Exekutive Vetorechte im deutschen Verfassungssystem - Oapen

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28 B. Systematische und strukturelle Einordnung der Vetorechte schen Kaiser, sondern bauten deren Staatsverständnis noch weiter aus. 98 Es lässt sich für Europa (oder, besser gesagt für das europäische Festland, da England mit seinen frühen Revolutionen seiner Zeit immer ein wenig voraus zu sein scheint) und insbesondere für Deutschland 99 feststellen, dass es egal war, ob sich seine absoluten Monarchen nun als „Herrscher von Gottes Gnaden“ 100 , wie am Hof 98 Zum Verständnis des absolutistischen Gedankens in Europa: Bodin, Über den Staat – Buch 1: „…Da es auf Erden nichts Größeres gibt als die souveränen Fürsten, die Gott als seine Stadthalter eingesetzt hat, damit sie der übrigen Menschheit befehlen, ist es notwendig, auf ihre Stellung achtzuhaben, um in Unterwürfigkeit ihre Majestät achten und verehren und über sie in Ehrerbietung denken und sprechen zu können. Wer sich gegen den König wendet, versündigt sich an Gott, dessen Abbild auf Erden der Fürst ist. (S. 39) […] Das hervorragendste Merkmal der fürstlichen Souveränität besteht in der Machtvollkommenheit, Gesetze für alle und für jeden einzelnen zu erlassen, und zwar, wie ergänzend hinzuzufügen ist, ohne dass irgendjemand - sei er nun höhergestellt, ebenbürtig oder von niederem Rang - zustimmen müsste. Wenn nämlich der Fürst nur mit Zustimmung eines über ihm stehenden Gesetze erlassen kann, so ist er selbst Untertan; wenn es nur in Übereinstimmung mit einem ihm Ebenbürtigen geschehen kann, so teilt der Fürst seine Befugnisse mit jemandem; wenn die Gesetzgebung an die Zustimmung der Untertanen (des Senats oder des Volkes) gebunden ist, so ist der Fürst nicht souverän. …“ (S. 41/42). Überdies dazu, Schmitt, Verfassungslehre, S. 44-53: „…Das Absolute liegt darin, dass der Fürst ‚legibus solutus‛ (lat. von den Gesetzen gelöst) d.h. berechtigt und imstande ist, aus politischen Gründen, über die er allein entscheidet, die legitimen Forderungen der Stände und die bestehenden Vereinbarungen zu missachten. […] Wer höchste Macht hat, nicht als Beamter oder Kommissar, sondern dauernd und aus eigenem Recht, d.h. kraft eigener Existenz, ist souverän. […] Der Souverän kann, wenn es Zeit und Ort es erfordern, Gesetze ändern und durchbrechen. Darin äußert sich eben seine Souveränität. …“ Des Weiteren: Murhard, in: Die unbeschränkte Fürstenschaft, S. 1 ff „…Der Begriff eines unbeschränkten Fürsten in aller Schärfe genommen und in seinem größten Umfang bis zum Extrem gesteigert, fasst völlige Schrankenlosigkeit im Gebrauche der in seinen Händen befindlichen höchsten Staatsgewalt in sich. […] Seine Machtvollkommenheit ist unbegrenzt […] durch keine positive Schranke ermäßigt…“ In der Staatsform der absoluten Monarchie übt der Monarch also allein und ohne jegliche Trennung oder Teilung der Gewalten die Macht aus, er ist das oberste Staatsorgan, dem weder gesetzliche noch verfassungsrechtliche Schranken gezogen sind. Er kann die Staatsgeschäfte nach eigenem Gutdünken und persönlicher Willkür führen. 99 Die noch bis in das 19. Jahrhundert rankenden absolutistischen Staats- und Gesellschaftsstrukturen beschreibt Anschütz, in: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung IV. Band, S. 39: „Im 18. Jahrhundert und in den ersten Zeiten des 19., hatte die geburtsständische Gesellschaftsordnung des Mittelalters noch allenthalben in Deutschland aufrecht gestanden. Die Untertanen der deutschen Landesherrn gliedern sich überall in die drei historischen Geburtsstände des Adels, der Bürger, der Bauern: soziale Klassen, die sich schroff gegeneinander abschließen, zugleich Berufe, in welche der einzelne hineingeboren wird, die er nicht nach Belieben wählen noch wechseln darf. Der Absolutismus des 18. Jahrhunderts hatte an diesen Dingen im allgemeinen nichts geändert, bestand doch seine Eigenart gerade in einer kompromissarischen Vermittlung zwischen Mittelalter und Neuzeit: er hatte den modernen Staatsgedanken mit seiner Konzentration aller Herrschaftsmacht in der einen, unteilbaren, souveränen Staatsgewalt verwirklicht, dabei aber der Idee eines allgemeinen, gleichen Staatsbürgertums noch nicht Raum gegeben, die überlieferten ständischen Gliederungen und Scheidungen vielmehr bestehen lassen. So zeigte insbesondere die größte gesetzgeberische Tat des preußischen ancien régime, das Allgemeine Landrecht von 1794, die rückwärts und vorwärts schauende Physiognomie, den „Januskopf“ seiner Epoche: auf der einen Seite klarste Erfassung des modernen Staatsgedankens, auf der anderen sorgsame Bewahrung der geschichtlichen Sonderrechte eines jeden der drei Geburtsstände…“. 100 Dazu beispielhaft Mandrou, Robert, in: Propyläen Geschichte Europas Bd. 3, Theorie und Praxis des Absolutismus vor 1661 (S. 26-36), Ausbau der absoluten Monarchie 1661 – 1700 (S. 36-57); Tapie, Victor-Lucien, in: Propyläen Weltgeschichte Bd. 7, Das Zeitalter Ludwigs XIV, S. 275 ff, insb. S. 295-299. Es soll dabei nicht unerwähnt bleiben, dass es neben dem absoluten französischen Monarchen auch Versammlungen gab, welche parlamentarischen Charakter hatten. Deren Kompetenzen waren zum einen gering, zum anderen waren sie königshörig. Anderes blieb ihnen, bei der auf den Monarchen zugeschnittenen Verfassung, auch gar nicht übrig, Es erlangte zwar kein Gesetz Gültigkeit, wenn es nicht in die Protokolle der Parlamente eingetragen war. Dies war zu jener Zeit die übliche Form der Verkündung der Gesetze. Widerstrebte das Parlament mit seinem Willen allerdings dem des Königs, so besaß dieser das Recht des ‚Lit de justice‛. Dasjenige, was der König damit allerdings vollbrachte, war das „Durchpeitschen“ seines Willens, in dem er die Einregistrierung der Edikte erzwang. (Das „Durchpeitschen“ ist dabei sogar wörtlich zu nehmen, da Ludwig XIV. das Verkünden eines Gesetzes mittels des ‚Lit de justice‛ mindestens einmal 1663 in Reitstiefeln und Reitpeitsche in der Hand erzwang. [aus: Meyers Konversationslexikon Bd. 10 S. 835].) Es wird folglich erkennbar, dass die Pseudobeteiligung des Französischen Parlaments in der Monarchie, dem absoluten System nichts von seiner Durchschlagskraft nehmen konnte.

I. Ursprünge und Entwicklungslinien 29 von Versailles, gerierten oder wie in Preußen 101 als „Erster Diener des Staates“. Eines war dieser Regierungsform jeweils gemein: Sie brauchte kein Veto, da dieses nur schizophren hätte wirken können. Der nervus rerum der Einsprüche war in der absolutistischen Staatsform blockiert. Denn für einen Herrscher, der aus eigener Kraft nicht nur verbindlich Verfassungen erließ, sondern auch die einfachen Gesetze, welche sein Apparat gleichsam ausführte und deren Einhaltung er nach seinem Belieben kontrollierte, hätte sich nur selber interzedieren können. 102 Die nachfolgenden Betrachtungen werden allerdings aufzeigen, dass so narkotisierend und blockierend der Absolutismus für die Vetorechte auf den ersten Blick auch war, so undolos-fürsorglich bereitete er gleichsam die Wiege für deren Widergeburt und schickte sich damit womöglich an, sogar zum Geburtshelfer der modernen Vetos zu werden. d. Neue Ansätze im Konstitutionalismus aa. Konstitutionelle Grundstrukturen Es sollten die historischen Entwicklungen seit dem ausgehenden 16. Jahrhundert sein, welche für die auf dem römischen Interzessionsrecht beruhenden und sich in absolutistischer Zeit in einem Dornröschenschlaf befindlichen Vetorechte zu einem Erweckungserlebnis führten. Trotz der langen Zeit faktischer Unbrauchbarkeit des Vetogedankens hauchten die Aufklärung und die beginnende Emanzipation der Stände ihm neues Leben ein, welches bis zum heutigen Tag trotz vielerlei Versuchs nicht mehr zu nehmen war. 101 Dazu beispielhaft Wandruszka, Adam, in: Propyläen Weltgeschichte Bd. 7, Die europäische Staatenwelt im 18. Jahrhundert, S. 385 ff, insb. S. 448-458; Mandrou, Robert, in: Propyläen Geschichte Europas Bd. 3, Der aufgeklärte Absolutismus, S. 246 ff. 102 Basierend auf dieser Feststellung, ist es folgerichtig zu sagen, dass die Verfassungswelt des europäischen Mittelalters keiner Vetoinstanz den Boden bereitete. Dennoch soll zumindest auf die semantische Weiterverwendung des Wortes „Veto“ auch in Zeiten des Mittelalters hingewiesen sein: Seit dem 16. Jahrhundert erhielten einige katholische Nationen ein sog. Vetorecht bei der Papstwahl. Dieses konnte durch den Kardinal ausgeübt werden. Eigentlich hatte es den Namen „ius exclusivae“. Grundsätzlich durfte jede Nation jedoch nur einmal während der Papstwahl ihr Vetorecht ausüben. Das Recht konnte nur vor einem Wahlgang gegen einen Kandidaten eingesetzt werden, nicht nach einer erfolgreichen Wahl. Aus taktischen Gründen wurde es i.d.R. zu dem Zeitpunkt eingesetzt, wenn es am Wahrscheinlichsten schien, dass ein nicht genehmer Kandidat gewählt werden könnte. – Allumfassend hierzu: Klaus Cochlovius, Die Papstwahl und das Veto der katholischen Staaten, Diss. Jur. Greifswald 1910. Auch wenn anzunehmen ist, dass die Einspruchsrechte katholischer Staaten, bei der Konklave zur Papstwahl, in semantischer Hinsicht ihren Beitrag dazu leisteten, dass das Wort „Veto“ nicht verloren ging und im Verlauf der Verfassungsentwicklungen hierüber eine Rückbesinnung auf die tribunizischen Rechte womöglich erleichtert wurde, muss doch eines klar herausgestellt werden. Jenes Vetorecht, hatte überhaupt nichts mit einem Einspruchsrecht im Rahmen eines Gesetzgebungsvorgangs zu tun, sondern bezog sich allein auf eine Organbestellung. Folglich ist es nur eine Wortschöpfung, die dem Vetoaspekt der Verhinderung und Verneinung gerecht wird. Mit dem eigentlichen Aufgabenfeld der Vetorechte in Bezug auf Normsetzungsfragen hatte es nichts zu tun und liefert daher für die hier aufgeworfene Fragestellung, über die Worthistorie hinaus, keine brauchbaren Ansatzpunkte.

I. Ursprünge und Entwicklungslinien 29<br />

von Versailles, gerierten oder wie in Preußen 101 als „Erster Diener des Staates“.<br />

Eines war dieser Regierungsform jeweils gemein: Sie brauchte kein Veto, da dieses<br />

nur schizophren hätte wirken können. Der nervus rerum der Einsprüche war in<br />

der absolutistischen Staatsform blockiert. Denn für einen Herrscher, der aus eigener<br />

Kraft nicht nur verbindlich Verfassungen erließ, sondern auch die einfachen<br />

Gesetze, welche sein Apparat gleichsam ausführte und deren Einhaltung er nach<br />

seinem Belieben kontrollierte, hätte sich nur selber interzedieren können. 102<br />

Die nachfolgenden Betrachtungen werden allerdings aufzeigen, dass so narkotisierend<br />

und blockierend der Absolutismus für die <strong>Vetorechte</strong> auf den ersten<br />

Blick auch war, so undolos-fürsorglich bereitete er gleichsam die Wiege für deren<br />

Widergeburt und schickte sich damit womöglich an, sogar zum Geburtshelfer der<br />

modernen Vetos zu werden.<br />

d. Neue Ansätze <strong>im</strong> Konstitutionalismus<br />

aa. Konstitutionelle Grundstrukturen<br />

Es sollten die historischen Entwicklungen seit dem ausgehenden 16. Jahrhundert<br />

sein, welche für die auf dem römischen Interzessionsrecht beruhenden und sich in<br />

absolutistischer Zeit in einem Dornröschenschlaf befindlichen <strong>Vetorechte</strong> zu<br />

einem Erweckungserlebnis führten. Trotz der langen Zeit faktischer Unbrauchbarkeit<br />

des Vetogedankens hauchten die Aufklärung und die beginnende Emanzipation<br />

der Stände ihm neues Leben ein, welches bis zum heutigen Tag trotz vielerlei<br />

Versuchs nicht mehr zu nehmen war.<br />

101 Dazu beispielhaft Wandruszka, Adam, in: Propyläen Weltgeschichte Bd. 7, Die europäische Staatenwelt <strong>im</strong> 18.<br />

Jahrhundert, S. 385 ff, insb. S. 448-458; Mandrou, Robert, in: Propyläen Geschichte Europas Bd. 3, Der aufgeklärte<br />

Absolutismus, S. 246 ff.<br />

102 Basierend auf dieser Feststellung, ist es folgerichtig zu sagen, dass die Verfassungswelt des europäischen<br />

Mittelalters keiner Vetoinstanz den Boden bereitete. Dennoch soll zumindest auf die semantische Weiterverwendung<br />

des Wortes „Veto“ auch in Zeiten des Mittelalters hingewiesen sein: Seit dem 16. Jahrhundert erhielten<br />

einige katholische Nationen ein sog. Vetorecht bei der Papstwahl. Dieses konnte durch den Kardinal ausgeübt<br />

werden. Eigentlich hatte es den Namen „ius exclusivae“. Grundsätzlich durfte jede Nation jedoch nur einmal<br />

während der Papstwahl ihr Vetorecht ausüben. Das Recht konnte nur vor einem Wahlgang gegen einen Kandidaten<br />

eingesetzt werden, nicht nach einer erfolgreichen Wahl. Aus taktischen Gründen wurde es i.d.R. zu dem<br />

Zeitpunkt eingesetzt, wenn es am Wahrscheinlichsten schien, dass ein nicht genehmer Kandidat gewählt werden<br />

könnte. – Allumfassend hierzu: Klaus Cochlovius, Die Papstwahl und das Veto der katholischen Staaten, Diss.<br />

Jur. Greifswald 1910.<br />

Auch wenn anzunehmen ist, dass die Einspruchsrechte katholischer Staaten, bei der Konklave zur Papstwahl, in<br />

semantischer Hinsicht ihren Beitrag dazu leisteten, dass das Wort „Veto“ nicht verloren ging und <strong>im</strong> Verlauf der<br />

Verfassungsentwicklungen hierüber eine Rückbesinnung auf die tribunizischen Rechte womöglich erleichtert<br />

wurde, muss doch eines klar herausgestellt werden. Jenes Vetorecht, hatte überhaupt nichts mit einem Einspruchsrecht<br />

<strong>im</strong> Rahmen eines Gesetzgebungsvorgangs zu tun, sondern bezog sich allein auf eine Organbestellung.<br />

Folglich ist es nur eine Wortschöpfung, die dem Vetoaspekt der Verhinderung und Verneinung gerecht<br />

wird. Mit dem eigentlichen Aufgabenfeld der <strong>Vetorechte</strong> in Bezug auf Normsetzungsfragen hatte es nichts zu tun<br />

und liefert daher für die hier aufgeworfene Fragestellung, über die Worthistorie hinaus, keine brauchbaren Ansatzpunkte.

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