Exekutive Vetorechte im deutschen Verfassungssystem - Oapen

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422 E. Verfassungsrechtliche und verfassungspolitische Einpassung samtvolkes bzw. des Länderstaatsvolkes. In der Folge werden alle Aktionen beginnend bei der Bestellung der Exekutivspitze bis zur regulären Gesetzgebung dem Volk zugerechnet. Dieser Legitimität erzeugende Zurechnungszusammenhang hat seine Grundlage in den Wahlen zu den jeweiligen Volksvertretungen. 1134 Über die Wahl der Regierungschefs vermitteln die Parlamente die vom Volk verliehene Legitimation in organisatorisch-personeller Hinsicht weiter auf die Exekutive. Das Handeln der Regierung erfährt daher also eine unmittelbare Anbindung an die Legitimationskette, welche durch die Wahlen beginnend beim Parlament angelegt wird. Das Wechselspiel zwischen der Exekutive und der sie in einem parlamentarischen Regierungssystem wählenden, kontrollierenden und in der Regel tragenden Legislative, bzw. deren Parlamentsmehrheit lässt sich nach Auffassung von Erst Friesenhahn am besten als „arbeitsteilige Staatsleitung“ beschreiben. 1135 Komplettiert wird dieses Modell der „Regierung zur gesamten Hand“ durch die Idee der „kooperativen Staatsleitung“ 1136 , wie sie Siegfried Magiera in Anlehnung an die Idee Friesenhahns entwickelte. Auf dieses Zusammenspiel von Parlament und Regierung, welches nur in der Mehrheitskonstellation ein wirkliches Miteinander und in der Minderheitensituation eher ein Gegeneinander darstellt, wirken die hier näher zu bewertenden Vetorechte ein. Neben der Wahl- und Kontrollfunktion, welche die Parlamente bezüglich der Regierung haben, verfügen sie gegenüber der Exekutive mittels der Gesetze über ein weiteres maßgebliches Steuerungselement. Der Vorbehalt und Vorrang des Gesetzes zwängt die Exekutive im Rahmen der Staatsleitungskonzeption des parlamentarischen Regierungssystems in ein normatives Korsett. Vetorechte bieten eine Möglichkeit, diese Korsettstangen zu weiten und damit durchlässiger für den exekutiven Willen zu machen. Die Bundesregierung, der Bundespräsident und die mit Vetorechten ausgestatteten Landesregierungen in Hessen und Nordrhein-Westfalen verfügen in unterschiedlicher Qualität und Dimension über die Möglichkeit, der Legislative ihre getroffene Gesetzesentscheidung zu entreißen, diese zu verwässern oder deren Wirksamkeit zeitlich zu verzögern. Wie einleitend angedeutet, erscheint es jedoch fragwürdig, wie es um die demokratische Legitimation solcherlei Subversion bestellt ist. 1134 Vgl. H.-P. Schneider, Das parlamentarische System (§13), in: Handbuch des Verfassungsrechts, Rn 38. 1135 Friesenhahn, Parlament und Regierung im modernen Staat, in: VVStRL 16 (1958), S. 9 ff. 1136 Magiera, Parlament und Staatsleitung, S. 252 ff.

II. Das Spannungsverhältnis zum Demokratieprinzip und Parl. Regierungssystem 2. Einpassung der Vetorechte in das Demokratiekonzept des Grundgesetzes Nach den obigen Darstellungen zum Demokratieansatz des Grundgesetzes und der diesbezüglichen Lesart durch das Bundesverfassungsgericht muss vor allem danach gefragt werden, ob durch den Einfall der Exekutive in die originäre Aufgabenwelt der Legislative, die Legitimationskette zerrissen wird, die eigentlich das Handeln der Exekutive an den Legitimationsgeber anbindet. Der Aufschrei, welcher durch den Bundestag geht, wenn der Bundespräsident basierend auf seinem Prüfrecht Gesetze nicht ausfertigt, deutet die unter politischen Gesichtspunkten zu gebende Antwort an. Immerhin wird der Wille des demokratisch gewählten Parlaments in Frage gestellt und die Entscheidung einer exekutiven Instanz als höherwertig deklariert. Als noch wesentlich dramatischer würde es wohl angesehen, wenn die geschäftsführende Landesregierung in Hessen ein von der Mehrheit des dortigen Landtags beschlossenes Gesetz mit ihrem Veto seiner Wirksamkeit beraubte und die Volksvertretung dies nicht mit einer absoluten Mehrheit überwinden könnte. Eine sich nur noch aus der Legitimation der vorangegangenen Legislaturperiode speisende Exekutive würde dann den Willen der aktuell legitimierten Volksvertretung brechen. Zentrale Frage der Vetokonstellationen ist also, ob es sein darf, dass der gesetzgeberische Wille durch dasjenige Organ gebrochen wird, welches im parlamentarischen Regierungssystem vom Parlament selbst kreiert wurde. 1137 Die Bundesregierung als besonderes Organ der vollziehenden Gewalt ist im Sinne des Art. 20 Abs. 2 GG genauso demokratisch legitimiert, wie der Bundestag als gesetzgebende Gewalt. Das Handeln der Regierung ist somit trotz ‚nur‛ mittelbarer Legitimation gleichwertig demokratisch gespeist, wie es das Handeln des Bundestages in seinen Aufgabenbereichen ist. 1138 Zum gleichen Ergebnis kommt man für die Ebene des parlamentarischen Regierungssystems der ‚vetobetroffenen‛ Länder. Da die jeweiligen exekutiven Organwalter in ihrem zugewiesen grundgesetzlichen Funktionsbereich verbleiben und auch die korrekten Organe handeln, ist der Vetoeinsatz weder bezüglich der sachlich-inhaltlichen noch der organisatorischpersonellen Legitimation fragwürdig. Ein Verstoß gegen das Demokratieprinzip könnte infolgedessen nur dann vorliegen, wenn der Vetoeinsatz die Legitimationskette zerbersten ließe. Dies könnte im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dann der Fall sein, wenn das exekutive Handeln, obwohl es verfassungsrechtlich legitim ist, unter ein bestimmtes Legitimationsniveau sinken würde. 1137 Für den Bundespräsidenten sei auf die Sonderkonstellation seiner Bestellung mittels der Bundesversammlung verwiesen. Nach Art. 54 Abs. 3 GG setzt sich diese jedoch zur Hälfte auch aus den Mitgliedern des Bundestages zusammen. Somit findet eine zumindest hälftige Bestellung auch durch das Verfassungsorgan statt, dessen legislativen output der Bundespräsident mittels Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG unterminieren kann. 1138 ebenso: E.-W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip (§22), in: Isensee/Kirchhof HStR Bd. I, Rn 16; Maurer, Staatsrecht I, §7, Rn 27. 423

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samtvolkes bzw. des Länderstaatsvolkes. In der Folge werden alle Aktionen beginnend<br />

bei der Bestellung der Exekutivspitze bis zur regulären Gesetzgebung<br />

dem Volk zugerechnet. Dieser Legit<strong>im</strong>ität erzeugende Zurechnungszusammenhang<br />

hat seine Grundlage in den Wahlen zu den jeweiligen Volksvertretungen. 1134<br />

Über die Wahl der Regierungschefs vermitteln die Parlamente die vom Volk verliehene<br />

Legit<strong>im</strong>ation in organisatorisch-personeller Hinsicht weiter auf die <strong>Exekutive</strong>.<br />

Das Handeln der Regierung erfährt daher also eine unmittelbare Anbindung<br />

an die Legit<strong>im</strong>ationskette, welche durch die Wahlen beginnend be<strong>im</strong> Parlament<br />

angelegt wird.<br />

Das Wechselspiel zwischen der <strong>Exekutive</strong> und der sie in einem parlamentarischen<br />

Regierungssystem wählenden, kontrollierenden und in der Regel tragenden<br />

Legislative, bzw. deren Parlamentsmehrheit lässt sich nach Auffassung von Erst<br />

Friesenhahn am besten als „arbeitsteilige Staatsleitung“ beschreiben. 1135 Komplettiert<br />

wird dieses Modell der „Regierung zur gesamten Hand“ durch die Idee der<br />

„kooperativen Staatsleitung“ 1136 , wie sie Siegfried Magiera in Anlehnung an die Idee<br />

Friesenhahns entwickelte.<br />

Auf dieses Zusammenspiel von Parlament und Regierung, welches nur in der<br />

Mehrheitskonstellation ein wirkliches Miteinander und in der Minderheitensituation<br />

eher ein Gegeneinander darstellt, wirken die hier näher zu bewertenden <strong>Vetorechte</strong><br />

ein. Neben der Wahl- und Kontrollfunktion, welche die Parlamente bezüglich<br />

der Regierung haben, verfügen sie gegenüber der <strong>Exekutive</strong> mittels der Gesetze<br />

über ein weiteres maßgebliches Steuerungselement. Der Vorbehalt und Vorrang<br />

des Gesetzes zwängt die <strong>Exekutive</strong> <strong>im</strong> Rahmen der Staatsleitungskonzeption<br />

des parlamentarischen Regierungssystems in ein normatives Korsett. <strong>Vetorechte</strong><br />

bieten eine Möglichkeit, diese Korsettstangen zu weiten und damit durchlässiger<br />

für den exekutiven Willen zu machen. Die Bundesregierung, der Bundespräsident<br />

und die mit <strong>Vetorechte</strong>n ausgestatteten Landesregierungen in Hessen und<br />

Nordrhein-Westfalen verfügen in unterschiedlicher Qualität und D<strong>im</strong>ension über<br />

die Möglichkeit, der Legislative ihre getroffene Gesetzesentscheidung zu entreißen,<br />

diese zu verwässern oder deren Wirksamkeit zeitlich zu verzögern. Wie einleitend<br />

angedeutet, erscheint es jedoch fragwürdig, wie es um die demokratische<br />

Legit<strong>im</strong>ation solcherlei Subversion bestellt ist.<br />

1134 Vgl. H.-P. Schneider, Das parlamentarische System (§13), in: Handbuch des Verfassungsrechts, Rn 38.<br />

1135 Friesenhahn, Parlament und Regierung <strong>im</strong> modernen Staat, in: VVStRL 16 (1958), S. 9 ff.<br />

1136 Magiera, Parlament und Staatsleitung, S. 252 ff.

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