Exekutive Vetorechte im deutschen Verfassungssystem - Oapen

Exekutive Vetorechte im deutschen Verfassungssystem - Oapen Exekutive Vetorechte im deutschen Verfassungssystem - Oapen

webdoc.sub.gwdg.de
von webdoc.sub.gwdg.de Mehr von diesem Publisher
22.01.2013 Aufrufe

74 B. Systematische und strukturelle Einordnung der Vetorechte gewaltenteilender Manier mit Rechten ausgestattet war, dem legislativen Prärogativ des Parlaments entgegentreten zu können. Nicht in unbedingter Form, aber dennoch mit Substanz. Dieser Ansatz wurde in der Reichsverfassung von 1871 nicht weiterverfolgt. Die Bismarcksche Reichsverfassung übernahm zwar den Gedanken an eine Einigung Deutschlands, welche es aber nach ihrer Systematik nicht durch ein starkes Nationalparlament zu verwirklichen galt, sondern durch die Unitarisierung der monarchischen Länderregierungen. Die Einigung Deutschlands sollte aus Bismarcks Sicht durch ein Bündnis der Regierungen erfolgen. 290 Der zentrale Aspekt der Reichsverfassung von 1871 ist daher konsequenterweise in ihrer Bedeutung für die nationalstaatliche Einheit und weniger in deren Einfluss auf die Durchsetzung eines demokratischen Prinzips zu suchen. Bismarck, der als Promotor dieser Reichseinheit gelten kann, hatte fundierte Vorstellungen über die Art und Weise der Verfassungsausgestaltung. Diese waren geprägt durch den manifesten Gedanken, dass nicht die Volkssouveränität und ein aus ihr entspringender Parlamentarismus der legitime deutsche Verfassungsweg sein sollten, sondern der eines ausgeprägten monarchischen Prinzips in konstitutioneller Verfassungseinkleidung. 291 Bismarck betrachtete den monarchischen Föderalismus als Gegengewicht gegen den Parlamentarismus und suchte unter den Eindrücken des preußischen Verfassungskonfliktes 292 nach möglichst sicheren Schranken gegen die langfristige Durchsetzung eines parlamentarischen Regierungssystems. 293 Vor diesem Hintergrund gilt es jedoch einen weiteren Parameter in die Untersuchung einzuführen: Um das exekutive Recht zum Veto, eingebettet in eine moderne Verfassung, richtig einordnen zu können, darf dieses nicht allein als ein solches gesehen werden, welches sich seiner Natur nach nur aus dem monarchischem Recht speiste. Vielmehr konnte sich das Vetobedürfnis nur aus dem Dualismus zweier grundverschiedener Systeme entwickeln, dem des Parlamentarismus und dem der Monarchie. Es war zwar das Widerspiel beider in ihrer Grundphilosophie so verschiedenen Regierungsformen, welche den Nährboden für die Vetorechte bereiteten, dennoch wäre es zu kurz gegriffen, allein der Monarchiekomponente die Vetoheimat zuzuweisen. Vielmehr wird gerade bei der Vetobetrachtung für die Reichsverfassung von 1871 deutlich, dass ein Veto nur dann als notwendig erachtet wird und stark sein kann, wenn sich die Waagschale der Systemausgestaltung maßgeblich zugunsten des Parlamentarismus neigen würde. Wie schon einleitend angedeutet, war die Bismarcksche Verfassungstendenz jedoch keine sonderlich parlamentarische. Für die Verfassungsentwicklung im Deutschen Reich lässt sich im Vergleich zur Paulskirchenverfassung sogar ein 290 So zu interpretieren aus: Bismarck, in: Gedanken und Erinnerungen Bd. I, S. 53 ff. 291 Der Staatsrechtler Richard Thoma bezeichnete das Kaiserreich sogar als: „…singulär gestaltete, föderalistisch beschränkte Erbmonarchie…“ Vgl. Thoma, Das Staatsrecht des Reiches. – in: Anschütz/Thoma (Hrsg.): Handbuch des deutschen Staatsrechts, Bd. I, S. 75. 292 Zum preußischen Verfassungskonflikt: H. Boldt, in: Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 2, S. 110 ff. 293 Hübner, Parlament und Regierung in der Bundesrepublik Deutschland, S. 47.

I. Ursprünge und Entwicklungslinien 75 diesbezüglicher Rückschritt erkennen. Bismarck gedachte als preußischer Ministerpräsident das Staatsverständnis seines sich von Anfang an in hegemonialer Vorhand wähnenden Landes Preußen auf das Verfassungskonstrukt der Reichsebene auszudehnen. Wie oben in der Verfassungsanalyse der preußischen Standesverfassung eruiert, hatte sich die Monarchie in Preußen eine besonders starke Position zu erhalten gewusst. Es wurde sogar geschlussfolgert, dass das preußische Königtum seine Stellung auf altem historischen Boden behielt und von Volkssouveränität keine Rede war. 294 Sowohl für Preußen selber als auch für die von diesem Staatsverständnis betroffene Reichsebene bleibt daher die Frage, woher rührte dieses Verfassungsverständnis, welches sich so sehr von den für die damalige Zeit äußerst modernen und demokratischen Sichtweisen anderer europäischer Länder unterschied und welches es schaffte, trotz der Beteiligung der Kammern an der Gesetzgebung, die Machtfülle des Monarchen fast unbeschränkt zu lassen. 295 Die Antwort darauf ist umso wichtiger, da es unter Bismarcks Führung zu einer Übertragung des monarchisch-konstitutionellen Systems 296 aus 294 Vgl. Hintze, Das monarchische Prinzip und die konstitutionelle Verfassung (1911), in: Hintze, Staat und Verfassung, S. 371. 295 Diese Sichtweise wird zwar z.B. von Maurer nicht vollständig geteilt, wenn er in: Entstehung und Grundlagen der Reichsverfassung von 1871, in FS Stern, Verfassungsstaatlichkeit, S. 30/31 schreibt: „…(dass) die preußischen Verfassungen von 1848 und 1850 vom monarchischen Prinzip ausgingen, aber im Bereich der Gesetzgebung eine ausgewogene Balance anstrebten…“. Dabei verkennt Maurer aber vollkommen, dass das Gesetzesinitiativrecht beim König verblieb und das Übereinstimmungserfordernis der Kammerbeschlüsse den monarchischen Willen zur Existenzvoraussetzung eines jeden Gesetzes machte. Dies hatte allerdings mit demokratischer Gesetzgebung nichts zu tun und der Monarch büßte faktisch nichts von seiner alleinigen Entscheidungsgewalt ein. Jene Verfassungsausgestaltung als ausgewogene Balance anzusehen, geht an den Realitäten preußischen Verfassungswesens vorbei. Der inhaltlichen Vollständigkeit halber soll nicht unerwähnt bleiben, dass nicht nur in der historischen Nachschau derartige utopische Sichtweisen Platz griffen, sondern auch vereinzelt im staatsrechtlichen Schrifttum der Kaiserzeit dergestaltige Sichtweisen vertreten wurden, was die realitätsfernen Darstellungen Maurers befeuert haben mag. So schreibt auch Schulze in: Das Preussische Staatsrecht I. Band, S. 570, von: „…Die politischen Befugnisse der Volksvertretung haben sich aus gesonderten Rechten des Landtags in ein geordnetes Mitwirkungsrecht derselben an den Staatsangelegenheiten umgesetzt. […] So ist an die Stelle des Dualismus die Einheit, an die Stelle patrimonialer Fürstenrechte und gesonderter ständischer Privilegien die eine ungetheilte Staatspersönlichkeit getreten, in welcher König und Landtag, Staatsoberhaupt und Volksvertretung, als staatliche Organe, ihre verschiedenartige, aber zugleich einheitliche und harmonische Stellung finden. …“. Wäre es um die Staatsstruktur der Ländermonarchien tatsächlich derartig demokratisch und rechtsstaatlich bestellt gewesen, ist schon fraglich, warum die Revolution von 1919 diese dann derartig fundamental hinwegfegten. 296 Wie schon in Kapitel B.I.3.d.ccc. konstatiert, stand das monarchisch-konstitutionelle System Preußens, wie das der übrigen Fürstentumsverfassungen unter dem massiven Eindruck der aus Frankreich herüber schwappenden, konstitutionellen Theorie. Diese war allerdings in der Version der „charte constitutionelle“ von 1814 nicht mehr vom Gedanken der Volkssouveränität geprägt, wie ihn noch die erste konstitutionelle Verfassung von 1791 aufwies, was sich, wie Anschütz zu berichten weiß, ganz grundsätzlich auf die konstitutionellen Entwicklungen in den deutschen Fürstentümern und damit auch auf die in Preußen auswirkte: „…Konsequenz dieses Grundprinzips [gemeint war das monarchisch-konstitutionelle] ist, daß die Ausübung der Staatsgewalt präsumtiv allein der Krone zusteht… […] Diese Grundstruktur der Charte von 1814 […] war […] von maß- und richtungsgebendem Einfluß gewesen auf die Gestaltung aller deutschen konstitutionellen Staatsgrundgesetze. Sie sämtlich, die süddeutschen Verfassungen wie die preußische, gestalten das Verhältnis von Krone und Volksvertretung… […] Die Annahme des konstitutionellen Systems hat für keinen der deutschen Staaten bedeutet, dass das Staatswesen grundsätzlich auf die Basis der ‚Volkssouveränität‛ gestellt, daß eine vollkommene Neuverteilung der Gewalten vorgenommen und hierbei die Monarchie als Inhaber bestimmter Attributionen, insbesondere der ‚vollziehenden Gewalt‛ beibehalten wurde, - sondern das ist beabsichtigt und erreicht worden, der Krone nach wie vor die gesamte Staatsgewalt quoad ius zu reservieren und sie quoad exercitium, in der Ausübung der Staatsgewalt soweit zu beschränken, als die Verfassung dieses ausdrücklich vorschreibt. …“.

74<br />

B. Systematische und strukturelle Einordnung der <strong>Vetorechte</strong><br />

gewaltenteilender Manier mit Rechten ausgestattet war, dem legislativen Prärogativ<br />

des Parlaments entgegentreten zu können. Nicht in unbedingter Form, aber dennoch<br />

mit Substanz. Dieser Ansatz wurde in der Reichsverfassung von 1871 nicht<br />

weiterverfolgt.<br />

Die Bismarcksche Reichsverfassung übernahm zwar den Gedanken an eine<br />

Einigung Deutschlands, welche es aber nach ihrer Systematik nicht durch ein<br />

starkes Nationalparlament zu verwirklichen galt, sondern durch die Unitarisierung<br />

der monarchischen Länderregierungen. Die Einigung Deutschlands sollte aus<br />

Bismarcks Sicht durch ein Bündnis der Regierungen erfolgen. 290 Der zentrale Aspekt<br />

der Reichsverfassung von 1871 ist daher konsequenterweise in ihrer Bedeutung<br />

für die nationalstaatliche Einheit und weniger in deren Einfluss auf die<br />

Durchsetzung eines demokratischen Prinzips zu suchen. Bismarck, der als Promotor<br />

dieser Reichseinheit gelten kann, hatte fundierte Vorstellungen über die Art<br />

und Weise der Verfassungsausgestaltung. Diese waren geprägt durch den manifesten<br />

Gedanken, dass nicht die Volkssouveränität und ein aus ihr entspringender<br />

Parlamentarismus der legit<strong>im</strong>e deutsche Verfassungsweg sein sollten, sondern der<br />

eines ausgeprägten monarchischen Prinzips in konstitutioneller Verfassungseinkleidung.<br />

291 Bismarck betrachtete den monarchischen Föderalismus als Gegengewicht<br />

gegen den Parlamentarismus und suchte unter den Eindrücken des preußischen<br />

Verfassungskonfliktes 292 nach möglichst sicheren Schranken gegen die langfristige<br />

Durchsetzung eines parlamentarischen Regierungssystems. 293<br />

Vor diesem Hintergrund gilt es jedoch einen weiteren Parameter in die Untersuchung<br />

einzuführen: Um das exekutive Recht zum Veto, eingebettet in eine moderne<br />

Verfassung, richtig einordnen zu können, darf dieses nicht allein als ein<br />

solches gesehen werden, welches sich seiner Natur nach nur aus dem monarchischem<br />

Recht speiste. Vielmehr konnte sich das Vetobedürfnis nur aus dem Dualismus<br />

zweier grundverschiedener Systeme entwickeln, dem des Parlamentarismus<br />

und dem der Monarchie. Es war zwar das Widerspiel beider in ihrer Grundphilosophie<br />

so verschiedenen Regierungsformen, welche den Nährboden für die <strong>Vetorechte</strong><br />

bereiteten, dennoch wäre es zu kurz gegriffen, allein der Monarchiekomponente<br />

die Vetohe<strong>im</strong>at zuzuweisen. Vielmehr wird gerade bei der Vetobetrachtung<br />

für die Reichsverfassung von 1871 deutlich, dass ein Veto nur dann als notwendig<br />

erachtet wird und stark sein kann, wenn sich die Waagschale der Systemausgestaltung<br />

maßgeblich zugunsten des Parlamentarismus neigen würde.<br />

Wie schon einleitend angedeutet, war die Bismarcksche Verfassungstendenz<br />

jedoch keine sonderlich parlamentarische. Für die Verfassungsentwicklung <strong>im</strong><br />

Deutschen Reich lässt sich <strong>im</strong> Vergleich zur Paulskirchenverfassung sogar ein<br />

290 So zu interpretieren aus: Bismarck, in: Gedanken und Erinnerungen Bd. I, S. 53 ff.<br />

291 Der Staatsrechtler Richard Thoma bezeichnete das Kaiserreich sogar als: „…singulär gestaltete, föderalistisch<br />

beschränkte Erbmonarchie…“ Vgl. Thoma, Das Staatsrecht des Reiches. – in: Anschütz/Thoma (Hrsg.): Handbuch<br />

des <strong>deutschen</strong> Staatsrechts, Bd. I, S. 75.<br />

292 Zum preußischen Verfassungskonflikt: H. Boldt, in: Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 2, S. 110 ff.<br />

293 Hübner, Parlament und Regierung in der Bundesrepublik Deutschland, S. 47.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!