Exekutive Vetorechte im deutschen Verfassungssystem - Oapen

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404 E. Verfassungsrechtliche und verfassungspolitische Einpassung der Gewaltenteilung, die gleichsam der Konstitutionalismus hervorgebracht haben soll. Es gilt diesen Fehler offenkundig zu machen und die damit einhergehenden Missdeutungen freizulegen: Das englische Verfassungsvorbild kannte keine Gewaltenteilung und es kannte auch keine Vetorechte. Weder in ausdrücklicher Form noch in der Form des „Royal Assent“. 8. Diese Feststellung wird durch die Erkenntnis gestützt, dass dem konstitutionellen Gedanken, anders als immer wieder unterstellt, nicht die Gewaltenteilung als wesensbildendes Merkmal zugrunde lag, sondern die Beteiligung des Bürgertums bei der Bildung des Staatswillens. Es war diese, dem europäischen Festland so unbekannte Partizipation des Volkes, welche Montesquieu im England des 18. Jahrhunderts mit seiner Parlamentsverfassung vorfand und die ihn erstaunte. Das was er dort allerdings nicht vorfand, war eine Gewaltenteilung, die dem Monarchen als Aspekt von checks and balance ein Vetorecht zugestand. Alle französischen Nachrevolutionsverfassungen bis auf die erste von 1791, welche sich als konstitutionelle Staatsgrundgesetze bezeichneten, übersahen diesen zentralen Ausgangspunkt montesquieuschen Gedankenguts. Diese Erkenntnis lässt sich daran belegen, dass nur die erste Nachrevolutionsverfassung es war, die zuerst und gleichsam zuletzt das Prinzip der Volkssouveränität in die Verfassung schrieb. Daher war die erste französische Nachrevolutionsverfassung die einzige, die den Titel konstitutionell auch wirklich verdiente. Allerdings war sie nicht konstitutionell im Sinne Montesquieus, denn er erwähnte in seinem Werk zur Gewaltenteilung den Aspekt der Volkssouveränität mit keiner Silbe. 1095 Das musste er auch nicht, denn Gewaltenteilung ist auch ohne Volkssouveränität denkbar, nicht jedoch der Konstitutionalismus. Diese einzige wirklich konstitutionelle französische Verfassung von 1791 enthielt jedoch wiederum kein Vetorecht, denn der dortige „Consentement royal“ war nichts weiter als das was Roman Herzog mit der Gesetzgebung „zur gesamten Hand“ beschreibt, also ein Zustimmungserfordernis, das zwar gewaltenteilenden Charakter im Sinne Montesquieus hatte, jedoch kein Vetorecht darstellte. 9. Schon die „Charte constitutionelle“ von 1814 war nicht mehr das, was ihr Name versprach, sondern lediglich ein blasser Abglanz, gegeben durch eine sich nunmehr selbst beschränkende absolute Monarchie. Das Prinzip der Volkssouveränität war in dieser Charte stillschweigend nicht mehr aufgenommen worden, 1095 Das der Gewaltenteilungssystematik Montesquieus zugrunde liegende Gedankenkonstrukt kalkulierte die Volksvertretung nicht als Ausdruck der Volkssouveränität ein. Dies wird deutlich, wenn Montesquieu im Geist der Gesetze (De l‛ Esprit des lois, Buch 11 Kap. 6 S. 166, zit. nach Classique Garnier Paris 1956) folgendes zur Ausgabe der Parlamente schreibt: „…Comme, dans un Etat libre, tout homme qui est censé avoir une âme libre doit être gouverné par lui-même, il faudrait que le peuple en corps eût la puissance législative; comme cela est impossible dans les grands Etats … il faut que le peuple fasse, par ses représentants, tout ce qu‛il ne peut faire par lui même…“. Montesquieu bringt mit dieser Formulierung zum Ausdruck, dass das Volk zwar an der Gesetzgebung zu beteiligen sei und diese originäre Staatsaufgabe nicht mehr allein bei der Krone anzusiedeln ist, dennoch benötige diese Volksvertretung wiederum eine Hemmung, welche durch eine gleichberechtigte Adelsvertretung hergestellt würde. Damit wird die Gewaltenteilung ganz bewusst nicht als Ausformung der Volkssouveränität ausgestaltet.

I. Konfliktlinien zum Gewaltenteilungsprinzip sondern der König wurde sogar zum alleinigen Träger der Staatsgewalt erklärt. Damit fehlte der zentrale Aspekt des Konstitutionalismus – die Volkssouveränität. Es nimmt daher nicht wunder, wenn alle deutschen Länderstaatsgrundgesetze, die sich konstitutionell schimpften und sich in der Tradition der französischen „Charte constitutionelle“ wähnten, eigentlich nicht konstitutionell waren, sondern nur eine freischöpferische Selbstbeschränkung 1096 der unvermittelt weiter existierenden absoluten deutschen Monarchen. Eine solche quasi absolute Monarchie benötigte dann aber, wie schon anfänglich festgestellt, keine Vetorechte. Den Zustimmungserfordernissen des Monarchen kann zwar in Bezug auf die an der Gesetzgebung beteiligten Körperschaften eine die Gewalten teilende Tendenz bescheinigt werden. Darin jedoch keine Vetos zu sehen, ist in doppelter Hinsicht konsequent. Zum einen behielten die monarchischen Landesherren die Gesetzgebungsgewalt, ihr Zustimmungserfordernis war damit systemlogisch kein Veto. Zum anderen erweisen sich die selbst beschränkten deutschen Monarchien letztlich als pseudokonstitutionelle Systeme, die mangels Volkssouveränität nicht mehr waren, als Surrogate des Absolutismus mit Gewalten teilenden kosmetischen Übertünchungen. Wenn Roman Herzog, wie viele andere mit ihm, in den Zustimmungserfordernissen Aspekte der Gewaltenteilung sieht, ist dies inhaltlich nicht vorwerfbar. Aber diese Zustimmungserfordernisse können dann nicht gleichsam auch noch als Vetorechte deklariert werden. 1097 Vetorechte könnten nur dann Ausdruck des Konstitutionalismus sein, wenn dieser konsequent die in ihm inkludierte Volkssouveränität als wesentliches Moment verwirklichen würde. Das war jedoch auf der Ebene der deutschen Fürstentümer nachweislich nicht der Fall. Der Konstitutionalismus deutscher Natur verschanzte sich lediglich hinter den vermeintlich gewaltenteilenden Aspekten der monarchischen Zustimmungsrechte, die an den „Royal Assent“ und den „Consentement royal“ angelehnt waren. 1098 1096 Auch E.-W. Böckenförde erachtet die konstitutionelle Monarchie der deutschen Fürstentümer nicht als das unausweichliche Produkt von demokratischer Revolution: „…Die konstitutionelle Monarchie ist hervorgegangen nicht aus einer demokratischen Revolution, sondern aus einer monarchischem Reform. Sie steht in ihrer äußeren politischen Erscheinung in einer ungebrochenen geschichtlichen Kontinuität, der Kontinuität monarchischer Herrschaft. Die Monarchen, als Landesherren und Territorialfürsten, waren auf dem Boden des Heiligen Römischen Reiches die Träger und Kristallisationspunkte der Staatsentwicklung geworden, nicht ein ständisches Parlament oder eine demokratische Bewegung. Und es gehört zu den eigentümlichen Kennzeichen der deutschen Verfassungsentwicklung, daß – im ganzen gesehen – der monarchische Absolutismus, wo er sich ausgebildet hatte, die Kraft besaß, den Abbau seiner selbst und den Übergang in konstitutionelle Formen von sich aus ins Werk zu setzen. …“ – Vgl. E.-W. Böckenförde, Der deutsche Typ der konstitutionellen Monarchie im 19. Jahrhundert, in: Conze, Beiträge zur deutschen und belgischen Verfassungsgeschichte im 19. Jahrhundert, S. 74. 1097 Eine derartige Gleichsetzung von Veto und Zustimmungserfordernis findet jedoch bei R. Herzog in unkommentierter Form statt. – Vgl. R. Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 230, insb. S. 232; ders. Herzog, in: Maunz/Dürig Grundgesetz, Art. 20, Rn 39. 1098 Diese Sichtweise wird bestätigt durch Anschütz, in: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung IV. Band; S. 44, wenn dieser zum preußischen Konstitutionalismus und seinem Verhältnis zur Gewaltenteilung schreibt: „…Die Beantwortung der Frage, wo in der inneren Geschichte der preußischen Monarchie die allerersten Spuren konstitutioneller Gedanken auftauchen, hängt von der Vorentscheidung ab, welches Prinzip man für das dem Konstitutionalismus wesentlichste Merkmal erachten will: die in irgendeiner Art bewirkte Gewaltenteilung oder die Beteiligung des Volkes bei der Bildung des Staatswillens. Wer diese Vorfrage im Sinne der ersten Alternative beantwortet, darf die Uranfänge konstitutioneller Entwicklung schon im friderizianischen Zeitalter suchen, denn unzweifelhaft war die Verselbständigung und 405

I. Konfliktlinien zum Gewaltenteilungsprinzip<br />

sondern der König wurde sogar zum alleinigen Träger der Staatsgewalt erklärt.<br />

Damit fehlte der zentrale Aspekt des Konstitutionalismus – die Volkssouveränität.<br />

Es n<strong>im</strong>mt daher nicht wunder, wenn alle <strong>deutschen</strong> Länderstaatsgrundgesetze, die<br />

sich konstitutionell sch<strong>im</strong>pften und sich in der Tradition der französischen „Charte<br />

constitutionelle“ wähnten, eigentlich nicht konstitutionell waren, sondern nur<br />

eine freischöpferische Selbstbeschränkung 1096 der unvermittelt weiter existierenden<br />

absoluten <strong>deutschen</strong> Monarchen. Eine solche quasi absolute Monarchie benötigte<br />

dann aber, wie schon anfänglich festgestellt, keine <strong>Vetorechte</strong>. Den Zust<strong>im</strong>mungserfordernissen<br />

des Monarchen kann zwar in Bezug auf die an der Gesetzgebung<br />

beteiligten Körperschaften eine die Gewalten teilende Tendenz bescheinigt<br />

werden. Darin jedoch keine Vetos zu sehen, ist in doppelter Hinsicht konsequent.<br />

Zum einen behielten die monarchischen Landesherren die Gesetzgebungsgewalt,<br />

ihr Zust<strong>im</strong>mungserfordernis war damit systemlogisch kein Veto. Zum<br />

anderen erweisen sich die selbst beschränkten <strong>deutschen</strong> Monarchien letztlich als<br />

pseudokonstitutionelle Systeme, die mangels Volkssouveränität nicht mehr waren,<br />

als Surrogate des Absolutismus mit Gewalten teilenden kosmetischen Übertünchungen.<br />

Wenn Roman Herzog, wie viele andere mit ihm, in den Zust<strong>im</strong>mungserfordernissen<br />

Aspekte der Gewaltenteilung sieht, ist dies inhaltlich nicht vorwerfbar.<br />

Aber diese Zust<strong>im</strong>mungserfordernisse können dann nicht gleichsam auch noch als<br />

<strong>Vetorechte</strong> deklariert werden. 1097 <strong>Vetorechte</strong> könnten nur dann Ausdruck des<br />

Konstitutionalismus sein, wenn dieser konsequent die in ihm inkludierte Volkssouveränität<br />

als wesentliches Moment verwirklichen würde. Das war jedoch auf<br />

der Ebene der <strong>deutschen</strong> Fürstentümer nachweislich nicht der Fall. Der Konstitutionalismus<br />

deutscher Natur verschanzte sich lediglich hinter den vermeintlich<br />

gewaltenteilenden Aspekten der monarchischen Zust<strong>im</strong>mungsrechte, die an den<br />

„Royal Assent“ und den „Consentement royal“ angelehnt waren. 1098<br />

1096 Auch E.-W. Böckenförde erachtet die konstitutionelle Monarchie der <strong>deutschen</strong> Fürstentümer nicht als das<br />

unausweichliche Produkt von demokratischer Revolution: „…Die konstitutionelle Monarchie ist hervorgegangen nicht aus<br />

einer demokratischen Revolution, sondern aus einer monarchischem Reform. Sie steht in ihrer äußeren politischen Erscheinung in<br />

einer ungebrochenen geschichtlichen Kontinuität, der Kontinuität monarchischer Herrschaft. Die Monarchen, als Landesherren und<br />

Territorialfürsten, waren auf dem Boden des Heiligen Römischen Reiches die Träger und Kristallisationspunkte der Staatsentwicklung<br />

geworden, nicht ein ständisches Parlament oder eine demokratische Bewegung. Und es gehört zu den eigentümlichen Kennzeichen<br />

der <strong>deutschen</strong> Verfassungsentwicklung, daß – <strong>im</strong> ganzen gesehen – der monarchische Absolutismus, wo er sich ausgebildet hatte, die<br />

Kraft besaß, den Abbau seiner selbst und den Übergang in konstitutionelle Formen von sich aus ins Werk zu setzen. …“ – Vgl.<br />

E.-W. Böckenförde, Der deutsche Typ der konstitutionellen Monarchie <strong>im</strong> 19. Jahrhundert, in: Conze, Beiträge<br />

zur <strong>deutschen</strong> und belgischen Verfassungsgeschichte <strong>im</strong> 19. Jahrhundert, S. 74.<br />

1097 Eine derartige Gleichsetzung von Veto und Zust<strong>im</strong>mungserfordernis findet jedoch bei R. Herzog in unkommentierter<br />

Form statt. – Vgl. R. Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 230, insb. S. 232; ders. Herzog, in:<br />

Maunz/Dürig Grundgesetz, Art. 20, Rn 39.<br />

1098 Diese Sichtweise wird bestätigt durch Anschütz, in: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer<br />

Bearbeitung IV. Band; S. 44, wenn dieser zum preußischen Konstitutionalismus und seinem Verhältnis zur<br />

Gewaltenteilung schreibt: „…Die Beantwortung der Frage, wo in der inneren Geschichte der preußischen Monarchie die<br />

allerersten Spuren konstitutioneller Gedanken auftauchen, hängt von der Vorentscheidung ab, welches Prinzip man für das dem<br />

Konstitutionalismus wesentlichste Merkmal erachten will: die in irgendeiner Art bewirkte Gewaltenteilung oder die Beteiligung des<br />

Volkes bei der Bildung des Staatswillens. Wer diese Vorfrage <strong>im</strong> Sinne der ersten Alternative beantwortet, darf die Uranfänge<br />

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