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Exekutive Vetorechte im deutschen Verfassungssystem - Oapen

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F. Exkurs: Europäische <strong>Vetorechte</strong> und ihre Zukunft<br />

Verzögerungspirouetten in Kraft getreten, dennoch ist darin kein Schritt in eine<br />

andere Richtung erkennbar, als in diejenige, dass es den einzelnen Staatsvölkern<br />

bezüglich der Europäischen Union um mehr ginge, als um die Verteilung der Mittel<br />

aus den ‚Fleischtöpfen‛ Europas und mithin um die knallharten Interessen<br />

eines jeden Mitgliedsstaates. 1188 Dessen Regierungen müssen sich in nationalen<br />

Wahlen nicht dafür verantworten, wie weit sie Europa voran gebracht haben,<br />

sondern was und wie viel Europa für den eigenen Nationalstaat wert sowie welcher<br />

Einfluss zugunsten des eigenen Landes durchsetzbar war. 1189 Dieser Bewertungsfaktor<br />

stellt die faktische demokratische Anbindung an die Staatsvölker dar.<br />

Damit erfolgt die <strong>im</strong>mer wieder geforderte demokratische Rückkopplung in effektiver<br />

demokratischer Weise einzig und allein über die Regierungen der Mitgliedsstaaten.<br />

Deren Vetorecht <strong>im</strong> Ministerrat ist der sicherste Weg zur Anknüpfung an<br />

die legit<strong>im</strong>ierende Gewalt des Demos.<br />

Legte man diese zugegebenermaßen in Bezug auf die Rolle nationaler Parlamente<br />

defätistische These bei der Analyse der institutionellen Regeln des EU-<br />

Gesetzgebungsverfahrens zugrunde, so müsste man zu dem Ergebnis kommen:<br />

Über den ‚output‛, den nationale Regierungen mittels Vetoeinsatz in Europa für<br />

1188 Der Analyse, dass es <strong>im</strong> Rat, als dem dominierenden Entscheidungsgremium in der EU, maßgeblich um<br />

nationale Sonderinteressen geht, zust<strong>im</strong>mend: Fisahn/Viotto, Anforderungen an eine demokratische Europäische<br />

Union, in: ZRP 2007, 198 (200).<br />

Dennoch gab es unter den mitgliedsstaatlichen Regierungschefs <strong>im</strong>mer wieder rühmliche Ausnahmen, die in der<br />

Lage waren zur Erreichung des Europäischen Projekts nationale Interessen zurückzustellen. Erwähnenswert sind<br />

dabei auf der Seite Deutschlands, als dem größten Nettozahler der Europäische Union, Bundeskanzler a.D.<br />

Helmut Kohl, aber auch die in ‚seine europäische Schule‛ gegangene Bundeskanzlerin Merkel (Vgl. „Angela<br />

Merkel beeindruckt Europa“ in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung v. 18. Dezember 2005, S. 1). Beide<br />

Regierungschefs waren und sind (wenn auch zumeist bei den Europäischen Räten) insbesondere in Fragen<br />

finanzieller Zugeständnisse grundsätzlich bereit, deutsche Nationalinteressen zugunsten des Vorankommens der<br />

Gemeinschaft zurückzustellen. Dieses politische Pr<strong>im</strong>at werden zumindest auch die Minister Helmut Kohls in<br />

den jeweiligen Ministerräten zu verfolgen gewusst haben.<br />

Trotz dieser wohl grundsätzlich auch weiterhin geltenden Max<strong>im</strong>e deutscher Europapolitik muss auch für<br />

Deutschland zumindest ein Trend ausgemacht werden, der bezüglich des drohenden Staatsbankrotts Griechenlands<br />

<strong>im</strong> Jahr 2010 offenkundig wurde. (Zu diesem Gesamtthemenkreis: Gastbeitrag von Pernice, in: Frankfurter<br />

Allgemeine Zeitung, v. 25. März 2010) Die deutsche Bundeskanzlerin verweigerte sich mit großem Engagement<br />

dem Ansinnen der meisten anderen europäischen Mitgliedstaaten, Griechenland EU-Finanzhilfen zur Verfügung<br />

zu stellen. Diese Haltung hatte mehrere Gründe, aber auch solche des innenpolitischen Kalküls. – Vgl. SPIEGEL<br />

online, v. 23. März. 2010: „… Die Deutschen dagegen verwiesen auf die allgemeine Solidaritätsbekundung der EU vom Februar.<br />

Standhaft wehrte sich Berlin daher gegen eine neue Hilfszusage - aus mehreren Gründen: Da ist zum einen das innenpolitische<br />

Kalkül: Dass Merkel sich in der EU unbeliebt macht, n<strong>im</strong>mt sie in Kauf, weil ihre starre Haltung dahe<strong>im</strong> populär ist. Die<br />

Mehrheit der Deutschen ist der Meinung, die Griechen sollten sich selbst helfen, nachdem sie die anderen Euro-Staaten über Jahre<br />

betrogen haben. Kurz vor der wichtigen Landtagswahl in NRW will die Regierung der Republik nicht erklären, dass deutsches<br />

Steuergeld auf dem Peloponnes für Stabilität sorgen soll, während Deutschland selbst unter einem Schuldenberg ächzt. …“.<br />

1189 Die Macht der St<strong>im</strong>mgewichtung und des Zählverfahrens <strong>im</strong> Rat, als unmittelbarem Ausdruck eines nationalen<br />

Vetorechts, ausgeübt über die jeweilige Regierung, wurde wiederholt deutlich <strong>im</strong> Zusammenhang mit dem<br />

gescheiterten irischen Referendum über den „Vertrag von Lissabon“. Der polnische Präsident Kaczynski nutze<br />

die Konfusion über das irische Nein zum Änderungsvertrag und brachte seine Auffassung zum Abst<strong>im</strong>mungssystem<br />

dahingehend zu Ausdruck, dass ein Ausbau der Mehrheitsentscheidungen <strong>im</strong> Rat zum Verlust des polnischen<br />

Vetos auf EU-Ebene führen würde. Daher verweigerte er die Ausfertigung des Ratifikationsgesetzes – Vgl.<br />

Frankfurter Allgemeine Zeitung, v. 01. Juli 2008, S. 3: „…Kaczynskis Zögern trübt die Hoffnung mancher Europapolitiker,<br />

durch schnelle Ratifikation des Vertrages soviel Druck auf Irland auszuüben, dass dort das Referendum wiederholt wird. Der<br />

Präsident will diesen Weg nicht mitgehen und begründet dies damit, dass das Veto-Recht kleiner Länder in der Union nicht<br />

untergraben werden dürfe. ‚Wenn das Prinzip der Einst<strong>im</strong>migkeit einmal verletzt wird, wird es niemals gelten‛…“.

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