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Exekutive Vetorechte im deutschen Verfassungssystem - Oapen

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B. Systematische und strukturelle Einordnung der <strong>Vetorechte</strong><br />

Revolution in Frankreich lähmte nicht nur derartige Tendenzen in den <strong>deutschen</strong><br />

Fürstentümern, sondern ließ auch den ihm innewohnenden zentralen Aspekt der<br />

Volkssouveränität erst einmal wieder von der Bühne der Verfassungsgeschichte<br />

abtreten. Der Gedanke der Volkssouveränität musste nämlich auf französischem<br />

Boden schon als vermisst angezeigt werden, noch bevor er in Deutschland überhaupt<br />

hätte Wurzeln schlagen können. Nach der Überwindung des nach 1793<br />

über das junge Revolutionsfrankreich hineinbrechende bonartistische Cäsarentum<br />

mit seiner monarchisch-militärischen Autokratie fehlte es auch in der folgenden<br />

französischen Verfassung schon wieder am Gedanken einer Volkssouveränität.<br />

Anschütz 199 fasst jene Verfassungsentwicklungen wie folgt zusammen:<br />

„…Der in die absolute Vollgewalt seiner Vorjahren restituierte König Louis XVIII. gibt<br />

Frankreich am 4. Juni 1814 eine konstitutionelle Verfassung, genannt ‚Charte constitutionelle‛.<br />

Er gibt, verleiht sie aus königlicher Machtvollkommenheit und prägt ihr unzweideutig ihren<br />

rechtlichen und politischen Charakter auf: den einer Selbstbeschränkung der absoluten Monarchie.<br />

Diese Selbstbeschränkung ist freilich eine unwiderrufliche; ihr Inhalt und Richtmaß sind die<br />

Forderungen der konstitutionellen Theorie: […] Aber dieses Richtmaß ist nur insoweit befolgt,<br />

als es verträglich erscheint mit der Beibehaltung der unverrückt monarchischen Grundstruktur<br />

des Staatsrechts. Das Prinzip der ‚Volkssouveränität‛ ist in der Charte nicht aufgenommen,<br />

vielmehr stillschweigend verworfen und der König zum Träger der Staatsgewalt erklärt. Konsequenz<br />

dieses Grundrisses ist, daß die Ausübung der Staatsgewalt präsumtiv allein der Krone<br />

zusteht… […] Dieser Typus [gemeint ist das sog. ‚monarchisch-konstitutionelle Prinzip‛ von<br />

1814] …baut den konstitutionellen Staat auf, nicht als halbe Demokratie, sondern als ganze<br />

Monarchie. …“<br />

Im Angesicht dieses verloren gegangenen französischen Drehmoments verwundert<br />

es nicht, dass sich die <strong>deutschen</strong> Fürsten offenbar nicht vom Atem der Revolution<br />

verfolgt sahen. Der fehlende französische Revolutionsesprit hatte zur Konsequenz,<br />

dass die <strong>deutschen</strong> Monarchen eher zum Verfassungsplacebo als zum<br />

vollständigen Tabula rasa gewillt waren. Den Rahmen für diesen Verfassungs-<br />

unterscheidet sich der deutsche Begriff des Rechtsstaates fundamental von dem angelsächsischen Begriff des Rule of Law. Die konstitutionelle<br />

Monarchie die sich <strong>im</strong> Laufe des 19. Jahrhunderts durchsetzt, war kein Verfassungsstaat <strong>im</strong> Sinne der Rule of Law; denn<br />

sie stand unter dem Vorbehalt des monarchischen »pouvoir constituant«. […] Zu den Ursachen für die Verspätung des demokratischen<br />

Verfassungsstaates auf der Grundlage des »pouvoir constituant« des Volkes in Deutschland gehört wesentlich das Scheitern der<br />

Französischen Revolution <strong>im</strong> Jahre 1792. […] die französische Revolution ist in der <strong>deutschen</strong> Öffentlichkeit mit großer Aufmerksamkeit,<br />

mit gespannten Erwartungen und Hoffnungen begleitet worden. Um so tiefer war die Enttäuschung nach dem Scheitern der<br />

Ideen 1789 <strong>im</strong> Jahre 1792: Die souveräne Erhebung über das Recht und der daraus folgende Terror lösten auf allen Seiten gleichermaßen<br />

Abscheu und Empörung aus. Die Idee eines auf Menschenrechten gegründeten Verfassungsstaates blieb zwar <strong>im</strong> <strong>deutschen</strong><br />

Bürgertum lebendig. Aber seine Verwirklichung wäre nur durch die revolutionäre Inanspruchnahme des demokratischen »pouvoir<br />

constituant« denkbar gewesen – und vor dieser Konsequenz schreckte man lange Zeit zurück. Man wollte eine Verfassung, aber<br />

nicht vom Volk beschlossen, sondern von den Fürsten gewährt, oder zwar vom Volk beschlossen, aber nicht gegen den Willen der<br />

Fürsten durchgesetzt. Man wollte mit anderen Worten, die Ideen der französischen Revolution ohne Revolution verwirklichen. Eine<br />

an den Monarchen gerichtete Bitte des Volkes auf Verfassungsgewährung bedeutet, den »pouvoir constituant« des Monarchen<br />

ausdrücklich anzuerkennen, und solange das Volk solche Bitten äußerte, war es nicht verwunderlich, dass die Monarchie den<br />

»pouvoir constituant« weiterhin für sich in Anspruch nahm. …“.<br />

199 Vgl. Anschütz, in: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung IV. Band, S. 41/42.

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