Exekutive Vetorechte im deutschen Verfassungssystem - Oapen
Exekutive Vetorechte im deutschen Verfassungssystem - Oapen Exekutive Vetorechte im deutschen Verfassungssystem - Oapen
400 E. Verfassungsrechtliche und verfassungspolitische Einpassung unbestreitbar etliche inhaltliche Überschneidungen gibt. Aber gerade bei der speziellen Frage nach den Vetorechten wird die Ungenauigkeit deutlich. Anhand der folgenden Punkte kann verdeutlicht werden, dass im Rahmen der Einpassung der Vetorechte in das grundgesetzliche Gewaltenteilungskonzept einige Sichtweisen in gravierender Weise neu zu justieren sind. Dies gilt auch und gerade für die oben beschriebene Sichtweise R. Herzogs, dass Vetorechte systemimmanente Sollbruchstellen des Gewaltenteilungskonzeptes darstellen, wie sie auch in der grundgesetzlichen Ausprägung zu finden sind: 1. Richtig ist zweifelsohne, dass wenn man die Ansätze des Engländers John Locke 1090 einmal außer Acht lässt, Montesquieu mit seinem Werk „De L'esprit des Loix“ aus dem Jahr 1748 als der geistige Urheber einer Staatsverfassung bezeichnet werden kann, die vor allem die Teilung der Gewalten fordert. Soweit handelt es sich wohl um einen unstreitigen Gemeinplatz. Die von ihm herauskristallisierten drei Gewalten „pouvoir législatif“, „pouvoir éxécutif“ und „pouvoir judicativ“ sollten jeweils auf die relevanten sozialen Größen im Gesellschaftsgefüge seiner Zeit verteilt werden. Wie die Verteilung genau vonstattengehen sollte wurde schon weiter oben ausführlich dargestellt. Dem „Geist der Gesetze“ ist zu entnehmen, dass weder der Monarch allein die Staatsgewalt ausüben sollte, noch sollte dies die Vertretung des souveränen Volkes. Das eine wie das andere wäre Tyrannei entweder monarchischer oder demokratischer Natur. Die ideelle Vorstellung Montesquieus strebt es an, die Ausübung der Staatsgewalt zwischen Krone und Volksrepräsentation aufzuteilen. 2. Des Weiteren gilt es aber zu konstatieren, dass im Rahmen der revolutionären Demokratisierungsprozesse in England und Frankreich die monarchische Exekutive nicht einfach beseitigt wurde, sondern integriert werden musste. Als Lösung bot Montesquieu an, dass die monarchische Spitze des Staatsgebildes weiter bestehen, diese aber in ihrer verfassungsmäßigen Macht auf die Stellung des Trägers der Exekutive reduziert werden sollte. Sie sollte den Staat zwar regieren, allerdings in den Schranken und nach Maßgabe der von der Volksvertretung geschaffenen Gesetze. Dabei soll wiederum auch die Macht der gesetzgebenden Gewalt nicht ungehemmt sein, sondern durch ein monarchisches Veto begrenzbar. 1091 Darüber hinaus muss aber schon in Bezug auf Montesquieus Grundkonstrukt erwähnt werden, dass eine seiner beiden theoretisch avisierten Legislativgrößen, nämlich der Adel, zum Zeitpunkt von dessen Umsetzung machtpolitisch bereits ausfiel. Der gesamte Adel Europas, ob nun in Frankreich oder anderswo, war aus den Revolutionsschlachten und Befreiungskriegen derart indisponiert und dezimiert hervorgegangen, dass in der faktischen Realität nur noch Monarch und Volk als relevante politische Kräfte auf der Bühne der Geschichte standen. Dies ist der 1090 John Locke beschrieb den gewaltenteilenden Staatsaufbau schon 1689 in seinem Werk: „Two Treatises on Government“. Dabei differenzierte er die relevanten Staatsgewalten in die legislative, die exekutive und die auswärtige Gewalt. 1091 Vgl. Esprit des Lois XI/6 Abs. 43: „…Car l‛ éxécution, ayant ses limites parsanature, il estinutile de la borner…“.
I. Konfliktlinien zum Gewaltenteilungsprinzip erste Umstand, den Montesquieu bei seiner Grundthese für die Gewaltenteilung nicht einkalkulieren konnte. Schon von Anfang an erwies sich also ein für den Legislativbereich konzeptionell angelegter Gewaltenteilungsaspekt als schwach. Der Hochadel, dem Montesquieu selbst entstammte, konnte schon faktisch keinen Beitrag mehr zur Verteidigung monarchischer Interessen liefern. Damit blieb einzig der Monarch selbst, als Verteidiger monarchischer Interessensgebiete übrig. Das ihm in der montesquieuschen Gewaltenteilungstheorie zugedachte Vetorecht wurde im Rahmen der politischen Realitäten somit in eine ganz andere Bedeutungssphäre hochtransformiert. 3. Das englische Staatssystem seiner Zeit wird als Vorbild der montesquieuschen Gewaltenteilungsgedanken unterstellt. Obwohl das englische Verfassungssystem von Montesquieu in seinem Werk „De L'esprit des Loix“ nirgendwo ausdrücklich als das Vorbild für sein Gewaltenteilungssystem tituliert wird, soll es wegen des zeitlich-chronologischen Zusammenhangs zu seinem langen Englandaufenthalt unmittelbar vor dem Erscheinen seines Werkes die maßgebliche Determinante seiner Teilungslehre sein. Meines Erachtens könnte diese Unterstellung den maßgeblichen Ausgangspunkt vieler fragwürdiger Interpretationsweisen zu den Vetorechten darstellen, die sich auch bei Roman Herzog wiederfinden. In deren Folge kam es zu einer grundsätzlichen Gleichsetzung des Konstitutionalismus mit der Gewaltenteilung. Diese Betrachtungsweise ist jedoch einer Sicht auf das Werk Montesquieus geschuldet, welche dessen eigentliche Stoßrichtung verkennt. Problematisch ist insbesondere, dass seine Theorie regelmäßig dergestalt wahrgenommen und gedeutet wurde, als knüpfte sie an tatsächliche englische Rechtsverhältnisse an, als entspringe sie wirklich dem ihr vielmals unterstellten englischen Verfassungsvorbild, als sei das, was Montesquieu im „Geist der Gesetze“ beschreibt, einem Verfassungssystem entlehnt, welches den Konstitutionalismus, wie er in Kontinentaleuropa Platz greifen sollte, erfunden hätte. Diesbezügliche Annahmen stellen das montesquieusche Gewaltenteilungskonstrukt oft so dar, als ob zu dessen Verwirklichung nur noch die Kopie einer schon komplett vorhandenen Verfassungskonstruktion, zu installieren gewesen wäre. Montesquieu soll nach dieser Lesart in seinem Werk „Esprit des Lois“ den Konstitutionalismus als erstrebenswertes Abbild des englischen Systems dergestalt beschrieben haben, dass dieser insbesondere der Despotie des absolutistischen Frankreich in allen Bereichen überlegen wäre. Schon allein aufgrund dieser Überlegenheitsannahme wurde sein Werk weitgehend als die Quintessens des konstitutionellen Gedankens wahrgenommen. 4. Da das Werk Montesquieus nun mal aber auch dezidierte Aussagen zum Gewaltenteilungsprinzip machte, ist es in der Folge zumindest nicht verwunderlich, wenn der Konstitutionalismus mit der Gewaltenteilung und diese mit den Vetorechten und umgekehrt gleichgesetzt und vermengt wurden. Montesquieu trägt dazu ein gutes Stück Verwirrung bei, in dem er einem Kapitel seines Werkes „De L'esprit des Loix“ die Überschrift gibt: „De la constitution d‛Angleterre“ (Buch XI, Kap. 6). Auf den ersten Blick könnte man daher durchaus zu der Sichtweise ge- 401
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unbestreitbar etliche inhaltliche Überschneidungen gibt. Aber gerade bei der speziellen<br />
Frage nach den <strong>Vetorechte</strong>n wird die Ungenauigkeit deutlich.<br />
Anhand der folgenden Punkte kann verdeutlicht werden, dass <strong>im</strong> Rahmen der<br />
Einpassung der <strong>Vetorechte</strong> in das grundgesetzliche Gewaltenteilungskonzept<br />
einige Sichtweisen in gravierender Weise neu zu justieren sind. Dies gilt auch und<br />
gerade für die oben beschriebene Sichtweise R. Herzogs, dass <strong>Vetorechte</strong> system<strong>im</strong>manente<br />
Sollbruchstellen des Gewaltenteilungskonzeptes darstellen, wie sie<br />
auch in der grundgesetzlichen Ausprägung zu finden sind:<br />
1. Richtig ist zweifelsohne, dass wenn man die Ansätze des Engländers John Locke<br />
1090 einmal außer Acht lässt, Montesquieu mit seinem Werk „De L'esprit des<br />
Loix“ aus dem Jahr 1748 als der geistige Urheber einer Staatsverfassung bezeichnet<br />
werden kann, die vor allem die Teilung der Gewalten fordert. Soweit handelt<br />
es sich wohl um einen unstreitigen Gemeinplatz. Die von ihm herauskristallisierten<br />
drei Gewalten „pouvoir législatif“, „pouvoir éxécutif“ und „pouvoir judicativ“<br />
sollten jeweils auf die relevanten sozialen Größen <strong>im</strong> Gesellschaftsgefüge seiner<br />
Zeit verteilt werden. Wie die Verteilung genau vonstattengehen sollte wurde schon<br />
weiter oben ausführlich dargestellt. Dem „Geist der Gesetze“ ist zu entnehmen,<br />
dass weder der Monarch allein die Staatsgewalt ausüben sollte, noch sollte dies die<br />
Vertretung des souveränen Volkes. Das eine wie das andere wäre Tyrannei entweder<br />
monarchischer oder demokratischer Natur. Die ideelle Vorstellung Montesquieus<br />
strebt es an, die Ausübung der Staatsgewalt zwischen Krone und Volksrepräsentation<br />
aufzuteilen.<br />
2. Des Weiteren gilt es aber zu konstatieren, dass <strong>im</strong> Rahmen der revolutionären<br />
Demokratisierungsprozesse in England und Frankreich die monarchische <strong>Exekutive</strong><br />
nicht einfach beseitigt wurde, sondern integriert werden musste. Als Lösung<br />
bot Montesquieu an, dass die monarchische Spitze des Staatsgebildes weiter bestehen,<br />
diese aber in ihrer verfassungsmäßigen Macht auf die Stellung des Trägers<br />
der <strong>Exekutive</strong> reduziert werden sollte. Sie sollte den Staat zwar regieren, allerdings<br />
in den Schranken und nach Maßgabe der von der Volksvertretung geschaffenen<br />
Gesetze. Dabei soll wiederum auch die Macht der gesetzgebenden Gewalt nicht<br />
ungehemmt sein, sondern durch ein monarchisches Veto begrenzbar. 1091<br />
Darüber hinaus muss aber schon in Bezug auf Montesquieus Grundkonstrukt<br />
erwähnt werden, dass eine seiner beiden theoretisch avisierten Legislativgrößen,<br />
nämlich der Adel, zum Zeitpunkt von dessen Umsetzung machtpolitisch bereits<br />
ausfiel. Der gesamte Adel Europas, ob nun in Frankreich oder anderswo, war aus<br />
den Revolutionsschlachten und Befreiungskriegen derart indisponiert und dez<strong>im</strong>iert<br />
hervorgegangen, dass in der faktischen Realität nur noch Monarch und Volk<br />
als relevante politische Kräfte auf der Bühne der Geschichte standen. Dies ist der<br />
1090 John Locke beschrieb den gewaltenteilenden Staatsaufbau schon 1689 in seinem Werk: „Two Treatises on<br />
Government“. Dabei differenzierte er die relevanten Staatsgewalten in die legislative, die exekutive und die<br />
auswärtige Gewalt.<br />
1091 Vgl. Esprit des Lois XI/6 Abs. 43: „…Car l‛ éxécution, ayant ses l<strong>im</strong>ites parsanature, il estinutile de la<br />
borner…“.