landschaftsschutzgebieten<br />

einer Bewilligung durch die Behörde:<br />

1. die Kulturumwandlung von Flächen mit einem Ausmaß von mehr als einem Hektar;<br />

2. die Beseitigung besonders landschaftsprägender Elemente im Sinne des Abs. 1.<br />

(4) In Landschaftsschutzgebieten sind bewilligungspflichtige Vorhaben oder Maßnahmen<br />

(§§ 7 Abs. 1 und 8 Abs. 3) zu versagen, wenn<br />

1. das Landschaftsbild,<br />

2. der Erholungswert der Landschaft,<br />

3. die ökologische Funktionstüchtigkeit im betroffenen Lebensraum,<br />

4. die Schönheit oder Eigenart der Landschaft oder<br />

22 §7 Abs.1: Außerhalb vom Ortsbereich, das ist ein baulich oder funktional zusammenhängender Teil eines<br />

Siedlungsgebietes (z.B. Wohnsiedlungen, Industrie- oder Gewerbeparks), bedürfen der Bewilligung<br />

durch die Behörde:<br />

1. die Errichtung und wesentliche Abänderung von allen Bauwerken,<br />

2. die Errichtung, die Erweiterung sowie die Rekultivierung von Materialgewinnungs- oder Verarbeitungsan-<br />

lagen jeder Art;<br />

3. die Errichtung, Anbringung, Aufstellung, Veränderung und der Betrieb von Werbeanlagen<br />

4. Abgrabungen oder Anschüttungen,<br />

5. die Errichtung, die Erweiterung sowie der Betrieb von Sportanlagen sowie die Errichtung und Erweiterung<br />

von Golfplätzen, Schipisten und Beschneiungsanlagen;<br />

6. die Errichtung oder Erweiterung von Anlagen für die Behandlung von Abfällen sowie von Lagerplätzen<br />

7. die Errichtung, die Erweiterung sowie die wesentliche Änderung von künstlichen Wasseransammlungen<br />

auf einer Fläche von mehr als 100m²,<br />

8. die Errichtung oder Erweiterung von Anlagen zum Abstellen von Kraftfahrzeugen auf einer Fläche<br />

von mehr als 500 m² im Grünland.


5. der Charakter des betroffenen Landschaftsraumes nachhaltig beeinträchtigt wird und<br />

diese Beeinträchtigung nicht durch Vorschreibung von Vorkehrungen (§ 7 Abs.<br />

4) weitgehend ausgeschlossen werden kann. Bei der Vorschreibung von Vorkehrungen<br />

ist auf die Erfordernisse einer zeitgemäßen land- und forstwirtschaftlichen<br />

Nutzung soweit wie möglich Bedacht zu nehmen.<br />

Neu ist §8 Abs. 2, in dem die Landesregierung vor Genehmigung des örtlichen<br />

Raumordnungsprogramms oder seiner Abänderung (mit einigen Ausnahmen)<br />

ein Gutachten eines Naturschutzsachverständigen sowie eine Stellungnahme<br />

der Niederösterreichische Umweltanwaltschaft 23 , hinsichtlich der Auswirkun-<br />

gen bestimmter Maßnahmen auf das Landschaftsschutzgebiet, einzuholen hat.<br />

In dieser Bestimmung (Abs. 2) sind die detaillierten Festlegungen von §6, Abs. 2<br />

des NSchG aus dem Jahr 1976 inkludiert. Wesentlich für die Siedlungsentwick-<br />

lung einer Gemeinde im Landschaftsschutzgebiet ist neben Abs. 2 vor allem<br />

Abs. 3 (1), nach dem die Umwandlung von Flächen in einem Ausmaß von mehr<br />

als 1 ha durch die Behörde bewilligungspflichtig ist.<br />

Im Großen und Ganzen sind die Bestimmungen im neuen §8 im Vergleich zum<br />

alten §6 kürzer, vereinfacht und allgemeiner gefasst. Auch die Gründe, um<br />

Vorhaben im Landschaftsschutzgebiet zu untersagen, sind allgemeiner Natur<br />

und je nach Ansichts- und Auslegungssache anwendbar. Neu im Vergleich zum<br />

NSchG §6 Abs. 4 sind die Sicherung der ökologischen Funktionstüchtigkeit des<br />

betroffenen Lebens-/ Landschaftsraumes sowie die nachhaltige Beeinträchti-<br />

gung dessen Charakters. Aussagen über die Kennzeichnung eines Landschafts-<br />

schutzgebietes durch die Landesregierung fehlen gänzlich.<br />

Da, wie bereits erwähnt, die Siedlungsentwicklung im Landschaftsschutzgebiet<br />

Wienerwald innerhalb der letzten 25 Jahre analysiert werden soll, war es von<br />

besonderem Interesse, die verschiedenen gesetzlichen Bestimmungen eines<br />

Landschaftsschutzgebietes innerhalb dieses Zeitraums heranzuziehen und die<br />

Naturschutzgesetze aus den Jahren 1976 und 2000 miteinander zu vergleichen.<br />

Als wesentlicher Output kann festgehalten werden, dass die Bestimmungen aus<br />

23 1985 mit Verabschiedung des NÖ Umweltschutzgesetzes eingerichtet, untersteht der NÖ Landesregierung,<br />

ist bei ihren Entscheidungen jedoch nicht an Weisungen gebunden.<br />

41


dem Jahre 2000 vereinfacht wurden, was dem Schutz des Wienerwaldes nicht<br />

zugute kommen kann.<br />

4. Der Wienerwald – Landschaftsschutzgebiet und Siedlungsraum<br />

Der niederösterreichische Teil des Wienerwaldes, der speziell in dieser Arbeit<br />

begutachtet werden soll, wurde am 27. April 1979 per Verordnung durch die<br />

NÖ Landesregierung zum Landschaftsschutzgebiet Wienerwald erklärt. Da-<br />

durch sollte die Erhaltung des Waldes als bedeutende Kulturlandschaft Mittel-<br />

europas auch für nachfolgende Generationen gewährt werden, sodass die land-<br />

schaftliche Schönheit und Eigenart des Wienerwaldes als Erholungs- und Le-<br />

bensraum für den Menschen nicht verloren geht.<br />

In Niederösterreich gibt es derzeit 28 Landschaftsschutzgebiete, diese umfassen<br />

insgesamt 22,4 Prozent der Landesfläche. Das Landschaftsschutzgebiet Wie-<br />

nerwald macht dabei einen Anteil von 5,5 Prozent aus (http://www.noe.gv.at/<br />

Service/RU/RU5/Schutzgebiete/LSG.htm 08.08.2006).<br />

4.1 Schutzgebiete im Wienerwald<br />

Neben dem Landschaftsschutzgebiet beansprucht der Wienerwald noch weitere<br />

Schutzgebietskategorien, so ist er Bestandteil des europaweiten ökologischen<br />

Netzwerkes „Natura 2000“, das die Umsetzung seiner Vogelschutz- (1979) und<br />

seiner (FFH) Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie (1992) auf europäischem Niveau<br />

verfolgt. Des Weiteren existieren innerhalb der Wienerwaldfläche drei Natur-<br />

schutzgebiete (Teufelstein, Eichkogel, Glaslauterriegel) und vier Naturparke:<br />

dazu zählen der Naturpark Sparbach, der Naturpark Föhrenberge, der Natur-<br />

park Eichkogel und, der Wienerwald-Naturpark: Purkersdorf-Sandstein.<br />

Hinzu kam Ende Juni des vergangenen Jahres 2005 die Erhebung des Wiener-<br />

waldes zum UNESCO Biosphärenpark (international: Biosphärenreservat).<br />

42


Damit zählt er zu den 482 wertvollsten Gebieten in 102 Staaten weltweit, in Ös-<br />

terreich gibt es noch fünf weitere Biosphärenparks.<br />

Nach der UNESCO-Definition eines Biosphärenparks geht es nicht nur allein<br />

um den Schutz der Natur sondern auch um die Verknüpfung zwischen Mensch<br />

und Natur. So heißt es da wie folgt:<br />

„Jeder Biosphärenpark soll ein gelebtes Modell dafür sein, wie in einem bestimmten<br />

Landschaftstyp Menschen nachhaltig wirtschaften und leben können.<br />

In einem Biosphärenpark geht es nicht allein um den Schutz von Naturgütern<br />

sondern gleichrangig auch um wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung auf<br />

rücksichtsvolle Weise ohne Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlage.“<br />

(http://www.noel.gv.at/Service/Lf/Lf4/Biosphaerenpark.htm 10.08.2006)<br />

4.1.1 Der Biosphärenpark Wienerwald<br />

Der Schutz des Wienerwaldes hat eine lange Tradition. Bereits 1905 wurde der<br />

„Wiener Wald- und Wiesengürtel“ gegründet, der ein ausgedehntes Schläger-<br />

Abb. 4: Logo<br />

Quelle:<br />

http://www.biosphaeren<br />

park-wienerwald.org/<br />

(31.05.2006)<br />

ungs- und Bebauungsverbot beinhaltete. Darauffolgend<br />

und wegweisend war die Unterzeichnung der ersten<br />

Wienerwalddeklaration der Landeshauptleute von Wien,<br />

Niederösterreich und dem Burgenland im Jahre 1987,<br />

durch die ein umfassender Schutz und die Erhaltung des<br />

Natur- und Kulturraumes Wienerwald gewährleistet<br />

werden sollte. Darauf aufbauend kam es 2002 zu einer<br />

Neufassung der Deklaration, die noch immer den<br />

Grundsatz der Erhaltung des Waldes für nachfolgende Generationen verfolgte.<br />

Doch sollten nun zusätzlich auch wirksamere Schutzmaßnahmen gefunden<br />

werden. Damit wurde der Weg für die Errichtung eines Biosphärenparks<br />

gelegt, weil dieser nach der Erweiterung der Sevilla-Strategie 1995 um den<br />

„Faktor Mensch“ am ehesten dem Schutzgedanken des Wienerwaldes<br />

entspricht. Im Anschluss an eine Machbarkeitsstudie und Regionalanalyse der<br />

PGO zur Umsetzung des Parks wurde im darauffolgenden Jahr 2003 das „Bios-<br />

phärenpark Wienerwald Management“, als Wegbereiter dieser Schutzgebiets-<br />

43


kategorie, gegründet. Der Biosphärenpark Wienerwald mit einer Fläche von<br />

mehr als 105.000 ha entspricht in Niederösterreich dem Landschafts-<br />

schutzgebiet, an dem 51 Gemeinden einen Flächenanteil haben. In Wien<br />

gehören Flächen von sieben Gemeindebezirken zu seinem Einzugsbereich.<br />

Das UNESCO-Biosphärenpark-Konzept stellt ein umfassendes Schutz- und<br />

Entwicklungsinstrument dar, da der Mensch als Landschaftsgestalter mit sei-<br />

nen unterschiedlichen Nutzungsansprüchen aktiv miteinbezogen wird. Somit<br />

wird Schutz mit Nutzung verbunden, wodurch das Konzept maßgeschneidert<br />

auf Kulturlandschaften mit hohen Naturwerten passt. Daraus ergeben sich fol-<br />

gende drei gleichrangige Funktionen für einen Biosphärenpark:<br />

44<br />

• Schutz von Ökosystemen, der Biodiversität und der genetischen Ressourcen<br />

• Förderung einer ressourcenschonenden Nutzung und einer ökologisch<br />

wirtschaftlich und sozial nachhaltigen Entwicklung hin zu einer Modellregion<br />

der Nachhaltigkeit.<br />

• Umweltforschung und Umweltbildung für besseres Verständnis der<br />

wechselseitigen Beeinflussung von Mensch und Natur<br />

Um diese zentralen Funktionen eines Biosphärenparks verwirklichen zu kön-<br />

nen, soll die Ausweisung folgender Zonen innerhalb seiner Fläche dienlich sein:<br />

• Kernzonen: Hier soll sich die<br />

Natur weitgehend ohne Einfluss<br />

des Menschen entwickeln<br />

können. Im Wienerwald sind<br />

Kernzonen ausschließlich auf<br />

Waldflächen vorgesehen, die<br />

gegen Abgeltung frei von<br />

forstwirtschaftlicher Nutzung<br />

sein sollen.<br />

Abb. 5: Zonierung eines Biosphärenparks, Quelle:<br />

http://www.biosphaerenpark-wienerwald.org/<br />

• Pflegezonen: Als Pufferbereiche um Kernzonen und zur Erhaltung der<br />

von landwirtschaftlicher Nutzung abhängigen Kulturlandschaft.<br />

• Entwicklungszonen: Alle Flächen des Biospärenparks, die nicht Kern-<br />

oder Pflegezonen sind. Das sind rund 76 Prozent der Gesamtfläche,<br />

Wirtschaftswald, landwirtschaftliche Nutzflächen und Siedlungsräume<br />

bis hin zu urban verbauten Bereichen. <strong>Die</strong> Entwicklungszone ist Lebens-,


Wirtschafts- und Erholungsraum der Menschen. Hier gilt es in allen<br />

denkbaren Handlungs- und Tätigkeitsbereichen möglichst nach dem<br />

Prinzip der Nachhaltigkeit vorzugehen. Ziel ist es, modellhafte Nutzungsweisen<br />

zu entwickeln, die den Ansprüchen von Mensch und Natur<br />

in gleicher Weise gerecht werden.<br />

4.2 Allgemeine Beschreibung des Untersuchungsgebietes –<br />

Lage, Größe, Topographie<br />

Für die flächenhafte Abgrenzung des Untersuchungsgebiets sollen die Vorga-<br />

ben der Planungsgemeinschaft Ost (PGO) herangezogen werden. <strong>Die</strong> PGO ist<br />

eine gemeinsame Organisation der Länderverwaltungen Wien, Niederöster-<br />

reich und Burgenland. Sie dient der Abstimmung, Koordination und Vorberei-<br />

tung raumplanerisch relevanter Fragestellungen in der österreichischen „Län-<br />

derregion Ost“.<br />

Der Hauptflächenanteil des Untersuchungsgebiets: „Landschaftsschutzgebiet<br />

Wienerwald“ liegt mit ca. 95.700 ha in Niederösterreich, der Wiener Anteil 24 ist<br />

mit verbleibenden 9670 ha sehr gering.<br />

Nachfolgende Abbildung soll einen räumlichen Eindruck zur Lage und Größe<br />

des Untersuchungsraumes geben und die Verortung der sich darin befindlichen<br />

51 Gemeinden erleichtern. Der Wiener Anteil am Landschaftsschutzgebiet wird<br />

dabei außer Acht gelassen, da die Arbeit die Suburbia und nicht die Kernstadt<br />

ansprechen soll.<br />

24 Entspricht dem Wald- und Wiesengürtel<br />

45


Abb. 6: Gebietsabgrenzung des Landschaftsschutzgebiets nach PGO, außer Achtlassung Wiens und der<br />

Gemeinden Furth und Traiskirchen, da beide zu 0% im Landschaftsschutzgebiet liegen<br />

Quelle: http://www.pgo.wien.at/ (08.01.2006) nach eigener Überarbeitung<br />

Der Wienerwald liegt im Einzugsbereich der Bundeshauptstadt Wien und er-<br />

streckt sich halbkreisförmig westlich bis südwestlich davon. Im Osten wird er<br />

vom Wiener Becken, im Süden vom Triesting- und Gölsental begrenzt. Im Wes-<br />

ten und Norden von den Flüssen Große Tulln und Donau sowie dem Tullner-<br />

feld (MUSIL 2002: 41f.).<br />

4.2.1 Naturräumliche Gegebenheiten<br />

Der Wienerwald zählt zu Österreichs artenreichsten Waldökosystemen, ist ei-<br />

nes der größten geschlossenen Laubwaldgebiete Mitteleuropas und ist von<br />

46


hunderten natürlichen Gewässern, vom kleinen Tümpel bis zum Wienfluss,<br />

durchzogen. Charakteristisch für diese einzigartige Kulturlandschaft ist ihr<br />

„Offenland“, welches gekennzeichnet ist von Äckern, Wiesen und Weiden so-<br />

wie einer Fülle von kleinräumigen Landschaftselementen wie Hecken oder Bö-<br />

schungen (vgl. http://www.bundesforste.at/, 20.06.2005).<br />

Somit ist unter dem Wienerwald bzw. der Wienerwaldlandschaft nicht allein<br />

die Waldfläche zu sehen, sondern vielmehr das ganze Ensemble, dass sich aus<br />

Wiesen, Weiden, Feldern und Ackerfläche zusammensetzt. Zusätzlich dazu<br />

zählen auch die darin liegenden Siedlungen zur Wienerwaldlandschaft.<br />

Da der Wienerwald eine Vielfalt an Klimatypen, Gesteinsformen sowie hoher<br />

Biodiversität an Pflanzen- und Tierarten und deren Lebensräumen aufweist, ist<br />

er ein Gebiet mit besonders naturschutzfachlicher, kultureller und regionalwirt-<br />

schaftlicher Bedeutung, das es zu schützen gilt.<br />

4.3 Der Wienerwald als Siedlungsraum<br />

Der Wienerwald kann auf eine lange Besiedlungsgeschichte zurückblicken. <strong>Die</strong><br />

ersten Dorfgründungen fanden vermutlich im 8. Jahrhundert statt, in der Zeit<br />

in der die Slawen und Awaren in dieses Gebiet vordrangen. Zugute kam der<br />

frühen Siedlungsentwicklung des Wienerwaldes das Vorhandensein von Orden<br />

wie der Zisterzienser und Kartäuser. Im Zuge der beiden Türkenbelagerungen<br />

Wiens (1529 und 1683), von denen auch das Wiener Umland betroffen war,<br />

kam es zu einem Einschnitt der frühen Siedlungsentwicklung, da viele Dörfer<br />

wieder aufgegeben werden mussten.<br />

Durch den Ausbau des Verkehrswegenetzes im 18. Jahrhundert, wie beispiels-<br />

weise der Bau der großen Reichsstraße und der Westbahn wurde der Weg für<br />

die Besiedelung des Waldes durch die Bewohner der Hauptstadt gelegt. <strong>Die</strong>se<br />

hält bis heute fortwährend an, so gilt der Wienerwald als attraktive Wohnge-<br />

gend und wichtigstes Naherholungsgebiet der Wiener Bevölkerung<br />

(www.biosphärenparks.at 28.11.2006).<br />

47


Dass der Wald heute noch als „Grüne Lunge Wiens“ bezeichnet werden kann<br />

und nicht dem vollständigen Kahlschlag zum Opfer gefallen ist, lässt sich an-<br />

hand der langen Tradition seines Schutzes erklären. So ist der Wald 1002 mit<br />

der Schenkungsurkunde an die Babenberger in Staatseigentum übergegangen,<br />

und wurde dank der Bemühungen von Joseph Schöffel von dessen Ausverkauf<br />

zur Füllung der kriegsgebeutelten Staatskasse bereits im 19. Jahrhundert be-<br />

wahrt (www.biosphärenparks.at 28.11.2006).. Fortwährend wurde der Schutz-<br />

gedanke des Wienerwaldes verfolgt. So wurde 1905 der Wald- und Wiesengür-<br />

tel durch den Wiener Gemeinderat beschlossen. Es folgten Schutzgedanken wie<br />

die Erhaltung des Landschaftsbildes (1924) oder die Ernennung zum Land-<br />

schaftsschutzgebiet (1979), zum Natura-2000-Gebiet (2004) und zuletzt zum<br />

Biosphärenpark (2005), um ein paar aufzuzählen.<br />

4.3.1 Der Siedlungscharakter des Wienerwaldes<br />

Ursprünglich ist der Wienerwald ein ländlich geprägtes Gebiet, im Zuge der<br />

<strong>Suburbanisierung</strong> wandelt sich jedoch das Erscheinungsbild seiner innewoh-<br />

nenden Gemeinden vom Ländlichen hin zum Städtischen, da diese von einer<br />

sukzessiven Flächenzunahme gekennzeichnet sind (s. Klosterneuburg oder Ba-<br />

den). Dennoch lassen sich zahlreiche ursprüngliche Siedlungsformen erkennen,<br />

auf die kurz näher eingegangen werden soll, wenn auch zweifelsohne das Flä-<br />

chenwachstum das Erscheinungsbild dieser zunehmend verändert hat.<br />

Unter Siedlungsform ist die Besiedlungsweise sowie Art und Zahl der mensch-<br />

lichen Behausungen in ihrer Lage zueinander zu verstehen (vgl. DIERCKE-<br />

Wörterbuch 1997: 778). Welche Formen und Arten es dabei gibt, verdeutlich<br />

nachstehende Abbildung nach BORN (1977).<br />

Da das Siedlungswachstum und damit verbunden der Flächenverbrauch vom<br />

Bevölkerungswachstum der jeweiligen Gemeinden abhängig ist, handelt es sich<br />

bei diesem um einen genauso dynamischen Prozess. Das heißt, so wie eine<br />

Siedlung wächst, verändert sich nicht nur ihre Größe sondern auch ihre Form.<br />

48


Mehr Einwohner brauchen bei gleich bleibenden Lebensgewohnheiten größere<br />

bebaute Flächen sowie mehr Verkehrsflächen. <strong>Die</strong>s führt dazu, dass sich aus<br />

Abb. 7: Grundrisstypen ländlicher Siedlungen (nach BORN 1977)<br />

einstigen Haufendör-<br />

fern in einem Strang<br />

das Angerdorf und in<br />

einem Weiteren das<br />

Straßen- bzw. weiter-<br />

führend das Reihen-<br />

dorf entwickelten. Ei-<br />

ne genauere Spezifi-<br />

zierung der einzelnen<br />

Siedlungsentwicklun-<br />

gen lassen sich bei E.<br />

PLESSL (1999) fin-<br />

den.<br />

Innerhalb des Wie-<br />

nerwaldes trifft man<br />

auf Angerdörfer wie Bisamberg oder Alland, aber auch auf Straßendörfer wie<br />

die Gemeinde Wienerwald. Laut E. PLESSL (1999) gibt es ebenso zahlreiche<br />

Kirchensiedlungen im Wienerwaldgebiet und der daran angrenzenden Ther-<br />

menlinie. Bei dieser Siedlungsform handelt es sich um eine Zwischenstellung<br />

von der Entwicklung des Haufendorfes zum Straßendorf. Den zentralen Punkt<br />

einer Kirchensiedlung stellt eine Kirche dar, die wahrscheinlich die Funktion<br />

einer Wehrkirche innehatte. Ein Beispiel dieser Siedlungsform stellt die Ge-<br />

meinde Gumpoldskirchen dar (PLESSL 1999: 21).<br />

Weiterführend kann festgehalten werden, dass sich im Zuge der Suburbanisie-<br />

rung nicht nur die Siedlungsformen der einst ländlich geprägten Wienerwald-<br />

gemeinden allein, sondern auch die Gebäudeformen verändert haben. So kann<br />

jedoch der Bruch mit den traditionellen Bauformen primär auf den Wandel der<br />

49


Agrargesellschaft mit ihrer vorherrschenden Subsistenzwirtschaft zur Indust-<br />

rie- und <strong>Die</strong>nstleistungsgesellschaft zurückgeführt werden. Hinzu kommt der<br />

Aspekt der architektonischen Neuerrungenschaften der Moderne, die zur Ver-<br />

änderung des Baustils ihr Wesentliches mit beitrugen (vgl. PINDUR und MU-<br />

SIL: 2005:117).<br />

Das Wiener Umland wurde durch die <strong>Suburbanisierung</strong> urban überprägt, so<br />

dass Siedlungsgrenzen zwischen Stadt und Land kaum noch sichtbar sind,<br />

sondern vielmehr ineinander übergehen, etwa in Breitenfurt, Purkersdorf oder<br />

Brunn am Gebirge. Hinzu kommt, dass sich auch die städtischen Lebensformen<br />

in diese einst ländlich geprägten Räume ausbreiten, was zur Folge hat, dass die<br />

Stadt und ihr Umland nicht nur von der Siedlungsstruktur allein, sondern auch<br />

von ihren Bewohnern her immer mehr zusammenwachsen.<br />

4.3.2 Aktuelle Siedlungssituation des Wienerwaldes<br />

Nach der Größe und Form der Wienerwald-Gemeinden soll nun vorab ein zah-<br />

lenmäßiger Überblick über das Ausmaß der Besiedelung gegeben werden. So<br />

weisen die meisten Gemeinden eine Einwohnerzahl zwischen 1.000 und 2.000<br />

auf, gemessen an den Hauptwohnsitzgemeldeten. Mit Berücksichtigung der<br />

Nebenwohnsitze zählt mehr als die Hälfte der Gemeinden, ca. 60 Prozent,<br />

knapp 5.000 Einwohner. Ausnahme bilden dabei nur die Bezirkshauptstädte<br />

Baden, Mödling und Klosterneuburg mit mehr als 20.000 Einwohnern. Der<br />

Wienerwald gesamt zählt in etwa 200.000 Einwohner mit ständigem Wohnsitz,<br />

hinzukommen ca. weitere 50.000 Zweitwohnsitzer. Damit besitzen die meisten<br />

Wienerwaldgemeinden ungefähr einen Anteil von 20 Prozent an Nebenwohn-<br />

sitzen (vgl. http://www.biosphaerenpark-wienerwald.org (22.12.2006)).<br />

Tatsache dabei ist, dass je mehr hauptwohnsitzgemeldete Personen eine Ge-<br />

meinde aufweisen kann, umso mehr Zuschüsse aus dem Bundesfinanzaus-<br />

gleich bekommt, die wiederum der Allgemeinheit bzw. den Gemeindebürgern<br />

zu gute kommen, indem beispielsweise neue Straßen gebaut werden können<br />

50


und somit die Infrastruktur aufgewertet werden kann. Daher ist es ein Anliegen<br />

der Gemeinden, ihre Einwohnerzahlen jährlich zu steigern, um somit mehr Zu-<br />

schüsse zu lukrieren. Anderseits muss mit der Wienerwaldlandschaft nachhal-<br />

tig umgegangen werden, da sonst die Zuwanderer über kurz oder lang ausblei-<br />

ben werden. Das „Zugpferd“: Wohnen im <strong>Grünen</strong> nahe der Hauptstadt geht<br />

verloren, wenn die landschaftliche Attraktivität der Wienerwaldgemeinden<br />

nicht mehr gegeben ist. Der Zuzug verringert sich bzw. die zugewanderten Per-<br />

sonen wandern weiter, wenn sie merken, dass die Stadt sie wieder einholt.<br />

4.3.3 <strong>Die</strong> Entwicklungsdynamik der Untersuchungsgemeinden im<br />

Landschaftsschutzgebiet Wienerwald<br />

Um den Bogen zum eigentlichen Untersuchungsgegenstand des Landschafts-<br />

schutzgebiets Wienerwald zu spannen, ist es erforderlich, die dem zugrunde<br />

liegende Siedlungsentwicklung genauer zu untersuchen. Um diese darstellen<br />

zu können, soll vorab die Analyse der Bevölkerungsdynamik sowie mit dieser<br />

verknüpft die der Wanderungsbilanzen als auch die Wohnbaustatistik der letz-<br />

ten Jahrzehnte hilfreich sein.<br />

4.3.3.1 Bevölkerungsdynamiken der Wienerwaldgemeinden<br />

Um die Entwicklungsdynamik der Wienerwaldgemeinden besser skizzieren zu<br />

können, soll ein Vergleich zwischen den Bevölkerungsdynamiken 1961 bis 1981<br />

und 1981 bis 2001 gezogen werden. Damit sind die frühen Anfänge der (Bevöl-<br />

kerungs-)<strong>Suburbanisierung</strong> in der Agglomeration Wiens und die darauf fol-<br />

gende Phase ihrer Intensivierung abgedeckt. Das Wiener Umland war im inter-<br />

nationalen Vergleich erst recht spät vom <strong>Suburbanisierung</strong>sprozess betroffen.<br />

Gründe dafür waren die großen verfügbaren Freiflächen innerhalb der admi-<br />

nistrativen Grenzen Wiens, sowie dessen Bemühungen im sozialen Wohnbau.<br />

Jedoch zeigte die Periode von 1961 bis 1981 anfängliche <strong>Suburbanisierung</strong>sten-<br />

denzen, da es im näheren Umland Wiens zu einer Dynamisierung des Bevölke-<br />

51


ungswachstums kam. Nachfolgende Karte soll dazu beitragen, sich diesbezüg-<br />

lich einen Überblick zu verschaffen.<br />

Abb. 8: Bevölkerungsentwicklung der Gemeinden im Landschaftsschutzgebiet von 1961 bis 1981<br />

Es ist gut erkennbar, dass die Wienerwaldgemeinden innerhalb dieses Zeit-<br />

raumes erst vereinzelt vom <strong>Suburbanisierung</strong>sprozess erfasst worden sind. So<br />

verzeichnen hauptsächlich die Gemeinden, die direkt an Wien angrenzen be-<br />

ziehungsweise die im nahen Umland der Bundeshauptstadt lokalisiert sind, ei-<br />

nen deutlichen Bevölkerungszuwachs. Bevölkerungsgewinner innerhalb dieser<br />

Periode waren unter anderem die Gemeinden nahe der Südbahnstrecke, wie<br />

beispielsweise Perchtoldsdorf, Hinterbrühl oder Gießhübl, aber auch nahe der<br />

Westbahnstrecke ansässige Gemeinden wie Gablitz, Mauerbach oder Tullner-<br />

bach. Vereinzelt finden sich auch im Norden des Wienerwalds gelegene Ge-<br />

meinden mit starken Bevölkerungszuwächsen von über 40 Prozent und mehr<br />

wie Bisamberg, Tulln oder Tulbing, ebensolche nahe der Westautobahn wie<br />

<strong>Wolfsgraben</strong> oder Breitenbrunn, welches neben Mauerbach und Maria-<br />

52


Enzersdorf zu den absoluten Bevölkerungsgewinnern gehört (Zuwachs von >60<br />

Prozent). Gründe dafür könnten die günstige Verkehrsanbindung (A1, A23),<br />

die gute Infrastruktur und die landschaftlich-attraktive Lage, direkt angrenzend<br />

an Wien sein. Auch Mauerbach zählt zu einem der beliebtesten Wohn- und<br />

Siedlungsgebiete der Wiener, die Gründe dafür sind ähnlich wie die der Ge-<br />

meinde Breitenfurt. In Maria-Enzersdorf verdoppelte sich die Einwohnerzahl in<br />

den 1970er Jahren hingegen innerhalb einer Dekade, Grund dafür war die Fer-<br />

tigstellung des Baus der Südstadt, die als Gartenstadt geplant wurde.<br />

<strong>Die</strong> Bevölkerungsverlierer dieses Zeitraums sind jene Gemeinden, die im Süd-<br />

Westen des Wienerwaldes lokalisiert sind und neben der zunehmenden Entfer-<br />

nung zur Bundeshauptstadt zudem noch schlechter zu erreichen sind, da sie<br />

über eine schlechtere technische Infrastruktur verfügen. Zu ihnen zählen Hain-<br />

feld, Kaumberg oder Pottenstein.<br />

<strong>Die</strong> daran angrenzende Periode 1981-2001 steht für die Intensivierung der Um-<br />

landentwicklung Wiens. Nach BRAKE et al. (2001) spricht man von einer Er-<br />

weiterung des <strong>Suburbanisierung</strong>srings 25 , so dass nun verstärkt auch die<br />

schlechter zu erreichenden Wienerwaldgemeinden von Bevölkerungszuwäch-<br />

sen betroffen sind. <strong>Die</strong> Baulandreserven innerhalb Wiens und auch die in den<br />

frühen <strong>Suburbanisierung</strong>sgemeinden der Südbahnstrecke (Achse Wien-Baden)<br />

sind knapp geworden, somit sind die Boden- und Immobilienpreise um ein<br />

Vielfaches gestiegen, was dazu führt, dass auch Gemeinden, die abgelegener<br />

von der Bundeshauptstadt und schlechter erschlossen sind, in Betracht kom-<br />

men. <strong>Die</strong> Zersiedelung in diesen Gemeinden ist noch nicht soweit vorange-<br />

schritten, wodurch die Boden- und Immobilienpreise geringer ausfallen und die<br />

potenziellen Suburbia-Bewohner durchaus größere Pendlerdistanzen in Kauf<br />

nehmen, wenn dadurch der Bodenpreisgradient sinkt. Von diesem zweiten<br />

oder erweiterten <strong>Suburbanisierung</strong>sring kann auch dann gesprochen werden,<br />

wenn dieser keine konzentrische Form aufweist, weil er durchaus auch punk-<br />

25 Trifft in Deutschland in einem stärkeren Maße zu als in Österreich<br />

53


tuell beispielsweise zwischen bedeutenden Verkehrsachsen liegen kann und<br />

somit eher einer sektoralen Erscheinungsform entspricht. Nachfolgende Bevöl-<br />

kerungskarte soll den Bestand dieses <strong>Suburbanisierung</strong>sphänomens in den<br />

Wienerwaldgemeinden belegen.<br />

Abb. 9: Bevölkerungsentwicklung der Gemeinden im Landschaftsschutzgebiet von 1981 bis 2001<br />

Anhand dieser Karte ist gut erkennbar, dass sich das Bevölkerungswachstum<br />

auf nahezu alle Wienerwaldgemeinden ausgedehnt hat, mit Ausnahme von<br />

Maria-Enzersdorf und Hainfeld. Bei Maria-Enzersdorf ist anzunehmen, dass<br />

nach einer Bevölkerungszunahme von mehr als 4.000 Personen durch den Bau<br />

der Südstadt eine Sättigung eingetreten ist und die Lebensqualität aufgrund der<br />

angestiegenen Zersiedelung zurückgegangen ist, was zu Wegzügen geführt ha-<br />

ben kann. Hainfeld ist die am weitesten von Wien entfernt gelegene Gemeinde<br />

und zählt zudem zu jenen, die schlechter erschlossen sind, so dass nach Wien<br />

durchaus mit Pendlerdistanzen von einer Stunde gerechnet werden muss.<br />

54


<strong>Die</strong> Gemeinden mit den stärksten Bevölkerungsgewinnen sind die östlichsten<br />

Gemeinden des Wienerwalds, wie Purkersdorf, Laab im Walde oder Wolfsgra-<br />

ben. Sie schmiegen sich konzentrisch um die Bundeshauptstadt, abgesehen von<br />

den frühen <strong>Suburbanisierung</strong>sgemeinden der Südbahnstrecke, die aufgrund<br />

der eingesetzten Sättigungserscheinungen nur noch ein leichtes Bevölkerungs-<br />

wachstum vorweisen.<br />

Auffallend ist weiterhin, dass auch Gemeinden, die schlechter von Wien aus er-<br />

reichbar sind und in der Periode zuvor noch von einer Bevölkerungsabnahme<br />

gekennzeichnet waren, nun Bevölkerungszuwächse von bis zu 20 Prozent auf-<br />

weisen. Zu diesen zählen Altenmarkt, Klausen-Leopoldsdorf oder Weißenbach.<br />

Aber auch peripherer gelegene Gemeinden des Wienerwaldes, die im Zeitraum<br />

1961-1981 schon geringe Bevölkerungszuwächse von bis zu 20 Prozent verbuch-<br />

ten, konnten diese in der darauf folgenden Periode auf bis zu 40 Prozent 26 aus-<br />

bauen, siehe Neulengbach, Judenau-Baumgarten, Zeiselmauer-Wolfpassing<br />

oder St. Andrä-Wödern. Anhand der hier dargestellten Bevölkerungsdynami-<br />

ken in den Wienerwaldgemeinden der letzten 40 Jahre lassen sich Rückschlüsse<br />

auf deren Siedlungsentwicklung ziehen. Welche Komponente jedoch dabei<br />

noch fehlt, ist neben der Geburtenbilanz die der Wanderungsbilanz, auf welche<br />

in weiterer Folge genauer eingegangen wird. <strong>Die</strong> Geburtenbilanzen der Ge-<br />

meinden im Untersuchungsgebiet sind nicht aussagekräftig genug, so dass sie<br />

in der Arbeit keine Berücksichtigung finden.<br />

26 Bevölkerungsdynamiken von 40 und mehr Prozent, müssen immer im Verhältnis zur Einwohnerzahl<br />

der Gemeinde gesehen werden.<br />

55


4.3.3.2 Wanderungsbilanzen der Untersuchungsgemeinden<br />

Um die Veränderungen in den Wanderungsbilanzen sichtbar werden zu lassen,<br />

wird ein Vergleich zwischen den Dekaden 1971-1981, 1981-1991 und 1991-2001<br />

gezogen. Nachfolgende Karten sollen dabei helfen sich einen Überblick über die<br />

Dimension der Zuwanderung in den Wienerwaldgemeinden zu verschaffen.<br />

Damit sollen wiederum die Anfänge der <strong>Suburbanisierung</strong> als auch ihre inten-<br />

sive Phase und die damit verbundene Ausdehnung auf das Untersuchungsge-<br />

biet Berücksichtigung finden, um somit in weiterer Folge darauf Bezug zu<br />

nehmen.<br />

Abb. 10: Wanderungsbilanz der Gemeinden im Landschaftsschutzgebiet von 1971 bis 1981<br />

56


Abb. 11: Wanderungsbilanz der Gemeinden im Landschaftsschutzgebiet von 1981 bis 1991<br />

Was in der Dekade 1971-1981 auffallend ist, ist dass die Gemeinden mit Bevöl-<br />

kerungsabwanderungen jeweils am Rande des Wienerwalds lokalisiert sind,<br />

wie Hainfeld, Pottenstein oder Weißenbach. Es sind wiederum jene Gemeinden,<br />

abgesehen von Pfaffstätten, die von der Bundeshauptstadt gesehen schlechter<br />

erreichbar sind und aufgrund dessen längere Pendlerzeiten anfallen. Zuwande-<br />

rungen von bis zu 30 Prozent finden sich hingegen in Gemeinden, die in unmit-<br />

telbarer Nähe zu Wien lokalisiert sind und eine gute Infrastruktur aufweisen.<br />

Dazu gehören Breitenfurt, <strong>Wolfsgraben</strong>, Pressbaum oder Gablitz. In Summe<br />

kann festgehalten werden, dass, je weiter die Gemeinden von der Hauptstadt<br />

entfernt liegen, desto geringer fällt ihre Zuwanderung noch aus. Des Weiteren<br />

ist festzustellen, dass die südlichen Gemeinden des Untersuchungsgebietes, ab-<br />

gesehen von denen an der Südbahnstrecke, eine geringere Zuwanderung ver-<br />

zeichnen als die im Norden. So dass durchaus innerhalb dieser Dekade von ei-<br />

nem Nord-Süd-Gefälle gesprochen werden kann.<br />

57


Im Vergleich zum darauf folgenden Zeitraum 1981-1991 zeigt sich, dass nahezu<br />

alle Wienerwaldgemeinden eine positive Wanderungsbilanz vorweisen kön-<br />

nen. Ausnahmen bilden hier nur die zwei Gemeinden an der Südbahn, Maria-<br />

Enzersdorf und Sooß, die eine geringe Bevölkerungsabwanderung aufweisen,<br />

die sich aber auf die frühen Zuzüge ab den 1960er Jahren und damit auf die<br />

Übersättigung der Gemeinden rückschließen lässt. <strong>Die</strong> Gemeinden mit den<br />

größten Zuwanderungsgewinnen von bis zu 30 Prozent und mehr, sind wieder<br />

all jene, die direkt an Wien angrenzen oder sich in unmittelbarer Nähe dazu be-<br />

finden. Zu diesen zählen Breitenfurt, Laab im Walde, Klosterneuburg oder<br />

Langenzersdorf. Hinzu kommen jene Gemeinden, die in der Nähe der West-<br />

bahn bzw. der Westautobahn A1 lokalisiert sind wie beispielsweise, Pressbaum,<br />

Tullnerbach, Eichgraben oder Neulengbach.<br />

Auch weiterhin ist ein Nord-Südgefälle auszumachen, jedoch dieses schon in<br />

abgeschwächter Form. So kommt es allmählich zu einer Durchmischung, das<br />

heißt, dass auch in weiter von Wien entfernter gelegene Gemeinden, die<br />

schlechter zu erreichen sind, zugewandert wird. So ist die Zuwanderung, mit<br />

einzelnen punktuellen Unterbrechungen (Altenmarkt, Weißenbach), im Süden<br />

des Untersuchungsgebietes noch geringer als in den nördlichen Gemeinden,<br />

aber immerhin schon bei bis zu zehn Prozent. Nachstehende Karte wird ver-<br />

deutlichen, dass sich diese Durchmischung auch in der darauf folgenden Deka-<br />

de 1991-2001 weiterhin fortsetzt, womit die These vom erweiterten Suburbani-<br />

sierungsring nach BRAKE et al. (2001) ihre Berechtigung findet.<br />

58


Abb. 12: Wanderungsbilanz der Gemeinden im Landschaftsschutzgebiet von 1991 bis 2001<br />

Innerhalb dieser dritten dargestellten Dekade 1991-2001 ist festzustellen, dass es<br />

zu einer absoluten Durchmischung der Zuwanderung in den Wienerwaldge-<br />

meinden gekommen ist, ein Nord-Süd-Gefälle lässt sich nicht mehr zweifelsfrei<br />

ausmachen. Zwar sind die Gemeinden mit Bevölkerungsverlusten bzw. gerin-<br />

gen Zuwächsen wieder primär im Süden angesiedelt, jedoch trifft man hier<br />

auch auf Wanderungsbilanzen von bis zu 20 Prozent, siehe Klausen-<br />

Leopoldsdorf, Alland oder Kottingbrunn. Dennoch ist festzuhalten, dass primär<br />

in die Gemeinden zugewandert wird, die eine gute Infrastruktur und Erreich-<br />

barkeit in Hinsicht auf Wien vorweisen können, wie Laab im Walde, Wolfsgra-<br />

ben, Pressbaum oder Tulln. Des Weiteren ist jedoch anzumerken, dass die Zu-<br />

wanderung insgesamt innerhalb dieser Dekade geringer ausgefallen ist, als in<br />

den zwei Vorhergehenden, so kommt es in dieser zu einer Verringerung um<br />

zehn Prozent. <strong>Die</strong> Frage, die sich nun stellt ist, ob Instrumente des Naturschut-<br />

zes, insbesondere die Ausweisung des Wienerwaldes zum Landschaftsschutz-<br />

gebiet, gegriffen und sich deswegen die Wanderungsbilanzen verringert haben.<br />

59


Wenn dies der Fall sein sollte, warum kam es dann aber zu einer verringerten<br />

Zuwanderung erst ein Jahrzehnt nach der Erhebung des Waldes zum Land-<br />

schaftsschutzgebiet? <strong>Die</strong>s spricht nicht wirklich für das Naturschutzinstru-<br />

ment. <strong>Die</strong> weiteren Abhandlungen sollen darüber Aufschluss geben.<br />

4.3.3.3 <strong>Die</strong> Wohnbauten-Situation<br />

Für die Darstellung der Siedlungsentwicklung in den Untersuchungsgebiets-<br />

gemeinden des Wienerwalds ist neben der Analyse der Bevölkerungsdynamik<br />

und der der Wanderungsbilanzen auch die der Wohnbaustatistik von besonde-<br />

rer Bedeutung. Denn die Frage, die sich stellt, lautet: in welche Wohnkategorien<br />

ziehen die zugewanderten Personen? So sollen anhand der nachstehenden Kar-<br />

ten die jeweiligen Wohnbautypen sowie das Ausmaß ihres Vorhandenseins in<br />

den einzelnen Gemeinden abgeklärt werden. Des Weiteren soll die kartogra-<br />

phische Darstellung der Wohnbauten-Situation ab den 1980er Jahren einen<br />

Überblick über deren Entwicklung liefern. Neben dem Gebäudebestand in den<br />

jeweiligen Gemeinden wird in den nachfolgenden Abbildungen auch der Anteil<br />

der Baulandnutzung innerhalb des Gemeindegebiets illustriert. Das heißt, es<br />

wird der Anteil der Katasterfläche mit der Nutzungskategorie Bauland an der<br />

Gesamtkatasterfläche der einzelnen Wienerwaldgemeinden 2005 abgebildet.<br />

Auffallend dabei ist, dass die Gemeinden der Südachse Wien-Baden jene mit<br />

den größten Nutzungsanteilen an der Baufläche sind, was bedeutet, dass bei<br />

diesen der Flächenverbrauch schon am weitesten fortgeschritten ist. Gründe da-<br />

für sind neben der Wohn- auch die Industrie- bzw. Gewerbesuburbanisierung.<br />

60


Abb. 13: Wohnbauten-Situation der Gemeinden im Landschaftsschutzgebiet um 1981<br />

Es ist ganz deutlich festzustellen, dass bereits 1981 die vorherrschende Wohn-<br />

bauform in den Wienerwaldgemeinden, wie auch im Wiener Umland insge-<br />

samt, die des Einfamilienhauses ist. Reichlich 80 Prozent aller Gemeinden wei-<br />

sen zumindest zu zwei Dritteln diesen Gebäudetyp auf. Gerade einmal die<br />

städtischen Gemeinden Baden und Mödling können „nur“ einen Einfamilien-<br />

hausbestand von weniger als 50 Prozent vorweisen, wobei dieser gegenüber<br />

den anderen Wohnformen immer noch dominierend ist. Einen Anteil von reich-<br />

lich 50 Prozent weisen Bad Vöslau, Gumpoldskrichen, Guntramsdorf, Sooß und<br />

Berndorf auf, bedingt noch Pottenstein und Hainfeld. In all jenen Gemeinden<br />

steht der Wohnungstyp des Zweifamilienhauses an zweiter Stelle und ist bis zu<br />

25 Prozent vertreten. Gemeinden, in denen fast ausschließlich das Einfamilien-<br />

haus vorrangig vertreten ist, d.h. zu knapp 90 Prozent, sind Breitenfurt und<br />

<strong>Wolfsgraben</strong> im Osten, Kaumberg im Westen, Sieghartskirchen, Zeiselmauer-<br />

Wolfpassing und Tulbing im Norden des Untersuchungsgebietes. Alle anderen<br />

61


Wohn- bzw. Gebäudeformen, abgesehen von der Kategorie „keine Wohnung“,<br />

sind zu einer derart geringen Prozentzahl vertreten, dass sie aufgrund ihres<br />

Aussagemangels nicht mit berücksichtig werden.<br />

Abb. 14: Wohnbauten-Situation der Gemeinden im Landschaftsschutzgebiet um 1991<br />

62


Abb. 15: Wohnbauten-Situation der Gemeinden im Landschaftsschutzgebiet um 2001<br />

<strong>Die</strong> Wohnbautensituation von 1981 hat sich in den zwei darauf folgenden De-<br />

kaden 1991 und 2001 nicht wesentlich verändert. <strong>Die</strong> Wohnform des Einfamili-<br />

enhauses ist nach wie vor führend und konnte sich bis 2001 noch weiter aus-<br />

bauen. So hatte beispielsweise die Gemeinde <strong>Wolfsgraben</strong> im Osten des Unter-<br />

suchungsgebiets 1981 einen Einfamilienhausanteil von 88 Prozent. <strong>Die</strong>ser er-<br />

höhte sich 1991 auf 90 Prozent und wuchs in der darauf folgenden Dekade bis<br />

2001 auf 91 Prozent an. Des Weiteren konnten sich auch die anderen Wohnfor-<br />

men behaupten, wenn auch weiterhin stark untergeordnet. So konnte dem zum<br />

Trotz der Anteil der Zweifamilienhäuser in der Gemeinde Hainfeld, südwest-<br />

lich im Untersuchungsgebiet gelegen, weiter anwachsen. Um 1981 besaß die<br />

Gemeinde einen Zweifamilienhausanteil von 17 Prozent, dieser konnte bis 2001<br />

auf 19 Prozent ausgebaut werden. Gebäude- bzw. Wohnformen wie das Rei-<br />

henhaus mit mehr als zwei Wohnungen, wenn auch nur vereinzelt vertreten,<br />

vor allem aber in den frühen und städtischen <strong>Suburbanisierung</strong>sgemeinden an-<br />

63


zutreffen, konnte seine Stellung größtenteils behaupten. Allen Kartendarstel-<br />

lungen gemein ist der Anteil der Nutzungskategorie Baufläche in Prozent 2005,<br />

gemessen an der gesamten Flächennutzung einer Gemeinde.<br />

Insgesamt kann festgehalten werden, dass die Gemeinden des Wienerwaldes<br />

primär durch den Einfamilienhaus-Wohnbau geprägt sind, alle anderen Wohn-<br />

formen, das Zweifamilienhaus zum Teil noch ausgenommen, sind so gering<br />

vorhanden, dass sie für die Wienerwaldgemeinden eine untergeordnete Rolle<br />

spielen. Der Wohntyp des Einfamilienhauses ist jedoch auch jener mit dem<br />

größten Flächenverbrauch. Das heißt, dass generell mehr technische Infrastruk-<br />

tur von Nöten ist, wie beispielsweise das Verlegen von Abwasserleitungen,<br />

Strom oder Straßenbauarbeiten, als dies beispielsweise bei Reihenhäusern der<br />

Fall ist. Bei diesen werden bei gleichem infrastrukturellen Input mehr Haushal-<br />

te angeschlossen, wodurch schonender bzw. nachhaltiger mit der Fläche umge-<br />

gangen und diese weniger stark zersiedelt wird.<br />

<strong>Die</strong> Frage, ob die Ausweisung des Wienerwaldes zum Landschaftsschutzgebiet,<br />

dazu beigetragen hat, dass die Zuwanderung in der Dekade von 1991-2001 ver-<br />

ringert war, kann anhand der Wohnbaustatistik nicht zweifelsfrei beantwortet<br />

werden. Der Ausbau des Einfamilienhauses ist ungebrochen und konnte 1991<br />

sowie 2001 zulegen, was nicht für den Schutz und die Erhaltung des Wiener-<br />

waldes spricht. Erschwerend kommt noch hinzu, dass auch das Bevölkerungs-<br />

wachstum ungebrochen ist und kein größenspezifischer Unterschied zwischen<br />

1961-1981 und 1981-2001 besteht. <strong>Die</strong> GIS-gestütze Siedlungsraumanalyse im<br />

Kapitel 5.3 soll darüber weiteren Aufschluss geben.<br />

Zusammenfassend kann anhand der dargestellten Statistiken, angefangen von<br />

der Bevölkerungsdynamik, über die Wanderungsbilanzen bis hin zur Wohn-<br />

bausituation, ausgesagt werden, dass die Wienerwaldgemeinden sehr wohl mit<br />

<strong>Suburbanisierung</strong>stendenzen konfrontiert sind, und dies bereits seit den 1970er<br />

Jahren. So ist das Ausmaß der <strong>Suburbanisierung</strong> zwar ein geringeres als bei den<br />

Gemeinden des Wiener Beckens (Südbahnstrecke) bzw. bei einigen Gemeinden<br />

64


im Norden Wiens wie Korneuburg oder Gerasdorf, jedoch ist dafür neben der<br />

Wohnsuburbanisierung auch die Gewerbliche verantwortlich, die in den Wie-<br />

nerwaldgemeinden quasi nicht gegeben ist. So wird die <strong>Suburbanisierung</strong> der<br />

Wienerwaldgemeinden grundsätzlich aus der Wohnsuburbanisierung gespeist.<br />

5. Fallgemeinden: Auswirkungen des Landschaftsschutzgebiets<br />

auf die Siedlungsraumentwicklung<br />

Da die Analyse der Siedlungsraumentwicklung von 52 Wienerwaldgemeinden,<br />

nach Abgrenzung der Planungsgemeinschaft Ost, für diese Arbeit zu umfang-<br />

reich ist, sollen zwei herausgefilterte Gemeinden als Repräsentanten der ande-<br />

ren dienen.<br />

Dabei wurden folgende Parameter herangezogen: es kommen nur jene Ge-<br />

meinden in Betracht, die zu 100 Prozent im Landschaftsschutzgebiet situiert<br />

sind. Aufgrund dessen bleiben 18 potenzielle Analysegemeinden übrig. <strong>Die</strong>se<br />

werden nachführend in Abbildung 16 kartographisch dargestellt.<br />

Abb. 16: Potenzielle Wienerwaldgemeinden im Landschaftsschutzgebiet<br />

65


Des Weiteren sollen von den 18 gebliebenen Untersuchungsgemeinden zwei<br />

Repräsentanten gefunden werden, die annähernd gleich groß sind und dieselbe<br />

Erreichbarkeit in Hinsicht auf Wien aufweisen, da das Umland primär auf die<br />

Bundeshauptstadt konzentriert ist. Zudem soll bei den Gemeinden je ein Reprä-<br />

sentant mit einer hohen Entwicklungsdynamik gefunden werden sowie einer<br />

mit einer niedrigen, damit zwischen den beiden ein Vergleich gezogen werden<br />

kann. Da die Bevölkerungsentwicklung auch vom Faktor Zeit (Periodendauer)<br />

abhängig ist, sollen dafür zwei Zeiträume herangezogen werden. So soll eine<br />

Gemeinde gefunden werden, die sowohl langfristig im Zeitraum von 1961-2001,<br />

als auch kurzfristig in der aktuellen Periode von 2001-2005 eine starke Bevölke-<br />

rungsentwicklung erfuhr. Zum Vergleich soll eine Gemeinde von den 18 Ver-<br />

bliebenen gefunden werden, die sowohl lang- als auch kurzfristig eine schwa-<br />

che Bevölkerungsentwicklung aufweist. Dafür wurden die aktuelle und die<br />

langfristige Bevölkerungsentwicklung anhand von statistischen Maßzahlen kar-<br />

tographisch aufbereitet.<br />

Abb. 17: Aktuelle Bevölkerungsentwicklung der Gemeinden im Landschaftsschutzgebiet von 2001-2005<br />

66


Abb. 18: Bevölkerungsentwicklung der Gemeinden im Landschaftsschutzgebiet von 1961-2001<br />

Aufgrund der Gegenüberstellung dieser beiden Zeiträume können Fragen ge-<br />

klärt werden, wie beispielsweise: Setzt sich der Trend des Bevölkerungswachs-<br />

tums in den Wienerwaldgemeinden auch in der aktuellen Periode fort? oder:<br />

Gibt es Unterschiede zwischen der langfristigen Entwicklungsdynamik mehre-<br />

rer Dekaden im Vergleich zur kurzfristigen? .<br />

So zeigt die kurzfristige Entwicklungsdynamik Gemeinden mit Bevölkerungs-<br />

verlusten auf, die in den Dekaden zuvor fortwährend Bevölkerungsgewinne<br />

verbuchten, beispielsweise Judenau-Baumgarten, Altlengbach oder Alland.<br />

Andererseits ist ein Bevölkerungswachstum bei Hainfeld zu verzeichnen, jene<br />

Gemeinde, die in den vorangegangen Jahrzehnten immer mit einem negativen<br />

Bevölkerungswachstum konfrontiert war. <strong>Die</strong>s könnte ein Indiz dafür sein, dass<br />

bzgl. Zuwanderung auf noch weiter entfernte und schlechter erreichbare Ge-<br />

meinden zurückgegriffen wird, da durch die allgemein vorherrschende schwa-<br />

che Geburtenbilanz dieses Plus nicht allein zustande gekommen sein kann. Des<br />

Weiteren zeigt die aktuelle Entwicklung, dass BRAKEs These vom erweiterten<br />

67


<strong>Suburbanisierung</strong>sring nach wie vor anwendbar ist. Da sich dieser Ring nicht<br />

konzentrisch ausbreiten muss, sondern auch sektoral, zeigen sich sowohl Ge-<br />

meinden als Bevölkerungsgewinner, die nahe am Stadtgebiet liegen, als auch<br />

diejenigen, die weiter entfernt sind, beispielsweise Gießhübl und Aspernhofen.<br />

Für das Bevölkerungswachstum (Zuwanderung) einer Gemeinde ist immer die<br />

Lebensqualität (landschaftliche Attraktivität, soziale und technische Infrastruk-<br />

tur, etc.) von essentieller Bedeutung.<br />

Bei der langfristigen Bevölkerungsentwicklung von 1961 bis 2001 ergibt sich<br />

noch ein anderes Bild. Weiter entfernt gelegene Gemeinden wie Brand-Laaben,<br />

Pottenstein, Berndorf und Hainfeld haben mit Bevölkerungsverlusten zu kämp-<br />

fen. Alle anderen Gemeinden haben Bevölkerungsgewinne vorzuzeigen, wobei<br />

die schwächeren Zuwächse der Südbahngemeinden sich wiederum auf deren<br />

Bevölkerungssättigung zurückzuführen lassen. Im Vergleich zur kurzfristigen<br />

aktuellen Entwicklung zeigt sich, dass das Wachstum bzw. die Schrumpfung<br />

im Wienerwaldgebiet nicht punktuell und gemischt vorliegt, sondern eher ge-<br />

schlossen ist. So sind im Zeitraum 1961-2001 die Bevölkerungsverlierer aus-<br />

schließlich am Rande des Untersuchungsgebiets aufzufinden, wobei bei allen<br />

anderen Gemeinden Bevölkerungsgewinne vorzufinden sind. Hinzu kommt,<br />

dass das Ausmaß der Bevölkerungsentwicklung innerhalb dieser vier Dekaden<br />

drei Mal so hoch ist wie das der aktuellen. <strong>Die</strong>s lässt sich jedoch auf die Größe<br />

der Ausgangspopulation zurückführen, die bei einer Zeitspanne von 40 Jahren<br />

verständlicher Weise um ein Vielfaches geringer ausfällt als innerhalb von fünf<br />

Jahren. Dennoch kann es im Zeitraum einer Dekade Extreme in beiden Rich-<br />

tungen geben, Wachstum wie Schrumpfung der jeweiligen Gemeinde, in Sum-<br />

me eines oder in diesem Falle vier Jahrzehnten können diese Ausreißer jedoch<br />

völlig verschwinden. Auch aufgrund dessen ist es sinnvoll, sowohl die fortlau-<br />

fende als auch die kurzfristige Dynamik aufzuzeigen. So konnte beispielsweise<br />

Alland, welches kurzfristig einen Bevölkerungsschwund aufwies, diesen mit<br />

einem stärkeren Wachstum in den nächsten fünf Jahren wieder wettmachen.<br />

68


Nach der statistischen Abhandlung der kurz- und langfristigen Bevölkerungs-<br />

entwicklung sollen anhand dieser zwei Parameter nun, aus den 18 verbliebenen<br />

Gemeinden, je ein Vertreter mit einer starken und einer schwachen Entwick-<br />

lungsdynamik, kurz- wie langfristig, herausgefiltert werden.<br />

Dafür wurden alle 18 Gemeinden in eine Matrix (s. Abb. 19) nach den Parame-<br />

tern starke, mittlere und schwache Bevölkerungsentwicklung in die jeweiligen<br />

Entwicklungsperioden lang- und kurzfristig eingeordnet. Davor wurden, um<br />

die Gemeinden besser in die Gruppen stark, mittel und schwach wachsend ein-<br />

zuteilen, Quartile gebildet. Das heißt +/-25 Prozent vom Median des Gesamtbe-<br />

völkerungswachstums aller 18 Gemeinden ergibt die Kategorie „mittlere Ent-<br />

wicklungsdynamik“, alle Werte, die darunter liegen ergeben die Klasse<br />

„schwache Entwicklungsdynamik“ und alle Werte darüber die Gruppe „starke<br />

Entwicklungsdynamik“. Mittels dieser Matrix konnte die kurzfristige Entwick-<br />

lungsdynamik mit der langfristigen in Relation gesetzt und dadurch Gemein-<br />

den herausgefiltert werden, die sowohl kurz- als auch langfristig von einem<br />

starken Bevölkerungswachstum geprägt sind, wie die Gemeinde <strong>Wolfsgraben</strong>.<br />

Ebenso konnten aber auch Gemeinden herauskristallisiert werden, die lang-<br />

wie kurzfristig ein schwaches Bevölkerungswachstum aufweisen, wie die Ge-<br />

meinden Alland, Hinterbrühl, Pressbaum oder Maria-Anzbach (vgl. Abb. 19).<br />

Entwicklungsdynamik Entwicklungsdynamik langfristig (1961-2001)<br />

kurzfristig (2001-2005) + ~ -<br />

• <strong>Wolfsgraben</strong> • Gaaden • Tullnerbach<br />

+ • Gießhübl • Klausen-Leopoldsdorf<br />

• Eichgraben • Purkersdorf<br />

~ • Kaltenleutgeben • Heiligenkreuz<br />

• Gablitz • Wienerwald • Alland<br />

- • Mauerbach • Hinterbrühl<br />

• Laab i. Walde • Pressbaum<br />

• Breitenfurt b. Wien • Maria Anzbach<br />

Abb. 19: <strong>Die</strong> Untersuchungsgemeinden in Relation zu den Entwicklungsdynamiken<br />

69


Darauf folgend werden in einer weiteren Matrix (s. Abb. 20) die Ergebnisse der<br />

Entwicklungsdynamik mit dem Parameter der Erreichbarkeit in Relation ge-<br />

setzt. Dafür wurde mittels der drei Routenplaner „www.tiscover.at“,<br />

„www.map24.com“ und „www.routenplaner.at“ die durchschnittliche Er-<br />

reichbarkeit der 18 verbliebenen Untersuchungsgemeinden von Wien ermittelt.<br />

Nachfolgend wurden mit Hilfe des Medians zwei Klassen gebildet: „gute Er-<br />

reichbarkeit“ und „weniger gute Erreichbarkeit“. Der Mittelwert lag dabei bei<br />

25,8 Minuten, dass heißt, alle Gemeinden, die von Wien aus schneller zu errei-<br />

chen sind, haben eine gute Erreichbarkeit, alle anderen Gemeinden (>25,8 min)<br />

eine weniger Gute. Anschließend wurden die Gemeinden wieder in die jeweili-<br />

gen Klassen „Entwicklungsdynamik-Erreichbarkeit“ zugeordnet.<br />

Entwicklungsdynamik Erreichbarkeit<br />

+ -<br />

70<br />

++ • <strong>Wolfsgraben</strong><br />

+~<br />

+- • Laab • Breitenfurt<br />

• Gablitz<br />

• Mauerbach<br />

~+ • Gaaden<br />

• Gießhübl<br />

-- • Alland • Maria-Anzbach<br />

• Hinterbrühl<br />

• Pressbaum<br />

-~ • Purkersdorf<br />

• Heiligenkreuz<br />

-+ • Klausen-Leopoldsdorf<br />

• Tullnerbach<br />

~~ • Eichgraben<br />

• Kaltenleutgeben<br />

~- • Wienerwald<br />

Abb. 20: <strong>Die</strong> Untersuchungsgemeinden in Relation zur Entwicklungsdynamik und Erreichbarkeit


Mittels dieser Matrix konnten zwei Gemeinden herausgefiltert werden, die ca.<br />

dieselben Erreichbarkeiten aufweisen, wovon die eine lang- und kurzfristig<br />

stark und die andere schwach wachsend ist.<br />

Es handelt sich dabei um die Gemeinden <strong>Wolfsgraben</strong> als Vertreter der stark<br />

wachsenden Gemeinden und um die Gemeinde Maria-Anzbach, als Repräsen-<br />

tant der schwach bzw. mittelmäßig Wachsenden (vgl. Abb. 20). Zudem weisen<br />

beide Gemeinden ca. die gleiche Fläche auf, <strong>Wolfsgraben</strong> mit einer Katasterflä-<br />

che von 17,34 km² und Maria-Anzbach mit einer Ausdehnung von 18,19 km²,<br />

was die Vergleichbarkeit erleichtert.<br />

Anhand dieser zwei Gemeinden soll weiterfolgend abgeschätzt werden, in-<br />

wieweit das Landschaftsschutzgebiet Wienerwald Auswirkungen auf die Sied-<br />

lungsentwicklung und in weiterer Folge auf den <strong>Suburbanisierung</strong>sprozess hat.<br />

5.1 <strong>Die</strong> Gemeinde <strong>Wolfsgraben</strong><br />

<strong>Wolfsgraben</strong> bezeichnet sich selbst als die „Gemeinde im Herzen des Wiener-<br />

waldes“ und ist Teil des politischen Bezirks Wien-Umgebung, wobei die Ge-<br />

meinde knapp 10 km westlich von der Stadtgrenze Wiens entfernt liegt. Ihre<br />

Flächenausdehnung beträgt in Nord-Süd-Richtung ca. 5 km, in West-Ost-<br />

Richtung ca. 8 km.<br />

25%<br />

6%<br />

1%<br />

3%<br />

<strong>Wolfsgraben</strong> 2005<br />

65%<br />

Katasterfläche:<br />

Wald<br />

Katasterfläche:<br />

landw .Nutzung<br />

Katasterfläche:<br />

Gärten<br />

Katasterfläche:<br />

sonstige Fläche<br />

Katasterfläche:<br />

Baufläche<br />

Abb. 21: Katasterflächenanteile (Nutzung) <strong>Wolfsgraben</strong> 2005,<br />

Quelle: Statistik Austria 2005, eigene Darstellung<br />

Zudem weist <strong>Wolfsgraben</strong><br />

einen Waldflächenanteil von<br />

65 Prozent auf, was mehr als<br />

die Hälfte der Gesamtkatas-<br />

terfläche von 17,34 km² aus-<br />

macht (vgl. Abb. 21).<br />

<strong>Wolfsgraben</strong> liegt auf einer<br />

Seehöhe von 323 m, wobei<br />

seine höchste Erhebung, der<br />

„Hengstlberg“, mit 619 m im Süd-Westen der Gemeinde lokalisiert ist.<br />

71


<strong>Wolfsgraben</strong> ist mit Laab im Walde und Breitenfurt an der Süd-West-Achse lo-<br />

kalisiert und liegt zudem ganz in der Nähe des Wienerwaldsees. Sein Gemein-<br />

degebiet wird im Norden von der Westautobahn A1 tangiert und vom Norden<br />

bis in den Südosten von der B13 durchschnitten, welche derzeit als engere Um-<br />

fahrungsstraße für den Süden von Wien fungiert. <strong>Die</strong> Landeshauptstraße L128<br />

über den kleinen Semmering, Breitenfurt und dem Hochrotherd hat lediglich<br />

eine lokale Bedeutung. Dank der Westautobahn A1 und der Bundesstraße B13<br />

ist die Gemeinde von Wien aus über den MIV 27 dennoch gut erreichbar. <strong>Die</strong><br />

Aufschließung des öffentlichen Nahverkehrs ist hingegen sehr unbefriedigend.<br />

So verfügt <strong>Wolfsgraben</strong> über zwei Buslinien, die zum einen bis nach Wien Hüt-<br />

teldorf und zum anderen nach Wien Liesing fahren. Zudem verkehren zwei<br />

Mal täglich Busse nach Pressbaum und Breitenfurt, die vor allem als Schulbusse<br />

Abb. 22: Zeitreihe Wohnbevölkerung absolut Abb. 23: Wanderungsbilanzen im Vergleich<br />

Quelle: Statistik Austria 2005, eigene Darstellung Quelle: Statistik Austria 2005, eigene Darstellung<br />

genutzt werden. <strong>Wolfsgraben</strong> zählt zu den Gemeinden mit den höchsten Be-<br />

völkerungsgewinnen. Seine Wohnbevölkerung hat sich von 1961 bis 2001<br />

knapp verdreifacht (167,7 Prozent Wachstum). <strong>Die</strong> Wanderungsbilanzen liegen<br />

ab der Dekade 1971 bis 2001 zwischen 20 und 28 Prozent (vgl. Abb. 22 und 23).<br />

<strong>Die</strong>se Statistiken zeigen, dass <strong>Wolfsgraben</strong> zu den stark wachsenden Gemein-<br />

den des Untersuchungsgebietes gehört, wofür sie als Repräsentant auch fun-<br />

giert. <strong>Die</strong> Bevölkerungsdichte pro km² Katasterfläche beträgt 80 Einwohner.<br />

27 Motorisierter Individualverkehr<br />

72<br />

1500<br />

1000<br />

500<br />

0<br />

529<br />

<strong>Wolfsgraben</strong><br />

594<br />

743<br />

1089<br />

1416<br />

Wbv1961 Wbv1971 Wbv1981 Wbv1991 Wbv2001<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

Wanderungsbilanzen in Prozent<br />

22<br />

28<br />

28<br />

Wbil 1971-1981 Wbil 1981-1991 Wbil 1991-2001<br />

23<br />

<strong>Wolfsgraben</strong> M aria Anzbach<br />

20<br />

6


Laut Daten der Statistik Austria wurden im Zeitraum von 1991 bis 2005 35,4<br />

Prozent des gewidmeten Baulandes bebaut, wobei die Wohnform des Einfami-<br />

lienhauses mit 91 Prozent (2001) dominiert (vgl. Abb. 24). <strong>Die</strong>s zeigt, dass fast<br />

ausschließlich Einfamilienhäuser als bevorzugte Wohnform anzutreffen sind,<br />

jene Form mit dem größten<br />

Flächenverbrauch (Grund-<br />

stücksfläche, technische In-<br />

frastruktur, etc.).<br />

In welchem Ausmaß die<br />

Zersiedelung der Fläche<br />

<strong>Wolfsgraben</strong>s fortgeschrit-<br />

ten ist und wie viel Neubau-<br />

ten in den letzten 25 Jahren<br />

Wohnbauten-Situation <strong>Wolfsgraben</strong> 2001<br />

5%<br />

1%<br />

3%<br />

91%<br />

1 Wohnung<br />

2 Wohnungen<br />

keine Wohnung<br />

3 bis 5 Wohnungen<br />

hinzugekommen sind, soll anhand der in den Kapitel 5.3.1 und 5.3.2 GIS-<br />

gestützten Gebäudebestandsanalyse ermittelt werden.<br />

5.2 <strong>Die</strong> Gemeinde Maria-Anzbach<br />

<strong>Die</strong> Gemeinde ist ein Wallfahrtsort im westlichen Wienerwald, wobei auch sie<br />

zu 100 Prozent im Untersuchungsgebiet verortet ist. Maria-Anzbach liegt zu-<br />

dem im Mostviertel, südlich von Neulengbach im Tal des Anzbaches, welcher<br />

ein Nebenfluss der Großen Tulln ist. Im Norden wird die Gemeinde vom Buch-<br />

berg mit 469 m und im Süden vom Kohlreithberg mit 516 m, welcher auch die<br />

höchste Erhebung Maria-Anzbachs darstellt, eingegrenzt. Das Gemeindegebiet<br />

liegt auf einer Seehöhe von 245 m.<br />

Abb. 24: Anteil der Wohngebäude <strong>Wolfsgraben</strong><br />

Quelle: Statistik Austria 2005, eigene Darstellung<br />

Maria-Anzbach befindet sich etwa 20 km von der Ortsgrenze Wiens entfernt<br />

und wird von der Bundesstraße B44 und der Westbahn (ÖBB) gekreuzt, wobei<br />

die B44 die Zubringerstraße zur A1 darstellt, welche nach ca. 11 km bei Press-<br />

baum erreich ist. Das öffentliche Verkehrsmittelangebot ist in Maria-Anzbach<br />

unterbesetzt. Zwar liegt die Gemeinde mit drei Haltestellen direkt an der West-<br />

73


ahnstrecke und besitzt somit eine gute Anbindung an Wien bzw. St. Pölten,<br />

doch gibt es daneben lediglich eine Buslinie, die zwischen Pressbaum und Neu-<br />

lengbach (St. Christophen) verkehrt.<br />

Politisch zugehörig ist die Gemeinde dem Bezirk St. Pölten-Land. Anders als<br />

<strong>Wolfsgraben</strong> ist Maria-Anzbach eine Marktgemeinde, wobei ihr Gemeindege-<br />

biet die Katastralgemeinden Maria-Anzbach mit den weiteren Orten Hofstatt<br />

am Anzbach, Klein-Weinberg, Maierhöfen und Pameth, sowie Götzwiesen und<br />

Groß-Raßberg mit den weiteren Ortschaften Burgstall, Gschwendt, Oed und<br />

Hof als auch Unter-Oberndorf mit den weiteren Orten Furth, Winkl und Win-<br />

ten und Hutten umfasst.<br />

74<br />

36%<br />

8%<br />

4%<br />

0%<br />

1%<br />

Maria-Anzbach 2005<br />

51%<br />

Abb. 25: Katasterflächenanteile (Nutzung) Maria-Anzbach 2005<br />

Quelle: Statistik Austria 2005, eigene Darstellung<br />

Ihre Gesamtkatasterfläche<br />

macht 18,19 km² aus, wobei<br />

51 Prozent der Fläche land-<br />

wirtschaftlich genutzt wird,<br />

jedoch fallen immerhin 36<br />

Prozent auf die Benützung<br />

Wald, was einen Waldflä-<br />

chenanteil von mehr als ei-<br />

nem Drittel ausmacht.<br />

Als Repräsentant des Gemeinde-Typus mit einer mittelmäßigen Entwicklungs-<br />

dynamik, macht das Wachstum<br />

der Wohnbevölkerung Maria-<br />

Anzbachs im Zeitraum von 1961<br />

bis 2001 immerhin 36,9 Prozent<br />

aus. <strong>Die</strong> Bevölkerungsdichte pro<br />

km² Katasterfläche liegt bei 144<br />

Einwohnern, was im Vergleich zu<br />

<strong>Wolfsgraben</strong> erträglich ist (80:144).<br />

Katasterfläche:<br />

landw .Nutzung<br />

Katasterfläche:<br />

Wald<br />

Katasterfläche:<br />

Gärten<br />

Katasterfläche:<br />

sonstige Fläche<br />

Katasterfläche:<br />

Baufläche<br />

Katasterfläche:<br />

Gew ässer<br />

3000<br />

2500<br />

2000<br />

1500<br />

1000<br />

500<br />

0<br />

1914<br />

Maria-Anzbach<br />

1808<br />

2151<br />

2562<br />

2621<br />

Wbv1961 Wbv1971 Wbv1981 Wbv1991 Wbv2001<br />

Abb. 26: Zeitreihe Wohnbevölkerung absolut, M.-A.<br />

Quelle: Statistik Austria 2005, eigene Darstellung


Das Bevölkerungswachstum ist zudem nach einem Blick auf die Wan-<br />

derungsbilanzen der Gemeinde (vgl. Abb. 23) vorrangig auf die Zuwanderung<br />

zurückzuführen, welche jedoch in der letzten Dekade 1991 bis 2001 auf ledig-<br />

lich sechs Prozent zurückgegangen ist. Ob ein Zusammenhang zwischen den<br />

statistisch ermittelten mittleren Bevölkerungswachstums und den schrumpfen-<br />

de Wanderungsbilanzen mit einer nachhaltigen Gemeindepolitik hinsichtlich<br />

des Landschaftsschutzes auszumachen ist, soll das Bürgermeister-Interview in<br />

Kapitel 5.5 klären.<br />

<strong>Die</strong> Nutzung der Baufläche hat laut Statistik Austria im Zeitraum von 1991 bis<br />

6%<br />

6%<br />

Wohnbauten-Situation Maria-Anzbach 2001<br />

1%<br />

2%<br />

85%<br />

2005 in Maria-Anzbach um 26<br />

Prozent zugenommen. Das<br />

heißt, dass 26 Prozent vom be-<br />

reits gewidmeten Bauland in<br />

diesem Zeitraum bebaut wur-<br />

de. <strong>Die</strong> dominante Wohnform<br />

ist ebenso wie in Wolfsgra-<br />

ben das flächenextensive Einfa-<br />

milienhaus mit 84 Prozent,<br />

gefolgt vom Zweifamilienhaus mit sieben Prozent und der Kategorie „keine<br />

Wohnung“ mit sechs Prozent, die jedoch auf das Alterspflegeheim St. Louise<br />

der Gemeinde zurückzuführen ist. Alle anderen Wohnformen spielen nur eine<br />

untergeordnete Rolle.<br />

1 Wohnung<br />

Abb. 27: Anteil der Wohngebäude Maria-Anzbach<br />

Quelle: Statistik Austria 2005, eigene Darstellung<br />

Inwieweit die Gemeindefläche von Maria-Anzbach zersiedelt wurde und wie<br />

viel Neubauten in den letzten 25 Jahren hinzugekommen sind, soll nachfolgend<br />

in Kapitel 5.3.2 abgeklärt werden.<br />

2 Wohnungen<br />

keine Wohnung<br />

3 bis 5 Wohnungen<br />

6 bis 10 Wohnungen<br />

5.3 Darstellende Siedlungsentwicklung 1980 bis 2005<br />

Unter einer Siedlung bzw. einem Siedlungsraum versteht man im Allgemeinen<br />

diejenigen Teile der Erde, die zum ständigen Lebensraum des Menschen gehö-<br />

75


en, man spricht dabei auch von dem so genannten Dauersiedlungsraum (vgl.<br />

DIERCKE-Wörterbuch 2001: 779).<br />

Da der Gebäudebestand einer Gemeinde neben der technischen Infrastruktur<br />

und den Grünflächen einen wesentlichen Bestandteil einer Siedlung ausmacht,<br />

soll hier primär der Fokus liegen. Dafür wurde der Gebäudebestand der Ge-<br />

meinden <strong>Wolfsgraben</strong> und Maria-Anzbach mit Hilfe von Luftbildern des Bun-<br />

desamts für Eich- und Vermessungswesen (BEV) aus dem Jahr 1980 erhoben.<br />

Anschließend wurde dieser mit Hilfe des vorhandenen Gebäudebestands in der<br />

Digitalen Katastralmappe (DKM) beider Gemeinden aus dem Jahr 2005 vergli-<br />

chen. Mitunter waren die Orthophotos der zwei Wienerwaldgemeinden aus<br />

dem Jahr 2000 bei einigen nicht klaren Fällen wie beispielsweise Gebäudeabriss<br />

bei der Analyse hilfreich. Sowohl die DKM als auch die Orthophotos sind für<br />

diese Analysemethode durch das Institut für Stadt- und Regionalforschung<br />

(ISR) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) von der Nie-<br />

derösterreichischen Landesregierung zur Verfügung gestellt worden.<br />

Durch den Vergleich des Gebäudebestandes auf den Luftbildern von 1980 und<br />

dem auf der Digitalen Katastralmappe von 2005 konnten Neu- und Zubauten<br />

ausgemacht werden und im Zuge dessen Rückschlüsse auf den Flächen-<br />

verbrauch sowie die Zersiedelung gezogen werden. Es wurde bewusst dieser<br />

Zeitraum gewählt, weil er die Siedlungssituation von den Anfängen der Aus-<br />

weisung des Wienerwaldes als Landschaftsschutzgebiet im Jahr 1979 bis hin<br />

zur heutigen Entwicklung abdeckt. Damit soll die Frage geklärt werden, ob und<br />

welchen Nutzen das Instrument des Landschaftsschutzgebietes für die Sied-<br />

lungsraumentwicklung innerhalb des Wienerwaldes hat.<br />

5.3.1 Gebäudeanalyse der Gemeinde <strong>Wolfsgraben</strong><br />

Nachstehende Karte, Abb. 28, soll einen Gesamtüberblick über die Gemeinde<br />

<strong>Wolfsgraben</strong> geben, über die Verteilung der Wald- und Flurflächen, des Stra-<br />

ßennetzes sowie der Siedlungsfläche. Aufgrund des Maßstabs der Karte wur-<br />

76


den nachfolgend die Siedlungsflächenteile herausgenommen, in denen es die<br />

meisten Neu- und Zubauten im Untersuchungszeitraum gab, s. Abb. 29 und 30.<br />

Abb. 28: Überblick über die Siedlungssituation <strong>Wolfsgraben</strong>s<br />

2<br />

Mittels der GIS-gestützten Gebäudeanalyse konnte ermittelt werden, dass<br />

<strong>Wolfsgraben</strong> einen Gebäudebestand von 937 Bauten besitzt. Davon existierten<br />

1980 bereits 801, das heißt, dass bis 2005, in 25 Jahren 133 Gebäude hinzuka-<br />

men, wobei nur jene berücksichtigt wurden, die eine Grundfläche von mindes-<br />

tens 20 m² aufweisen. All jene die mit ihrer Quadratmeterzahl darunter liegen,<br />

gelten laut Statistik Austria (Häuser- und Wohnungszählung) nicht als Haus.<br />

Insgesamt hat der Gebäudebestand der Gemeinde <strong>Wolfsgraben</strong> in den vergan-<br />

genen 25 Jahren um 16,6 Prozent zugenommen, was nicht überdurchschnittlich<br />

hoch erscheint. In Summe sind dies jedoch mehr als fünf Neubauten pro Jahr<br />

innerhalb eines Gemeindegebiets mit fast zwei Dritteln Waldfläche und zudem<br />

innerhalb eines sensiblen Landschaftsgebiets. Zusätzlich zudem muss der As-<br />

pekt berücksichtigt werden, dass die Wienerwaldgemeinden durch die fehlen-<br />

1<br />

77


de Komponente von Industrie und Gewerbe weniger stark von der<br />

<strong>Suburbanisierung</strong> betroffen und somit weniger versiegelt sind, als die Gemein-<br />

78<br />

1<br />

Abb. 29: Übersicht Gebäudebestand, Wgr. Neu und Alt (1)<br />

den an der Südbahnstrecke.<br />

Anhand der detaillierten Karten-<br />

ausschnitte in Abb. 29 und 30 ist<br />

erkennbar, dass die Zersiedelung<br />

der Fläche schon vor 1980 ein-<br />

gesetzt hat. So liegen zwischen<br />

einigen Grundstücken bzw. Häu-<br />

sern 250 bis 500 m Freiflächen. In<br />

den vergangenen 25 Jahren wur-<br />

den diese Baulücken teilweise<br />

durch weitere Bauten aufge-<br />

schlossen. Einige Straßen wurden<br />

jedoch aufgrund von Neubauten<br />

erweitert oder neu gebaut.<br />

Zusammenfassend kann festge-<br />

halten werden, dass <strong>Wolfsgraben</strong><br />

eine stark zersiedelte Gemeinde<br />

ist, in der das Ortszentrum ohne Ausweisung der Kirche nicht klar ersichtlich<br />

ist. <strong>Die</strong> Zersiedelung der Fläche setzte jedoch schon vor 1945 ein, was durch<br />

Abb. 30: Übersicht Gebäudebestand <strong>Wolfsgraben</strong>, Neu und Alt (2)<br />

2


den historischen Flächenwidmungsplan von 1978, welche bei der Niederöster-<br />

reichischen Landesregierung in Baden aufliegt, ersichtlich wurde. So gab es die<br />

Heimbautalsiedlung im Nordosten der Gemeinde (s. Abb. 28) schon vor 1945.<br />

Sie wurde in den Jahren darauf durch weitere Gebäude aufgestockt. So wie in<br />

der Heimbautalsiedlung wurde auch in den 25 Untersuchungsjahren der Ge-<br />

bäudeanalyse versucht, die damals entstandenen Baulücken in Richtung kom-<br />

pakte, verdichtete Bauweise aufzufüllen, was auch anhand von Abb. 30 sichtbar<br />

wird.<br />

5.3.2 Gebäudeanalyse der Gemeinde Maria-Anzbach<br />

1<br />

Abb. 31: Überblick über die Siedlungssituation Maria-Anzbachs<br />

Ebenso wie in <strong>Wolfsgraben</strong> soll in Maria-Anzbach anhand voran stehender Kar-<br />

te, Abb. 31, ein Überblick über das Siedlungsgebiet, die Wald- und Flurvertei-<br />

lung sowie die Lage der technischen Infrastruktur innerhalb der Gemeinde ge-<br />

geben werden. <strong>Die</strong> darauf folgenden detaillierten Kartenausschnitte in Abb. 32<br />

2<br />

79


und 33 bilden die Siedlungsteile mit den meisten Neu- und Zubauten ab und<br />

geben zudem Aufschluss über ihre Lage im Siedlungsraum.<br />

80<br />

1<br />

Abb. 32: Übersicht Gebäudebestand Maria-Anzbach, Neu und Alt (1)<br />

Anhand der Gebäu-<br />

deanalyse konnte für<br />

Maria-Anzbach fest-<br />

gestellt werden, dass<br />

der Gebäudeanteil in<br />

der Periode von 1980<br />

bis 2005 um 12,2<br />

Prozent zugenom-<br />

men hat, was 4,4<br />

Prozent weniger sind<br />

als in der Gemeinde<br />

<strong>Wolfsgraben</strong>. Das<br />

macht zwar keinen<br />

großen Unterschied<br />

aus, ist aber durch-<br />

aus durch die unter-<br />

schiedliche Bevölke-<br />

rungsentwicklung in den letzten Jahren zwischen einer stark und einer mittel-<br />

mäßig wachsenden Gemeinde zu erklären. Zwar übertrumpft Maria-Anzbach<br />

in absoluten Zahlen <strong>Wolfsgraben</strong> um 59 Gebäuden, jedoch müssen diese immer<br />

in Relation zum Gesamtgebäudebestand gesehen werden, welcher in Wolfsgra-<br />

ben fast um die Hälfte geringer ist und sich in Maria-Anzbach schon 1980 auf<br />

1573 belief. Demzufolge muss von einer anderen Größendimension ausgegan-<br />

gen werden. Der gesamte Gebäudebestand (2005) beträgt in Maria-Anzbach<br />

1765, was bedeutet, dass in den zurückliegenden 25 Jahren 192 Häuser hinzu-<br />

gekommen sind, sprich mehr als sieben Gebäude pro Jahr.<br />

Somit kann dennoch festgehalten werden, dass Maria-Anzbach mehr Neubau-


ten aufweist als <strong>Wolfsgraben</strong>, obwohl die Gemeinde dem mittelfristig-wachsen-<br />

den Gemeindetyp entspricht.<br />

Abb. 33: Übersicht Gebäudebestand Maria-Anzbach, Neu und Alt (2)<br />

Das Gemeindegebiet von Maria-Anzbach setzt sich aus vier Katastralgemein-<br />

den: Maria-Anzbach, Götzwiesen, Groß-Raßberg und Unter-Oberndorf zu-<br />

sammen (vgl. Kapitel 5.2), wohingegen <strong>Wolfsgraben</strong> aus einer Katastralge-<br />

meinde - <strong>Wolfsgraben</strong> - besteht. Maria-Anzbach ist zwar im Vergleich zu<br />

<strong>Wolfsgraben</strong> nur um 90 ha größer, aber wirkt dennoch städtisch geprägter, was<br />

auch nicht verwunderlich ist, bei einem Gesamtgebäudebestand, der um 47,1<br />

Prozent höher ist als der, der Gemeinde <strong>Wolfsgraben</strong>. Auch von den Einwoh-<br />

nerzahlen übertrumpft Maria-Anzbach <strong>Wolfsgraben</strong> um 46 Prozent. Was je-<br />

doch auch damit zu erklären ist, dass Maria-Anzbach auf eine 535 Jahre längere<br />

Siedlungsgeschichte zurückblicken kann. So wurde die Siedlung Maria-<br />

Anzbach um 998 das erste Mal urkundlich erwähnt. Der Name <strong>Wolfsgraben</strong> er-<br />

scheint hingegen 1533 das erste Mal urkundlich auf. <strong>Die</strong>s alles sind jedoch<br />

Hinweise darauf, dass das Flächenwachstum in Maria-Anzbach schon fortge-<br />

2<br />

81


schrittener ist als in <strong>Wolfsgraben</strong>, und aufgrund dessen das Wachstum eventu-<br />

ell durch gemeindepolitische Restriktionen in den vergangen 25 Jahren herab-<br />

gesetzt wurde. Darüber soll jedoch das Bürgermeister-Interview in Kapitel 5.5<br />

Aufschluss geben.<br />

Beim Vergleich der beiden Gemeinden sind darüber hinaus die naturräumli-<br />

chen Gegebenheiten zu berücksichtigen, die einen immens hohen Einfluss auf<br />

die Siedlungsentwicklung haben. Inwieweit Maria-Anzbach von der Zersiede-<br />

lung der Fläche betroffen ist, darüber sollen die Karten in den Abb. 32 bis 33<br />

Auskunft geben.<br />

Vor allem in Abb. 33 ist gut erkennbar, wie stark das Gemeindegebiet zersiedelt<br />

ist. So trifft man auf Siedlungszüge im Norden, im Süden sowie entlang der<br />

Westbahnstrecke, wobei diese die Hauptsiedlungsachse ausmacht. <strong>Die</strong> Karten<br />

in Abb. 32 und 33 zeigen dabei sehr deutlich, dass der Siedlungszug entlang der<br />

Westbahn oftmals durch 500 und mehr Meter unterbrochen ist bis eine neue<br />

Wohnsiedlung anschließt. Zwischen den vier Katastralgemeiden liegen mitun-<br />

ter ein bis zwei Kilometer Entfernung. Sie sind, abgesehen von Maria-Anzbach<br />

und Unter-Oberndorf, die an der Westbahn gelegen sind, nur durch das Auto<br />

zu erreichen.<br />

Ebenso wie in <strong>Wolfsgraben</strong> wurde das Gemeindegebiet in Maria-Anzbach<br />

schon vor 1980 der Zersiedelung ausgesetzt, was anhand der voran stehenden<br />

Karten gut veranschaulicht wird. Man trifft jedoch innerhalb der 25 Jahre der<br />

Gebäudebestandsanalyse auf Baulückenaufschließungen wie auch auf neue<br />

Straßenzüge mit Neubauten, siehe Abb. 32.<br />

Schlussfolgernd kann festgehalten werden, dass auch Maria-Anzbach zersiedelt<br />

ist und dies noch stärker als das Gemeindegebiet von <strong>Wolfsgraben</strong>. Zu bemer-<br />

ken ist dabei jedoch, dass die Zersiedelung der Fläche ebenfalls vor 1980 ge-<br />

schah und in der Periode bis 2005 nicht erweitert sondern in Richtung verdich-<br />

tete Bauweise, wie auch in <strong>Wolfsgraben</strong>, aufgeschlossen wurde. Hinsichtlich<br />

der herabgesetzten Wanderungsbilanzen im Zuge der Ausweisung der Fläche<br />

82


zum Landschaftsschutzgebiet kann mittels der Gebäudeanalyse keine treffende<br />

Aussage getroffen werden, sodass diese Fragestellung allein durch die qualita-<br />

tiven Interviews ab Kapitel 5.5 beantwortet werden kann.<br />

In weiterer Folge soll neben der Gebäudeanalyse auch auf das gewidmete Bau-<br />

land der Gemeinden näher eingegangen werden, da dieses ja die Grundlage für<br />

alle Bauten in einem Gemeindegebiet darstellt.<br />

5.3.3 Bauflächen und Bauflächenverfügbarkeit der Gemeinden<br />

Mittels der Digitalen Katastralmappe 2005 und der Orthophotos der Gemein-<br />

den aus dem Jahr 2000 konnten die bebauten und unverbauten Bauflächen in-<br />

nerhalb der Widmung im Flächenwidmungsplan ausgemacht werden. Dafür<br />

wurden im Vergleich der DKM mit den Orthophotos alle Freiflächen im Bau-<br />

land digitalisiert und entsprechend aufbereitet, zusätzlich wurden die durch<br />

Abb. 34: Baulandreserve <strong>Wolfsgraben</strong> 2005<br />

das Land Nieder-<br />

österreicheinge- brachtenSiedlungs- grenzen (vgl. Kapi-<br />

tel 5.4.1) dabei mit<br />

berücksichtigt. In<br />

Folge ergab sich für<br />

die Gemeinde Wolf-<br />

sgraben folgendes<br />

Bild: <strong>Wolfsgraben</strong><br />

verfügt über 102,3<br />

ha gewidmetes Bauland, wobei davon bereits 78,8 ha bebaut sind. <strong>Die</strong>s macht<br />

eine Baulandreserve von 23,5 ha aus, was einem Anteil von 23 Prozent ent-<br />

spricht. Generell steht in der Gemeinde <strong>Wolfsgraben</strong>, wie in Abb. 34 karto-<br />

graphisch verdeutlicht, für die nächsten Jahrzehnte noch genügend unbebautes<br />

gewidmetes Bauland zur Verfügung.<br />

83


Ein ähnliches Bild zeigt sich in der Gemeinde Maria-Anzbach. So besitzt diese<br />

302,3 ha gewidmetes Bauland, von dem bereits 223,4 ha verbaut sind, was zu<br />

einer Baulandreserve von 78,9 ha führt.<br />

<strong>Die</strong>s entspricht einem Anteil von 26,1 Prozent. Das zeigt, dass auch in der Ge-<br />

Abb. 35: Baulandreserve Maria-Anzbach 2005<br />

84<br />

meinde Maria-Anz-<br />

bach nochgenügend<br />

gewidmete Bauland-<br />

reserven verfügbar<br />

sind. Zudem besitzt<br />

Maria-Anzbach reich-<br />

lich drei Mal soviel<br />

gewidmete Bauland-<br />

freiflächen wie Wolfs-<br />

graben, hat jedoch in<br />

Summe 200 ha Katas-<br />

terfläche mehr gewidmetes Bauland zur Verfügung als <strong>Wolfsgraben</strong>. Da die<br />

großen Baulandwidmungen bereits in den 1960er/ 70er Jahren erfolgten, wie<br />

Gespräche mit der Niederösterreichischen Landesregierung ergaben, ist die<br />

Frage, wie viel Grünland seit Ernennung des Wienerwaldes zum Landschafts-<br />

schutzgebiet in Bauland umgewidmet wurden, hinfällig. Anhand einer PGO-<br />

Studie aus dem Jahr 1986 mit dem Titel: „Baulandreserven“ im Wienerwald,<br />

konnte jedoch der Baulandanteil für die zwei Beispielgemeinden zu diesem<br />

Zeitpunkt ermittelt werden. Als Grundlage für die Bearbeitung der Studie<br />

standen der PGO die Flächenwidmungspläne aller niederösterreichischen Wie-<br />

nerwaldgemeinden zur Verfügung. Darauf aufbauend konnte für <strong>Wolfsgraben</strong><br />

ein gewidmetes Bauland von 104,9 ha festgestellt werden bei einer Baulandre-<br />

serve von 15,9 ha. <strong>Die</strong>s entspricht einem Anteil von 15,2 Prozent. Dabei fällt auf,<br />

dass die PGO-Daten mit den selbst Ermittelten sowie mit den Daten aus dem<br />

örtlichen Entwicklungskonzept der Gemeinde nicht kompatibel sind. So hatte


<strong>Wolfsgraben</strong> 1986 mehr Bauland zur Verfügung als heute, was man mittels<br />

Rückwidmungen erklären könnte, jedoch war damals von diesem bereits ein<br />

deutlich größerer Teil verbaut als dies heute der Fall ist. So ergibt sich eine Dif-<br />

ferenz von 10,2 ha bebauter Fläche zwischen 1986 und 2005. Bei Maria-Anzbach<br />

zeichnet sich ein anderes Bild ab. So verfügte die Gemeinde damals über 242,9<br />

ha gewidmetes Bauland, bei einer Baulandreserve von 50,1 ha, was einem An-<br />

teil von 20,6 Prozent entspricht. Demnach sind innerhalb der letzten 19 Jahre<br />

immerhin 59,4 ha an Bauland in Maria-Anzbach hinzugekommen, wobei von<br />

diesen bis heute 30,8 ha bereits verbaut wurden. Somit sind pro Jahr durch-<br />

schnittlich mehr als 31.000 m² Bauland hinzugekommen, was einen beträchtli-<br />

chen Anteil ausmacht.<br />

Anhand der Karten in Abb. 34 und 35 sowie mittels der Statistiken ist erkenn-<br />

bar, dass Maria-Anzbach bei einer annähernd gleichen Gemeindekatasterfläche<br />

einen weit größeren Flächenverbrauch aufweist als <strong>Wolfsgraben</strong>, obwohl<br />

<strong>Wolfsgraben</strong> in den letzten 25 Jahren eine fast doppelt so hohe Entwicklungs-<br />

dynamik vorzuweisen hat. <strong>Die</strong>se Entwicklung geht darauf zurück, dass Maria-<br />

Anzbach eine kontinuierlich gewachsene Siedlung ist, die schon 535 Jahre län-<br />

ger existiert, wohingegen <strong>Wolfsgraben</strong> sein Siedlungswachstum in der Periode<br />

von 1980 bis 2005 immens ausbauen konnte. Somit handelt es sich bei den bei-<br />

den um eine schnell und eine langsam wachsende Gemeinde.<br />

Inwieweit der Landschaftsschutz und somit der Schutz des Wienerwalds in-<br />

nerhalb der beiden Gemeinden, die ja als Repräsentanten aller Wienerwaldge-<br />

meinden fungieren, eine Rolle in Hinsicht auf Flächenverbrauch und Zersiede-<br />

lung spielen, soll anhand nachfolgender qualitativer Interviews in Kapitel 5.5<br />

ermittelt werden.<br />

5.4 Begehungen vor Ort<br />

Bevor auf Grundlage der Bürgermeister-Befragung auf die örtliche Raumord-<br />

nung der zwei Beispielgemeinden <strong>Wolfsgraben</strong> und Maria-Anzbach Bezug ge-<br />

85


nommen wird, sollte durch eine Begehung vor Ort ein weiterer Überblick über<br />

die Siedlungssituation und die Zersiedelung des Gemeindegebiets gewonnen<br />

werden. So war in beiden Gemeinden ein starker Zersiedelungscharakter deut-<br />

lich erkennbar. Sowohl <strong>Wolfsgraben</strong> als auch Maria-Anzbach sind von mehre-<br />

ren Siedlungskörpern, die mehr oder weniger zusammenhängen, geprägt. Man<br />

kann dabei in <strong>Wolfsgraben</strong> von Siedlungssplittern ohne räumlichen Zusam-<br />

menhang zur gewachsenen Ortschaft sprechen. So liegt das Heimbautal, im<br />

Abb. 36: Bautätigkeit Rumelsiedlung, Wolfs-<br />

graben, eigene Aufnahme<br />

86<br />

Nord-Westen des Gemeindegebiets vom<br />

Ortszentrum mehr als 3 km entfernt. <strong>Die</strong><br />

Rumelsiedlung, südlich der Westauto-<br />

bahn im Norden der Gemeinde lokalisiert,<br />

befindet sich ca. 2 km vom Ortskern ent-<br />

fernt. Zu bemerken ist, dass diese beiden<br />

Siedlungen sowie die Ansiedlung ent-<br />

lang der Brentenmaisstraße, westlich der<br />

Rumelsiedlung gelegen, mittlerweile den Großteil der Bevölkerung Wolfsgra-<br />

bens (ca. 60 Prozent) beherbergen. Aus der einstigen Streusiedlung wandelte<br />

sich <strong>Wolfsgraben</strong> im letzten Jahrhundert durch die rege Siedlungstätigkeit, vor<br />

allem entlang der Hauptstraße, zu einem Straßendorf.<br />

Aber auch Maria-Anzbach kann keinen<br />

kompakten Siedlungskörper vorweisen.<br />

So setzt sich das Gemeindegebiet aus vier<br />

weit voneinander entfernt liegenden Ka-<br />

tastralgemeinden zusammen. So liegt Un-<br />

ter-Oberndorf im Osten der Marktge-<br />

meinde von Maria-Anzbach Ortskern ca.<br />

3km, Groß-Raßberg mit der Ortschaft<br />

Abb. 37: Hofstatt, Maria-Anzbach,<br />

eigene Aufnahme<br />

Burgstall, im Norden lokalisiert, sogar 4 km entfernt. <strong>Die</strong> Bewohner der Ka-<br />

tastralgemeinde Götzwiesen, im Südes des Gemeindegebiets, müssen aufgrund


mangelnder Infrastruktur sogar die Landesstraße über die Nachbargemeinde<br />

Altlengbach benutzen, um ins Ortszentrum von Maria-Anzbach zu ge-<br />

langen, was insgesamt eine Wegstrecke von ca. 7 km ausmacht. Im Gegensatz<br />

zu <strong>Wolfsgraben</strong> handelt es sich hierbei aber nicht um Siedlungssplitter sondern<br />

um einzelne gewachsene Ortschaften, die sich politisch zur Marktgemeinde<br />

Maria-Anzbach als Ganzes zusammensetzen. Dennoch handelt es sich um ein<br />

Gemeindegebiet, das stark zersiedelt ist und ebenso wie <strong>Wolfsgraben</strong> sehr<br />

locker bebaute Einfamilienhausbereiche aufweist.<br />

So ist anhand der Gebäudeanalyse als auch durch die Begehungen vor Ort<br />

deutlich sichtbar, dass in den letzten 25 Jahren primär Baulückenaufschließun-<br />

gen durch Einfamilienhausbauten getätigt wurden, wobei nicht außer Acht ge-<br />

lassen werden darf, dass dem Gegenüber auch eine Bevorzugung von<br />

Grundstücken in Aussichtslagen gegeben ist, die völlig neu erschlossen werden<br />

mussten. Auch in den kommenden Jahren werden die Gemeinden mit flächen-<br />

extensiven Einfamilienhausneubauten konfrontiert sein, worauf zahlreiche<br />

Grundstücksverkäufe sowohl in Wolfgraben, und da vor allem in der Heimbau-<br />

talsiedlung, als auch in Maria-Anzbach hinweisen. Nebenstehende Abbildun-<br />

gen sollen dabei einen kleinen Einblick über die Wohnbautensituation und<br />

Siedlungstätigkeit in den Gemeinden liefern.<br />

5.5 Qualitative Interviews der beiden Beispielgemeinden<br />

Anhand der Bürgermeister-Befragungen in <strong>Wolfsgraben</strong> und Maria-Anzbach<br />

soll mit Hilfe der örtlichen Raumordnung der Gemeinden auf die Siedlungstä-<br />

tigkeit sowie in Folge auf die Zersiedelung der Fläche unter Berücksichtigung<br />

der Schutzgebietskategorie Landschaftsschutzgebiet Bezug genommen werden.<br />

Dabei soll auf den Bekanntheitsgrad des Landschaftsschutzgebiets, dessen Wir-<br />

kung auf die Siedlungsentwicklung in den Gemeinden sowie dessen Berück-<br />

sichtigung innerhalb der örtlichen Raumordnung eingegangen werden.<br />

87


Vorab soll die Nützlichkeit der örtlichen Entwicklungskonzepte als Bestandteil<br />

der örtlichen Raumordnungsprogramme für das Landschaftsschutzgebiet Wie-<br />

nerwald abgeklärt werden, also inwiefern dieses in den Entwicklungs- und<br />

Planungsabsichten der Gemeinden seine Berücksichtigung findet. Jedoch ges-<br />

taltet es sich schwierig, einen gleichwertigen Bezug zwischen den Gemeinden<br />

herzustellen, da die Gemeinde Maria-Anzbach nicht über ein örtliches Entwick-<br />

lungskonzept verfügt. Maria-Anzbach besitzt lediglich einen Flächenwid-<br />

mungsplan mit dem die Gemeinde agiert und ihre Planungen umsetzt. Wolfs-<br />

graben hingegen hat solch ein Dokument aus dem Jahr 2004, auf welches in<br />

Hinblick auf das Landschaftsschutzgebiet Wienerwald kurz eingegangen wird.<br />

88<br />

Im Kapitel 5, S. 19, des örtlichen Entwicklungskonzepts <strong>Wolfsgraben</strong> mit<br />

dem Titel „Natur, Umwelt und Ökologie“ findet das Landschaftsschutzgebiet<br />

seine marginale Berücksichtigung, indem vermerkt wird, dass sich das gesamte<br />

Gemeindegebiet innerhalb dieser Schutzgebietskategorie befindet. In Summe<br />

wird jedoch allgemein auf die naturräumlichen Gegebenheiten des Gemeinde-<br />

gebiets und dessen Schutz Bezug genommen. Der einzige Punkt, der gegen eine<br />

weitere Zersiedelung der Fläche im Rahmen des Naturschutzes spricht, ist, dass<br />

Offenlandschaftsflächen durch die Erstellung von Teilbebauungsplänen und<br />

der Festlegung von verdichteten Bebauungsplänen geschützt werden sollen. Im<br />

Kapitel 2, S.11, „Siedlungsentwicklung, Bebauung“ wird zudem indirekt in den<br />

Zielsetzungen ein weiteres und letztes Mal auf Natur- und Landschaftsschutz<br />

Bezug genommen. So heißt es da: „Neuwidmungen von Wohnbaulandflächen<br />

sind nur entlang von bestehenden öffentlichen Verkehrsflächen mit Wasser-<br />

und Kanalanschluss sinnvoll, sofern es sich um das Schließen von Bauland-<br />

Lücken handelt und keine anderen Gründe dagegen sprechen (Natur- und<br />

Landschaftsschutz, Gewässerschutz etc.)“ Somit ist die Ausbeute im örtlichen<br />

Entwicklungskonzept im Hinblick auf die Steuerung der Siedlungsentwicklung<br />

durch den Naturschutz und im Speziellen durch das Landschaftsschutzgebiet<br />

zu gering und quasi nicht gegeben. Nachfolgende Interviews sollen diesen Ein-


druck noch verstärken.<br />

5.5.1 Bürgermeisterin-Interview Gemeinde <strong>Wolfsgraben</strong><br />

Am 29. März 2007 fand im Gemeindeamt <strong>Wolfsgraben</strong> die Befragung der dort<br />

agierenden Frau Bürgermeisterin Claudia Bock statt. Im Zuge dessen konnten<br />

wesentliche Informationen in Hinblick auf örtliche Raumordnung, Gemeinde-<br />

politik und den Nutzen sowie die Wirkungskraft des Naturschutzes gewonnen<br />

werden.<br />

Frau Bock, die seit 01. Dezember 2006 das Amt der Bürgermeisterin inne hat,<br />

kannte den Begriff des Landschaftsschutzgebietes und fand diese Schutzge-<br />

bietskategorie auch durchaus sinnvoll, wenn eine Begründung wie beispiels-<br />

weise Artenschutz vorliegt. Grundsätzlich findet sie, dass die Wienerwaldland-<br />

schaft, diese typischen Wiesen- und Waldkombinationen geschützt gehören.<br />

Jedoch gab es in den letzten 25 Jahren in der Gemeinde <strong>Wolfsgraben</strong> keine Re-<br />

striktionen vom Landschaftsschutzgebiet aus, in dem Sinne, dass bestimmte<br />

Planungen und Bauten nicht umgesetzt werden konnten. Ihre persönliche Mei-<br />

nung ist zudem, dass man einige Baulandflächen auch hätte zurückwidmen<br />

können. <strong>Die</strong>s sei jedoch ein schwieriges Unterfangen, da der Großteil des Bau-<br />

landes im Gemeindegebiet schon vor 1973 gewidmet wurde und vom tätigen<br />

Gemeinderat in den letzten 25 Jahren niemand einen Einfluss darauf gehabt ha-<br />

ben soll. <strong>Die</strong> Begründung liegt darin, dass die Baulandflächen, außer einer ein-<br />

zigen gemeindeeigenen Fläche auf dem das Gemeindeamt lokalisiert, in Privat-<br />

besitz sind, und die Gemeinde zudem nicht die finanziellen Mittel zur Verfü-<br />

gung hat um Baulandflächen wieder zurückzuwidmen.<br />

<strong>Die</strong> Umwidmungen im Gemeindegebiet von Grünland in Bauland waren in<br />

den letzten 25 Jahren, laut Angaben von Frau Bock, marginal und kaum vertre-<br />

ten, es gab nur wenige Flächenabtausche, bei denen es sich um einzelne Grün-<br />

landflächen handelte, die in einem umschlossenen Baulandgebiet lagen. <strong>Die</strong>se<br />

Flächen, da sie inmitten des Landschaftsschutzgebiets Wienerwald verortet<br />

89


sind, wurden und werden dabei stets von der Naturschutzbehörde des Landes<br />

begutachtet. Zumeist spricht jedoch bei diesen vom Bauland umschlossenen<br />

Grünlandflächen von Seiten des Landes nichts dagegen, sie in Bauland umzu-<br />

widmen. Zwar strebt die Gemeinde, nach Angaben von Frau Bock, nicht an,<br />

diese Gebiete zu verbauen, weil dadurch weitere Flächen versiegelt werden<br />

und <strong>Wolfsgraben</strong> zudem zu den Bodenbündnisgemeinden 28 gehört. Auch wol-<br />

len der Gemeinderat und die Frau Bürgermeisterin die Struktur des Dorfes<br />

<strong>Wolfsgraben</strong> erhalten und verhindern, dass der Ort urban überprägt wird. So<br />

ist es auch nicht verwunderlich, dass <strong>Wolfsgraben</strong> eine reine Einfamilienhaus-<br />

Gemeinde ist, es gibt etwa fünf Zweifamilienhäuser und zwei Geschosswohn-<br />

bauten, wobei eines davon sich noch in Bau befindet. <strong>Die</strong>se zwei wurden von<br />

der Gemeinde auf den 99jährigen Pachtgründen der Bundesforste errichtet.<br />

Damit soll sich der verdichtete Wohnbau für Frau Bürgermeisterin Bock in<br />

<strong>Wolfsgraben</strong> mittels mehrstöckigen Genossenschaftsbauten, wofür sich der<br />

vorherige Bürgermeister stark gemacht hat, erledigt haben.<br />

Es soll jedoch auch dann, wenn die Baulandreserve durch den Einfamilien-<br />

hausbau von zurzeit noch ca. 20 Prozent aufgebraucht ist, keine Bauland-<br />

Neuwidmungen mehr geben. Zudem ist die Infrastruktur des Ortes nicht so<br />

angelegt ist, dass <strong>Wolfsgraben</strong> noch deutlich erweitert werden und wachsen<br />

könnte. So gibt es einen Kanal, der auf 2.500 Einwohner angelegt ist, die Ge-<br />

meinde weist zurzeit jedoch schon ca. 1.500 Ständige und in etwa 500 Zweit-<br />

wohnsitzbewohner, wodurch ein weiteres Wachstum beschränkt ist.<br />

<strong>Die</strong> starke Zuwanderung in den letzten 25 Jahren ist darauf zurückzuführen,<br />

dass die Gemeinde vor allem den Anteil an Hauptwohnsitzen steigern konnte.<br />

<strong>Die</strong>s war laut Angaben der Bürgermeisterin einer guten Gemeindepolitik zu<br />

verdanken. <strong>Die</strong>se hohen Bevölkerungszahlen resultieren aus den Bemühungen<br />

der Gemeinde die Zweitwohnsitzmeldungen in Hauptwohnsitze umzuwan-<br />

deln. So versuchte der Gemeinderat den Bewohnern bewusst zu machen, dass<br />

28 Das Bodenbündnis ist ein Zusammenschluss von Städten und Gemeinden in Europa mit dem Ziel, aktiv<br />

für einen nachhaltigen Umgang mit Böden einzutreten.<br />

90


es wichtig ist, dass sie ihren Hauptwohnsitz in <strong>Wolfsgraben</strong> haben, da sonst<br />

aufgrund mangelnder Ertragsanteile, bestimmte Leistungen wie beispielsweise<br />

eine Straßenasphaltierung von der Gemeinde nicht erbracht werden können.<br />

<strong>Die</strong> Baugründe seien in dem Zuge jedoch nicht vergünstigt angeboten worden,<br />

der m² Baugrund kostet unaufgeschlossen um die 140 Euro.<br />

In den 1970er Jahren soll sich in <strong>Wolfsgraben</strong> eine Bilanz von 1,5 Einwohnern<br />

pro Haus abgezeichnet haben, so dass aufgrund des daraus resultierenden ex-<br />

trem hohen Zweitwohnsitzanteils die Gemeinde finanziell stark belastet wurde.<br />

In den darauf folgenden Jahren konnte der Anteil durch die offensive Gemein-<br />

depolitik auf 35 Prozent reduziert werden.<br />

Für Neuzugezogene wurden, laut Angaben<br />

von Frau Bock, Gründe ausgewiesen, die<br />

zur Baulückenaufschließung dienten. So ist<br />

weiters die Zersiedelung <strong>Wolfsgraben</strong>s eine<br />

im letzten Jahrhundert Gewachsene. Im<br />

Gemeindegebiet gibt es mehr Wald als Wie-<br />

sen und Bauland, wodurch die Besiede-<br />

lung dieser Fläche vor allem durch die Köhler und in weiterer Folge durch die<br />

Forstarbeiter entstanden ist. So haben sich anschließend die Bauern angesiedelt,<br />

nachdem die Forstarbeiter das Holz geschlägert hatten. In Folge dessen sind<br />

einzelne Gehöfte entstanden und um diese Gehöfte kamen im Laufe der Zeit<br />

weitere Ansiedlungen hinzu. Eine Ausnahme bildet die Rumelsiedlung. Sie<br />

Abb. 39: Rumelsiedlung, <strong>Wolfsgraben</strong>, eigene<br />

Aufnahme<br />

Abb. 38: Baulückenaufschließung, Wolfsgra-<br />

ben, eigene Aufnahme<br />

entstand als eigener Siedlungskörper im<br />

Zuge des Autobahnbaus, es handelt sich<br />

dabei um eine Schüttgrube. Auch das<br />

Heimbautal als weiterer eigener Siedlungs-<br />

körper ist im Zuge einer vermutlichen Ab-<br />

holzung nach dem Krieg entstanden.<br />

91


<strong>Die</strong> vier großen Siedlungskörper: Ortszentrum, Brentenmaisstraße, Rumel-<br />

siedlung und Heimbautal sind im letzten Jahrhundert gewachsen und sollen im<br />

Jetzigen, laut Bürgermeisterin Bock, nicht miteinander verbunden werden.<br />

Ein weiteres Wachstum der Bevölkerung wird der Gemeinde in den nächsten<br />

Jahren nicht erspart bleiben, auch wenn der Gemeinderat und die Frau Bür-<br />

germeisterin dies nicht anfokussieren, zumal es die Restriktionen bzgl. der<br />

Siedlungsgrenzen (s. Interview DI Maxian) vom Land Niederösterreich gibt<br />

und jegliche Umwidmung von diesem auch begutachtet wird. Des Weiteren<br />

kommt es zu einem Identitätsverlust durch die Mehrheit der Zugezogenen,<br />

weil sich, laut Angaben von Frau Bock, nur ein Bruchteil von ihnen in der Ge-<br />

meinde integrieren will. So sollen die meisten ihre Ruhe haben wollen und auch<br />

Veranstaltungen wie Feuerwehr- oder Pfarrfeste seien zumeist nicht hilfreich,<br />

ein Identitätsbewusstsein zu schüren.<br />

Auch ist die öffentliche Nahverkehrsverbindung durch Bus und Bahn in der<br />

Gemeinde eher schlecht, sodass auf den motorisierten Individualverkehr zu-<br />

rückgegriffen werden muss. Für eine eigene Buslinie fehle das Geld. Hinzu<br />

kommt, dass die Komponente der sozialen Infrastruktur in <strong>Wolfsgraben</strong> schwä-<br />

cher vorhanden ist als in anderen Gemeinden. So verfügt die Gemeinde zwar<br />

über einen Kindergarten, doch ihre Volksschule wurde bereits in den 1960er<br />

Jahren geschlossen. <strong>Die</strong> Versorgung mit Grundnahrungsmitteln ist nur durch<br />

einen kleinen Greißler gewährleistet, alle größeren Besorgungen müssen in den<br />

umliegenden Gemeinden wie Pressbaum oder Purkersdorf erledigt werden.<br />

In Summe kann festgehalten werden, dass laut Meinung von Frau Bürgermeis-<br />

terin Bock Schutzgebietskategorien wie das Landschaftsschutzgebiet, der Bio-<br />

sphärenpark etc. einen Einfluss auf die Erhaltung des Wienerwaldes und gegen<br />

die Zersiedelung der Fläche haben. <strong>Die</strong>s vor allem weil sie im Flächenwid-<br />

mungsplan ausgewiesen sind und so immer jemand von der Naturschutzbe-<br />

hörde als Gutachter sowie ein Vertreter von der Raumordnungsabteilung vom<br />

Land bei Umwidmungen im Zuge vom Flächenaustausch die ganze Situation<br />

92


vor Ort begutachtet und dabei immer ein Für und Wieder abwägt. Ein Problem<br />

wird jedoch sein, wer diese ganzen schützenswerten Wiesenflächen in Zukunft<br />

pflegen soll. <strong>Die</strong> Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe nimmt ab – sie sind zu-<br />

dem fast immer Nebenerwerbsbetriebe. <strong>Die</strong> Frage, die sich Frau Bürgermeiste-<br />

rin Bock dabei stellt, ist, ob die nachfolgende Generation das Bauerntum auf-<br />

rechterhalten wird und die Wiesenflächen durch entsprechende Pflege weiter-<br />

hin als Wiesenflächen erhalten bleiben können, oder ob die öffentliche Hand für<br />

die Gemeinden mit Förderungen vom Land einmal Landschaftspfleger einset-<br />

zen muss.<br />

5.5.2 Bürgermeister-Interview Gemeinde Maria-Anzbach<br />

Am 27. März 2007 fand im Gemeindeamt von Maria-Anzbach die Befragung<br />

des dort seit 13 Jahren tätigen Bürgermeisters Franz Allmayer statt. Im Ver-<br />

gleich zum Interview mit Frau Bürgermeisterin Bock der Gemeinde Wolfsgra-<br />

ben als Repräsentant einer stark wachsenden Gemeinde, ließen sich bei diesem<br />

Gemeindetypus einer schwach bzw. mittelfristig wachsenden Gemeinde inte-<br />

ressante Entdeckungen machen. So wurde ebenfalls auf die Themenkomplexe<br />

örtliche Raumordnung verknüpft mit Bevölkerungswachstum und Zersiede-<br />

lung der Fläche sowie auf die Bedeutung des Landschaftsschutzes eingegangen.<br />

Herr Bürgermeister Allmayer ging unsicher mit dem Begriff des Land-<br />

schaftsschutzgebiets Wienerwald um. Ihm war nicht bewusst, dass Maria-<br />

Anzbach innerhalb dieser Schutzgebietskategorie liegt. So meinte er, dass die<br />

Gemeinde zwar im Schutzgebiet Wienerwald liegt, und der Wienerwald auch<br />

eine Art Landschaftsschutzgebiet darstellt, aber dieses kein sehr strenges Reg-<br />

lement sei. In Maria-Anzbach gebe es zwar den Status des Wienerwaldes, aber<br />

ein richtiges Landschaftsschutzgebiet ist es in den Augen von Bürgermeister<br />

Allmayer nicht. Ebenso war es ihm fremd, dass im Flächenwidmungsplan<br />

Schutzgebietskategorien wie das Landschaftsschutzgebiet und der Biosphären-<br />

park ausgewiesen sind. Weiterführend ist er seiner eigenen Meinung nach dem<br />

93


Natur- und Landschaftsschutz gegenüber positiv eingestellt, doch nur insoweit<br />

die Entwicklung der Gemeinde damit nicht auf null gesetzt wird, weil sie ein<br />

lebendes Gebiet sei und ihr somit die Selbstständigkeit an Planung und Umset-<br />

zung gewährleistet werden muss. Entwicklungsstillstand heiße immer Rück-<br />

schritt. Es könne nicht sein, dass der Gemeinde auferlegt wird, nichts mehr<br />

entwickeln zu dürfen, indem beispielsweise der Bau von Straßen verboten wer-<br />

de. So sollte in Maria-Anzbach ein Stückchen Grünland zwischen Bundesstraße<br />

und Bahn in Bauland Betriebsgebiet umgewidmet werden, darüber verläuft je-<br />

doch ein Vogelschutzgebiet, das heißt, die Widmungsmöglichkeit ist gleich null<br />

und dies sei, laut Allmayer, nicht rechtens. Es ist ihm unbegreiflich, wie diese<br />

Schutzgebietskategorie an jener Stelle platziert werden konnte – ein kleines<br />

Stückchen zwischen Bundesstraße und Bahnlinie, wo kein Wald- und Wiesen-<br />

gebiet involviert ist und wo sich kein Vogel zum Nisten niederlassen würde.<br />

Gegen diese Planungsrestriktion will die Gemeinde am Beispiel anderer Ge-<br />

meinden vorgehen, um dadurch Schutzgebietskategorien auf die wirklich not-<br />

wendigen Gebiete, beispielsweise entlang von Fluss- und Bachläufen einzu-<br />

grenzen. Weiterführend könne es ebenso wenig sein einem Bauern vorzu-<br />

schreiben, dass er zur Offenhaltung für Bussarde, keinen Mais mehr anbauen<br />

darf.<br />

Das Biosphärenpark-Projekt ist, laut Allmayer, ein gutes Projekt, aber in erster<br />

Linie sei es ein Werbegag für die zwei Landeshauptmänner, da der der Wie-<br />

nerwald nicht in Gefahr ist und dies auch nie gewesen ist, weil es in Österreich<br />

das strengste Forstgesetz von ganz Europa gebe. So müsse im Falle einer Ro-<br />

dung einer Fläche für Straßenbauten etc., nachgewiesen werden, dass diese Flä-<br />

che woanders wieder aufgeforstet wird und das obwohl Österreich schon lang-<br />

sam verwaldet, so Allmayer. Vielmehr müsste das Land Niederösterreich die<br />

Bauern fördern, weil sonst die Wienerwaldwiesen in 20 Jahren nicht mehr ge-<br />

mäht und sie dann sukzessive Wald würden. Da junge Bäume nach 10 Jahren<br />

laut dem Forstgesetz Wald sind und man sie somit nicht mehr roden darf. Der<br />

94


Wienerwald wird nicht weniger, er wird mehr werden, prognostizierte der<br />

Bürgermeister.<br />

Maria-Anzbach ist die einzige Wienerwaldgemeinde, die bei der letzten Volks-<br />

zählung nur eine geringfügige Zuwachsrate vorweisen konnte. Gründe dafür<br />

sind laut Bürgermeister Allmayer zum einen die vielen Doppelmeldungen, die<br />

durch die Zweitwohnsitzproblematik verursacht worden sind, und zum ande-<br />

ren vor allem die Gemeindepolitik, da sich die Gemeinde streng an die Richtli-<br />

nien des Flächenwidmungsplans gehalten hat. Maria-Anzbach sei die erste<br />

Gemeinde in Niederösterreich gewesen, die einen provisorischen Flächenwid-<br />

mungsplan umgesetzt hatte, welcher 1976 in einen Definitiven überging. Somit<br />

seien die Flächenwidmungen damals schon reglementiert gewesen, wo andere<br />

Gemeinden, zum Beispiel die Nachbargemeinde Neulengbach, ohne so ein gül-<br />

tiges Dokument noch frei widmen konnten. Darauf folgende zusätzliche Wid-<br />

mungen sind in Maria-Anzbach, laut Allmayer, eher bescheiden ausgefallen<br />

und wurden zudem immer vom Land, Abteilung RU2, begutachtet. <strong>Die</strong> Ge-<br />

meinde hat nur nominell noch größere Baulandreserven zur Verfügung, die<br />

letzten gemeindeeigenen Parzellen sind im vergangenen Jahr bebaut worden,<br />

bedauerte Allmayer. Der Großteil der noch verfügbaren Baulandreserven in<br />

günstiger ortsnaher Lage gehöre dem Gutsbetrieb Liechtenstein, der diese Flä-<br />

chen jedoch nicht verkaufen wolle, da er eine Familienstiftung hat und somit<br />

nur dann verkaufen könne, wenn er woanders wieder einen neuen Grund zum<br />

Kaufen bekäme. Somit müsste die Gemeinde abtauschen, was sie aber nicht<br />

kann, weil sie über keine gemeindeeigenen Flächen mehr verfügt. Das wirklich<br />

große Manko Maria-Anzbachs ist, dass es faktisch gar keine Grundstücksreser-<br />

ven mehr hat. Jede Grundstückswidmung ist, Allmayers zufolge, in der Ge-<br />

meinde praktisch eine Vergoldung des Grundstückes, weil kaum ein Eigentü-<br />

mer diese Baulandflächen dann zum Verkauf freigibt. <strong>Die</strong> Gemeinde widme<br />

aber nicht, zur Hortung von Bauland, damit der Private sich eine gute Reserve<br />

anlegt, sondern damit Flächen verbaut werden können und die Bevölkerung<br />

95


wachsen kann. Hinzu kommt, dass der Grundstückswidmer, der die Fläche<br />

umwidmen will, nicht dafür bezahlt, sondern dass die Gemeinde auf den Kos-<br />

ten sitzen bleibe, was einen Betrag von knapp 1.100 Euro pro Grundstück aus-<br />

mache. Es müsste demnach angedacht werden, dass die Privatpersonen für<br />

Umwidmungen eine Steuer zu zahlen oder eine Abgabe an die Gemeinde zu<br />

liefern haben, betonte Allmayer.<br />

In Maria-Anzbach stammen 60 Prozent der Gemeindeeinnahmen aus dem Fi-<br />

nanzausgleich. Pro Einwohner bekommt die Gemeinde nach Abgabe an das<br />

Land in etwa 300 Euro, weswegen man auf Seiten des Gemeinderates bemüht<br />

ist, den Einwohnern zu vermitteln sich in Maria-Anzbach hauptwohnsitzlich zu<br />

melden. Dennoch kann die Gemeinde nichts dagegen unternehmen, wenn sich<br />

die Neuzugezogenen mit Zweitwohnsitz anmelden, auch wenn sie durch ihre<br />

Zweitwohnsitze jährlich in etwa 150.000 Euro Kosten hat. In Niederösterreich<br />

gibt es keine Zweitwohnsitzsteuer, was jedoch empfehlenswert wäre, da die<br />

Landgemeinden finanziell sukzessive ausgehungert würden, so Allmayer.<br />

Wien bekommt pro Kopf ca. 3-Mal soviel Geld wie Maria-Anzbach, weil es<br />

Land und Gemeinde in einem ist. So bekommt es den Gemeinde- und zusätz-<br />

lich den Landanteil, kritisierte der Bürgermeister. Hinzu kommt, dass die Be-<br />

reitstellung von Wasser, Abwasser etc. auf dem Land pro Kopf der Bevölke-<br />

rung viel teurer ist, als in Wien mit der dominant vorherrschenden Bebauungs-<br />

form der mehrstöckigen Wohnbauten. So ist die Bebauungsdichte auf dem<br />

Land eine geringere, was dazu führt, dass für dieselbe Leistung viel mehr Ki-<br />

lometer Rohre, Kabel etc. verlegt werden müssen als in der Stadt. Daher ist es<br />

natürlich das Bestreben einer jeden Landgemeinde, ihre Bevölkerungszahl zu<br />

heben. Zudem sei Maria-Anzbach eine reine Wohngemeinde, Gewerbe und In-<br />

dustrie seien nicht vertreten, durch die Geld in die Gemeindekasse fließen<br />

könnte. <strong>Die</strong> Hälfte der Bevölkerung bestehe aus Wienern, die zumeist gut be-<br />

tucht sind und wiederum die größten Widerstände entfachen, wenn Bürger-<br />

meister Allmayer Gewerbebetriebe oder größere Wohnbauten im Gemeindege-<br />

96


iet ansiedeln möchte. So will Maria-Anzbach den Weg des Bevölkerungs-<br />

wachstums gehen um mehr Gelder für die Gemeinde zu lukrieren. Bei der letz-<br />

ten Volkszählung 2001 zählte man 2.621 hauptwohnsitzgemeldete und ca. 920<br />

Personen mit einem Zweitwohnsitz in der Gemeinde. In den kommenden Jah-<br />

ren möchte Bürgermeister Allmayer diese Zahlen zumindest mit den Zweit-<br />

wohnsitzen auf insgesamt 5.000 Einwohner anheben. Damit will er die drei<br />

Bahnhaltestellen der Gemeinde sichern, die die Bundesbahn auf eine minimie-<br />

ren möchte, was auf Seiten der Bahn auch verständlich ist, da die Nachbarge-<br />

meinde Eichgraben mit der Gemeinde Altlengbach zusammen nur eine Halte-<br />

stelle besitzt bei 3-Mal soviel Einwohnern. Doch Maria-Anzbach ist in seiner<br />

Ost-West-Ausdehnung 7 bis 8 km lang, wodurch bei Reduzierung der Halte-<br />

stellen das öffentliche Verkehrsmittel Bahn für die Bevölkerung noch weniger<br />

attraktiv ist, zudem die Bahn bisweilen nach Wien und St. Pölten nur einmal in<br />

der Stunde verkehrt. Hinzu kommt, dass es sich als sehr schwierig erwiesen<br />

haben soll, den neuen Supermarkt am Ortseingang (Richtung Wien) zu be-<br />

kommen, da keine Handelskette bereit gewesen wäre in eine Gemeinde unter<br />

5.000 Einwohnern zu gehen.<br />

Unterbringen möchte Allmayer die zukünftige Bevölkerung Maria-Anzbachs<br />

aufgrund von fehlenden Baulandreserven in Reihenhäusern und mehrgeschos-<br />

sigen Wohnbauten, dem Beispiel der Nachbargemeinde Neulengbach folgend.<br />

Durch diese dichtere Verbauungsmöglichkeit kann die Gemeinde bei weniger<br />

Landschaftsverbrauch wachsen. Zwar wollen die meisten von außen Zuge-<br />

wanderten ihr eigenes Häuschen im <strong>Grünen</strong>, aber jene, vor allem die jungen<br />

Leute, die aus Maria-Anzbach abgewandert sind, wandern dadurch wieder zu-<br />

rück, da somit relativ günstiger Wohnraum geschaffen wird, meinte Allmayer.<br />

So hat die Gemeinde im letzten Jahr ein Grundstück durch Tausch erworben<br />

auf welchem sie durch die Wohnbaugenossenschaft 29 40 Wohneinheiten errich-<br />

tet, 20 davon sind vor kurzem eröffnet worden. In diese 20 Wohneinheiten sind<br />

29 mit dem Ziel einer relativ dichten Verbauung.<br />

97


vor allem junge Maria-Anzbacher gezogen, die sonst abgewandert wären,<br />

räumte Allmayer ein. In den Reihenhäusern befinden sich vier und in den<br />

Wohnblöcken zwölf Wohneinheiten. Ebenfalls möchte der Bürgermeister die<br />

zuziehende Bevölkerung durch Baulückenschließungen unterbringen. In den<br />

1970er Jahren haben einige Privatpersonen drei oder vier Grundstücksparzellen<br />

gekauft, von denen aber nur eine Parzelle bebaut wurde. <strong>Die</strong> Restlichen wur-<br />

den als Wertrücklage benutzt und werden nun sukzessive wieder auf den<br />

Markt gebracht. Neben der Baulückenschließung möchte Bürgermeister All-<br />

mayer noch Arrondierungen entlang der Ortschaft schaffen, damit dadurch das<br />

Gemeindewachstum zusätzlich angekurbelt werden kann. So betrug damals die<br />

Größe einer Baulandparzelle mindestens<br />

1.000 m², heute ist im Zuge der Gemeinde-<br />

politik die Grundstücksfläche auf 500 m²<br />

herunter gebrochen wurden, wo-durch der<br />

Bürgermeister wiederum das Doppelte an<br />

Bevölkerung unterbringen kann. <strong>Die</strong>s ist,<br />

laut Allmayer, vor allem<br />

auch für weniger gut betuchte Personen<br />

hilfreich, da die Gründe in Maria-Anzbach pro m² ca. 80-100 Euro kosten. So<br />

möchte die Gemeinde keine großen Reservate als Rückzugsgebiete für gestress-<br />

te Städter schaffen, die sich einen großen Park anlegen und keine Nachbarn ha-<br />

ben wollen, sondern will in erster Linie, dass die jungen Leute in der Gemeinde<br />

bleiben oder sich die Weggezogenen wieder ansiedeln. Durch den Zuzug von<br />

geplanten weiteren 1.500 Personen soll der ländliche Charakter des Gemeinde-<br />

gebiets nicht verloren gehen, und zudem soll die Gemeindefläche nicht so stark<br />

versiegelt werden wie in den Gemeinden Eichgraben oder Pressbaum.<br />

In den letzten 25 Jahren sind kaum Baulandwidmungen hinzugekommen, es<br />

bringe der Gemeinde nur Kosten, wenn die betreffenden Eigentümer nicht ver-<br />

kaufen, sondern nur ihr Bauland horten. Den wirklich großen Bauboom erlebte<br />

98<br />

Abb. 40: 500m² Einfamilienhausparzellen,<br />

Maria-Anzbach, eigene Aufnahme


die Gemeinde in der Zwischenkriegszeit durch den Bau der Bundesbahn, so<br />

Bürgermeister Allmayer.<br />

Ein örtliches Entwicklungskonzept kann die Gemeinde bislang noch nicht vor-<br />

weisen, weil im Grunde durch den Flächenwidmungsplan, der im Oktober 2006<br />

neu gefasst wurde, bereits alles geregelt ist. Laut Bürgermeister Allmayer kann<br />

man in Maria-Anzbach auch nicht viel entwickeln, weil die Flächen dazu fehlen<br />

und von Seiten der Landesregierung diese auch nicht mehr genehmigt werden.<br />

So ist zwar ein solches örtliches Entwicklungskonzept in Arbeit, aber viel Sinn-<br />

bringender sei das kleinregionale Entwicklungskonzept (KREK), weil dieses<br />

gemeindeübergreifend ist. So ist Maria-Anzbach auch Mitglied des KREK Wie-<br />

nerwald-Regionen. Zwar möchte die Landesregierung nicht, dass die Gemein-<br />

den wie ein Band zusammenwachsen, wie es von Purkersdorf bis Rekawinkel<br />

der Fall ist, es biete sich aber an der B44 an. Ein relativ geschlossener Sied-<br />

lungskörper sei, nach Meinung des Bürgermeisters, immer noch besser als eine<br />

verstreute Siedlungsstruktur. Auch gehen die Überlegungen von Allmayer so-<br />

weit, dass im Bereich zwischen St. Pölten und Wien Betriebsflächen geschaffen<br />

werden sollten, wodurch Arbeitsplätze entstehen, um damit die Auspendler-<br />

zahl nach Wien zu reduzieren.<br />

5.6 Expertenmeinungen zum Thema Schutz und Nutzen des<br />

Wienerwaldes<br />

Um die vorangegangen Erkenntnisse abzurunden, wurden Gespräche mit der<br />

Niederösterreichischen Landesregierung in der Abteilung der überörtlichen<br />

Raumordnung und mit einer NGO-tätigen Naturschutzbehörde geführt. <strong>Die</strong>se<br />

zwei Einrichtungen wurden bewusst gewählt, da zum einen die überörtliche<br />

Raumordnung durch ihre Raumordnungsprogramme einen wesentlichen Bei-<br />

trag gegen die Zersiedelung der Fläche leistet und zum anderen der Natur-<br />

schutz, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, gegen Landschaftsverbrauch und<br />

für den Schutz des Wienerwaldes vorzugehen. Es sollte eine Naturschutzbe-<br />

99


hörde sein die nicht für das Land Niederösterreich tätig ist, sondern unabhän-<br />

gig von diesem, um das Thema Schutz und Nutzen der Wienerwaldfläche von<br />

zwei unterschiedlichen Seiten aus zu beleuchten.<br />

Aufgrund dessen wurde zum einen Kontakt mit Herrn Hofrat DI Michael Max-<br />

ian von Seiten der Niederösterreichischen Landesregierung in der Abteilung<br />

Raumordnung und Regionalpolitik, RU2 Baden, aufgenommen und zum ande-<br />

ren mit Herrn Dr. Peter Fritz, der im Vorstand des Niederösterreichischen Na-<br />

turschutzbundes tätig ist und die letzten 30 Jahre die Präsidentschaft des Ver-<br />

eins "Wienerwaldkonferenz, Verein zum Schutz der Wienerwaldlandschaft" in-<br />

ne hatte.<br />

5.6.1 Statement der Niederösterreichischen Landesregierung<br />

Am 13. März 2007 fand in der Bezirkshauptmannschaft Baden das Interview<br />

mit Herrn DI Maxian statt. Herr Maxian lieferte im Zuge dessen wesentliche<br />

Erkenntnisse um die Thematik Wienerwald - Schutz und Nutzen aus raumord-<br />

nerischer Sicht und von Seiten der Gesetzeslage noch besser zu erfassen.<br />

So ist seiner Ansicht nach das Landschaftsschutzgebiet kein wirkungsloses,<br />

aber ein schwaches Instrument, um die Zersiedelung der Fläche einzugrenzen<br />

und dieser entgegen zu wirken. Das Landschaftsschutzgebiet sei nach Maxian<br />

eine Wortsubstitution. Zu Beginn der Raumordnung in Niederösterreich habe<br />

es mit der Flächenwidmung fast nichts zu tun gehabt, erst mit der Neufassung<br />

des Raumordnungsgesetzes 1976, im selben Jahre wurde auch das Natur-<br />

schutzgesetz neu gefasst, wurden beide Gesetze so miteinander abgestimmt,<br />

dass seit diesem Zeitpunkt der Naturschutz ein Mitspracherecht im Raumord-<br />

nungsverfahren in Landschaftsschutzgebieten hat. Das heißt, wenn in einem<br />

Landschaftsschutzgebiet Grünland in Bauland umgewidmet werden soll, dann<br />

muss auch ein Naturschutzgutachten angefordert werden. Wenn aus der Sicht<br />

des Naturschutzes jedoch gravierende Einsprüche dagegen vorhanden sind,<br />

dann wird diese Widmung nicht genehmigt. Daraus resultierend gab es in der<br />

100


Praxis konkrete Beispiele für Bauversagungen oder Abänderungen der Bauplä-<br />

ne. Nähere Ausführungen können aufgrund des Amtsgeheimnisses jedoch<br />

nicht getätigt werden. Somit hat das Instrument Landschaftsschutzgebiet, laut<br />

Maxian, viel bewirkt, ist jedoch auch an seine Grenzen gestoßen, da nicht alles<br />

innerhalb dieser Schutzgebietskategorie verboten ist.<br />

Nach der Gesetzeslage gibt es drei Kriterien, wonach Umwidmungen aufgrund<br />

von Landschaftsschutzgebieten nicht erfolgen dürfen: wenn die Landschaft in<br />

ihrer Schönheit und Eigenart, im Erholungswert und im inneren ökologischen<br />

Wert gefährdet wird. In manchen Fällen lasse sich dies festmachen, diese müs-<br />

sen jedoch immer mittels eines Gutachtens beweisbar sein. Daher muss man, so<br />

Maxian, nach der Frage des Landschaftsschutzgebietes immer punktuell und<br />

grundsätzlich bewerten, nach der jeweiligen örtlichen Situation. <strong>Die</strong>s sei in vie-<br />

len Fällen umsetzbar, wenn es sich um eine Fläche mit einer freien, sehr weiten<br />

sichtbaren Lage handelt. So wird die Umwidmung von Grünland in Bauland zu<br />

nahezu 100 Prozent nicht genehmigt werden. Wenn es sich jedoch um eine Flä-<br />

che handelt, die schon von bestehenden Häusern umgeben wird, so wird kaum<br />

jemand Einwände haben dieses Grünland in Bauland umzuwidmen.<br />

Bei Landschaftsschutzgebieten handelt es sich um sehr großflächige, weiträu-<br />

mige Gebiete, wobei die Siedlungen mit einfließen, somit sind darin nicht nur<br />

Flächen mit allererster Landschaftsqualität involviert, sondern auch Räume, die<br />

mitunter schon so zersiedelt sind, dass, laut Maxian, weitere Zu- bzw. Neubau-<br />

ten nicht ins Gewicht fallen. Überall habe der Naturschutz nicht die Möglich-<br />

keit zu beweisen, dass bei den betroffenen Flächen das Landschaftsbild gefähr-<br />

det werde. Bei diesen Flächen sei entsprechende Freizügigkeit gegeben. Das<br />

Landschaftsschutzgebiet ist besser als gar kein Instrument, doch so griffig wie<br />

das Regionale Raumordnungsprogramm sei es bei Weitem nicht, so Maxian.<br />

Im Zuge der Wienerwald-Deklaration wurde im Jahr 1990 ein Regionales<br />

Raumordnungsprogramm für die Bereiche rund um Wien erlassen. Das politi-<br />

sche Ziel dieser Deklaration der beiden Bundesländer Niederösterreich und<br />

101


Wien war alles zu unternehmen, dass der Wienerwald nicht weiter durch Zer-<br />

siedelung zerstört wird. Das darauf aufbauende Regionale Raumordnungspro-<br />

gramm existiert noch heute und ist bislang 2-Mal adaptiert worden. Alle Festle-<br />

gungen in diesem Programm sind vor seiner Umsetzung auch mit der Fachab-<br />

teilung für Naturschutz abgesprochen worden, sodass auch deren Interessen<br />

mit einfließen konnten, erklärte Maxian. Bedeutend für den nachhaltigen Um-<br />

gang mit der Wienerwaldfläche waren die Siedlungsgrenzen, die mittels die-<br />

Abb. 41: Flächige und lineare Siedlungsgrenzen im RROP in<br />

<strong>Wolfsgraben</strong><br />

102<br />

sem Regionalen Raum-<br />

ordnungsprogramm in<br />

die Gemeinden eingefügt<br />

worden. In vielen Ge-<br />

meinden des Wienerwal-<br />

des, vor allem dort wo die<br />

Zersiedelung schon ziem-<br />

lich weit fortgeschritten<br />

war, wurden so genannte<br />

flächige Siedlungsgrenzen<br />

gesetzt. <strong>Die</strong>se sagen aus, dass die Gemeinden die Menge ihres Baulandes um<br />

keinen Quadratmeter mehr vergrößern dürfen. Damit wird der Entwicklungs-<br />

spielraum der Gemeinde quasi auf Null gedreht. Daneben gibt es so genannte<br />

lineare Siedlungsgrenzen, diese legen fest, dass über diese Linie die Gemeinde-<br />

fläche nicht weiter verbaut werden darf. Das heißt, an dieser Linie ist stopp, im<br />

sonstigen Gemeindegebiet können Flächen noch in Bauland umgewidmet wer-<br />

den, aber über diese Siedlungsgrenzen hinaus nicht mehr, wie Maxian erläutert.<br />

Manche Gemeinden habe eine Kombination von beiden Siedlungsgrenzen,<br />

zum Beispiel die Gemeinde Brunn am Gebirge. Sie hat lineare Siedlungsgren-<br />

zen und zudem eine flächige. Mittels dieser soll der letzte große Grünraum in<br />

diesem schon ganz verstädterten Gebiet erhalten bleiben. Das heißt, die Ge-<br />

meinde kann ihre Baulandflächen zwar hin- und herschieben, aber nicht mehr


in diese Grünlandfläche hinein, führte Maxian aus. In den Wienerwaldgemein-<br />

den seien flächige Siedlungsgrenzen vor allem innerhalb der Südachse Wien-<br />

Baden anzutreffen, weil man in diesen Gemeinden schon jetzt an die Leistungs-<br />

fähigkeit der Infrastruktur angelangt sei, obwohl noch nicht einmal alle Bau-<br />

landreserven ausgenutzt seien.<br />

<strong>Die</strong>se Siedlungsgrenzen im Regio-<br />

nalen Raumordnungsprogramm<br />

sind, laut Maxian, der Vorteil, den<br />

die Raumordnung gegenüber dem<br />

Naturschutz hat. Mittels dieser<br />

Grenzen könne die Siedlungs-<br />

entwicklung in den Gemeinden<br />

grundsätzlich eingedämmt wer-<br />

den. Das heißt auch dann, wenn es<br />

sich um Flächen handelt, die vom<br />

Naturschutz gar nicht betroffen<br />

sind. Mittels der Raumordnung ha-<br />

be man ein viel umfassenderes Argumentationsspektrum als der Naturschutz<br />

allein, da durch zu großen Zuzug beispielsweise das Straßennetz überlastet<br />

wird oder die soziale Infrastruktur nachgereicht werden müsste, die es in die-<br />

sen Regionen sinnvollerweise gar nicht geben sollte oder dass die Vorfluter<br />

nicht für so viele Menschen ausgelegt sind etc.. Der Naturschutz hingegen kön-<br />

ne nur jene Flächen schützen, bei denen er wirklich im Kern betroffen ist. Das<br />

sei nicht überall im gleichen Umfang der Fall.<br />

Abb. 42: Flächige und lineare Siedlungsgrenzen im<br />

RROP in Maria-Anzbach<br />

Dass die Ziele im Naturschutzgesetz so allgemein gefasst sind, ist Maxian zu-<br />

folge, zum einen Sache der politischen Entscheidungsfreudigkeit, wie präzise<br />

man es haben wolle und zum anderen ein Argument allgemeiner Art. Das<br />

heißt, dass das Gesetz allein nicht jeden einzelnen Fall vorwegnehmen müsse,<br />

sondern dort wo es nötig sei, man die jeweils entsprechenden Schutzinstrumen-<br />

103


te auf der Grundlage des Naturschutzgesetzes heranziehen könne. Das Land-<br />

schaftsschutzgebiet ist dabei sehr großflächig, in dem nicht nur einzelne Natur-<br />

denkmäler oder Naturparke enthalten sind, sondern auch ganze Siedlungen.<br />

Deswegen muss auch dieses allgemeiner gefasst werden als zum Beispiel das<br />

kleindimensionale Naturschutzgesetz. Beim Naturschutz sei es genauso wie bei<br />

der Raumordnung. Je größer das Ganze wird, desto allgemeiner wird es, als<br />

Beispiel könne dazu die örtliche und die überörtliche Raumordnung angeführt<br />

werden.<br />

Auch der Biosphärenpark werde für die Siedlungsentwicklung keine Änderung<br />

bringen, er lasse zudem Siedlungsentwicklung in seinen dafür ausgewiesenen<br />

Entwicklungszonen zu. In Bezug auf die Wirkung hinsichtlich der Zersiedlung<br />

und des Schutzes der Fläche gibt es, laut Maxian, keinen Unterschied zwischen<br />

Biosphärenpark und Landschaftsschutzgebiet Wienerwald, viel mehr wurde<br />

da, wo bereits ein Schloss hing, ein zweites angehängt. Was die Bevölkerung bei<br />

alledem nicht wisse, sei, dass das Ganze immens viel Geld kostet, betonte der<br />

Experte. In den Kernzonen, dort wo die Eigentümer dem Wald nichts mehr an<br />

Holznutzung entnehmen können, bekommen sie das vom Land abgegolten. Bei<br />

Naturschutzgebieten und Naturdenkmälern sei das dasselbe, das Land könne<br />

diese Gebiete nicht festlegen, ohne dass der Eigentümer die Hand aufhalte und<br />

Entschädigungsansprüche stelle. Das heißt in Summe, Naturschutz kostet et-<br />

was, und ab einem gewissen Ausmaß an Flächen von Schutzgebieten hat das<br />

Land dafür eventuell kein Geld mehr zur Verfügung. Daher sind alle abge-<br />

schlossen Verträge auch befristet, weil niemand weiß, ob Österreich sich Natur-<br />

schutz in diesem Maße in 40 Jahren noch leisten kann, so der Experte.<br />

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass das grundsätzlichste In-<br />

strument, mit dem man der Zersiedelung der Wienerwaldfläche entgegenwir-<br />

ken kann, nach Maxian, das Regionale Raumordnungsprogramm ist.<br />

Weiterführend teilte der Experte mit, dass sich in den letzten 25 Jahren die<br />

Menge des Baulandes im gesamten Wienerwald nicht vergrößert hat. <strong>Die</strong> große<br />

104


Phase der Baulandwidmungen hat es in den 1960er/ 70er Jahren gegeben. Eben-<br />

so gibt es noch viele alte Widmungen aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg<br />

indem aus Wien Groß-Wien werden sollte. Aufgrund dessen wurde in vielen<br />

Wienerwaldgemeinden sehr großzügig gewidmet, da das Gebiet einen groß-<br />

städtischen Charakter einnehmen sollte. Das beste Beispiel hierfür ist die Ge-<br />

meinde Breitenfurt, in der so umfangreich gewidmet und geplant wurde, als ob<br />

sie sich mitten in Wien befinden würde. Aus dieser Zeit stammen viele der heu-<br />

te angerissenen Siedlungsstrukturen in den Wienerwaldgemeinden. Hinzu<br />

kommt der Aspekt, dass das Bauland von diesen Uralt-Widmungen aus den<br />

1930er/ 40er Jahren bis heute noch nicht vollständig bebaut ist. Aufgrund des-<br />

sen ist der Höhepunkt der Verbauung des Wienerwaldes sicher noch nicht er-<br />

reicht und hängt vor allem von der privaten Seite ab, wie die Eigentümer mit<br />

ihren Grundstücken disponieren. Neben Baulandwidmungen gab es aber auch<br />

Rückwidmungen, wie beispielsweise in der Gemeinde Klosterneuburg, wo so-<br />

gar 100 ha Bauland rückgewidmet wurden. Dazu trug der Naturschutz nur<br />

tangential mit bei. Der Hauptgrund lag darin, dass diese Flächen nicht günstig<br />

zu erschließen und nicht rentabel zu bebauen waren. Neben Klosterneuburg<br />

haben auch andere Wienerwaldgemeinden Bauland zurückgewidmet, doch<br />

nicht in so einem großen Stil, so der Experte.<br />

Vor 30 Jahren, als DI Maxian das Amt in der Niederösterreichischen Landesre-<br />

gierung antrat, war die große Phase der Baulandwidmungen. <strong>Die</strong> Gemeinderä-<br />

te haben sich damals als die Interessensvertreter ihrer Bürger verstanden, die<br />

die große Chance sahen reich zu werden, indem Grünland zu Bauland umge-<br />

widmet wurde. Inzwischen ist sehr vieles von diesem damals gewidmeten Bau-<br />

land konsumiert worden, größtenteils von Zugewanderten aus der Bundes-<br />

hauptstadt. <strong>Die</strong>se finden eine Natur vor, die vom Zeitpunkt ihres Zuzuges mit<br />

jedem Tag weniger wird. Das heißt, das große Motiv, das die Leute hatten,<br />

nämlich der Stadt zu entfliehen, relativiert sich, wenn sie bemerken, dass die<br />

Stadt sie wieder einholt. Wenn die Zahl der zugezogenen Personen eine gewis-<br />

105


se Größe erreicht hat, artikulieren sie sich, beginnen sich zusammenzuschließen<br />

und auch ihre Vertreter sitzen dann im Gemeinderat. Dabei haben, Maxian zu-<br />

folge, alle nur das Ziel zu schauen, dass dasselbe, was sie erreicht haben, nie-<br />

mand anderer nach ihnen mehr erreichen kann. <strong>Die</strong> größten Schützer des Wie-<br />

nerwaldes seien jene geworden, die erst vor kurzem da ein Haus errichtet ha-<br />

ben. Das sei ein gewisser Egoismus, den die Leute da ausüben, aber wenn die-<br />

ser Egoismus eine gewisse Breite von der Anzahl der Personen habe, dann sei<br />

die Gemeindelinie damit eine andere geworden. Es sei in der heutigen Zeit kein<br />

Problem gewesen, den jeweiligen Gemeinden mitzuteilen, dass es ab sofort kei-<br />

nen Quadratmeter zusätzliches Bauland mehr gebe.<br />

In der Gemeinde Maria-Anzbach gibt es, laut Ausführungen Maxians, nur ei-<br />

nen alten Flächenwidmungsplan aus dem Jahre 1976 30 , es gibt kein ab dem Jahr<br />

1995 zu erbringendes örtliches Entwicklungskonzept, keine Grundlagenfor-<br />

schung etc.. <strong>Die</strong> Landesregierung im Bereich der örtlichen Raumordnung ist<br />

zwar Aufsichtsbehörde, aber kann wenig dagegen unternehmen, um diese<br />

Missstände zu beseitigen. Aufgrund der Gemeindeautonomie in Österreich<br />

kann nur die Gemeinde allein Flächenwidmungen festlegen und nicht das<br />

Land. In Niederösterreich sind die Gemeinden zudem nicht dazu verpflichtet,<br />

alle zehn Jahre ihren Flächenwidmungsplan zu überarbeiten, dafür gibt es kei-<br />

ne Frist. <strong>Die</strong> Lebensdauer, der Planungshorizont auf dem hinaus geplant wird,<br />

ergibt sich aus der Praxis mit ca. zehn bis maximal 15 Jahren, aber im Gesetz ist<br />

das so nicht verankert. Es steht auch keine Verpflichtung darin, dass der Flä-<br />

chenwidmungsplan immer wieder angepasst werden muss. Man könne nichts<br />

dagegen unternehmen, wenn die Gemeinde ihren Flächenwidmungsplan nicht<br />

selbst überarbeitet, da man die Gemeinde nicht auflösen könne und so einen<br />

weißen Fleck auf der Landkarte hinterlassen, so Maxian.<br />

30 Verwunderlich war, dass in der Gemeinde am 10.Oktober 2006 ein neuer Flächenwidmungsplan verordnet<br />

wurde, von Seiten des Landes darüber aber keine Kenntnis bestand<br />

106


5.6.1 Statement des Niederösterreichischen Naturschutzbunds<br />

Als ehrenamtliches Vorstandsmitglied des niederösterreichischen Naturschutz-<br />

bundes erklärte sich Herr Dr. Peter Fritz am 03. April 2007 zu einem Gespräch<br />

und einer gemeinsamen Begehung der Wienerwaldgemeinden bereit. Er selbst<br />

war die letzten 35 Jahre am Institut für Raumordnung, Stadt- und Regionalent-<br />

wicklung der Wirtschaftsuniversität Wien und zudem die letzten 30 Jahre<br />

als Präsident des Vereins "Wienerwaldkonferenz, Verein zum Schutz der Wie-<br />

nerwaldlandschaft" tätig und konnte im Zuge dessen viele Informationen über<br />

die Wienerwald-Situation gewinnen, sammeln und weitergeben. Herr Dr. Fritz<br />

ist gebürtiger Wiener und mit einer Zwischenstation in Perchtoldsdorf 1981 in<br />

die Gemeinde Mauerbach gezogen.<br />

So ist auch seiner Meinung nach das Landschaftsschutzgebiet in der Praxis<br />

kaum wirksam, vor allem nicht gegen den <strong>Suburbanisierung</strong>sdruck von Wien<br />

kommend. Es greife nur in Einzelfällen, vor allem weil es von der Gesetzeslage<br />

so allgemein gefasst sei, dass es jedermann zu seinem Nutzen auslegen könne.<br />

Das Naturschutzgesetz wurde bei seiner Neufassung im Jahr 2000 noch allge-<br />

meiner gefasst und dies sei von Seiten des Landes auch gewollt gewesen, damit<br />

allfällig klar definierten Rechtsnormen im äußerten Notfall noch ausgewichen<br />

werden könne.<br />

Ganz wichtig sei, dass der Wienerwald nicht nur das Waldgebiet, sondern die<br />

gesamte Landschaft ist. Der Wienerwald ist Fritz zufolge als Landschaftsbegriff<br />

zu verstehen, inklusive seiner Wiesen, Felder und auch Siedlungen. Nicht der<br />

Wald ist in Gefahr, dieser werde durch das Forstgesetz sehr gut geschützt, son-<br />

dern die Wiesenflächen, artikulierte Fritz. Das Problem sei der rapide Rückgang<br />

der Landwirtschaft, wodurch vor allem das Offenland gefährdet sei. <strong>Die</strong>ser<br />

Rückgang setzte, laut Fritz, seit der Nachkriegszeit, in den 1950er/ 60er Jahren<br />

ein, wodurch sich eine Nutzungslücke für das Grünland ergab und die Bauern<br />

und Großgrundbesitzer in den Jahren danach begonnen haben, ihr Grünland zu<br />

107


verkaufen. <strong>Die</strong>se Freiflächen wurden mittels des landwirtschaftlichen Sied-<br />

lungsfonds billig aufgekauft, umgewidmet und dann, nach Angaben von Dr.<br />

Fritz, als Bauland mit 1.000 oder mehr Prozent Gewinn weiter vermarktet, ohne<br />

aber damit die zukünftige Infrastruktur voll abzudecken. Von den Gemeinden<br />

selbst wurde wenig aufgekauft, da sie zu wenig Geld zur Verfügung hatten,<br />

großteils waren dies private Personen. Später haben die Privatpersonen begon-<br />

nen ihre Baulandflächen an Immobilienfirmen zu verkaufen, weil dies finanziell<br />

gesehen am lukrativsten war. Im Zuge dessen haben sich die Immobilienfirmen<br />

mit Planungsbüros und Genossenschaften in Verbindung gesetzt und zumeist<br />

spekulativ Einfamilien- und Reihenhäuser auf die Grundstücke gebaut, die sie<br />

dann durch den Zuzug von Wien leicht weiterverkaufen konnten. <strong>Die</strong> notwen-<br />

dige Infrastruktur wurde jedoch nicht mitgeliefert. Es fehlten Wasser-, Abwas-<br />

ser und Kanalanschlüsse, Kläranlagen, Internetkabel oder Asphaltierungen der<br />

Straßen. Für all das mussten in weiterer Folge die Gemeinden aufkommen, wo-<br />

durch sie in die Verschuldungsschere gelangten, wie Fritz betonte. Zusätzlich<br />

musste auch die soziale Infrastruktur nachgeliefert werden, angefangen von der<br />

Schule bis zum Altersheim, weil durch den Zuzug alles zu klein geworden sei,<br />

erklärte Fritz. Es gebe dadurch fast keine Wienerwaldgemeinde, die nicht ver-<br />

schuldet sei und kommissarisch vom Land verwaltet werde. Je größer die Ge-<br />

meinde werde, desto ungleichmäßiger sei die Verteilung des Finanzausgleichs,<br />

sodass es sich alles in allem einfach nicht mehr rechne. Zwar bekommen die<br />

Gemeinden pro Hauptwohnsitzgemeldeten mehr Geld, doch müssen sie auch<br />

dementsprechend mehr infrastrukturelle Leistungen liefern, sodass sie sich in<br />

der Verschuldungsschere wieder fänden und diese immer breiter werde. Hinzu<br />

komme, dass, je stärker die Gemeindefläche zersiedelt sei, desto größer die Dis-<br />

tanzen seien, die nicht nur allein bei Schneeräumungen zu überwinden sind.<br />

Rückwidmungen hat es in den Wienerwaldgemeinden kaum gegeben, der da-<br />

für benötigte Wienerwaldfonds hätte 60 Mio. Schilling gekostet, was zu teuer<br />

war. Es gab vereinzelte Rückwidmungen in Klosterneuburg und Kaltenleutge-<br />

108


en, wobei sich diese Flächen aber auf Feuchtwiesen und Rutschhängen befan-<br />

den. Daneben habe es noch kleine Alibirückwidmungen gegeben, die, laut<br />

Fritz, aber nicht ins Gewicht fallen. In Folge dessen ist eine Bandstadt von Wien<br />

über Purkersdorf, Tullernbach, Maria-Anzbach bis nach Neulengbach entstan-<br />

den. So ist ein einzelnes dichtes Siedlungsband deutlich sichtbar, meinte der<br />

Experte.<br />

<strong>Die</strong> Nutzung darf, laut Fritz, nur so weit gehen, dass die typische Wienerwald-<br />

landschaft weitestgehend erhalten bleibt. <strong>Die</strong> Zersiedelungsaktivitäten seien je-<br />

doch soweit gegangen, dass es zu einer Verinselung der Naturlandschaft ge-<br />

kommen sei. Durch das Zusammenwachsen der Siedlungen werde der Natur-<br />

raum zu einer Insel und dagegen müsse etwas unternommen werden. Durch<br />

den Naturschutzbund konnten Impulse gesetzt werden und einige Projekte<br />

auch verhindert werden, wie beispielsweise der Bau der Terrassensiedlungen in<br />

Sickendorf, Großwohnblocks für Eichgraben, ein achtgeschössiges Hochhaus in<br />

Mauerbach, Baulückenschlüsse in Breitenfurt, eine mehrstöckige Wohnsiedlung<br />

am Tulbinger Kogel oder das Verbot für Deponien im Wienerwald, da sich die-<br />

se mitten im Landschaftsschutzgebiet befanden. Vorgegangen sind die Natur-<br />

schützer beim Kampf gegen solche Großprojekte immer mittels geologischen<br />

Gutachten, dem Verkehrskonzept, Bürgerinitiativen, Unterschriftenlisten, aber<br />

auch mittels der Presse und dem Druckmittel der nächsten Wahl. Doch oftmals<br />

erschwere der völlige Informationsmangel die Arbeit. So können die Leute vom<br />

Naturschutzbund oftmals erst dann aktiv werden, wenn bereits die ersten Bag-<br />

ger auffahren und dann ist es oftmals schon zu spät, weil dann bereits alle gül-<br />

tigen Bescheide vorliegen.<br />

<strong>Die</strong> Zersiedelung hat im Wienerwald, nach Fritz, zu verschiedenen Zeiten an<br />

verschiedenen Orten eingesetzt, sodass man nicht von einer generelle Entwick-<br />

lung sprechen kann. Im Osten ist der Wienerwald viel stärker zersiedelt als im<br />

Westen. <strong>Die</strong>s ist schon allein auf den Agglomerationsdruck zurückzuführen.<br />

<strong>Die</strong> Besiedelung des Waldes ist schon so fortgeschritten, dass man überall auf<br />

109


Sackgassen in den Gemeinden trifft, dies zeigt, dass sich die Siedlungsfläche be-<br />

reits in den Wald hineinverlegt hat. Wo die Baulandreserven immer knapper<br />

werden, steigen die Gemeinden von der Bebauungsart des Einfamilienhauses<br />

auf Reihenhäuser und Wohnblöcke um. Doch geht durch verdichtete Bebau-<br />

ungsformen der Siedlungscharakter sowie die Sichtachse verloren. Flächenspa-<br />

rende Wohnbauten passen nur vereinzelt in das Bild des Wienerwaldes, da an-<br />

sonsten das Landschaftsbild verfremdet wird, führte der Experte aus. Hinzu<br />

kommt, laut Fritz, die Tatsache, dass ab einer bestimmten Prozentzahl an Zu-<br />

gewanderten das Konfliktpotential untereinander und vor allem in der Nach-<br />

barschaft steigt.<br />

<strong>Die</strong> Verknüpfung zwischen dem Naturschutz und der Raumordnung sei viel<br />

zu allgemein und zudem völlig zahnlos. <strong>Die</strong> Naturschutzabteilung beim Land<br />

sei politisch gesteuert. Weil alles vom Land selbst gefördert werde, seien die<br />

Projekte des Naturschutzes auch gegenüber dem Land abzurechnen. Von der<br />

Gesetzeslage her, ergeben sich zwischen den zwei Institutionen Sachzwänge.<br />

<strong>Die</strong> Naturschutzbehörde denke nicht verknüpft, sie schütze nur punktuell ein-<br />

zelne Arten und dies zudem jede Abteilung für sich. Der Naturschutzbund ha-<br />

be sich daher schon oft gefragt, wofür man die Naturschutzbehörde eigentlich<br />

brauche. Von der formalen finanztechnischen Seite ist sie, Fritz zufolge, auf-<br />

grund von Fördermitteln gut, aber sachlich wirkungslos, da die fachliche Kom-<br />

ponente für die brennenden Fragen, die zu lösen wären, aufgrund von man-<br />

gelnder Qualifikation, mangelnder Durchschlagskraft, mangelnden Kenntnis-<br />

sen und mangelndem Konfliktverhalten fehle.<br />

<strong>Die</strong> Hoffnung liegt nun im Biosphärenparkprojekt, um der Zersiedelung des<br />

Wienerwaldes entgegen zu steuern, doch werde sich hinsichtlich der Raumord-<br />

nung im Vergleich zum Landschaftsschutzgebiet nichts ändern. Allerdings aber<br />

in Richtung der Vermarktung, um mittels dieser die letzten Bauern existenzfä-<br />

hig zu halten. Jedoch sei anzunehmen, dass das Biosphärenparkmanagement<br />

von der eigenen Landesregierung so gemaßregelt werde, dass seine eigene Kre-<br />

110


ativität und zudem deren Umsetzungskraft eingebremst wird. <strong>Die</strong> Raumord-<br />

nung, die man dem Biosphärenparkmanagement versprochen hat, findet laut<br />

Fritz, nicht statt. So müsste man von Seiten der Landesregierung den Gemein-<br />

den einen Anreiz liefern, indem man sagt: Gemeinden unter acht Prozent<br />

Wachstum werden gefördert, alle anderen bekommen keine Förderung. Doch<br />

sei die Umsetzung dieser Idee in einer westlichen Demokratie schwer, da sie oft<br />

mit Kommunismus und Planvorgaben verwechselt werde. Derzeit gibt es, Fritz<br />

zufolge, keine wirklich wirksamen Instrumente um der Zersiedelung der Wie-<br />

nerwaldflächen entgegenzuwirken.<br />

6. Darstellung der Ergebnisse in Folge empirischer Untersuchungen<br />

<strong>Die</strong> empirischen Untersuchungen waren hilfreich, die aus der amtlichen Statis-<br />

tik und der GIS-gestützten Gebäudeanalyse gewonnenen Erkenntnisse zum ei-<br />

nen besser zu begreifen und zum anderen zu relativieren. So konnte mit Hilfe<br />

der Experten-Interviews die im Raum stehende Forschungsfrage beantwortet<br />

werden. Aber auch die beiden Bürgermeister-Interviews haben gezeigt, dass<br />

der Natur- und Landschaftsschutz innerhalb der Gemeindepolitik eine unter-<br />

geordnete Rolle spielt, und somit hinsichtlich der herabgesetzten Wanderungs-<br />

bilanzen (vgl. Kapitel 4.3.3.2) keine Auswirkungen hatte.<br />

6.1 Output aus den Bürgermeister-Interviews<br />

<strong>Die</strong> auf den Statistikdaten basierenden Vermutungen einer mittelfristig und ei-<br />

ner stark wachsenden Gemeinde wurden durch die Aussagen der Bürgermeis-<br />

ter in Hinsicht auf ihre Gemeindepolitik zunichte gemacht. So möchte Maria-<br />

Anzbach als Gemeinderepräsentant mittelfristig wachsender Gemeinden in<br />

punkto Bevölkerungsentwicklung aufholen und stark wachsende Gemeinden<br />

wie der Repräsentant <strong>Wolfsgraben</strong> möchten nur noch so weit wachsen bis die<br />

111


Baulandreserven im Gemeindegebiet aufgebraucht sind. Maria-Anzbach ist<br />

nicht glücklich, ein so geringes Bevölkerungswachstum aufzuweisen, was in<br />

diesem Fall jedoch auf die zu geringen potenziellen Baulandreserven für einen<br />

weiteren Zuzug zurückführbar war. Hingegen würde der Gemeinde Wolfsgra-<br />

ben, als Repräsentant einer stark wachsenden Gemeinde, von Seiten der Frau<br />

Bürgermeisterin und des Gemeinderats ihr Zuzug bislang reichen, jedoch ha-<br />

ben sie zuwenig Handhabe, weil dieser prinzipiell von der privaten Hand ge-<br />

steuert wird. Dennoch kämpfen beide Gemeinden um zugewanderte und zu-<br />

wandernde Personen, die sich im Gemeindegebiet hauptwohnsitzlich melden,<br />

was auf den raumordnungspolitisch kontraproduktiven Finanzausgleich zu-<br />

rückzuführen ist. In diesem wird die Verteilung des österreichischen Steuerauf-<br />

kommens auf den Bund, die Länder und die Gemeinden geregelt. So entschei-<br />

det auf der einen Seite die Zahl der Gewerbebetriebe und ihrer Mitarbeiter am<br />

jeweiligen Standort darüber, welche Gemeinde die Kommunalsteuer erhält. Auf<br />

der anderen Seite wird das Steueraufkommen nach dem so genannten „abge-<br />

stuften Bevölkerungsschlüssel“ auf die Gemeinden verteilt. Das heißt, neben<br />

den betrieblichen Steuervergünstigungen erfolgt die Zuteilung der sonstigen<br />

Steuermittel nach der Anzahl der hauptwohnsitzgemeldeten Gemeindebewoh-<br />

ner und nicht nach der tatsächlich im Gemeindegebiet ansässigen Bevölkerung<br />

(PAULA 2005: 91). Im Land Niederösterreich gibt es zudem keine Zweitwohn-<br />

sitzsteuer, sodass die Gemeinden indirekt gezwungen werden, auf mehr<br />

hauptwohnsitzgemeldete Personen zu kommen, um somit mehr Steuereinnah-<br />

men zu lukrieren. So kann an dieser Stelle festgehalten werden, dass der Fi-<br />

nanzausgleich einen wesentlichen Impuls für die <strong>Suburbanisierung</strong> und den<br />

damit verbundenen Flächenverbrauch liefert. Aufgrund dessen ist es nicht<br />

verwunderlich, dass Maria-Anzbachs Bürgermeister die Einwohnerzahl in den<br />

nächsten Jahren von ca. 3.500 auf 5.000 anheben möchte, wenn auch nur durch<br />

Zweitwohnsitze. Mit diesem Vorhaben manövriert er Maria-Anzbach mit gro-<br />

ßer Sicherheit in die so genannte Verschuldungsschere, da auf die Gemeinde<br />

112


durch zusätzliche Einwohner auch zusätzliche Kosten zukommen, die durch<br />

den Finanzausgleich kaum zu finanzieren sind, wobei dieser durch Zweit-<br />

wohnsitzmeldungen zudem noch ausbleibt. Hinzu kommt die Tatsache, dass<br />

das Bauland in der Gemeinde mehr gehortet als verkauft wird, weswegen auf<br />

flächensparende Bebauungsformen zurückgegriffen wird, was aus Sicht der<br />

Nachhaltigkeit löblich ist, jedoch den Siedlungscharakter des ländlichen Rau-<br />

mes zunehmend urban überprägt. Hingegen setzt <strong>Wolfsgraben</strong> weiterhin auf<br />

den Einfamilienhausbau um den dörflichen Charakter der Gemeinde zu erhal-<br />

ten, was jedoch wenig mit einem nachhaltigen Umgang der Ressource Boden<br />

zu tun hat. So müssen in einem Landschaftsschutzgebiet immer beide Seiten<br />

der Medaille beleuchtet werden. Dadurch, dass die größten Baulandreserven in<br />

den Wienerwaldgemeinden aufgebraucht sind, die Gemeinden aber in Folge<br />

des Finanzausgleichs weiterhin zum Wachstum angeregt werden, bleibt meist<br />

nur die Möglichkeit des Geschosswohnbaus, wodurch die Stadt sich weiter in<br />

ihr Umland ausbreiten kann.<br />

6.2 Output aus den Expertenmeinungen<br />

Mit Landschafts- und Naturschutz hat das nicht viel zu tun. So ist das Instru-<br />

ment des Landschaftsschutzgebiets in Bezug auf die Zersiedelung der Fläche<br />

eher schwach und in der Praxis kaum wirksam. Aufgrund seiner allgemeinen<br />

und zudem sehr auslegungsfreien Gesetzeslage ist es nur punktuell in Einzel-<br />

fällen wirksam, wie anhand der Expertengespräche festzustellen war. Im Land-<br />

schaftsschutzgebiet gibt es kein generelles Umwidmungsverbot, sondern es<br />

muss von Fall zu Fall vor Ort abgeklärt und grundsätzlich bewertet werden,<br />

was dazu führt, dass kein absoluter Schutz der Wienerwaldlandschaft gegeben<br />

ist. Zwar sind Schutzgebietskategorien im Flächenwidmungsplan der Gemein-<br />

den verortet und Umwidmungen können dadurch nicht willkürlich erfolgen,<br />

sondern müssen begutachtet werden, wodurch es an sich nicht wirkungslos ist.<br />

Dennoch gab es in den zwei Beispielgemeinden, nach Angaben der Bürgermeis-<br />

113


ter, innerhalb der letzten 25 Jahre keine Planungsrestriktionen aufgrund des<br />

Landschaftsschutzgebiets. Zudem stehen beide Gemeindevertreter dem Land-<br />

schafts- und Naturschutz generell positiv gegenüber, wenn er begründbar und<br />

nachvollziehbar ist, wie beispielsweise bei kleinräumigen Gebieten wie Natur-<br />

denkmälern oder Naturschutzgebieten, bei denen das Siedlungsgebiet jedoch<br />

außen vor bleibt. Des Weiteren soll der Natur- und Landschaftsschutz die Ent-<br />

wicklung innerhalb der Gemeindefläche nicht behindern, da Entwicklungsstill-<br />

stand Rückschritt bedeutet. Es ist eine komplizierte Sachlage, in der sich die<br />

Wienerwaldlandschaft befindet, so sind die Flächen ohne Frage schützenswert<br />

und für die nachfolgenden Generationen zu erhalten, jedoch wollen die darin<br />

lebenden und zukünftig dort lebenden Personen diese Fläche für sich nutzen,<br />

was sie seit den 1970er Jahren schon verstärkt tun. So zeigt zwar das von Herrn<br />

DI Maxian hoch angepriesene Regionale Raumordnungsprogramm gegen die<br />

(zukünftige) Zersiedelung der Fläche bei Weitem mehr Wirkung als das In-<br />

strument des Landschaftsschutzgebiets 31 oder anderer Schutzgebietskategorien,<br />

doch ist es für den Wienerwald zu spät verordnet worden. <strong>Die</strong> Zersiedelung<br />

der Wienerwaldfläche begann in der Zwischenkriegszeit, in der aus Wien Groß-<br />

Wien werden sollte und im Zuge dessen Flächen großzügig gewidmet und ver-<br />

baut wurden. Hinzu kamen die illegalen Siedlungen, wie beispielsweise Wald-<br />

heim nahe der Gemeinde Gablitz, die mitten aus dem Wald geschlägert und wo<br />

einst Anbauflächen gegen die Hungersnot im Krieg mit dazugehörigen Be-<br />

darfsunterkünften angelegt wurden. Daraus sind mitten im Wald großflächige<br />

Einfamilienhaussiedlungen hervorgegangen, die im Nachhinein legalisiert wur-<br />

den. Aus heutiger Sicht ist die Zersiedelung des Wienerwaldes so fortgeschrit-<br />

ten, dass die Wienerwaldgemeinden an ihren Grenzen zusammenwachsen und<br />

man schon bald von einer Bandstadt zwischen Wien und St. Pölten sprechen<br />

kann, dazwischen wird der Naturraum zu einer Insel. Wesentlich dabei ist, dass<br />

der Wienerwald in den 1970er Jahren im Zuge des landwirtschaftlichen Sied-<br />

31 Zudem kein Bekanntheitsgrad in Maria-Anzbach<br />

114


lungsfonds, ab 1991 als Niederösterreichischer landwirtschaftlicher Förde-<br />

rungsfonds im §5 des Niederösterreichischen Förderungsfonds- und Siede-<br />

lungsgesetz verortet, ausverkauft wurde. In dieser Zeit wurde immens viel<br />

Grünland in Bauland umgewidmet, was über kurz oder lang das Ende der noch<br />

freien Wienerwaldwiesen darstellen wird. So ist es doch ein Kampf gegen<br />

Windmühlen auf Seiten des Naturschutzes, weil das Recht und Gesetz auf Sei-<br />

ten der Privateigentümer steht. Zwar wurde das Landschaftsschutzgebiet Wie-<br />

nerwald 1978 per Verordnung ausgerufen, jedoch war zu diesem Zeitpunkt der<br />

Ausverkauf der Wienerwaldlandschaft schon vonstatten gegangen. Wesentliche<br />

Ursache für die Wirkungslosigkeit des Instruments Landschaftsschutzgebiet ist<br />

die Tatsache, dass bereits bestehende Flächenwidmungen von späteren Schutz-<br />

gebieten nicht berührt werden. Das Niederösterreichische Raumordnungsge-<br />

setz enthält eine Rücknahmeverpflichtung für noch unbebaute Baulandwid-<br />

mungen nur im Zusammenhang mit einer später auftretenden oder erkennbar<br />

werdenden Gefährdung durch Naturgewalten wie Hochwasser, Hangrut-<br />

schungen etc., für Naturschutzflächen jedoch nicht. Weiters gilt für Niederös-<br />

terreich - dies ist von Bundesland zu Bundesland verschieden – dass, wenn eine<br />

Gemeinde eine baureife Baulandwidmung zurücknimmt, die nicht von Natur-<br />

gewalten bedroht ist, der Eigentümer das Recht hat, sich von der Gemeinde je-<br />

ne Investitionen zurückzuholen, die er für die bauliche Verwertung nachweis-<br />

lich ausgegeben hat (Niederösterreichisches Raumordnungsgesetz 1976, §24).<br />

Da die meisten Wienerwaldgemeinden über solche finanziellen Mittel aber<br />

nicht verfügen, können auch keine Rückwidmungen eingeleitet werden. Für die<br />

Praxis heißt das, dass die im Siedlungsgebiet vorhandenen Wienerwaldwiesen<br />

nur noch solange existent sind, so lange die Privateigentümer diese Flächen<br />

nicht verkaufen, da sie zumeist Bauland gewidmet sind, was aus den Flächen-<br />

widmungsplänen der zwei Beispielgemeinden <strong>Wolfsgraben</strong> und Maria-<br />

Anzbach zu entnehmen war.<br />

115


6.3 Aussage zur Forschungsfrage und Ausblick<br />

Summa Summarum kann festgehalten werden, dass die Forschungsfrage:<br />

„Wienerwald – eine nachhaltige <strong>Suburbanisierung</strong>?“ zu verneinen ist, da weder<br />

in den vergangenen Jahren noch zum heutigen Zeitpunkt nachhaltig mit der<br />

Wienerwaldfläche umgegangen wurde. Vielmehr hat man es mit Baulandwid-<br />

mungen im großen Stil im Sinne eines Ausverkaufs der Landschaft in den<br />

1970er Jahren zu tun, die durch den ungebremsten Zuzug von Wien heute ihre<br />

Auswirkungen zeigen. So wurde auf der Grundlage der Gemeindeautonomie<br />

in Österreich der Weg zur Zersiedelung der Wienerwaldlandschaft gelegt. Das<br />

Landschaftsschutzgebiet sowie alle anderen Schutzgebietkategorien sind auf-<br />

grund der oben beschriebenen Gesetzeslage keine brauchbaren Instrumente,<br />

um der <strong>Suburbanisierung</strong> und der damit einhergehenden Zersiedelung der Flä-<br />

che und dem Landschaftsverbrauch entgegenzuwirken. Nur in Hinsicht auf<br />

zukünftige Widmungen, die jedoch im Wienerwald nur marginal gegeben sind,<br />

sind Schutzgebietskategorien nicht wirkungslos jedoch zu unpräzise im Natur-<br />

schutzgesetz formuliert und daher von Fall zu Fall verschieden umsetzbar. Bes-<br />

sere Wirkung zeigt hier zweifelsohne das Regionale Raumordnungsprogramm<br />

mit seinen verschiedenen Siedlungsgrenzen, wodurch die Siedlungsentwick-<br />

lung zum heutigen Zeitpunkt noch am ehesten eingeschränkt wird. Eine Ver-<br />

knüpfung zwischen Raumordnung und Naturschutz im Bereich der Gesetzes-<br />

lage wäre wünschenswert, da beide Materien nicht unabhängig voneinander<br />

gesehen werden dürfen. Beide verfolgen das Prinzip der Nachhaltigkeit und<br />

somit das des ressourcensparenden Umgangs mit der Fläche. Zuweilen besteht<br />

ein vernetztes Denken untereinander jedoch nicht, vielmehr herrschte innerhalb<br />

der örtlichen wie der überörtlichen Raumordnung eher das Vorurteil, dass der<br />

Naturschutz eine Bürde sei, die verstärkt vor allem durch die EU auferlegt<br />

worden ist.<br />

Um der Zersiedelung der Wienerwaldlandschaft entgegenzuwirken, müssten<br />

vor allem Anreize in der Stadt gesetzt werden, um den Zuzug aufs Land zu<br />

116


verringern, indem mehr Grünflächen für die städtische Bevölkerung geschaffen<br />

werden und nicht allein steinerne öffentliche Begegnungsplätze. Eine Aufwer-<br />

tung der Lebensqualität in der Stadt könnte aber auch durch die Schaffung von<br />

Balkons gewährleistet werden, wie dies beispielsweise in Berlin oder anderen<br />

europäischen Städten der Fall ist. Des Weiteren sollte bedeutungslos geworde-<br />

ne Landwirtschaft mittels Projekten wie Biogasanlagen oder auch durch die<br />

Vermarktung einheimischer Produkte etc. gefördert und aufgewertet werden.<br />

Ebenso müssen die noch tätigen Bauern subventioniert werden, damit die noch<br />

existierenden Wienerwaldwiesen weiterhin gepflegt werden und nicht der<br />

Verwaldung zum Opfer fallen. Aber auch die Erneuerung des Althausbestan-<br />

des der Wienerwaldgemeinden sollte forciert werden, um somit Neubauten<br />

entgegenwirken zu können. Zusätzlich sollte die oftmals zu große Parzellierung<br />

von Grundstücken eingedämmt werden. Das sind nur ein paar Möglichkeiten<br />

wie man der Flächenversiegelung und -zersiedelung entgegen wirken kann.<br />

7. Summary<br />

<strong>Die</strong> <strong>Suburbanisierung</strong> im Wienerwald wird primär von der Wohnsuburbanisie-<br />

rung getragen, welche Ende der 1970er Jahre im Zuge der großen Bauland-<br />

widmungen einsetzte und die Wienerwaldfläche bis zur heutigen Zeit immer<br />

mehr versiegelt. Nicht alle Gemeinden wurden in gleicher Weise von der Sub-<br />

urbanisierung ergriffen, was zum einen auf die Rücksichtsnahme bzgl. Wähler-<br />

stimmen und zum anderen auf den jeweiligen Privatbesitz an Bauland zurück-<br />

zuführen ist. So ist aufgrund des Agglomerationsdrucks und der Nähe zu Wien<br />

der Osten des Untersuchungsgebiets stärker zersiedelt als der Westen, der nun<br />

jedoch aufgrund der Verknappung des Baulandes auch nach und nach von Be-<br />

völkerungszunahme- und Zersiedelungstendenzen eingeholt wird. Der<br />

Wunsch nach einem Haus im <strong>Grünen</strong> nahe der Hauptstadt ist ungebrochen,<br />

wird aber in den letzten zehn Jahren aufgrund von Bauflächenmangel durch<br />

verdichtete Wohnbauten wie Reihenhäuser oder Geschosswohnbauten durch-<br />

117


setzt. In Summe kann festgehalten werden, dass sich in allen Wienerwaldge-<br />

meinden <strong>Suburbanisierung</strong>stendenzen finden lassen, und aufgrund des Zuzugs<br />

und der Baulandwidmungen mit der Wienerwaldfläche nicht nachhaltig um-<br />

gegangen worden ist. Vielmehr zeichnet sich eine wachsende Bandstadt zwi-<br />

schen Wien und St. Pölten ab.<br />

Schutzgebietskategorien wie das Landschaftsschutzgebiet oder der Biosphä-<br />

renpark zeigen in der Praxis keine Wirkung gegen die Zersiedelung der Fläche,<br />

obwohl beide in den Flächenwidmungsplänen der Wienerwaldgemeinden aus-<br />

gewiesen sind. Aufgrund der Gesetzeslage im Naturschutzgesetz sind Schutz-<br />

gebiete jedoch zu schwache Instrumente um Siedlungsentwicklungen zu beein-<br />

flussen, da sie sich subjektiv auslegen lassen und dadurch keinen absoluten<br />

Schutz gewähren können. Hinzu kommt der Aspekt, dass die Baulandhortung<br />

innerhalb der Wienerwaldflächen schon zum größten Teil umgesetzt war, be-<br />

vor die Wienerwaldlandschaft mittels des Landschaftsschutzgebiets unter<br />

Schutz gestellt wurde. Wesentlich dabei war, dass aufgrund des österreichi-<br />

schen Rechtssystems die Rechtssicherheit einen sehr hohen Stellenwert hat, so-<br />

dass in erworbene Rechte möglichst nicht eingegriffen wird. <strong>Die</strong> Judikatur hat<br />

dabei der Flächenwidmung einen erhöhten Rechtsschutz zugeordnet. Somit<br />

bleiben bestehende Flächenwidmungen erhalten, weil sonst gewaltig in das<br />

Vermögen der Grundeigentümer eingegriffen werden kann. Für die Wiener-<br />

waldlandschaft heißt das, dass Baulandwidmungen auch nach Ausweisung der<br />

Flächen zum Landschaftsschutzgebiet bestehen bleiben, selbst dann, wenn<br />

durch den Verlust, in diesem Fall der Wienerwaldwiesen, aufgrund der urba-<br />

nen Überprägung, der Charakter des Offenlandes verloren geht.<br />

Es kann festgehalten werden, dass die Siedlungsentwicklung primär von den<br />

Wienerwaldbewohnern mit ihrem Privatbesitz an Bauland selbst gestaltet wird.<br />

Weder die Gemeinden, das Land (Raumordnungsabteilung) noch der Natur-<br />

schutz können dieser Entwicklung im erforderlichen Maße entgegensteuern.<br />

118


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