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Exekutive Vetorechte im deutschen Verfassungssystem - Oapen

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B. Systematische und strukturelle Einordnung der <strong>Vetorechte</strong><br />

nen Repräsentativverfassung nur benutzte, um unter der Maske pseudoverfassungsrechtlicher<br />

Zugeständnisse die Herrschaft der traditionellen Machthaber<br />

gegen die politischen Forderungen der breiten Massen abzuschirmen.<br />

In der Konsequenz ist daher dem Realitätssinn Böckenfördes zu folgen, der mit<br />

seiner Sicht auf den Reichskonstitutionalismus eine Erklärung findet, deren Richtigkeit<br />

gerade durch die Frage nach dem exekutiven Vetorecht unterstrichen wird.<br />

Das über den Parlamentarismus in weiten Teilen obsiegende monarchische Prinzip<br />

als Exportgut preußischer Verfassungstradition, führte eben unweigerlich gerade<br />

nicht zu einer Stärkung der kaiserlichen Vetotendenz, sondern schwächte<br />

deren Notwenigkeit in der Reichsverfassung von 1871 sogar ab. Bismarcks Präferenz<br />

lag gerade nicht auf einem weiteren machtvollen exekutiven Gegenspieler<br />

zum Parlament. Warum auch, er hatte den Bundesrat als monarchisch determiniertes<br />

Legislativorgan in der Arena der Reichsgesetzgebung platziert und dabei<br />

mit derartiger Macht ausgestattet, dass ohne ihn sowieso kein Beschluss der Nationalrepräsentation<br />

Gesetz werden konnte. Mithin war die Volksvertretungskomponente<br />

ohnehin egalisierbar und das parlamentarische Prinzip konnte <strong>im</strong> Bedarfsfall<br />

hinreichend ausgeschaltet werden konnte.<br />

Den Kaiser benötigte er nicht als monarchischen Interessenwahrer in Form eines<br />

Gegenpols zum parlamentarischen Gebaren. Vollkommen verständlicherweise<br />

stand diesem nach dem Wortlaut der Verfassung <strong>im</strong> Rahmen der Reichsgesetzgebung<br />

kein Vetorecht zu. 316 Der Verfassungsvergleich zum Paulskirchenentwurf<br />

unterstreicht diese von der Sicht Böckenfördes getragene Erkenntnis. Es ist die Gesamtkonzeption<br />

der Paulskirchenverfassung, in der das Staatenhaus nicht nur<br />

‚unter ferner Liefen‛ an der Gesetzgebung beteiligt ist. Wesentliches Augenmerk<br />

wurde in ihr auf das Zusammenspiel des Parlaments mit dem Kaiser gelegt und<br />

infolgedessen ein kaiserliches Einspruchsrecht in den Vordergrund gerückt. Dieses,<br />

dass Nationalparlament in den Vordergrund rückende System, unterscheidet<br />

sich grundsätzlich von den Konstellationen der Bismarckschen Reichsverfassung,<br />

welche dem exekutiv-monarchischen Einfluss der Länderfürsten das Pr<strong>im</strong>at einräumt.<br />

Das Veto einer externen monarchischen Instanz, die gerade nicht am<br />

Normsetzungsverfahren beteiligt war, erschien daher überflüssig. Der Gedanke,<br />

den Kaiser mit einer solchen auszustatten, wurde <strong>im</strong> Gegensatz zur Paulskirchenverfassung<br />

nicht erneut aufgegriffen.<br />

Lediglich der faktische Verlauf der Verfassungsentwicklung brachte den Kaiser<br />

über jene Position hinaus, in welcher er eigentlich nur Geschäftsführer monarchi-<br />

Wenn man die Unfähigkeit des Volkes (i.d.R. repräsentiert durch das Bürgertum) zur politischen Teilhabe diesem<br />

Selbstverständnis des Monarchen gegenüberstellt, dann erstaunt es nicht, dass die verfassungsrechtlich unbestreitbar<br />

starke Stellung des Reichstags in der Sonne dieses Kaisers zu schmelzen begann und keineswegs so<br />

manifest daher kam, wie man es be<strong>im</strong> historisch unreflektierten Lesen der Normen annehmen könnte. Die<br />

Darstellung H.U. Wehlers vom persönlichen Reg<strong>im</strong>ent des Kaisers kann daher nur zu gut überzeugen, wenn er die<br />

tatsächliche Verfassungsentwicklung seit 1871 dahingehend beschreibt, dass sich das Kaiserreich zu einem<br />

„…autokratischen, halbabsolutistischen Scheinkonstitutionalismus…“ entwickelte – Vgl. H.U. Wehler, in: Das Deutsche<br />

Kaiserreich 1871-1918, S. 63.<br />

316 So in der Endkonsequenz aus heutiger Sicht auch: Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte, S. 295.

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