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Exekutive Vetorechte im deutschen Verfassungssystem - Oapen

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F. Exkurs: Europäische <strong>Vetorechte</strong> und ihre Zukunft<br />

Ratsmitglieder anderer Mitgliedsstaaten. Letztlich wären es aber gerade diese potentiellen<br />

<strong>Vetorechte</strong> der <strong>deutschen</strong> Bundesregierung <strong>im</strong> Ministerrat, welche <strong>im</strong><br />

Wesentlichen die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Rückkopplung an das<br />

deutsche Staatsvolk sicherstellt. Eine solche Sichtweise setzt allerdings eine grundsätzliche<br />

Annahme voraus: Der eigentliche Korpsgeist europäischer Integration<br />

wohnt den nationalen <strong>Exekutive</strong>n inne. Die Staats- und Regierungschef der EU-<br />

Mitgliedsstaaten bewahren den Heiligen Gral des europäischen Gemeinschafts-<br />

jetzt Unionsgedankens. Die fortschreitende Unionentwicklung wird trotz aller<br />

parlamentarischer Ratifikation letztlich gespeist aus der demokratischen Legit<strong>im</strong>ation,<br />

welche die nationalen Regierungen erfahren.<br />

Bei Zugrundelegung dieses Ansatzes ließe sich mit Fug und Recht behaupten,<br />

dass auch die gesteigerten Beteiligungsrechte der nationalen Parlamente 1181 und<br />

des Europäischen Parlaments 1182 diesen essentiellen Zusammenhang nicht vollständig<br />

ersetzen können. Bei europäischen Gesetzen herrscht sowohl be<strong>im</strong> Bundestag<br />

als auch bei den Landesparlamenten eine richtiggehende „Durchwink-<br />

Mentalität“. 1183 Das ist auch durchaus verständlich. Bei nationalen Wahlen stehen<br />

nationale Themen <strong>im</strong> Vordergrund und keine europäischen. Nationale Wahlen<br />

sind derzeit keine mittelbaren Europawahlen und werden es wohl auch künftig<br />

nicht sein. 1184 Es fehlt hierfür nicht nur an einem homogenen europäischen<br />

Staatsvolk. Vielmehr existiert in den wesentlichen Mitgliedsstaaten wie beispielsweise<br />

Großbritannien noch nicht einmal der diesbezügliche politische Wille. Wie<br />

1181 Siehe Protokollanhang zum Vertrag von Lissabon –Über die Rolle der nationalen Parlamente in der Europäischen<br />

Union – Vgl. Amtsblatt EU v. 17.12.2007, C 306/148.<br />

1182 Ruffert stellt in EuR 2009, 31 (39) heraus, dass es auch nach dem Vertrag von Lissabon bezüglich der demokratischen<br />

Legit<strong>im</strong>ation des Europäischen Parlament systembedingt keine wirklichen Fortschritte gab: „…In seiner<br />

Zusammensetzung soll das Europäische Parlament nach wie vor die Unionsbürgerinnen und Unionsbürger repräsentieren, Art. 14<br />

Abs. 2 S. 1 EUV. Sieht man von der Posse um die Stellung des Präsidenten ab, gibt es insoweit durch den Vertrag von Lissabon<br />

keine substantiellen Veränderungen <strong>im</strong> Vergleich mit der VerfEU. Zwei zentrale Probleme der Parlamentszusammensetzung<br />

werden damit perpetuiert. Erstens wird der Grundsatz der Wahlgleichheit nicht garantiert (und fehlt daher in der Aufzählung des<br />

Art. 14 Abs. 3 EUV), weil die quantitativen Relationen zwischen den Bevölkerungen der Mitgliedstaaten in der Zusammensetzung<br />

des Parlaments nicht abgebildet werden. Dies wird zwar <strong>im</strong> Grundsatz durch die degressiv proportionale Zusammensetzung<br />

versucht, jedoch durch den Korridor von sechs bis 96 Sitzen pro Mitgliedstaat nicht erreicht. Zweitens verzichtet auch der Reformvertrag<br />

von Lissabon auf die Einführung eines einheitlichen Europawahlrechts und überträgt die Verantwortung für die Zusammensetzung<br />

<strong>im</strong> Detail dem Europäischen Rat (Art. 14 Abs. 2 UAbs. 2 EUV), während das Wahlrecht nach wie vor nur durch einen<br />

von allen Mitgliedstaaten zu ratifizierenden Akt vereinheitlicht werden kann (Art. 223 Abs. 1 AEUV). Diese Ermächtigungen<br />

ermöglichen wegen der verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht den konsequenten Schritt, die Zusammensetzung des Parlaments und<br />

den Zuschnitt der Wahlkreise von der Zuordnung zu den Mitgliedstaaten zu lösen. Es verbleibt ein Legit<strong>im</strong>ationsdefizit infolge der<br />

unterschiedlichen Wahlmodi – was <strong>im</strong> jahrelangen Verfassunggebungsprozess nicht geglückt ist, wird sich wohl kaum kurzfristig in<br />

einem neuen Direktwahlakt realisieren lassen – sowie vor allem infolge der quantitativ ungleichen Repräsentation. …“<br />

Dennoch kommt er zu dem pragmatischen Schluss:<br />

„…Es ist natürlich zu bedauern, dass die Beseitigung dieses Defizits <strong>im</strong> Reformvertrag von Lissabon nicht gelingen kann, selbst<br />

wenn er ratifiziert wird. Andererseits lässt sich nur schwer vertreten, dass infolge dieses Defizits die Legit<strong>im</strong>ation für die parlamentarische<br />

Mitwirkung an der EU-Gesetzgebung entfällt. Unterschiedliche Wahlmodi mögen zu Verzerrungen bei der Mehrheitsbildung<br />

führen, sie beseitigen jedoch nicht die Legit<strong>im</strong>ation der Wahl der einzelnen Abgeordneten. Auch andere föderale Systeme kennen<br />

Wahlrechtsunterschiede. Die unterschiedliche quantitative Gewichtung der St<strong>im</strong>men je nach Mitgliedstaat lässt sich in Maßen durch<br />

Minderheitenschutzüberlegungen sowie Überlegungen zur Funktionsfähigkeit des Parlaments rechtfertigen. Eine Vergrößerung des<br />

Parlaments über 750 Abgeordnete hätte die Arbeitsfähigkeit nachhaltig infrage gestellt. …“<br />

1183 Ebenso: v. Arn<strong>im</strong>, Wohin treibt Europa, in: NJW 2007, 2531 (2533).<br />

1184 A.A. Pernice, Der Vertrag von Lissabon – Ende des Verfassungsprozesses der EU?, in: EuZW 2008, 65.

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