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Exekutive Vetorechte im deutschen Verfassungssystem - Oapen

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I. Ursprünge und Entwicklungslinien 75<br />

diesbezüglicher Rückschritt erkennen. Bismarck gedachte als preußischer Ministerpräsident<br />

das Staatsverständnis seines sich von Anfang an in hegemonialer<br />

Vorhand wähnenden Landes Preußen auf das Verfassungskonstrukt der Reichsebene<br />

auszudehnen. Wie oben in der Verfassungsanalyse der preußischen Standesverfassung<br />

eruiert, hatte sich die Monarchie in Preußen eine besonders starke<br />

Position zu erhalten gewusst. Es wurde sogar geschlussfolgert, dass das preußische<br />

Königtum seine Stellung auf altem historischen Boden behielt und von<br />

Volkssouveränität keine Rede war. 294 Sowohl für Preußen selber als auch für die<br />

von diesem Staatsverständnis betroffene Reichsebene bleibt daher die Frage, woher<br />

rührte dieses Verfassungsverständnis, welches sich so sehr von den für die<br />

damalige Zeit äußerst modernen und demokratischen Sichtweisen anderer europäischer<br />

Länder unterschied und welches es schaffte, trotz der Beteiligung der<br />

Kammern an der Gesetzgebung, die Machtfülle des Monarchen fast unbeschränkt<br />

zu lassen. 295 Die Antwort darauf ist umso wichtiger, da es unter Bismarcks Führung<br />

zu einer Übertragung des monarchisch-konstitutionellen Systems 296 aus<br />

294 Vgl. Hintze, Das monarchische Prinzip und die konstitutionelle Verfassung (1911), in: Hintze, Staat und<br />

Verfassung, S. 371.<br />

295 Diese Sichtweise wird zwar z.B. von Maurer nicht vollständig geteilt, wenn er in: Entstehung und Grundlagen<br />

der Reichsverfassung von 1871, in FS Stern, Verfassungsstaatlichkeit, S. 30/31 schreibt: „…(dass) die preußischen<br />

Verfassungen von 1848 und 1850 vom monarchischen Prinzip ausgingen, aber <strong>im</strong> Bereich der Gesetzgebung eine ausgewogene<br />

Balance anstrebten…“. Dabei verkennt Maurer aber vollkommen, dass das Gesetzesinitiativrecht be<strong>im</strong> König<br />

verblieb und das Übereinst<strong>im</strong>mungserfordernis der Kammerbeschlüsse den monarchischen Willen zur Existenzvoraussetzung<br />

eines jeden Gesetzes machte. Dies hatte allerdings mit demokratischer Gesetzgebung nichts zu<br />

tun und der Monarch büßte faktisch nichts von seiner alleinigen Entscheidungsgewalt ein. Jene Verfassungsausgestaltung<br />

als ausgewogene Balance anzusehen, geht an den Realitäten preußischen Verfassungswesens vorbei.<br />

Der inhaltlichen Vollständigkeit halber soll nicht unerwähnt bleiben, dass nicht nur in der historischen Nachschau<br />

derartige utopische Sichtweisen Platz griffen, sondern auch vereinzelt <strong>im</strong> staatsrechtlichen Schrifttum der<br />

Kaiserzeit dergestaltige Sichtweisen vertreten wurden, was die realitätsfernen Darstellungen Maurers befeuert<br />

haben mag. So schreibt auch Schulze in: Das Preussische Staatsrecht I. Band, S. 570, von: „…Die politischen Befugnisse<br />

der Volksvertretung haben sich aus gesonderten Rechten des Landtags in ein geordnetes Mitwirkungsrecht derselben an den<br />

Staatsangelegenheiten umgesetzt. […] So ist an die Stelle des Dualismus die Einheit, an die Stelle patr<strong>im</strong>onialer Fürstenrechte und<br />

gesonderter ständischer Privilegien die eine ungetheilte Staatspersönlichkeit getreten, in welcher König und Landtag, Staatsoberhaupt<br />

und Volksvertretung, als staatliche Organe, ihre verschiedenartige, aber zugleich einheitliche und harmonische Stellung finden. …“.<br />

Wäre es um die Staatsstruktur der Ländermonarchien tatsächlich derartig demokratisch und rechtsstaatlich<br />

bestellt gewesen, ist schon fraglich, warum die Revolution von 1919 diese dann derartig fundamental hinwegfegten.<br />

296 Wie schon in Kapitel B.I.3.d.ccc. konstatiert, stand das monarchisch-konstitutionelle System Preußens, wie das<br />

der übrigen Fürstentumsverfassungen unter dem massiven Eindruck der aus Frankreich herüber schwappenden,<br />

konstitutionellen Theorie. Diese war allerdings in der Version der „charte constitutionelle“ von 1814 nicht mehr<br />

vom Gedanken der Volkssouveränität geprägt, wie ihn noch die erste konstitutionelle Verfassung von 1791<br />

aufwies, was sich, wie Anschütz zu berichten weiß, ganz grundsätzlich auf die konstitutionellen Entwicklungen in<br />

den <strong>deutschen</strong> Fürstentümern und damit auch auf die in Preußen auswirkte: „…Konsequenz dieses Grundprinzips<br />

[gemeint war das monarchisch-konstitutionelle] ist, daß die Ausübung der Staatsgewalt präsumtiv allein der Krone zusteht…<br />

[…] Diese Grundstruktur der Charte von 1814 […] war […] von maß- und richtungsgebendem Einfluß gewesen auf die<br />

Gestaltung aller <strong>deutschen</strong> konstitutionellen Staatsgrundgesetze. Sie sämtlich, die süd<strong>deutschen</strong> Verfassungen wie die preußische,<br />

gestalten das Verhältnis von Krone und Volksvertretung… […] Die Annahme des konstitutionellen Systems hat für keinen der<br />

<strong>deutschen</strong> Staaten bedeutet, dass das Staatswesen grundsätzlich auf die Basis der ‚Volkssouveränität‛ gestellt, daß eine vollkommene<br />

Neuverteilung der Gewalten vorgenommen und hierbei die Monarchie als Inhaber best<strong>im</strong>mter Attributionen, insbesondere der<br />

‚vollziehenden Gewalt‛ beibehalten wurde, - sondern das ist beabsichtigt und erreicht worden, der Krone nach wie vor die gesamte<br />

Staatsgewalt quoad ius zu reservieren und sie quoad exercitium, in der Ausübung der Staatsgewalt soweit zu beschränken, als die<br />

Verfassung dieses ausdrücklich vorschreibt. …“.

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