Exekutive Vetorechte im deutschen Verfassungssystem - Oapen

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426 E. Verfassungsrechtliche und verfassungspolitische Einpassung Dass die meisten Landesverfassungen auf Vetorechte verzichten und auch das Grundgesetz diese nur in geringem Maße und engen Grenzen zur Verfügung stellt, findet seine Begründung somit weniger in vermeintlichen Demokratiediskrepanzen, sondern vielmehr in der politischen Wirklichkeit. Das schon an einen ‚Fetisch‛ grenzende Anliegen, Mehrheitsregierungen generieren zu müssen, da sich mit diesen das Land besser, weil einfacher regieren ließe, entzieht den Vetorechten ihre Existenznotwendigkeit. Insofern Verfassungen diese dennoch beinhalten und deren Exekutiven von ihnen Gebrauch machen, ist nicht die Demokratie tangiert, sondern das Machtego der gesetzgebenden Volksvertretung. Zweifelsohne wird durch den exekutiven Vetoeinsatz deren legislatorisches Handeln in Frage gestellt und torpediert. Ein antidemokratischer Akt ist dies deshalb noch lange nicht. Die parlamentarische Demokratie bietet der Volksvertretung vielmehr genügend demokratische Möglichkeiten die Exekutive hierfür zu sanktionieren, was sogar in die Neubestellung des Regierungschefs münden kann. Das notwendige Vertrauensband zwischen Regierung und Parlament mag beim Einsatz des Vetos zerreißen, die demokratische Legitimationskette tut dies damit noch lange nicht.

F. Exkurs: Europäische Vetorechte und ihre Zukunft Auch außerhalb deutscher Staatskonstitutionen müssten Vetorechte, um sich im definitorischen Rahmen halten zu können, zuvorderst auf den für ihr Wirken maßgeblichen Angriffspunkt ausgerichtet sein, der als Vetoeinfallstor in allen hier herausgearbeiteten Konstellationen den zentralen Dreh-und Angelpunkt darstellt – Die Gesetzgebung. Daher erweist es sich für die Vetorechte als probater carrier, dass sich das Zeitalter autonomer nationalstaatlicher Gesetzgebung auf dem europäischen Kontinent dem Ende neigt und Normsetzung zunehmend im Lichte der Supranationalität erstrahlt. 1143 Nicht mehr originär deutsche Gesetze bestimmen unseren Alltag, sondern mehr und mehr unmittelbar oder mittelbar europarechtliche Regelungen nehmen den Platz nationaler Gesetzgebung ein. 1144 Es kann eigentlich nicht erstaunen, dass auch gegenüber diesem europäischen Gesetzgebungsgebaren der Wunsch nach Verhinderung, Einwirkung oder Steuerung bestand und besteht. Ein wesentlicher Unterschied lässt sich jedoch schon darin erkennen, dass der Bedürfnisträger nicht so klar und deutlich hervortritt und somit für eine Vetobetrachtung nicht sofort offensichtlich auszumachen ist. 1143 Diese Tendenz lässt sich an konkreten Zahlen ablesen. Für das Jahr 2007 ließ sich konstatieren, dass 84 Prozent aller Gesetze von der Europäischen Ebene ausgingen oder zumindest von dieser determiniert waren. (Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung, v. 24. April 2007, S. 19). Vgl. dazu auch: Herzog/Gerken, in: Welt am Sonntag v. 14.01.2007: „…Das Bundesjustizministerium hat für die Jahre 1998 bis 2004 die Zahl der Rechtsakte der Bundesrepublik Deutschland und die Zahl der Rechtsakte der Europäischen Union einander gegenübergestellt. Ergebnis: 84 Prozent stammten aus Brüssel, nur 16 Prozent originär aus Berlin. Diesen Zahlen darf man nicht entgegenhalten, dass die „wichtigeren“ Gesetze in Berlin gemacht würden. Die Binnenmarktgesetzgebung, die Umweltrichtlinie „Fauna-Flora-Habitat“ und das Diskriminierungsrecht, um nur einige Beispiele zu nennen, sind europäische Rechtsakte, welche die deutsche Rechts- und Gesellschaftsordnung grundlegend verändert haben und sie nachhaltig prägen. …“ Dieser Weg der kompetenzrechtlichen Zuständigkeitserweiterung auf EU-Ebene wird durch den Vertrag von Lissabon zwar maßvoll aber dennoch konsequent fortgegangen. Grundlegende Darstellungen hierzu finden sich u.a. bei: F. Mayer, JuS 2010, 189 (192 ff); Hatje/Kindt, NJW 2008, 1761(1762 ff); Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 23, Rn 16; Ruffert, EuR 2009, Beiheft 1, 31 (32 ff). 1144 Über die ohnehin schon nicht als restriktiv wahrzunehmende Kompetenznutzung seitens der EU-Organe kommt hierzu mittlerweile noch ein weiteres hinzu. Mittlerweile wird die EU-Gesetzgebungsschiene durch die nationalen Regierunen in den Mitgliedsstaaten schon für ein u.a. von Roman Herzog herausgearbeitetes sachwidriges sog. „Spiel über die Bande“ genutzt, um Vorhaben, die aufgrund innerstaatlicher Friktionen oder Mehrheitsverhältnisse nicht innerhalb der Regierung selber oder gegenüber dem Parlament bzw. einer seinen Kammern durchsetzbar wären, über die EU-Normsetzungsebene anzuschieben oder zumindest nicht zu verhindern. Vgl. Szenariodarstellung durch Herzog/Gerken, in: Welt am Sonntag v. 14.01.2007: „…Ein nationales Ministerium, etwa das deutsche Bundesumweltministerium, das ein Regulierungsvorhaben auf nationaler Ebene nicht durchsetzen kann – weil zum Beispiel der deutsche Arbeitsminister Widerstand leistet oder es im Bundestag nicht mehrheitsfähig wäre –, „ermutigt“ die zuständige Generaldirektion in der Europäischen Kommission diskret, dieses Vorhaben EU-weit zu verwirklichen. In Brüssel trifft dies […] meist auf ausgeprägte Bereitwilligkeit. Das EU-Vorhaben durchläuft dann den üblichen Gesetzgebungsprozess. Am Ende entscheidet der Ministerrat darüber. In dem sitzt aber im Regelfall genau dasjenige Ministerium, das den Vorschlag überhaupt erst angestoßen hat, und die entsprechenden Fachministerien der anderen Mitgliedstaaten, im Beispiel also 27 Umweltministerien. Die erforderliche Abwägung auf nationaler Ebene, oft genug auch auf EU-Ebene, etwa mit arbeitsmarktpolitischen Belangen kommt als Folge dieses Spiels über Bande regelmäßig zu kurz, denn andere Ministerien und vor allem die Parlamente in den Mitgliedstaaten werden nicht einmal näherungsweise in den Entscheidungsprozess eingebunden, wie es für Rechtsakte auf nationaler Ebene selbstverständlich ist und wie es die Verfassungen der Mitgliedstaaten eigentlich vorschreiben. Vieles, das auf nationaler Ebene nicht durchsetzbar ist, wird so über den Umweg nach Brüssel umgesetzt – jetzt sogar europaweit. …“

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E. Verfassungsrechtliche und verfassungspolitische Einpassung<br />

Dass die meisten Landesverfassungen auf <strong>Vetorechte</strong> verzichten und auch das<br />

Grundgesetz diese nur in geringem Maße und engen Grenzen zur Verfügung<br />

stellt, findet seine Begründung somit weniger in vermeintlichen Demokratiediskrepanzen,<br />

sondern vielmehr in der politischen Wirklichkeit. Das schon an einen<br />

‚Fetisch‛ grenzende Anliegen, Mehrheitsregierungen generieren zu müssen, da sich<br />

mit diesen das Land besser, weil einfacher regieren ließe, entzieht den <strong>Vetorechte</strong>n<br />

ihre Existenznotwendigkeit. Insofern Verfassungen diese dennoch beinhalten und<br />

deren <strong>Exekutive</strong>n von ihnen Gebrauch machen, ist nicht die Demokratie tangiert,<br />

sondern das Machtego der gesetzgebenden Volksvertretung. Zweifelsohne wird<br />

durch den exekutiven Vetoeinsatz deren legislatorisches Handeln in Frage gestellt<br />

und torpediert. Ein antidemokratischer Akt ist dies deshalb noch lange nicht. Die<br />

parlamentarische Demokratie bietet der Volksvertretung vielmehr genügend demokratische<br />

Möglichkeiten die <strong>Exekutive</strong> hierfür zu sanktionieren, was sogar in<br />

die Neubestellung des Regierungschefs münden kann. Das notwendige Vertrauensband<br />

zwischen Regierung und Parlament mag be<strong>im</strong> Einsatz des Vetos zerreißen,<br />

die demokratische Legit<strong>im</strong>ationskette tut dies damit noch lange nicht.

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