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Exekutive Vetorechte im deutschen Verfassungssystem - Oapen

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66<br />

B. Systematische und strukturelle Einordnung der <strong>Vetorechte</strong><br />

fassung von 1871 eine Hegemonialstellung Stellung Preußens nur in Art. 11 256<br />

mittels der Untrennbarkeit von Kaiseramt und Krone Preußens ausdrücklich<br />

anordnete, so konnte die faktische Übermacht, sich statuierend aus bevölkerungsmäßiger<br />

Stärke und dem preußischen Gesamtpotential aus Gebiets-, Wirtschafts-,<br />

und Militärmacht, letztlich nur zum Hegemonialanspruch Preußens führen.<br />

257<br />

Ausgestattet mit diesem hegemonialen Rückhalt konnte auch der König von<br />

Preußen nicht mehr nur der theoretisch in der Reichsverfassung angelegte „pr<strong>im</strong>us<br />

inter pares“ bleiben. Nach dem ursprünglichen Sinn der Verfassung besaß<br />

der Kaiser keine herausragende Stellung. Er sollte gerade nicht Monarch des Reiches<br />

sein. 258 Der Kaiser sollte weder den Herrscher des Reiches noch Reichs-<br />

Souverän darstellen. Die Verfassung wies ihm lediglich die Geschäftsführung des<br />

Reiches als Präsidialorgan zu, welches den Titel Kaiser trug. Das eigentlich höchste<br />

Reichsorgan war jedoch der Bundesrat. 259<br />

Allerdings katalysierte die föderale Sonderstellung Preußens zusätzlich eine<br />

Entwicklung, die über die angedachte Verfassungskonzeption weit hinausging. De<br />

256 Art. 11 Abs. 1 Reichsverfassungsgesetz vom 16. April 1871: „…Das Präsidium des Bundes steht dem Könige von<br />

Preußen zu, welcher den Namen Deutscher Kaiser führt. …“<br />

257 Eine umfassende Einschätzung der preußischen Hegemonie bietet, Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte<br />

Bd. 3, S. 798-802; Eine differenzierendere Bilanz stellt Anschütz in: Holtzendorff-Kohlers Enzyklopädie der<br />

Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung IV. Band, S. 101 ff auf. So stellt er noch für den Nord<strong>deutschen</strong><br />

Bund fest: „…überall handelte es sich nicht um ein Aufgehen Preußens in Deutschland, sondern umgekehrt um eine<br />

hegemoniale Ausdehnung der preußischen Staatsgewalt auf das übrige (zunächst Nord-)Deutschland. […] Man sieht auf dieser<br />

frühesten Entwicklungsstufe zeigt das nachmals kaiserliche Amt noch keinen föderalistischen, sondern einen hegemonialen, kaum<br />

einen nationalen, sondern einen mehr großpreußischen Anstrich. …“ Für die Reichsverfassung von 1871 kommt Anschütz<br />

dann für die Position Preußens zu einer weitaus gemäßigteren Version: „…Das andere Motiv der Einführung des<br />

Kaisertitels aber ist die volle und bewusste Überwindung des Gedankens der preußischen Hegemonie. […] So gelangte die Nationalisierung<br />

der Präsidialgewalt, die Transformation der Hegemonie in das Reichsamt zum formellen Abschluß. Über die staatsrechtliche<br />

Natur des Kaisertums ist daher zuerst dies zu sagen: Das deutsche Kaisertum ist nicht die preußische Hegemonie über das außerpreußische<br />

Deutschland, vielmehr die lebendige Verneinung dieser Hegemonie. …“<br />

Ob und inwieweit dies einer realistischen Darstellung der preußischen Position tatsächlich entspricht, darf bezweifelt<br />

werden. Nur weil der neue Kaiser in seiner Proklamationsrede am 18. Januar 1871 <strong>im</strong> Spiegelsaal zu<br />

Versailles den anwesenden <strong>deutschen</strong> Fürsten mit der Formulierung aufwartete: ‚…Demgemäß werden Wir und<br />

unsere Nachfolger an der Krone Preußens fortan den Kaiserlichen Titel in allen Unseren Beziehungen und<br />

Angelegenheiten des Deutschen Reiches führen…‛, darf nicht die faktische politische Lage übersehen werden,<br />

für welche eine Dominanz Preußens nicht zu leugnen war. Man muss sogar annehmen, dass ohne die Dominanz<br />

Preußens die Reichseinheit womöglich gar nicht zu stemmen gewesen wäre.<br />

Daher liegt die Bismarcksche Sicht in seinen Gedanken und Erinnerungen, 2. Band, S. 115 ff, doch näher an der<br />

damaligen Realität <strong>im</strong> Reich, wenn er schreibt: „…und ich war überzeugt, daß der festigende Druck (von Kaisertum und<br />

Kaisertitel) auf unsere Reichsinstitutionen um so nachhaltiger sein würde, je mehr der preußische Träger desselben das gefährliche …<br />

Bestreben vermeide, den anderen Dynastien die Überlegenheit der eigenen unter die Augen zu rücken, d.h. den Hegemonialgedanken<br />

zum Ausdruck zu bringen…“ Die Darstellung von Anschütz mag also als idealisierte Lehrbuchmeinung durchaus<br />

dem veröffentlichten Bild entsprochen haben, war aber dennoch nicht das Abbild der Realität. Die Stellung<br />

Preußens, als die eines Hegemons beschreibend: Frotschner, in: Handwörterbuch zur <strong>deutschen</strong> Rechtsgeschichte<br />

I. Band, S. 1024/1025; ebenso – Preuß, Um die Reichsverfassung von We<strong>im</strong>ar, S. 109/110: „…Nun ist die Souveränität<br />

<strong>im</strong> früheren Reiche (gemeint ist das Kaiserreich) nur eine scheinbare, hinter der die reale Tatsache der preußischen Herrschaft<br />

steckte, die das Ganze zusammenhielt. Für diesen bitteren Kern war das Organ der ‚verbündeten Regierungen‛, der Bundesrat,<br />

die ihrem Geschmack entsprechende scheinföderalistische Hülle. […] …das Kernstück und Lebensprinzip dieser Verfassung, die<br />

Herrschaft Preußens über Deutschland…“.<br />

258 Laband, Staatsrecht Bd. 1, S. 215.<br />

259 Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte Bd. 3, S. 812.

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