Exekutive Vetorechte im deutschen Verfassungssystem - Oapen

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42 B. Systematische und strukturelle Einordnung der Vetorechte Der hannoversche Monarch hatte es infolge des Staatsstreiches geschafft, die ständischen Mitwirkungsrechte bei der Gesetzgebung zu marginalisieren und sich überdies ein vollständiges Letztentscheidungsrecht für die allgemeinen Gesetze zu kreieren. (7) Verfassung des Königreichs Preußen Spät und erst im Zusammenhang mit den revolutionären Märzbestrebungen von 1848 schafften es auch die preußischen Stände, den Druck auf den bis dahin quasi absolut regierenden König derart zu erhöhen, dass seine Verhinderungstaktik in den sog. Preußischen Verfassungskonflikt 173 führte. An dessen Ende am 5. Dezember 1848 stand eine als konstitutionell zu bezeichnende Verfassung 174, die nach einigen Nachbesserungen in ihrer letztgültigen Fassung vom 31. Januar 1850 175 bis zum Ende des Königreichs Preußen, infolge der Revolution vom 9. November 1918, Bestand haben sollte. Die Erfolge ständischer Revolutionsbestrebungen in Preußen waren im Bereich liberaler und rechtsstaatlicher Fragen besonders stark ausgeprägt, was sich in einem relativ modernen Grundrechtskatalog niederschlug. Hingegen die Demokratisierungserfolge waren eher rudimentärer Natur. Dem König wurde zwar in der Verfassung von 1850 nur noch explizit die vollziehende Gewalt zugeordnet 176, dennoch verhinderte er, dass, anders als in den meisten übrigen konstitutionellen Verfassungen Süd- und Mitteldeutschlands, die Standesstrukturen ausdrücklich verankert wurden. Die Stände sollten zwar im Rahmen der gesetzgebenden Gewalt in Form der Kammern beteiligt werden, allerdings konnte diese Gesetzgebung nur gemeinschaftlich mit dem König ausgeübt werden. 177 Dabei stand sowohl den Kammern als auch dem König das Recht zu, Gesetze vorzuschlagen, allerdings konnten auch beide die Gesetzesvorschläge der jeweils anderen Instanz von vornherein verwerfen. 178 Zusammenfassend kann konstatiert werden; der König von Preußen war also weder auf das Recht der Berufung, Vertagung und Auflösung der Ständekammern 179 verwiesen, noch war er lediglich auf ein reines Gesetzessanktionsrecht beschränkt. Vielmehr konnten allgemeine Gesetze im Königreich Preußen nur mit seiner Übereinstimmung erlassen werden. 173 Zum Preußischen Verfassungskonflikt:: Huber, Verfassungsgeschichte Bd. II, S. 571 ff. 174 Preußische Gesetzessammlung 1848, S. 375 ff. 175 Preußische Gesetzessammlung 1850, S. 17 ff. 176 Art. 45 Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat (v. 31. Januar 1850). 177 Art. 62 Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat (v. 31. Januar 1850): „Die gesetzgebende Gewalt wird gemeinschaftlich durch den König und durch zwei Kammern ausgeübt. Die Übereinstimmung des Königs und beider Kammern ist zu jedem Gesetz erforderlich…“. 178 Art. 64 Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat (v. 31. Januar 1850): „Dem Könige, so wie jeder Kammer, steht das Recht zu, Gesetze vorzuschlagen. Gesetzesvorschläge, welche durch eine der Kammern oder den König verworfen worden sind, können in derselben Sitzungsperiode nicht wieder vorgebracht werden.“. 179 Art. 51/52 Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat (v. 31. Januar 1850).

I. Ursprünge und Entwicklungslinien 43 bbb. Zusammenfassende Wertung für die Vetofrage Für die hier exemplarisch ausgewählten deutschen Fürstentümer und Königreiche des 19. Jahrhunderts kann bezüglich der übrigen, in der Regel politisch weniger bedeutsamen, Kleinstaaten des „Deutschen Bundes“ eine gewisse Allgemeingültigkeit in konstitutionellen Verfassungsfragen in Anspruch genommen werden. Es lässt sich aus dem oben gewonnenen Überblick die Bilanz ziehen, der Monarch in den deutschen Kleinstaaten war zwar weiterhin Staatsoberhaupt und Regierungschef, allerdings nicht länger legibus solutus, sondern nur noch Herrscher unter dem Gesetz. Die monarchische Gewalt war auch in den deutschen Fürstentümern, infolge der revolutionären Dynamiken des Vormärzes und der eigentlichen Märzrevolution 1848/49, nicht mehr unbeschränkt. Die allumfassende autarke Gesetzgebungsgewalt wurde dem königlichen Herrscher entzogen. Das, was aus dem Überblickvergleich allerdings auch sehr deutlich wird, ist der Umstand, dass die aus Frankreich zunächst in den süddeutschen Raum herüberschwappenden und sich allmählich ausbreitenden Gedanken des Konstitutionalismus in Deutschland vor allem all diejenigen Problembereiche verstärkten, die schon den französischen Konstitutionalismus immer weiter von seinem revolutionären Idealzustand entfernt hatten. In der ersten französischen Nachrevolutionsverfassung von 1791 galt noch die Formel: „Le roi règne, mais il ne gouverne pas – Der König herrscht, aber er regiert nicht“. Damit war der König der Nachrevolutionszeit dennoch nicht nur symbolischer Herrscher, sondern zumindest Inhaber der Exekutivgewalt. Schon für die dann folgende Phase, welche die deutschen Länder nach den Befreiungskriegen maßgeblich verfassungsrechtlich determinierte, galt etwas anderes. Die „Charte constitutienelle“ von 1814 wurde schon wieder durch einen autarken französischen König im Rahmen einer sich selbst beschränkenden absoluten Monarchie erlassen. Es war daher in den deutschen Ländern kein Gegensatz, sondern konsequente Fortsetzung französischen Zeitgeistes, wenn der Landesmonarch weiterhin wirklicher Herrscher und Inhaber der Staatsgewalt blieb. In allen deutschen Staaten war die Vorstufe der konstitutionellen Staatsordnung die absolute Monarchie. Und eben diese absolute Monarchie ordnete sich in Deutschlands Fürstenländern kraft ihrer unbeschränkten gesetzgeberischen Machtfülle lediglich dem konstitutionellen Zeitgeist unter. Bei aller Verschiedenheit des Verlaufs im Einzelnen, erscheint der Übergang zur konstitutionellen Ordnung in den Ländern Deutschlands, analog der französischen Charte von 1814, als freischöpferische Tat, als Selbstbeschränkung der absoluten Monarchie. 180 Gesetze bedurften zwar der Zustimmung der Stände (lediglich das Königreich Hannover fiel auch hier in der konstitutionellen Qualität ab). In Bayern und Baden, aber auch später in Preußen, konnten die Stände zwar ei- 180 Vgl. Anschütz, in: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung IV. Band, S. 43.

I. Ursprünge und Entwicklungslinien 43<br />

bbb. Zusammenfassende Wertung für die Vetofrage<br />

Für die hier exemplarisch ausgewählten <strong>deutschen</strong> Fürstentümer und Königreiche<br />

des 19. Jahrhunderts kann bezüglich der übrigen, in der Regel politisch weniger<br />

bedeutsamen, Kleinstaaten des „Deutschen Bundes“ eine gewisse Allgemeingültigkeit<br />

in konstitutionellen Verfassungsfragen in Anspruch genommen werden.<br />

Es lässt sich aus dem oben gewonnenen Überblick die Bilanz ziehen, der Monarch<br />

in den <strong>deutschen</strong> Kleinstaaten war zwar weiterhin Staatsoberhaupt und<br />

Regierungschef, allerdings nicht länger legibus solutus, sondern nur noch Herrscher<br />

unter dem Gesetz. Die monarchische Gewalt war auch in den <strong>deutschen</strong><br />

Fürstentümern, infolge der revolutionären Dynamiken des Vormärzes und der<br />

eigentlichen Märzrevolution 1848/49, nicht mehr unbeschränkt. Die allumfassende<br />

autarke Gesetzgebungsgewalt wurde dem königlichen Herrscher entzogen.<br />

Das, was aus dem Überblickvergleich allerdings auch sehr deutlich wird, ist der<br />

Umstand, dass die aus Frankreich zunächst in den süd<strong>deutschen</strong> Raum<br />

herüberschwappenden und sich allmählich ausbreitenden Gedanken des Konstitutionalismus<br />

in Deutschland vor allem all diejenigen Problembereiche verstärkten,<br />

die schon den französischen Konstitutionalismus <strong>im</strong>mer weiter von seinem revolutionären<br />

Idealzustand entfernt hatten. In der ersten französischen Nachrevolutionsverfassung<br />

von 1791 galt noch die Formel: „Le roi règne, mais il ne gouverne<br />

pas – Der König herrscht, aber er regiert nicht“. Damit war der König der Nachrevolutionszeit<br />

dennoch nicht nur symbolischer Herrscher, sondern zumindest<br />

Inhaber der Exekutivgewalt.<br />

Schon für die dann folgende Phase, welche die <strong>deutschen</strong> Länder nach den Befreiungskriegen<br />

maßgeblich verfassungsrechtlich determinierte, galt etwas anderes.<br />

Die „Charte constitutienelle“ von 1814 wurde schon wieder durch einen autarken<br />

französischen König <strong>im</strong> Rahmen einer sich selbst beschränkenden absoluten Monarchie<br />

erlassen.<br />

Es war daher in den <strong>deutschen</strong> Ländern kein Gegensatz, sondern konsequente<br />

Fortsetzung französischen Zeitgeistes, wenn der Landesmonarch weiterhin wirklicher<br />

Herrscher und Inhaber der Staatsgewalt blieb. In allen <strong>deutschen</strong> Staaten war<br />

die Vorstufe der konstitutionellen Staatsordnung die absolute Monarchie. Und<br />

eben diese absolute Monarchie ordnete sich in Deutschlands Fürstenländern kraft<br />

ihrer unbeschränkten gesetzgeberischen Machtfülle lediglich dem konstitutionellen<br />

Zeitgeist unter.<br />

Bei aller Verschiedenheit des Verlaufs <strong>im</strong> Einzelnen, erscheint der Übergang<br />

zur konstitutionellen Ordnung in den Ländern Deutschlands, analog der französischen<br />

Charte von 1814, als freischöpferische Tat, als Selbstbeschränkung der absoluten<br />

Monarchie. 180 Gesetze bedurften zwar der Zust<strong>im</strong>mung der Stände (lediglich<br />

das Königreich Hannover fiel auch hier in der konstitutionellen Qualität ab).<br />

In Bayern und Baden, aber auch später in Preußen, konnten die Stände zwar ei-<br />

180 Vgl. Anschütz, in: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung IV. Band, S. 43.

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