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Exekutive Vetorechte im deutschen Verfassungssystem - Oapen

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I. Der bisherige europäische Vetohorizont<br />

Ein solches Einspruchsrecht existierte auch in den Verfahren der sog. qualifizierten<br />

Mehrheitsentscheidung. In dieser Konstellation genügte nicht die Vetoentscheidung<br />

einer Nationalexekutive allein, sondern es mussten sich eine größere<br />

Anzahl nationaler Regierungen zu einem Vetoverbund zusammentun, der nach<br />

dem Vertragsstand von Nizza 1170 eine qualifizierte Mehrheit der Mitglieder und<br />

eine Mindestzahl von 170 Ratsst<strong>im</strong>men, die 62 % der Gesamtbevölkerung repräsentiert,<br />

umfassen musste. 1171<br />

Dieses Vetopotential, das nur den nationalen Regierungen zur Verfügung<br />

stand, hatte insbesondere der Mitgliedsstaat Polen <strong>im</strong> Jahr 2007 zur Genüge aufgezeigt.<br />

Nach dem Scheitern des Europäischen Verfassungsprojektes führte die<br />

polnische Regierung auf dem Europäischen Rat 1172 von Brüssel am 21./22. Juni<br />

2007 während der Verhandlungen um eine notdürftige Reform der Verträge vor,<br />

welche D<strong>im</strong>ension <strong>Vetorechte</strong> auf europäischer Ebene einnehmen können. 1173<br />

Dass dieses Blockadeverhalten unter Ausnutzung der Vetoposition keine Neuerfindung<br />

des Mitgliedsstaats Polen war, zeigt die sog. „Luxemburger Vereinbarung“.<br />

Schon in den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts blockierte Frankreich<br />

die Arbeit des Agrar-Rates mittels der sog. „Politik des leeren Stuhles –<br />

politique de la chaise vide“. Frankreich war mit dem eingeführten System der<br />

1169 So ausdrücklich: N. Riedel, Der Konvent zur Zukunft Europas – Die Erklärung von Laeken zur Zukunft der<br />

Europäischen Union, in: ZRP 2002, 241 (245).<br />

1170 ABl.-EU 2001 Nr C 80/1.<br />

1171 Diese seit dem 01.01.2005 greifende Abst<strong>im</strong>mungsregel <strong>im</strong> Rat basierte auf Art. 3 des Protokolls über die<br />

Erweiterung der Europäischen Union zum Vertrag von Nizza.<br />

Diese verfahrensrechtliche Regelung beinhaltete weitere Ausnahmen: Beschloss der Rat nicht auf Initiative der<br />

Kommission, war die Zust<strong>im</strong>mung von mind. 2/3 der Ratsmitglieder erforderlich. Zudem kam das Gesamtbevölkerungskriterium<br />

nur dann zum Tragen, wenn ein Mitglied des Rats die Überprüfung bei einer Beschlussfassung<br />

des Rates beantragte.<br />

1172 Es handelte sich bei der Regierungskonferenz, welche den „Vertrag von Lissabon“ (ABl. EU 2007 Nr C 306)<br />

aushandelte zwar um einen sog. „Europäischen Rat“, auf welchem die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsstaaten<br />

und der Präsident der Europäischen Kommission zusammenkommen. Dabei war das ‚Leitungsorgan‛<br />

Europäischer Rat zwar nicht mit dem Gemeinschaftsorgan Ministerrat gleichzusetzen, dennoch waren diese<br />

intergouvernementalen Beschlüsse als allgemeine politische Vorgaben für die Entwicklung der Union (Art. 4 Abs.<br />

1 EUV) wesentlich. Als quasi politischer Schaltzentrale der EG und EU konnte das dortige Blockade- und somit<br />

Vetoverhalten der Mitgliedsstaaten als allgemeine Marschroute hochgerechnet werden, wenn <strong>im</strong> Rat und hinter<br />

verschlossenen Türen über das politische Klein-Klein der Brüsseler Politik debattiert wurde und zu entscheiden<br />

war.<br />

1173 Ein Bild vom polnischen Vetoverhalten be<strong>im</strong> EU-Gipfel <strong>im</strong> Juni 2007, auf welchem die Grundzüge des<br />

„Vertrags von Lissabon“ unter Federführung der <strong>deutschen</strong> Ratspräsidentschaft angeführt von Bundeskanzlerin<br />

Angela Merkel festgelegt wurden, lässt sich anhand des diesbezüglichen Medienspiegel ablesen: Vgl. FAZ NET v.<br />

14. Juni 2007 (Merkel in Sorge um EU-Reform); Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, v. 17. Juni 2007, S. 14<br />

(Tod für die Wurzel); FAZ NET v. 17. Juni 2007 (Merkel fordert Kompromissbereitschaft); FAZ NET v. 18.<br />

Juni 2007 zit. nach dpa („Keine Durchbrüche – aber Bewegung“); Frankfurter Allgemeine Zeitung, v. 19. Juni<br />

2007, S. 3 (Deutliche Worte an Warschau); FAZ NET v. 20. Juni 2007 (Auch Luxemburg droht mit Veto);<br />

Frankfurter Allgemeine Zeitung, v. 21. Juni 2007, S. 3 (Der nette Lech und Veto-Jaroslaw); Frankfurter Allgemeine<br />

Zeitung, v. 25. Juni 2007, S. 7 (Lob vom Feind, Tadel vom Partner).<br />

Die mediale Begutachtung macht deutlich, dass Polen seine Blockade ausdrücklich als nationale Vetoposition<br />

wahrnahm und als solche durch seine Regierung auch darstellte. Dieses Vorgehen hatte zum Ziel, für Polen bei<br />

den Regierungsverhandlungen größtmöglichen Einfluss geltend zu machen, auch zum Preis des Misslingens der<br />

neuen Vertragsstufe, die der EU nach dem Scheitern des Verfassungsprojektes neue institutionelle Handlungsfähigkeit<br />

verschaffen sollte.<br />

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