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Exekutive Vetorechte im deutschen Verfassungssystem - Oapen

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I. Ursprünge und Entwicklungslinien 79<br />

der Reichsverfassung von 1871 sonach „… nicht vorherrschend in den geschichtlich überlieferten<br />

Ideen, die, etwa das ‚monarchische Prinzip‛, den <strong>im</strong> konstitutionellen Staatssystem<br />

fortdauernden alten Gewalten die Erhaltung ihres Herrschaftsanteils sicherten.“ bestand. „Es<br />

bestand vielmehr auch und gerade in den Errungenschaften, in denen die neu in das Staatssystem<br />

eingefügten Grundideen und Verfassungsfaktoren das Fundament ihres Ringens um die Fortbildung<br />

des Reichsganzen besaßen. …“<br />

Es kann und muss an dieser Stelle auf Ernst-Wolfgang Böckenförde verwiesen<br />

werden, welcher jene verfassungsgeschichtlichen Entwicklungen diametral anders<br />

sieht. Dem oben dargestellten historischen Kontext genügend Aufmerksamkeit<br />

schenkend und gerade auch Bismarcks Motivlagen widerspiegelnd, kommt Böckenförde<br />

zu dem eindeutigen und nachvollziehbaren Befund, wenn er als „…das Wesensprinzip<br />

des <strong>deutschen</strong> Konstitutionalismus der Epoche des Kaiserreichs die geschichtlich<br />

überkommene monarchische Herrschaft…“ 304 bezeichnet.<br />

Deutlicher kann man sich nicht von der geschichtsnivellierenden Auffassung<br />

E. R. Hubers absetzen. Diese prosperierende Monarchievariation, wie sie das Kaiserreich<br />

darstellte, durch einen am Gesetzgebungsprozess mitwirkenden Reichstag<br />

zu beschönigen, verfängt nur auf den ersten Blick. Schon das Hinterfragen der<br />

tatsächlichen staatsrechtlichen Stellung der Nationalrepräsentation über die euphemistische<br />

Beteiligung am Normsetzungsverfahren hinaus offenbart einen diametral<br />

abweichenden Zustand. In der Gesetzgebung war zwar die Zust<strong>im</strong>mung<br />

des Reichstags eine unumgängliche Voraussetzung, aber ansonsten ist dessen Stellung<br />

relativ schwach. 305 Der Reichstag sollte – so Bismarcks Vorstellung – verhindern,<br />

aber nicht gestalten können. 306 Der Reichstag, der eigentlich das unitarische<br />

Gegengewicht zu dem das staatenbündische Element der Reichsverfassung repräsentierenden<br />

Bundesrat darstellen sollte, war von der Verfassung her nicht mit<br />

ausreichenden Kompetenzen ausgestattet; er symbolisierte damit das demokratische<br />

Defizit der Bismarckschen Reichsverfassung. 307<br />

Dieses demokratische Defizit tritt besonders deutlich zutage, wenn man sich<br />

die Best<strong>im</strong>mungen der Reichsverfassung näher anschaut, welche die zentrale Regel<br />

des Art. 5 RV 1871 flankieren. Neben dem in Art. 24 RV 1871 308 manifestierten<br />

Auflösungsrecht durch die Reichsregierung <strong>im</strong> Zusammenspiel mit dem dynasti-<br />

304 E.-W. Böckenförde, in: Conze, Beiträge zur <strong>deutschen</strong> und belgischen Verfassungsgeschichte <strong>im</strong> 19. Jahrhundert,<br />

S. 146 ff.<br />

305 Vgl. Hübner, Parlament und Regierung in der Bundesrepublik Deutschland, S. 50.<br />

306 Vgl. Pflanze, Bismarck, Bd. 1, S. 667.<br />

307 Vgl. Hübner, Parlament und Regierung in der Bundesrepublik Deutschland, S. 50 – der des Weiteren als<br />

Begründung für die faktisch äußerst beschränkte Macht des Reichstags anführt:„…Da der den Reichskanzler nicht<br />

durch ein Misstrauensvotum abberufen kann, fehlt ihm das in einem parlamentarischen Regierungssystem übliche Gegengewicht zum<br />

Auflösungsrecht der Regierung. In seinen Kontrollrechten ist der Reichstag des Kaiserreiches darüber hinaus in bedenklichem Maße -<br />

z.B. durch die fehlende Möglichkeit, Untersuchungsausschüsse einzusetzen - eingeschränkt. Zur Gefahr für die Regierung kann der<br />

Reichstag nur dann werden, wenn er in einem Konflikt mit der Regierung die Bevölkerung auf seiner Seite hat und damit die Auflösungsdrohung<br />

der Regierung ins Leere läuft. Ein gleichberechtigter Partner der Regierung ist er jedenfalls nach der Bismarckschen<br />

Reichsverfassung nicht. …“.<br />

308 Art. 24 der Reichsverfassung von 1871 erlaubte die Auflösung des Reichtages vor Ablauf der Legislaturperiode<br />

durch einen Beschluss des Bundesrates unter Zust<strong>im</strong>mung des Kaisers.

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