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Exekutive Vetorechte im deutschen Verfassungssystem - Oapen

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F. Exkurs: Europäische <strong>Vetorechte</strong> und ihre Zukunft<br />

2005 machte das Bundesverfassungsgericht endgültig deutlich, dass das deutsche<br />

Umsetzungsgesetz für den ‚Europäischen Haftbefehl‛ und dessen parlamentarische<br />

Kreation diesen Anforderungen nicht gerecht wurde. 1202<br />

Die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts zur Notwendigkeit einer<br />

„normativen Freiheit“ der nationalstaatlichen Parlamente als den „Herren der<br />

Verträge“ ließen sich schon damals problemlos vom intergouvernementalen Bereich<br />

der 3. Unionssäule auf die 1. Säule und die dortige sekundäre Gemeinschaftsrechtssetzung<br />

übertragen. Der wohl <strong>im</strong> Jahr 2005 durch die deutsche Politik<br />

nicht gehörte ‚Schuss vor den Bug‛ führte vier Jahre später am 30. Juni 2009<br />

fast zur Versenkung deutscher Integrationsambitionen.<br />

Auch wenn Schorkopf nach dem Lissabon-Urteil <strong>im</strong>mer noch von einer überragenden<br />

Stellung der Regierung <strong>im</strong> Rahmen der Gesamthandsaufgabe auswärtige<br />

Gewalt ausgeht, so ist die Tendenz des Bundesverfassungsgerichts für die nächsten<br />

Jahre doch klar und deutlich vorgezeichnet. Europäische Integration soll keine<br />

originäre Aufgabe der <strong>Exekutive</strong>n mehr sein. Wenn nunmehr durch das Bundesverfassungsgericht<br />

über das Konzept der Integrationsverantwortung der Legislative<br />

profunde Machtteilhabe <strong>im</strong> Bereich der EU-Gesetzgebung übertragen wird, so<br />

ist nicht damit zu rechnen, dass sich die Legislative diesbezüglich ein self-restraint<br />

auferlegen wird.<br />

Um eine Konsequenz kommt eine vetorechtliche Analyse daher nicht umhin:<br />

Deutsche Regierungsmitglieder verfügen schon jetzt nur noch beschränkt und<br />

zukünftig <strong>im</strong>mer weniger über <strong>Vetorechte</strong> <strong>im</strong> Rahmen europäischer Rechtssetzung.<br />

Denn eines hat diese hier vorliegende Vetoanalyse gezeigt, legislativ abgelei-<br />

1202 Das Bundesverfassungsgericht macht in seinem Urteil (BVerfGE 113, 273) unmissverständlich klar, dass das<br />

deutsche Umsetzungsgesetz zum ‚Europäischen Haftbefehl‛ den Anforderungen des Maastricht-Urteils an<br />

Demokratie und Parlamentarismus nicht gerecht wurde. Es führte daher aus: „…Infolge der Nichtigerklärung des<br />

Gesetzes über den Europäischen Haftbefehl werden die Abgeordneten des Deutschen Bundestages, an Aufträge und Weisungen nicht<br />

gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen (vgl. Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG), nunmehr in völliger normativer Freiheit Gelegenheit<br />

haben, ihrer Verfassungspflicht (vgl. BVerfGE 89, 155 ) zu genügen und den Anforderungen des Subsidiaritätsprinzips<br />

(Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG) Rechnung zu tragen. Der Gesetzgeber hat den Rahmenbeschluss – sofern er sich hierzu<br />

überhaupt noch entschließen sollte – nicht nur dergestalt umzusetzen, dass die Einschränkung des Grundrechts auf Auslieferungsfreiheit<br />

verhältnismäßig ist – an sich eine pure Selbstverständlichkeit, die einer Erwähnung nicht bedurft hätte –; er muss vielmehr auch<br />

den Grundsatz der Subsidiarität (Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG) in der hier dargelegten Weise beachten.<br />

Verletzungen des Subsidiaritätsprinzips durch einfachgesetzliche Normen hat das Bundesverfassungsgericht unter dem Gesichtspunkt<br />

des Verstoßes gegen höherrangiges Recht (Art. 20 Abs. 3 GG) bereits von Amts wegen zu prüfen. Dessen ungeachtet hat das<br />

Subsidiaritätsprinzip aber nicht nur objektiv-rechtlichen, sondern zugleich auch subjektiv-rechtlichen Gehalt. Insoweit ist der enge<br />

sachliche Zusammenhang mit Art. 38 GG zu sehen. Diese Vorschrift schließt es <strong>im</strong> Anwendungsbereich des Art. 23 GG aus, die<br />

durch Wahl bewirkte Legit<strong>im</strong>ation von Staatsgewalt und Einflussnahme auf deren Ausübung durch die Verlagerung von Aufgaben<br />

und Befugnissen des Deutschen Bundestages so zu entleeren oder faktisch zu binden und vorzuformen, dass das demokratische<br />

Prinzip verletzt wird (vgl. BVerfGE 89, 155 ).<br />

Das Recht eines jeden Deutschen aus Art. 38 GG auf effektive Teilhabe an der Ausübung staatlicher Gewalt kann demnach<br />

verletzt sein, wenn die Wahrnehmung der Kompetenzen des Deutschen Bundestages so weitgehend auf ein von den Regierungen<br />

gebildetes Organ der Europäischen Union übergeht oder von ihm faktisch vorgeprägt wird, dass die nach Art. 20 Abs. 1 und 2 GG<br />

in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG unverzichtbaren Mindestanforderungen demokratischer Legit<strong>im</strong>ation der dem Bürger<br />

gegenübertretenden Hoheitsgewalt nicht mehr erfüllt werden (vgl. BVerfGE 89, 155 ). Dem Deutschen Bundestag müssen<br />

deshalb Aufgaben und Befugnisse von substanziellem Gewicht verbleiben (vgl. BVerfGE 89, 155 ). Dies sicherzustellen ist<br />

zugleich eine der pr<strong>im</strong>ären Aufgaben des Subsidiaritätsprinzips. Sein individualschützender Charakter kann deshalb mit der<br />

Verfassungsbeschwerde geltend gemacht werden (vgl. Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG). …“.

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