Exekutive Vetorechte im deutschen Verfassungssystem - Oapen

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408 E. Verfassungsrechtliche und verfassungspolitische Einpassung gewaltenteilungskonform gerechtfertigt werden könne. Aus diesem Blickwinkel erscheint es wirklich so, als ob die Vetorechte tatsächlich strukturimmanente Anomalien darstellten. Eine solche Argumentation vermag jedoch nur zu überzeugen, wenn man das Vetophänomen allein vom Herzogschen Ergebnis eine checks and balance her denkt. Denn dasjenige, was R. Herzog als vermeintliches Wesensmerkmal des Systembruchs anführt, sind eben gerade keine Vetos, sondern lediglich monarchische Zustimmungsrechte. Vetorechte stellen mithin keine systemimmanenten Sollbruchstellen des grundgesetzlichen Gewaltenteilungskonzepts dar. Als fraglich erscheint daher, wie Roman Herzog zu einer solchen historisch nicht tragfähigen Analyse kommen kann. Untersucht man die Herzogschen Darstellungen, wird deutlich, warum dieser einer solchen nicht haltbaren Gleichsetzung von Zustimmung und Vetorecht anhängt. Im Wesentlichen fußt diese auf der hier als unrichtig dargestellten Verquickung von Veto und Sanktionsrecht. So werden die der Herzogschen Ansicht zugrunde liegenden Analysen insbesondere durch die folgende Aussage deutlich: „…Während nämlich nach dem Verfassungsrecht der konstitutionellen Monarchie ein Gesetz auch bei übereinstimmenden Beschlüssen beider Kammern erst dann zustande kam, wenn ihm der Monarch die Sanktion erteilte, und während deren Erteilung grundsätzlich im freien politischen Ermessen des Monarchen stand, so daß diesem also ein echtes Vetorecht zukam …“ 1102 Im Ergebnis kann also festgestellt werden, dass die größte Problematik für die verfassungsrechtliche und verfassungsphilosophische Einordnung der Vetos nicht in einer Systemdiskrepanz liegt, sondern in einer Kultur der Verquickung von monarchischer Zustimmung sowie Sanktion mit den exekutiven Vetorechten. 1102 R. Herzog, Entscheidung und Gegenzeichnung, in: FS Gebhard Müller, S. 123.

I. Konfliktlinien zum Gewaltenteilungsprinzip 3. Lösungsansätze Der Umstand, dass Vetorechte keine systemimmanenten Sollbruchstellen des grundgesetzlichen Gewaltenteilungskonzepts darstellen, muss jedoch nicht zwangsläufig zu der Hypothese einer fehlenden Einpassung exekutiver Einspruchsrechte in das Grundgesetz führen. Lediglich der Annahme, dass schon Montesquieu Vetos, wie wir sie heute im Grundgesetz und den Landesverfassungen vorfinden, als systemimmanenten Gewaltenteilungsbruch in sein Konzept inkludierte, ist entgegen zu treten. Es stellt sich daher die Frage, wenn die Vetorechte weder unter dem Aspekt der gesamthänderischen Staatsleitung noch mittels einer vermeintlichen systemimmanenten Systembruchthese Einpassung in die Zielvorgaben des Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG finden, inwieweit dann ein anderer Weg aufzeigbar ist, der das schwerwiegende Urteil verhindern könnte, dass es sich bei den Vetorechten doch um ‚verfassungswidriges Verfassungsrecht‛ handelt. Dieser Weg könnte mittels einer fundierten Qualitätsanalyse der Vetosystematik eruiert werden. Die meisten Betrachtungen wählen bewusst oder unbewusst den Ansatz, dass sich aus den Vetorechten kein Mehrwert zugunsten der Funktionsfähigkeit des Staatsganzen erkennen ließe. Diese Analyse macht grundsätzlich auch Sinn, denn Vetorechte sind ihrem primären Wesen nach destruktiver Natur. Jener Charakter macht den Wesensgehalt der Vetos geradezu aus. Fraglich ist jedoch, ob den aus dem römischen Interzessionsrecht abgeleiteten Vetorechten nicht noch eine weitere bisher unterschätzte Komponente entnehmbar ist. Auf den ersten Blick wird nur erkennbar, dass das Ziel vetogleicher Einsprüche die reine Vernichtung der Entscheidung oder des Beschlusses einer anderen Instanz ist. Allerdings wird seit den römischen Verfassungsvorbildern auch deutlich, dass die Motivation hinter der Vetoanwendung regelmäßig nicht nur in der Destruktion lag, sondern beginnend mit der ersten tribunizischen Interzession stetig auch die potentiell bessere Idee bzw. die vermeintlich bessere Lösung mittels der Vetos eingebracht wurde. Schon der römische Tribun Gracchus rief sein Veto nicht deshalb lauthals gegen das ‚Ackergesetz‛ in die versammelte Menge der Plebs, weil er die Arbeit des Senats und der Magistrate um deren selbst willen unterminieren wollte. Sondern er tat dies aufgrund seiner Schutzfunktion für die römischen Bürger, die durch das ‚Ackergesetz‛ gegenüber den arrivierten Schichten benachteiligt worden wären. Es wird also erkennbar: Die Vetorechte haben zweifelsohne zwei ‚böse‛ Schwestern, die unter dem Namen Sabotage und Destruktion bekannt sind. Vergessen wird aber zumeist die Existenz des ‚guten‛ Stiefkinds, dessen Wesen die Hilfestellung, der Schutz und die bessere Einsicht sind. Alle hier eruierten Anwendungsfälle von Vetorechten nach 1949 machten deutlich, dass der demokratische Gesetzesbeschluss nicht nur allein deshalb unterminiert wurde, um ihn zu vernichten, sondern wegen einer vermeintlichen fach- 409

I. Konfliktlinien zum Gewaltenteilungsprinzip<br />

3. Lösungsansätze<br />

Der Umstand, dass <strong>Vetorechte</strong> keine system<strong>im</strong>manenten Sollbruchstellen des<br />

grundgesetzlichen Gewaltenteilungskonzepts darstellen, muss jedoch nicht<br />

zwangsläufig zu der Hypothese einer fehlenden Einpassung exekutiver Einspruchsrechte<br />

in das Grundgesetz führen. Lediglich der Annahme, dass schon<br />

Montesquieu Vetos, wie wir sie heute <strong>im</strong> Grundgesetz und den Landesverfassungen<br />

vorfinden, als system<strong>im</strong>manenten Gewaltenteilungsbruch in sein Konzept<br />

inkludierte, ist entgegen zu treten. Es stellt sich daher die Frage, wenn die <strong>Vetorechte</strong><br />

weder unter dem Aspekt der gesamthänderischen Staatsleitung noch mittels<br />

einer vermeintlichen system<strong>im</strong>manenten Systembruchthese Einpassung in die<br />

Zielvorgaben des Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG finden, inwieweit dann ein anderer Weg<br />

aufzeigbar ist, der das schwerwiegende Urteil verhindern könnte, dass es sich bei<br />

den <strong>Vetorechte</strong>n doch um ‚verfassungswidriges Verfassungsrecht‛ handelt. Dieser<br />

Weg könnte mittels einer fundierten Qualitätsanalyse der Vetosystematik eruiert<br />

werden.<br />

Die meisten Betrachtungen wählen bewusst oder unbewusst den Ansatz, dass<br />

sich aus den <strong>Vetorechte</strong>n kein Mehrwert zugunsten der Funktionsfähigkeit des<br />

Staatsganzen erkennen ließe. Diese Analyse macht grundsätzlich auch Sinn, denn<br />

<strong>Vetorechte</strong> sind ihrem pr<strong>im</strong>ären Wesen nach destruktiver Natur. Jener Charakter<br />

macht den Wesensgehalt der Vetos geradezu aus.<br />

Fraglich ist jedoch, ob den aus dem römischen Interzessionsrecht abgeleiteten<br />

<strong>Vetorechte</strong>n nicht noch eine weitere bisher unterschätzte Komponente<br />

entnehmbar ist. Auf den ersten Blick wird nur erkennbar, dass das Ziel vetogleicher<br />

Einsprüche die reine Vernichtung der Entscheidung oder des Beschlusses<br />

einer anderen Instanz ist. Allerdings wird seit den römischen Verfassungsvorbildern<br />

auch deutlich, dass die Motivation hinter der Vetoanwendung regelmäßig<br />

nicht nur in der Destruktion lag, sondern beginnend mit der ersten tribunizischen<br />

Interzession stetig auch die potentiell bessere Idee bzw. die vermeintlich bessere<br />

Lösung mittels der Vetos eingebracht wurde. Schon der römische Tribun Gracchus<br />

rief sein Veto nicht deshalb lauthals gegen das ‚Ackergesetz‛ in die versammelte<br />

Menge der Plebs, weil er die Arbeit des Senats und der Magistrate um deren<br />

selbst willen unterminieren wollte. Sondern er tat dies aufgrund seiner Schutzfunktion<br />

für die römischen Bürger, die durch das ‚Ackergesetz‛ gegenüber den<br />

arrivierten Schichten benachteiligt worden wären. Es wird also erkennbar: Die<br />

<strong>Vetorechte</strong> haben zweifelsohne zwei ‚böse‛ Schwestern, die unter dem Namen<br />

Sabotage und Destruktion bekannt sind. Vergessen wird aber zumeist die Existenz<br />

des ‚guten‛ Stiefkinds, dessen Wesen die Hilfestellung, der Schutz und die bessere<br />

Einsicht sind.<br />

Alle hier eruierten Anwendungsfälle von <strong>Vetorechte</strong>n nach 1949 machten<br />

deutlich, dass der demokratische Gesetzesbeschluss nicht nur allein deshalb unterminiert<br />

wurde, um ihn zu vernichten, sondern wegen einer vermeintlichen fach-<br />

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