Exekutive Vetorechte im deutschen Verfassungssystem - Oapen

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54 B. Systematische und strukturelle Einordnung der Vetorechte setz in der Tendenz ähnlich war. 214 Dieses Deutsche Reich in den Parametern von 1871 basierte letztlich auf übereinstimmenden Beschlüssen der konstitutionellen Fürsten 215 sowie deren Volksvertretungen und beruhte somit staatsrechtlich auf monarchisch-dynastischer Grundlage mit entsprechend demokratischem Anstrich. Es verwundert deshalb auch nicht, dass die Verfassungsstruktur auf Reichsebene grundsätzlich erst einmal weitgehend den Vorstellungen konstitutionellen Staatsrechts entsprach. Sie bildete in ihrer Endversion den Versuch, den in den Ländern entwickelten Konstitutionalismus auf das Reich zu übertragen. 216 Ein elementarer Aspekt darf jedoch nicht übersehen werden: Faktisch handelte es sich bei diesem Unterfangen anfänglich gerade nicht um eine Entwicklung, die die deutschen Ländermonarchen initiierten, denn diese konnten mit ihrem Kleinstaatenkonstitutionalismus, gedeckt durch die Deutsche Bundesakte, sehr gut leben. Vielmehr war es ein revolutionärer Prozess von „unten“, der in seinen Endausläufern unter dem Namen „Frankfurter Paulskirchenversammlung“ firmierte. Durch diesen von den französischen Verfassungsidealen geprägten Reichsverfassungsentwurf, der erstmals vom Bürgertum und seinem Wunsch nach nationaler Einheit ausging, wurden in das konstitutionelle Verfassungsverständnis Elemente eingeführt, die wie Fremdkörper in die bisher praktizierten deutschen Versionen eindrangen. Gerade jene Veränderungen sind es jedoch, welche für das hier zu bearbeitende Forschungsfeld der exekutiven Vetorechte aufs Äußerste interessant sein werden. Vorausschickend kann festgestellt werden: Die bürgerliche Revolution, welche sich in Form der Paulskirchenversammlung eine „Revision der Bundesverfassung auf wahrhaft zeitgemäßer und nationaler Grundlage“ 217 zur Aufgabe gestellt hatte, legte den Keim zur Parlamentarisierung 218 . Von den Folgen dessen Ausschlagens sollte sich in der weiteren Entwicklung das monarchische Element nicht mehr erholen. In dem Moment wo sich das deutsche Bürgertum ein Herz nahm und dem Monarchen, die verfassunggebende Gewalt entriss, war das ‚Sterbeglöcklein‛ des Konstitutionalismus kleindeutscher Prägung geläutet. Diese Entwicklung sollte jedoch keinen homogenen Verlauf nehmen. Die Irrungen die jenen begleiteten, spiegeln sich maßgeblich auch in der Vetofrage wider. 214 Maurer, Staatsrecht I, S. 60 Rn 52/53. 215 Neben den konstitutionellen Fürstentümern existierten nur noch die drei Stadtrepubliken Hamburg, Bremen, Lübeck. 216 Maurer, Staatsrecht I, S. 64 Rn 61. 217 Zit. nach Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 2, S. 595. 218 Zusammenfassende Beschreibungen des Weges zur ersten echten nationalen Parlamentarisierung in Form der Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche, in: Hübner, Parlament und Regierung in der Bundesrepublik Deutschland, S. 37/38 – „… Dieser Weg zur Frankfurter Paulskirche begann mit einer Versammlung von 51 demokratischen und liberalen Politikern vornehmlich aus dem süddeutschen Raum am 5. März 1848 in Heidelberg. Die Versammelten erklärten die Einberufung ‚einer in allen deutschen Landen nach der Volkswahl gewählten Nationalvertretung‛ für ‛unaufschiebbar, sowohl zur Beseitigung der nächsten inneren und äußeren Gefahren, wie zur Entwickelung der Kraft und Blüthe deutschen Nationallebens…“.

I. Ursprünge und Entwicklungslinien 55 a. Wiedergeburt in der Paulskirchenverfassung aa. Die bürgerliche Revolution als Geburtshelfer Ohne die weit reichenden Debatten zu vielen Verfassungsfragen 219 der ersten Reichsverfassung zu verkennen, sollen diese den allgemeinen historischen Erwägungen anderweitiger Publikationen überlassen bleiben und sich an dieser Stelle auf die politischen Friktionen beschränkt werden, welche die Paulskirchenverfassung für die Frage der Vetoexistenz bereithält. Für genau diese Problemstellung offenbarte die Frankfurter Reichsverfassung 220 vom 27. März 1849 nämlich einige sehr interessante Erscheinungen. Neben der Wiederholung bekannter Prinzipien des Konstitutionalismus im Text des Verfassungsentwurfes, statuierte dieser eine im Vergleich zu den bisherigen Länderkonstitutionen revolutionär erscheinende umfassende Beschlusskompetenz des in Staatenhaus und Volkshaus gegliederten Reichstags. 221 Mit § 80 222 wies der Entwurf zwar allein dem Kaiser als Staatsoberhaupt 223 das Initiativrecht zur Gesetzgebung zu, sah seine Einflussnahme aber auf eine gemeinschaftliche Gesetzgebung mit dem Reichstag beschränkt. Die Verfassung entzog dem Kaiser also das Prärogativ in der Gesetzgebung. Demgegenüber wies § 101 224 der Paulskirchenverfassung dem Staatsoberhaupt jedoch eine gänzlich neue Stellung zu. Diese Regelung bot die Möglichkeit exekutiv-monarchischer Einflussnahmen auf den nunmehr beim Parlament angesiedelten Gesetzesbeschluss. In der Konsequenz führte diese Verfassungsvorgabe jedoch dazu, dass ein Reichstagsbeschluss ohne die Zustimmung des Staatsoberhauptes erst dann Gesetz werden konnte, wenn der Reichstag in drei unmittelbar aufeinanderfolgenden Sitzungsperioden denselben Beschluss unverändert fasst. 219 Insbesondere sei hier auf die historisch zweifelsohne bedeutsame Leistung des Frankfurter Vorparlaments als konstituierender Versammlung hingewiesen, einen 59 Paragraphen umfassenden Katalog mit „Grundrechten des deutschen Volkes“ (Reichsgesetz, betreffend die Grundrechte des deutschen Volkes vom 27. Dezember 1848 – Reichsgesetzblatt 1848, S. 49-60) auszuarbeiten. Mit der Feststellung dieser Grund- und Freiheitsrechte sollte eines der beiden großen Revolutionsideale (neben der Einheit Deutschlands) verwirklicht werden. 220 Verfassungsentwurf der Nationalversammlung für das Deutsche Reich v. 28.03.1849, in: Reichsgesetzblatt 1849, S. 101. 221 §§ 85 und 100 Verfassungsentwurf der Nationalversammlung für das Deutsche Reich v. 28.03.1849: „Der Reichstag besteht aus zwei Häusern, dem Staatenhaus und dem Volkshaus“, „Ein Reichstagsbeschluß kann nur durch die Zustimmung beider Häuser gültig zu Stande kommen“. 222 § 80 Verfassungsentwurf der Nationalversammlung für das Deutsche Reich v. 28.03.1849: „Der Kaiser hat das Recht des Gesetzesvorschlags. Er übt die gesetzgebende Gewalt in Gemeinschaft mit dem Reichstage unter den verfassungsgemäßen Beschränkungen aus. …“. 223 Die Rolle des Staatsoberhaupts sollte nach § 68 des Verfassungsentwurfes einem der deutschen Fürsten übertragen werden, der dann gemäß § 70 den Titel „Kaiser der Deutschen“ tragen sollte. Am 28. März 1849 wählte die Nationalversammlung den preußischen König zum Kaiser. 224 § 101 Verfassungsentwurf der Nationalversammlung für das Deutsche Reich v. 28.03.1849: „Ein Reichstagsbeschluß, welcher die Zustimmung der Reichsregierung nicht erlangt hat, darf in derselben Sitzungsperiode nicht wiederholt werden. Ist von dem Reichstage in drei sich unmittelbar folgenden ordentlichen Sitzungsperioden derselbe Beschluß unverändert gefasst worden, so wird derselbe, auch wenn die Zustimmung der Reichsregierung nicht erfolgt, mit dem Schlusse des dritten Reichtages zum Gesetz. …“.

I. Ursprünge und Entwicklungslinien 55<br />

a. Wiedergeburt in der Paulskirchenverfassung<br />

aa. Die bürgerliche Revolution als Geburtshelfer<br />

Ohne die weit reichenden Debatten zu vielen Verfassungsfragen 219 der ersten<br />

Reichsverfassung zu verkennen, sollen diese den allgemeinen historischen Erwägungen<br />

anderweitiger Publikationen überlassen bleiben und sich an dieser Stelle<br />

auf die politischen Friktionen beschränkt werden, welche die Paulskirchenverfassung<br />

für die Frage der Vetoexistenz bereithält. Für genau diese Problemstellung<br />

offenbarte die Frankfurter Reichsverfassung 220 vom 27. März 1849 nämlich einige<br />

sehr interessante Erscheinungen.<br />

Neben der Wiederholung bekannter Prinzipien des Konstitutionalismus <strong>im</strong><br />

Text des Verfassungsentwurfes, statuierte dieser eine <strong>im</strong> Vergleich zu den bisherigen<br />

Länderkonstitutionen revolutionär erscheinende umfassende Beschlusskompetenz<br />

des in Staatenhaus und Volkshaus gegliederten Reichstags. 221 Mit § 80 222<br />

wies der Entwurf zwar allein dem Kaiser als Staatsoberhaupt 223 das Initiativrecht<br />

zur Gesetzgebung zu, sah seine Einflussnahme aber auf eine gemeinschaftliche<br />

Gesetzgebung mit dem Reichstag beschränkt. Die Verfassung entzog dem Kaiser<br />

also das Prärogativ in der Gesetzgebung. Demgegenüber wies § 101 224 der Paulskirchenverfassung<br />

dem Staatsoberhaupt jedoch eine gänzlich neue Stellung zu.<br />

Diese Regelung bot die Möglichkeit exekutiv-monarchischer Einflussnahmen auf<br />

den nunmehr be<strong>im</strong> Parlament angesiedelten Gesetzesbeschluss. In der Konsequenz<br />

führte diese Verfassungsvorgabe jedoch dazu, dass ein Reichstagsbeschluss<br />

ohne die Zust<strong>im</strong>mung des Staatsoberhauptes erst dann Gesetz werden konnte,<br />

wenn der Reichstag in drei unmittelbar aufeinanderfolgenden Sitzungsperioden<br />

denselben Beschluss unverändert fasst.<br />

219 Insbesondere sei hier auf die historisch zweifelsohne bedeutsame Leistung des Frankfurter Vorparlaments als<br />

konstituierender Versammlung hingewiesen, einen 59 Paragraphen umfassenden Katalog mit „Grundrechten des<br />

<strong>deutschen</strong> Volkes“ (Reichsgesetz, betreffend die Grundrechte des <strong>deutschen</strong> Volkes vom 27. Dezember 1848 –<br />

Reichsgesetzblatt 1848, S. 49-60) auszuarbeiten. Mit der Feststellung dieser Grund- und Freiheitsrechte sollte<br />

eines der beiden großen Revolutionsideale (neben der Einheit Deutschlands) verwirklicht werden.<br />

220 Verfassungsentwurf der Nationalversammlung für das Deutsche Reich v. 28.03.1849, in: Reichsgesetzblatt<br />

1849, S. 101.<br />

221 §§ 85 und 100 Verfassungsentwurf der Nationalversammlung für das Deutsche Reich v. 28.03.1849: „Der<br />

Reichstag besteht aus zwei Häusern, dem Staatenhaus und dem Volkshaus“, „Ein Reichstagsbeschluß kann nur<br />

durch die Zust<strong>im</strong>mung beider Häuser gültig zu Stande kommen“.<br />

222 § 80 Verfassungsentwurf der Nationalversammlung für das Deutsche Reich v. 28.03.1849: „Der Kaiser hat das<br />

Recht des Gesetzesvorschlags. Er übt die gesetzgebende Gewalt in Gemeinschaft mit dem Reichstage unter den<br />

verfassungsgemäßen Beschränkungen aus. …“.<br />

223 Die Rolle des Staatsoberhaupts sollte nach § 68 des Verfassungsentwurfes einem der <strong>deutschen</strong> Fürsten<br />

übertragen werden, der dann gemäß § 70 den Titel „Kaiser der Deutschen“ tragen sollte. Am 28. März 1849 wählte<br />

die Nationalversammlung den preußischen König zum Kaiser.<br />

224 § 101 Verfassungsentwurf der Nationalversammlung für das Deutsche Reich v. 28.03.1849: „Ein Reichstagsbeschluß,<br />

welcher die Zust<strong>im</strong>mung der Reichsregierung nicht erlangt hat, darf in derselben Sitzungsperiode nicht<br />

wiederholt werden. Ist von dem Reichstage in drei sich unmittelbar folgenden ordentlichen Sitzungsperioden<br />

derselbe Beschluß unverändert gefasst worden, so wird derselbe, auch wenn die Zust<strong>im</strong>mung der Reichsregierung<br />

nicht erfolgt, mit dem Schlusse des dritten Reichtages zum Gesetz. …“.

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