Exekutive Vetorechte im deutschen Verfassungssystem - Oapen

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424 E. Verfassungsrechtliche und verfassungspolitische Einpassung Alleinstehendes Entscheidungskriterium kann daher nur die Aufrechterhaltung des Legitimationsstranges sein. Dessen Anbindung an den Volkswillen kann allerdings nur in Frage stehen, wenn die Ergebnisse parlamentarischer Arbeit, also im konkreten Fall die formellen Gesetze des Bundes und der Länder, als höherwertiger zu betrachten sind als die Ergebnisse exekutiver Tätigkeit. Dabei sollte weniger auf die demokratische Legitimation des konkreten Ergebnisses geachtet werden, denn mehr auf das fragliche Organhandeln selbst. In concreto heißt das: Ist der parlamentarische Gesetzesbeschluss als manifester Ausdruck legislativer Tätigkeit höherwertiger, als das exekutive Veto? Dies ließe sich nur bejahen, wenn das Grundgesetz dem Verfassungsorgan Bundestag eine Höherwertigkeit gegenüber den Verfassungsorganen Bundesregierung oder Bundespräsident zuweisen würde, bzw. die Länderverfassungen dies für das Verhältnis zwischen ihrer Volksvertretung und der Landesregierung täten. Eine solche Parlamentssuprematie ist jedoch abzulehnen. Die gewaltenteilende Demokratie begründet für alle Staatsfunktionen eine demokratische Grundlage und Legitimation. Dabei errichtet sie ein institutionell und verfahrensmäßig ausgeformtes Gefüge, in welchem die verschiedenen Funktionsträger ihre Aufgaben wahrnehmen. Nur weil die Volksvertretung für alles Wesentliche und politisch Wichtige verantwortlich ist, wird noch lange kein Vorrang des Parlaments geschaffen. 1139 Das Bundesverfassungsgericht bringt in seiner sog. „Stationierungsentscheidung“ diesen legitimatorischen Gleichwertigkeitsaspekt wie folgt zum Ausdruck: „…Die Organisation der grundgesetzlichen Demokratie beruht […] nicht darauf, alle Handlungen und Entscheidungen, die aus sich oder in ihren Folgen von politisch weittragender oder existenzieller Bedeutung sind, dem Parlament zuzuweisen oder es daran in Gesetzesform zu beteiligen. Auch die Exekutive, und innerhalb ihrer besonders die Regierung, ist als ‚politische‛ Gewalt ausgestaltet und nicht etwa von vornherein auf politisch weniger bedeutsame Entscheidungen beschränkt. Die Staatsgewalt in allen ihren Funktionen ist nach dem Grundgesetz, wenn auch in unterschiedlicher Weise, demokratisch konstituiert und legitimiert und auf dieser Grundlage gewaltenteilig organisiert. …“ 1140 Das Bundesverfassungsgericht bringt in diesem Urteil klar zum Ausdruck, dass die Staatsgewalt weder beim Volk noch beim Parlament angesiedelt ist, sondern ‚lediglich‛ vom Volk unmittelbar und vom Parlament mittelbar legitimiert wird. Unter Betrachtung der Aspekte demokratischer Legitimation erstaunt es daher, wenn in gar keiner Weise der Ansatz hinterfragt wird, dass die Parlamente die Regierungen kontrollieren dürfen. Dies gilt als selbstverständlich und soll wie die diesbezüglichen Anstrengungen zur Änderung der Verfassung von Nordrhein-Westfalen in der 13. und 14. Wahlperiode exemplarisch zeigen, sogar immer weiter ausge- 1139 Ebenso: E.-W. Böckenförde, Organisationsgewalt und Gesetzesvorbehalt, in: NJW 1999, 1235 (1236). 1140 BVerfGE 68, 1 (89).

II. Das Spannungsverhältnis zum Demokratieprinzip und Parl. Regierungssystem baut werden. Die Parlamentsinformations- und -kontrollrechte erfahren hierdurch eine stetige Expansion. Diese Entwicklungen werden damit gerechtfertigt 1141 , dass Kontrolle „die praktische Einlösung des (demokratischen) Legitimationszusammenhanges über die Grenzen der Staatsgewalt hinweg“ darstellt. Demokratie und parlamentarische Kontrolle seien untrennbar miteinander verknüpft. Im gewaltenteilenden System soll die parlamentarische Kontrolle keineswegs isoliert sein, vielmehr findet sie ihren Platz in einem weit verzweigten Netz von ‚checks and balances‛. Der Ausbau der oppositionellen Informations- und Kontrollrechte wird daher gerade unter dem Eindruck starker politischer Verflechtung von Regierung und parlamentarischer Mehrheit propagiert. Diese sollen sich problemlos in das grundgesetzliche Konzept der „gewaltenteilenden Demokratie“ einfügen. Fingiert man also, dass Kontrollrechte wesentliche Aspekte einer vermeintlich „gewaltenteilenden Demokratie“ darstellen, dann erscheint unter dem verfassungsgerichtlichen Ansatz einer interorganschaftlichen Gleichbehandlung als fraglich, warum nicht auch die gleichwertig demokratisch legitimierte Exekutive mit derartigen Kontrollrechten gegenüber dem Staatsorgan Parlament ausgestattet sein sollte. 1142 Allein die unmittelbare Legitimation durch das Staatsvolk kann hierfür nicht als Gegenargument taugen. Dies liefe als Zirkelschluss nämlich ins Leere, da Kontrolle ja gerade die praktische Einlösung des demokratischen Legitimationszusammenhangs darstellen soll. Wie schon bezüglich der Einpassung in das grundgesetzliche Gewaltenteilungskonzept dargelegt, kann für die Vetorechte des Bundes und der Länder festgestellt werden, dass diese sich nicht als verfassungshistorische Fremdkörper erweisen, sondern Ausdruck des bewusst gewollten und entsprechend konzipierten Netzes von checks and balances sind. Beide Staatsprinzipien, Gewaltenteilung wie Demokratie, müssen dabei systemimmanent in das jeweilig andere Konzept einwirken und somit fast zwangsweise dessen Ausformung in Reinkultur schmälern. Zum Zwecke effektiver Machtbegrenzung und Kontrolle kalkuliert die „gewaltenteilende Demokratie“ des Grundgesetzes diese Brüche ein. Daher muss es als gewünscht angesehen werden, dass auch die Exekutive, als der Legislative gleichwertiges Organ, dieser gegenüber über die Vetorechte Kontrolle ausübt. Das jener Ansatz unserer Demokratie etwas fremd ist, da der Vorbehalt des Parlaments und seiner Gesetze oberflächlich betrachtet scheinbar in eine andere Richtung weist, kann verwirren, darf aber dennoch nicht zu der Annahme führen, dass Vetorechte, welche den demokratischen Gesetzesbeschluss in Frage stellen oder gar sabotieren, die Legitimationskette zerreißen lassen würden. 1141 Vgl. gutachterliche Stellungnahme von Christoph Gusy zum Gesetzentwurf zur Änderung der Landesverfassung für das Land Nordrhein-Westfalen LT-Drs. 14/1541. = NW LT-Drs. 14/1678 v. 22.11.2007. 1142 Diesen Korrespondenzaspekt bringt auch Kyrill-A. Schwarz in seiner gutachterlichen Stellungnahme zum Verfassungsänderungsgesetz in Nordrhein-Westfalen (14. Legislaturperiode) bezüglich der fraglichen Steigerung der exekutiven Informationspflichten zur Sprache. – Vgl. NW LT-Drs. 14/1679 v. 26.11.2007 = gutachterliche Stellungnahme zum Gesetzentwurf zur Änderung der Landesverfassung für das Land Nordrhein-Westfalen LT- Drs. 14/1541. 425

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E. Verfassungsrechtliche und verfassungspolitische Einpassung<br />

Alleinstehendes Entscheidungskriterium kann daher nur die Aufrechterhaltung<br />

des Legit<strong>im</strong>ationsstranges sein. Dessen Anbindung an den Volkswillen kann allerdings<br />

nur in Frage stehen, wenn die Ergebnisse parlamentarischer Arbeit, also <strong>im</strong><br />

konkreten Fall die formellen Gesetze des Bundes und der Länder, als höherwertiger<br />

zu betrachten sind als die Ergebnisse exekutiver Tätigkeit. Dabei sollte weniger<br />

auf die demokratische Legit<strong>im</strong>ation des konkreten Ergebnisses geachtet werden,<br />

denn mehr auf das fragliche Organhandeln selbst. In concreto heißt das: Ist<br />

der parlamentarische Gesetzesbeschluss als manifester Ausdruck legislativer Tätigkeit<br />

höherwertiger, als das exekutive Veto? Dies ließe sich nur bejahen, wenn<br />

das Grundgesetz dem Verfassungsorgan Bundestag eine Höherwertigkeit gegenüber<br />

den Verfassungsorganen Bundesregierung oder Bundespräsident zuweisen<br />

würde, bzw. die Länderverfassungen dies für das Verhältnis zwischen ihrer Volksvertretung<br />

und der Landesregierung täten.<br />

Eine solche Parlamentssuprematie ist jedoch abzulehnen. Die gewaltenteilende<br />

Demokratie begründet für alle Staatsfunktionen eine demokratische Grundlage<br />

und Legit<strong>im</strong>ation. Dabei errichtet sie ein institutionell und verfahrensmäßig ausgeformtes<br />

Gefüge, in welchem die verschiedenen Funktionsträger ihre Aufgaben<br />

wahrnehmen. Nur weil die Volksvertretung für alles Wesentliche und politisch<br />

Wichtige verantwortlich ist, wird noch lange kein Vorrang des Parlaments geschaffen.<br />

1139<br />

Das Bundesverfassungsgericht bringt in seiner sog. „Stationierungsentscheidung“<br />

diesen legit<strong>im</strong>atorischen Gleichwertigkeitsaspekt wie folgt zum Ausdruck:<br />

„…Die Organisation der grundgesetzlichen Demokratie beruht […] nicht darauf, alle Handlungen<br />

und Entscheidungen, die aus sich oder in ihren Folgen von politisch weittragender oder<br />

existenzieller Bedeutung sind, dem Parlament zuzuweisen oder es daran in Gesetzesform zu<br />

beteiligen. Auch die <strong>Exekutive</strong>, und innerhalb ihrer besonders die Regierung, ist als ‚politische‛<br />

Gewalt ausgestaltet und nicht etwa von vornherein auf politisch weniger bedeutsame Entscheidungen<br />

beschränkt. Die Staatsgewalt in allen ihren Funktionen ist nach dem Grundgesetz, wenn<br />

auch in unterschiedlicher Weise, demokratisch konstituiert und legit<strong>im</strong>iert und auf dieser Grundlage<br />

gewaltenteilig organisiert. …“ 1140<br />

Das Bundesverfassungsgericht bringt in diesem Urteil klar zum Ausdruck, dass die<br />

Staatsgewalt weder be<strong>im</strong> Volk noch be<strong>im</strong> Parlament angesiedelt ist, sondern ‚lediglich‛<br />

vom Volk unmittelbar und vom Parlament mittelbar legit<strong>im</strong>iert wird. Unter<br />

Betrachtung der Aspekte demokratischer Legit<strong>im</strong>ation erstaunt es daher, wenn<br />

in gar keiner Weise der Ansatz hinterfragt wird, dass die Parlamente die Regierungen<br />

kontrollieren dürfen. Dies gilt als selbstverständlich und soll wie die diesbezüglichen<br />

Anstrengungen zur Änderung der Verfassung von Nordrhein-Westfalen<br />

in der 13. und 14. Wahlperiode exemplarisch zeigen, sogar <strong>im</strong>mer weiter ausge-<br />

1139 Ebenso: E.-W. Böckenförde, Organisationsgewalt und Gesetzesvorbehalt, in: NJW 1999, 1235 (1236).<br />

1140 BVerfGE 68, 1 (89).

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