Exekutive Vetorechte im deutschen Verfassungssystem - Oapen

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70 B. Systematische und strukturelle Einordnung der Vetorechte gängerverfassung, nämlich der des Norddeutschen Bundes, darstellte. 275 Wie in vielerlei anderen Bereichen, stellte die Bismarcksche Reichsverfassung auch hier eine fortgeführte Version ihres Vorläufers dar. Wobei im Bereich der Ausfertigung und Verkündung nur das „Präsidium“ durch den „Kaiser“ ersetzt wurde. Schon für die Verfassung des Norddeutschen Bundes wurde die Frage erörtert, ob das Tätigwerden des „Bundespräsidiums“ 276 bei der Ausfertigung und Verkündung der Reichsgesetze ein Vetorecht darstellte. 277 Der Meinungsstand für den Norddeutschen Bund divergierte zwischen zwei Extrempositionen 278 , welche, aufgrund der strukturellen Übernahme jener hier relevanten Bestimmung auch ihren Eingang in die staatsrechtliche Debatte um Artikel 17 der Reichsverfassung von 1871 fanden. Daher sollen diese Ansichten im Zusammenhang mit Art. 17 RV 1871 besprochen werden. Die im Wesentlichen stetig mit den gleichen Argumenten geführte Diskussion kann dahingehend zusammengefasst werden, dass die Existenz eines kaiserlichen Vetos von den einen genauso apodiktisch verneint wurde, wie es auf der anderen Seite in unterschiedlicher Ausformung seine Anhänger fand. Zum einen wurde von den strikten Gegnern angeführt, dass das Recht des Kaisers, die Reichsgesetze auszufertigen, ein Ehrenrecht sei, aus welchem dem Kaiser nur formelle und keine materiellen Befugnisse erwachsen sollten. 279 Dem Kaiser sollte also kein Dispositionsrecht zustehen, sondern vielmehr eine Rechtspflicht zur Verkündung, was bei Nichterfüllung einem Vertragsbruch gleichkäme. Von dieser Position ausgehend, war ein Vetorecht undenkbar. Auf der anderen Seite wurde jedoch vertreten, dass es auch dem Kaiser nicht zugemutet werden könne, verfassungswidriges als rechtlich bestehend anzuerkennen und gar an dessen Ausführung mitzuwirken. Dem Kaiser wurde nach dieser Auffassung eine Ausfertigungs- und Verkündungspflicht auferlegt und somit ein Einspruch gegen verfassungswidrige Gesetze gestattet. Die letztere Ansicht stellt sich eigentlich als die schon vermittelnde heraus, da die fundamentalere Sichtweise, dem Kaiser ein unbedingtes Veto zuzugestehen, nur von wenigen und dann ohne verfassungsrechtliche Grundierung vertreten wurde. Die Auffassung aus Art. 17 RV 1871, lediglich eine kaiserliche Befugnis zur Prüfung des verfassungsgemäßen Zustandekommens der Reichsgesetze zu lesen, kann daher wohl als die herrschende Meinung bezeichnet werden. 280 Die Paraphierung 275 Wie schon im Rahmen der Betrachtungen zu den einzelnen konstitutionellen Länderverfassungen deutlich wurde, verfügten auch die deutschen Territorialherrscher, neben dem Genehmigungsrecht gegenüber den Gesetzen, oftmals noch über ein zusätzliches Ausfertigungsrecht, welches aber noch frei war von jeglicher Begründung mit verfassungsrechtlichen Friktionen. Es ist anzunehmen, dass diese Konstruktion schon die Verfassung des Norddeutschen Bundes beeinflusst hat. 276 Art. 17 Verfassung des Norddeutschen Bundes (v. 16. April 1867): „Das Präsidium des Bundes steht der Krone Preußen zu…“ 277 Vgl. Darstellungen bei: Hiersemenzel, Die Verfassung des Norddeutschen Bundes, S. 70. 278 Die divergierenden Auffassungen in zusammenhängender Form darstellend: Kolbow, Das Veto des deutschen Kaisers, in: AöR 5 (1890), S. 76-79. 279 Vgl. W. M. Pohl, Die Prüfungskompetenz des Bundespräsidenten bei der Ausfertigung von Gesetzen, S. 115. 280 Im Grundsatz der Auffassung folgend, dass dem Kaiser nicht zugemutet werden konnte an der Ausführung von etwas Verfassungswidrigem mitzuwirken, bezeichnet v. Mohl, in: Das deutsche Reichsstaatsrecht, S. 292,

I. Ursprünge und Entwicklungslinien 71 des Gesetzes wurde nicht nur als die authentische Beurkundung seines Wortlauts angesehen, sondern mit ihr ging zugleich eine formelle Konstatierung dahingehend einher, dass die verfassungsmäßigen Vorbedingungen des Gesetzes erfüllt seien. 281 Die Formulierung des Art. 17 RV 1871 verpflichtete also den Kaiser (genauso wie die Vorgängernorm das Bundespräsidium) die vom Reichstag und Bundesrat beschlossenen Gesetze auszufertigen und zu verkünden. Er sollte dabei sowohl das Recht als auch die Pflicht haben, zu untersuchen, ob das Gesetz in verfassungsgemäßer Weise zustande gekommen war. Diese Entschließung des Kaisers war nicht nachprüfbar. Jene, von keiner Instanz kontrollierbare Entscheidung, sollte in absoluter Form gelten und ihm mithin ein aus rechtlichen Gründen erwachsenes und daher faktisches Vetorecht einräumen, da ihn theoretisch niemand zur Ausfertigung zwingen konnte. Ein generelles, nicht verfassungsrechtlich begründetes Veto sollte dem Kaiser aus Art. 17 RV 1871, anders als in § 101 des Paulskirchenentwurfes vorgesehen, somit nicht erwachsen. Die damals herrschende vermittelnde Anschauung basierte auf folgendem Gedankenkonstrukt: Im Grundsatz bezog sich die Argumentation weniger auf das vermeintliche Vetorecht, sondern vielmehr auf die kaiserliche Ausfertigungs- und Verkündungspflicht nach Art. 5 Abs. 1 RV 1871 282 . Im Gegensatz zu Art. 62 der Preußischen Verfassung 283 manifestierte erstgenannte Norm nach allgemeiner Lesart, dass der Monarch auf Reichsebene, anders als der König von Preußen als Landesherr, kein Faktor der Gesetzgebung sein sollte, sondern diese allein den Parlamentskammern oblag. Anders als im Paulskirchenverfassungsentwurf war keine dem dortigen § 101 284 vergleichbare Regelung zu finden, was zu der allgemeinen Erkenntnis führte, dass ein Veto des Kaisers nicht angedacht war. 285 Neben diesen grundsätzlichen Rahmenbedingungen wurde zur weitergehenden Begründung dieser Vetoablehnung als quasi sprichwörtliches Königsargument zudem noch Art. 5 Abs. 2 RV 1871 286 herangezogen, welcher dem König von diese Ansicht jedoch als die Mindermeinung in der Staatslehre für das Reichsstaatsrecht (inkl. Nachweise der vermeintlich herrschenden Gegenansicht) – Den entsprechenden Meinungsstand zusammenfassend, A.a.O. S. 293 ff. 281 Vgl. Jellinek, Gesetz und Verordnung, S. 321; Laband, Das Staatsrecht des deutschen Reiches Bd. II, S. 17. 282 Art. 5 Abs. 1 Verfassung des Deutschen Reiches von 1871: „Die Reichsgesetzgebung wird ausgeübt durch den Bundesrath und den Reichstag. Die Übereinstimmung der Mehrheitsbeschlüsse beider Versammlungen ist zu einem Reichsgesetze erforderlich und ausreichend.“. 283 Art. 62 Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat (v. 31. Januar 1850): „Die gesetzgebende Gewalt wird gemeinschaftlich durch den König und durch zwei Kammern ausgeübt. Die Übereinstimmung des Königs und beider Kammern ist zu jedem Gesetz erforderlich…“. 284 § 101 Verfassungsentwurf der Nationalversammlung für das Deutsche Reich v. 28.03.1849: „Ein Reichstagsbeschluß, welcher die Zustimmung der Reichsregierung nicht erlangt hat, darf in derselben Sitzungsperiode nicht wiederholt werden. Ist von dem Reichstage in drei sich unmittelbar folgenden ordentlichen Sitzungsperioden derselbe Beschluß unverändert gefasst worden, so wird derselbe, auch wenn die Zustimmung der Reichsregierung nicht erfolgt, mit dem Schlusse des dritten Reichtages zum Gesetz. …“. 285 Vgl. v. Mohl, Das deutsche Reichsstaatsrecht, S. 290. 286 Art. 5 Abs. 2 Verfassung des Deutschen Reiches von 1871: „Bei Gesetzesvorschlägen über das Militärwesen, die Kriegsmarine und die im Art. 35 bezeichneten Abgaben giebt, wenn im Bundesrath eine Meinungsverschie-

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B. Systematische und strukturelle Einordnung der <strong>Vetorechte</strong><br />

gängerverfassung, nämlich der des Nord<strong>deutschen</strong> Bundes, darstellte. 275 Wie in<br />

vielerlei anderen Bereichen, stellte die Bismarcksche Reichsverfassung auch hier<br />

eine fortgeführte Version ihres Vorläufers dar. Wobei <strong>im</strong> Bereich der Ausfertigung<br />

und Verkündung nur das „Präsidium“ durch den „Kaiser“ ersetzt wurde.<br />

Schon für die Verfassung des Nord<strong>deutschen</strong> Bundes wurde die Frage erörtert, ob<br />

das Tätigwerden des „Bundespräsidiums“ 276 bei der Ausfertigung und Verkündung<br />

der Reichsgesetze ein Vetorecht darstellte. 277 Der Meinungsstand für den<br />

Nord<strong>deutschen</strong> Bund divergierte zwischen zwei Extrempositionen 278 , welche,<br />

aufgrund der strukturellen Übernahme jener hier relevanten Best<strong>im</strong>mung auch<br />

ihren Eingang in die staatsrechtliche Debatte um Artikel 17 der Reichsverfassung<br />

von 1871 fanden. Daher sollen diese Ansichten <strong>im</strong> Zusammenhang mit Art. 17<br />

RV 1871 besprochen werden.<br />

Die <strong>im</strong> Wesentlichen stetig mit den gleichen Argumenten geführte Diskussion<br />

kann dahingehend zusammengefasst werden, dass die Existenz eines kaiserlichen<br />

Vetos von den einen genauso apodiktisch verneint wurde, wie es auf der anderen<br />

Seite in unterschiedlicher Ausformung seine Anhänger fand. Zum einen wurde<br />

von den strikten Gegnern angeführt, dass das Recht des Kaisers, die Reichsgesetze<br />

auszufertigen, ein Ehrenrecht sei, aus welchem dem Kaiser nur formelle und keine<br />

materiellen Befugnisse erwachsen sollten. 279 Dem Kaiser sollte also kein Dispositionsrecht<br />

zustehen, sondern vielmehr eine Rechtspflicht zur Verkündung, was bei<br />

Nichterfüllung einem Vertragsbruch gleichkäme. Von dieser Position ausgehend,<br />

war ein Vetorecht undenkbar. Auf der anderen Seite wurde jedoch vertreten, dass<br />

es auch dem Kaiser nicht zugemutet werden könne, verfassungswidriges als rechtlich<br />

bestehend anzuerkennen und gar an dessen Ausführung mitzuwirken. Dem<br />

Kaiser wurde nach dieser Auffassung eine Ausfertigungs- und Verkündungspflicht<br />

auferlegt und somit ein Einspruch gegen verfassungswidrige Gesetze gestattet. Die<br />

letztere Ansicht stellt sich eigentlich als die schon vermittelnde heraus, da die fundamentalere<br />

Sichtweise, dem Kaiser ein unbedingtes Veto zuzugestehen, nur von<br />

wenigen und dann ohne verfassungsrechtliche Grundierung vertreten wurde. Die<br />

Auffassung aus Art. 17 RV 1871, lediglich eine kaiserliche Befugnis zur Prüfung<br />

des verfassungsgemäßen Zustandekommens der Reichsgesetze zu lesen, kann<br />

daher wohl als die herrschende Meinung bezeichnet werden. 280 Die Paraphierung<br />

275 Wie schon <strong>im</strong> Rahmen der Betrachtungen zu den einzelnen konstitutionellen Länderverfassungen deutlich<br />

wurde, verfügten auch die <strong>deutschen</strong> Territorialherrscher, neben dem Genehmigungsrecht gegenüber den Gesetzen,<br />

oftmals noch über ein zusätzliches Ausfertigungsrecht, welches aber noch frei war von jeglicher Begründung<br />

mit verfassungsrechtlichen Friktionen. Es ist anzunehmen, dass diese Konstruktion schon die Verfassung des<br />

Nord<strong>deutschen</strong> Bundes beeinflusst hat.<br />

276 Art. 17 Verfassung des Nord<strong>deutschen</strong> Bundes (v. 16. April 1867): „Das Präsidium des Bundes steht der<br />

Krone Preußen zu…“<br />

277 Vgl. Darstellungen bei: Hiersemenzel, Die Verfassung des Nord<strong>deutschen</strong> Bundes, S. 70.<br />

278 Die divergierenden Auffassungen in zusammenhängender Form darstellend: Kolbow, Das Veto des <strong>deutschen</strong><br />

Kaisers, in: AöR 5 (1890), S. 76-79.<br />

279 Vgl. W. M. Pohl, Die Prüfungskompetenz des Bundespräsidenten bei der Ausfertigung von Gesetzen, S. 115.<br />

280 Im Grundsatz der Auffassung folgend, dass dem Kaiser nicht zugemutet werden konnte an der Ausführung<br />

von etwas Verfassungswidrigem mitzuwirken, bezeichnet v. Mohl, in: Das deutsche Reichsstaatsrecht, S. 292,

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