Exekutive Vetorechte im deutschen Verfassungssystem - Oapen
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B. Systematische und strukturelle Einordnung der <strong>Vetorechte</strong><br />
schen Kaiser, sondern bauten deren Staatsverständnis noch weiter aus. 98 Es lässt<br />
sich für Europa (oder, besser gesagt für das europäische Festland, da England mit<br />
seinen frühen Revolutionen seiner Zeit <strong>im</strong>mer ein wenig voraus zu sein scheint)<br />
und insbesondere für Deutschland 99 feststellen, dass es egal war, ob sich seine<br />
absoluten Monarchen nun als „Herrscher von Gottes Gnaden“ 100 , wie am Hof<br />
98 Zum Verständnis des absolutistischen Gedankens in Europa: Bodin, Über den Staat – Buch 1: „…Da es auf<br />
Erden nichts Größeres gibt als die souveränen Fürsten, die Gott als seine Stadthalter eingesetzt hat, damit sie der übrigen Menschheit<br />
befehlen, ist es notwendig, auf ihre Stellung achtzuhaben, um in Unterwürfigkeit ihre Majestät achten und verehren und über sie in<br />
Ehrerbietung denken und sprechen zu können. Wer sich gegen den König wendet, versündigt sich an Gott, dessen Abbild auf Erden<br />
der Fürst ist. (S. 39) […] Das hervorragendste Merkmal der fürstlichen Souveränität besteht in der Machtvollkommenheit, Gesetze<br />
für alle und für jeden einzelnen zu erlassen, und zwar, wie ergänzend hinzuzufügen ist, ohne dass irgendjemand - sei er nun höhergestellt,<br />
ebenbürtig oder von niederem Rang - zust<strong>im</strong>men müsste. Wenn nämlich der Fürst nur mit Zust<strong>im</strong>mung eines über ihm<br />
stehenden Gesetze erlassen kann, so ist er selbst Untertan; wenn es nur in Übereinst<strong>im</strong>mung mit einem ihm Ebenbürtigen geschehen<br />
kann, so teilt der Fürst seine Befugnisse mit jemandem; wenn die Gesetzgebung an die Zust<strong>im</strong>mung der Untertanen (des Senats oder<br />
des Volkes) gebunden ist, so ist der Fürst nicht souverän. …“ (S. 41/42).<br />
Überdies dazu, Schmitt, Verfassungslehre, S. 44-53: „…Das Absolute liegt darin, dass der Fürst ‚legibus solutus‛ (lat. von<br />
den Gesetzen gelöst) d.h. berechtigt und <strong>im</strong>stande ist, aus politischen Gründen, über die er allein entscheidet, die legit<strong>im</strong>en Forderungen<br />
der Stände und die bestehenden Vereinbarungen zu missachten. […] Wer höchste Macht hat, nicht als Beamter oder Kommissar,<br />
sondern dauernd und aus eigenem Recht, d.h. kraft eigener Existenz, ist souverän. […] Der Souverän kann, wenn es Zeit und<br />
Ort es erfordern, Gesetze ändern und durchbrechen. Darin äußert sich eben seine Souveränität. …“<br />
Des Weiteren: Murhard, in: Die unbeschränkte Fürstenschaft, S. 1 ff „…Der Begriff eines unbeschränkten Fürsten in<br />
aller Schärfe genommen und in seinem größten Umfang bis zum Extrem gesteigert, fasst völlige Schrankenlosigkeit <strong>im</strong> Gebrauche der<br />
in seinen Händen befindlichen höchsten Staatsgewalt in sich. […] Seine Machtvollkommenheit ist unbegrenzt […] durch keine<br />
positive Schranke ermäßigt…“<br />
In der Staatsform der absoluten Monarchie übt der Monarch also allein und ohne jegliche Trennung oder Teilung<br />
der Gewalten die Macht aus, er ist das oberste Staatsorgan, dem weder gesetzliche noch verfassungsrechtliche<br />
Schranken gezogen sind. Er kann die Staatsgeschäfte nach eigenem Gutdünken und persönlicher Willkür führen.<br />
99 Die noch bis in das 19. Jahrhundert rankenden absolutistischen Staats- und Gesellschaftsstrukturen beschreibt<br />
Anschütz, in: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung IV. Band, S. 39: „Im 18. Jahrhundert<br />
und in den ersten Zeiten des 19., hatte die geburtsständische Gesellschaftsordnung des Mittelalters noch allenthalben in<br />
Deutschland aufrecht gestanden. Die Untertanen der <strong>deutschen</strong> Landesherrn gliedern sich überall in die drei historischen Geburtsstände<br />
des Adels, der Bürger, der Bauern: soziale Klassen, die sich schroff gegeneinander abschließen, zugleich Berufe, in welche der<br />
einzelne hineingeboren wird, die er nicht nach Belieben wählen noch wechseln darf. Der Absolutismus des 18. Jahrhunderts hatte an<br />
diesen Dingen <strong>im</strong> allgemeinen nichts geändert, bestand doch seine Eigenart gerade in einer kompromissarischen Vermittlung zwischen<br />
Mittelalter und Neuzeit: er hatte den modernen Staatsgedanken mit seiner Konzentration aller Herrschaftsmacht in der einen,<br />
unteilbaren, souveränen Staatsgewalt verwirklicht, dabei aber der Idee eines allgemeinen, gleichen Staatsbürgertums noch nicht Raum<br />
gegeben, die überlieferten ständischen Gliederungen und Scheidungen vielmehr bestehen lassen. So zeigte insbesondere die größte<br />
gesetzgeberische Tat des preußischen ancien rég<strong>im</strong>e, das Allgemeine Landrecht von 1794, die rückwärts und vorwärts schauende<br />
Physiognomie, den „Januskopf“ seiner Epoche: auf der einen Seite klarste Erfassung des modernen Staatsgedankens, auf der anderen<br />
sorgsame Bewahrung der geschichtlichen Sonderrechte eines jeden der drei Geburtsstände…“.<br />
100 Dazu beispielhaft Mandrou, Robert, in: Propyläen Geschichte Europas Bd. 3, Theorie und Praxis des Absolutismus<br />
vor 1661 (S. 26-36), Ausbau der absoluten Monarchie 1661 – 1700 (S. 36-57); Tapie, Victor-Lucien, in:<br />
Propyläen Weltgeschichte Bd. 7, Das Zeitalter Ludwigs XIV, S. 275 ff, insb. S. 295-299.<br />
Es soll dabei nicht unerwähnt bleiben, dass es neben dem absoluten französischen Monarchen auch Versammlungen<br />
gab, welche parlamentarischen Charakter hatten. Deren Kompetenzen waren zum einen gering, zum<br />
anderen waren sie königshörig. Anderes blieb ihnen, bei der auf den Monarchen zugeschnittenen Verfassung,<br />
auch gar nicht übrig, Es erlangte zwar kein Gesetz Gültigkeit, wenn es nicht in die Protokolle der Parlamente<br />
eingetragen war. Dies war zu jener Zeit die übliche Form der Verkündung der Gesetze. Widerstrebte das Parlament<br />
mit seinem Willen allerdings dem des Königs, so besaß dieser das Recht des ‚Lit de justice‛. Dasjenige, was<br />
der König damit allerdings vollbrachte, war das „Durchpeitschen“ seines Willens, in dem er die Einregistrierung<br />
der Edikte erzwang. (Das „Durchpeitschen“ ist dabei sogar wörtlich zu nehmen, da Ludwig XIV. das Verkünden<br />
eines Gesetzes mittels des ‚Lit de justice‛ mindestens einmal 1663 in Reitstiefeln und Reitpeitsche in der Hand<br />
erzwang. [aus: Meyers Konversationslexikon Bd. 10 S. 835].) Es wird folglich erkennbar, dass die Pseudobeteiligung<br />
des Französischen Parlaments in der Monarchie, dem absoluten System nichts von seiner Durchschlagskraft<br />
nehmen konnte.