Exekutive Vetorechte im deutschen Verfassungssystem - Oapen

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68 B. Systematische und strukturelle Einordnung der Vetorechte kehrschluss dieser Entwicklung dem Kaiser de facto die Position des höchsten Reichorgans 266 zugestanden werden muss, so gilt es dennoch, wenn man dem Kaiser nicht willkürlich Rechte zu erkennen will, welche die Verfassung so nicht hergab, zu würdigen, dass das Kaiserreich zwar einen Staatsaufbau mit monarchischer Spitze aufwies, diese aber dennoch keine monarchische Herrschaftsgewalt im klassischen Sinne hatte. Eine Gewalt wie diejenige, mit der das damalige Landesstaatsrecht seine Fürsten noch ausstatte, wurde der kaiserlichen Reichsspitze nicht zuteil. Die Gesamtheit der Reichsgewalt war eben nicht im Reichsmonarchen vereint, sondern in der Gesamtheit der Einzelstaaten. Den Betrachtungen über ein potentielles Vetorecht gilt es also zugrunde zu legen, dass der Kaiser zwar faktisch 267 ein machtvolles Reichsoberhaupt war, dennoch aber die Souveränität den verbündeten Regierungen zugewiesen war. Die kaiserliche Position war letztlich also in ein Verfassungskorsett eingeschnürt, welches ihm keine vergleichbare Stellung zu dem der konstitutionellen Landesfürsten bot. Ob die unitarischen Entwicklungen zugunsten des Kaisers ihm eine günstigere Position im Gesetzgebungsverfahren verschafften und ihn damit eine bessere Stellung als im Paulskirchenentwurf ermöglichten, wird auch und gerade anhand der Vetofrage aufzeigbar sein. bbb. Die Stellung von Art. 17 RV 1871 im Rahmen des Vetodiskurses Es gilt also zu erforschen, welche Folgen die staatsrechtliche Stellung des Kaisers auf seine Einflussmöglichkeiten im Gesetzgebungsverfahren, als dem zentralen Aspekt der Staatsgewalt, hatte. Zum Ausgangspunkt dieser Betrachtungen müssen die grundsätzlichen Regelungen gemacht werden, welche die Bismarcksche Reichsverfassung (RV 1871) für die Durchführung der Gesetzgebung festschrieb. Auffallend ist dabei zunächst die grundsätzliche Regelung in Art. 5 RV 1871 268 , die festlegte, dass die Reichsgesetzgebung durch Bundesrat und Reichsrat ausgeübt wird. Die Verhältnisse des Kaisers zur Reichsgesetzgebung waren also keineswegs gleich den Rechten eines Staatsoberhauptes in der einfachen konstitutionellen Monarchie, er war eben gerade nicht einheitlicher Inhaber des Regierungsanteils 266 Es soll an dieser Stelle mangels Relevanz nicht auf die Fragestellung eingegangen werden, dass der Kaiser nicht selber regierte, sondern über das verantwortliche Reichsministerium und letztlich durch den Reichskanzler. Dieses mittelbare Regiment ändert jedoch nichts an der Betrachtungsweise der hier zu eruierenden Themenstellung. – Das Problem rechtlich beschreibend: A.a.O., S. 814-817. 267 So auch Peters, in: Geschichtliche Entwicklung und Grundfragen der Verfassung, S. 72 – „…Daß in Wahrheit die Stellung des Kaisers im Bismarckschen Reich freilich sehr bedeutsam war und während der Zeitdauer der Geltung dieser Verfassung ständig an Bedeutung zunahm, lag an der hervorragenden Stellung des Königs von Preußen sowie an der politischen Entwicklung, die zur Stärkung des Reichs sowohl nach außen als auch im Verhältnis zu den Ländern wie zu den Bürgern führte. Als König von Preußen hatte der Kaiser in der Tat einen starken Einfluß sowohl auf die Geschäftsführung im Bundesrat als auch durch die Ernennung des Reichskanzlers und durch mancherlei andere rechtliche Bevorzugungen, die Preußen genoß…“. 268 Art. 5 Abs. 1 Verfassung des Deutschen Reiches von 1871: „Die Reichsgesetzgebung wird ausgeübt durch den Bundesrath und den Reichstag. Die Übereinstimmung der Mehrheitsbeschlüsse beider Versammlungen ist zu einem Reichsgesetze erforderlich und ausreichend. …“.

I. Ursprünge und Entwicklungslinien 69 an der Gesetzgebung, sondern seine diesbezüglichen Rechte wurden von der Verfassung dem Bundesrat zugeordnet. 269 Es mag sein, dass jene Ausgestaltung den ursprünglichen Ansatz manifestierte, dass der Kaiser nur geschäftsführendes Präsidialorgan sein sollte und der monarchische Einfluss im diesem konstitutionellen Staatsgefüge über die Ländermonarchen im Bundesrat gesichert würde. Die faktischen Realitäten eines Kaisertums mit echter monarchischer Funktion mussten jedoch diejenigen auf den Plan rufen, die die Frage nach einem Einspruchsrecht gegen das legislative Gebaren stellten. Die Bismarcksche Reichsverfassung von 1871 sah, anders als der Paulskirchenentwurf keine Beteiligung des Staatsoberhauptes am Gesetzgebungsverfahren vor, weder grundsätzlicher Natur in Form einer exekutiven Gesetzesinitiative oder monarchischer Zustimmungsvorbehalte, noch in Form eines nachträglichen Dazwischentretens wie es § 101 des Frankfurter Entwurfes statuierte. Als einziger Ansatzpunkt für das Auffinden von Spuren eines Vetorechts für das Reichsoberhaupt blieb, bei reiner Wortlautbetrachtung des Textes der Reichsverfassung, somit nur der Art. 17 RV 1871 270 , welcher der exekutiven Kaiserinstanz einen Vetoansatz hätte bieten können. Es verwundert mithin nicht, dass es dieser Art. 17 war, der die rechtswissenschaftlichen Gemüter der damaligen Zeit bezüglich der Vetofrage bewegte. 271 Da Art. 17 RV 1871 auch in der heutigen staatsrechtlichen Literatur 272 als der Ursprungspunkt einer möglichen Vetoanwendung des Staatsoberhauptes gilt, soll im Folgenden eine kurze Zusammenfassung den Meinungsstand 273 in der Staatsrechtswissenschaft der Kaiserzeit widerspiegeln. Auf diese Bestandsaufnahme, die im Wesentlichen als Wortlautexegese zu werten ist, wird im Rahmen der Betrachtung vermeintlicher Vetostrukturen innerhalb der Rechte des Reichspräsidenten der Weimarer Republik, aber auch der des deutschen Bundespräsidenten grundgesetzlicher Prägung rückblickend aufgebaut werden können. Ausgangspunkt dieser Beschreibungen muss der Hinweis sein, dass Art. 17 RV 1871 eine direkt übernommene Version des entsprechenden Artikels 274 der Vor- 269 v. Mohl, Das deutsche Reichsstaatsrecht, S. 290. 270 Art. 17 Verfassung des Deutschen Reiches von 1871: „Dem Kaiser steht die Ausfertigung und Verkündigung der Reichsgesetze und die Überwachung der Ausführung derselben zu. …“. 271 Belege dieser intensiven staatsrechtlichen Debatte der damaligen Zeit finden sich im Beitrag von: Kolbow, Das Veto des deutschen Kaisers, in: AöR 5 (1890), S. 73-112. Aber auch in nachträglichen Betrachtungen bei: Lürman, Zur Streitfrage über das Veto des deutschen Kaisers bei der Reichsgesetzgebung, Diss. Jur. Greifswald 1912; Schade, Das Vetorecht in der Gesetzgebung, Diss. Jur. Halle 1929. 272 Beispielhaft seien hier genannt: Lücke, in: Sachs Grundgesetz Kommentar, Art. 82, S. 1687; Bryde, in: v. Münch Grundgesetz Kommentar, Art. 82, S. 279; Maurer, in: Bonner Kommentar, Art. 82, Rn 12. 273 Dabei maßgeblich zurückgreifend auf: Lürman, Zur Streitfrage über das Veto des deutschen Kaisers bei der Reichsgesetzgebung, Diss. Jur. Greifswald 1912, S. 7-18; Kolbow, Das Veto des deutschen Kaisers, in: AöR 5 (1890), S. 73-87 [bei letzterem lässt sich ein umfassender differenzierender Überblick über den gesamten Meinungsstand des Staatsrechts der Kaiserzeit finden]. 274 Art. 17 Verfassung des Norddeutschen Bundes (v. 16. April 1867): „Dem Präsidium steht die Ausfertigung und Verkündigung der Bundesgesetze und die Überwachung der Ausführung derselben zu. …“.

I. Ursprünge und Entwicklungslinien 69<br />

an der Gesetzgebung, sondern seine diesbezüglichen Rechte wurden von der Verfassung<br />

dem Bundesrat zugeordnet. 269<br />

Es mag sein, dass jene Ausgestaltung den ursprünglichen Ansatz manifestierte,<br />

dass der Kaiser nur geschäftsführendes Präsidialorgan sein sollte und der monarchische<br />

Einfluss <strong>im</strong> diesem konstitutionellen Staatsgefüge über die Ländermonarchen<br />

<strong>im</strong> Bundesrat gesichert würde. Die faktischen Realitäten eines Kaisertums<br />

mit echter monarchischer Funktion mussten jedoch diejenigen auf den Plan rufen,<br />

die die Frage nach einem Einspruchsrecht gegen das legislative Gebaren stellten.<br />

Die Bismarcksche Reichsverfassung von 1871 sah, anders als der Paulskirchenentwurf<br />

keine Beteiligung des Staatsoberhauptes am Gesetzgebungsverfahren<br />

vor, weder grundsätzlicher Natur in Form einer exekutiven Gesetzesinitiative oder<br />

monarchischer Zust<strong>im</strong>mungsvorbehalte, noch in Form eines nachträglichen<br />

Dazwischentretens wie es § 101 des Frankfurter Entwurfes statuierte. Als einziger<br />

Ansatzpunkt für das Auffinden von Spuren eines Vetorechts für das Reichsoberhaupt<br />

blieb, bei reiner Wortlautbetrachtung des Textes der Reichsverfassung,<br />

somit nur der Art. 17 RV 1871 270 , welcher der exekutiven Kaiserinstanz einen<br />

Vetoansatz hätte bieten können. Es verwundert mithin nicht, dass es dieser Art.<br />

17 war, der die rechtswissenschaftlichen Gemüter der damaligen Zeit bezüglich<br />

der Vetofrage bewegte. 271<br />

Da Art. 17 RV 1871 auch in der heutigen staatsrechtlichen Literatur 272 als der<br />

Ursprungspunkt einer möglichen Vetoanwendung des Staatsoberhauptes gilt, soll<br />

<strong>im</strong> Folgenden eine kurze Zusammenfassung den Meinungsstand 273 in der Staatsrechtswissenschaft<br />

der Kaiserzeit widerspiegeln. Auf diese Bestandsaufnahme, die<br />

<strong>im</strong> Wesentlichen als Wortlautexegese zu werten ist, wird <strong>im</strong> Rahmen der Betrachtung<br />

vermeintlicher Vetostrukturen innerhalb der Rechte des Reichspräsidenten<br />

der We<strong>im</strong>arer Republik, aber auch der des <strong>deutschen</strong> Bundespräsidenten grundgesetzlicher<br />

Prägung rückblickend aufgebaut werden können.<br />

Ausgangspunkt dieser Beschreibungen muss der Hinweis sein, dass Art. 17 RV<br />

1871 eine direkt übernommene Version des entsprechenden Artikels 274 der Vor-<br />

269 v. Mohl, Das deutsche Reichsstaatsrecht, S. 290.<br />

270 Art. 17 Verfassung des Deutschen Reiches von 1871: „Dem Kaiser steht die Ausfertigung und Verkündigung<br />

der Reichsgesetze und die Überwachung der Ausführung derselben zu. …“.<br />

271 Belege dieser intensiven staatsrechtlichen Debatte der damaligen Zeit finden sich <strong>im</strong> Beitrag von: Kolbow,<br />

Das Veto des <strong>deutschen</strong> Kaisers, in: AöR 5 (1890), S. 73-112. Aber auch in nachträglichen Betrachtungen bei:<br />

Lürman, Zur Streitfrage über das Veto des <strong>deutschen</strong> Kaisers bei der Reichsgesetzgebung, Diss. Jur. Greifswald<br />

1912; Schade, Das Vetorecht in der Gesetzgebung, Diss. Jur. Halle 1929.<br />

272 Beispielhaft seien hier genannt: Lücke, in: Sachs Grundgesetz Kommentar, Art. 82, S. 1687; Bryde, in: v.<br />

Münch Grundgesetz Kommentar, Art. 82, S. 279; Maurer, in: Bonner Kommentar, Art. 82, Rn 12.<br />

273 Dabei maßgeblich zurückgreifend auf: Lürman, Zur Streitfrage über das Veto des <strong>deutschen</strong> Kaisers bei der<br />

Reichsgesetzgebung, Diss. Jur. Greifswald 1912, S. 7-18; Kolbow, Das Veto des <strong>deutschen</strong> Kaisers, in: AöR 5<br />

(1890), S. 73-87 [bei letzterem lässt sich ein umfassender differenzierender Überblick über den gesamten Meinungsstand<br />

des Staatsrechts der Kaiserzeit finden].<br />

274 Art. 17 Verfassung des Nord<strong>deutschen</strong> Bundes (v. 16. April 1867): „Dem Präsidium steht die Ausfertigung<br />

und Verkündigung der Bundesgesetze und die Überwachung der Ausführung derselben zu. …“.

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