Exekutive Vetorechte im deutschen Verfassungssystem - Oapen

Exekutive Vetorechte im deutschen Verfassungssystem - Oapen Exekutive Vetorechte im deutschen Verfassungssystem - Oapen

webdoc.sub.gwdg.de
von webdoc.sub.gwdg.de Mehr von diesem Publisher
22.01.2013 Aufrufe

368 E. Verfassungsrechtliche und verfassungspolitische Einpassung Zur Erreichung dieses Ziels entwickelte Montesquieu ein dreigeteiltes System, welches in seiner Schlichtheit bis heute Bestand hat: Nach dieser Grundordnung soll es in einem Staat drei Gewalten geben: Die Gesetzgebung (pouvoir législatif), die vollziehende Gewalt (pouvoir éxécutif) und die rechtsprechende Gewalt (pouvoir judicatif). 1020 Diese Gewalten sollten jeweils auf die drei großen politischen Gruppen seiner Zeit verteilt sein: Den Adel, das Volk und den König. So schlicht diese Aufteilung daherkommt, so kompliziert ist jedoch die Deutung dessen, was sich dahinter als System verbirgt. Um die diesbezügliche Analyse rankt sich ein Großteil der staatswissenschaftlichen Arbeiten der letzten zwei bis drei Jahrhunderte. 1021 Es ist sicher nicht übertrieben zu schreiben, dass ohne das Gewaltenteilungssystem in sprichwörtlicher Art und Weise ganze Bibliotheken einstürzen würden. Das gesamte Spektrum an Diskussion wird schon im montesquieuschen Werk selbst angelegt. Er, der Adlige, der vom freiheitlichen Geist der Aufklärung beseelt war, entwickelte die liberale These, dass politische Gewalt im Staat durch Aufteilung und Balance gebändigt werden müsse, damit sich das Individuum in Freiheit entfalten könne. 1022 Dabei scheint Montesquieu auf den ersten Blick lediglich eine klare Zuordnung der Gewalten zu verfolgen. Beim genaueren Hinsehen wird aber deutlich, dass schon diese Systematik weit über eine strukturelle Trennung hinausging und er zumindest die Legislative und die Exekutive miteinander verwob. 1023 Dem König sollte zwar die gesamte Exekutivgewalt übertragen sein, was sich im Wesentlichen auf die auswärtige und die militärische Kommandogewalt bezog. Diese musste allerdings finanziert werden. Hierfür bedurfte der Monarch eines Haushaltsgesetzes. Die Gesetzgebung als tragendes Credo montesquieuscher Gewaltentrennung sollte jedoch nicht allein den beiden Häusern des Parlaments 1020 Zur Einordnung der Begriffsgeschichte der Gewaltenteilungstheorie: H. Fenske, ‚Gewaltenteilung‛, in: O. Brunner/W. Conze/R. Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 3 Sp. 923, 925 ff. 1021 Bricht man den Grundansatzes der wissenschaftlichen Diskussion herunter, dann kommt man zu den zwei Konstanten die den Diskussionsverlauf determinieren: Handelt es sich bei der Theorie Montesquieus um eine Systematik der Gewaltentrennung oder der Gewaltenverbindung? Sollen also die staatlichen Gewalten so klar wie möglich separiert oder doch durch eine Interdependenz zum Zwecke gegenseitiger Kontrolle weitestgehend verzahnt werden? Zu den entsprechenden Diskussionen und Ansichten im staatswissenschaftlichen Spektrum beispielhaft und stilbildend statt vieler sei insbesondere verwiesen auf: G. Krauss, Die Gewaltengliederung bei Montesquieu, in: FS für Carl Schmitt, S. 103 ff; M. Imboden, Montesquieu und die Lehre der Gewaltentrennung; W. Kägi, Von der klassischen Dreiteilung zur umfassenden Gewaltenteilung, in: Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit FS Huber, S. 151 ff; Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 230 ff; M. Draht, Die Gewaltenteilung im heutigen deutschen Staatsrecht, in: Faktoren der Machtbildung, S. 99 ff; Möllers, Gewaltengliederung: Legitimation und Dogmatik im nationalen und internationalen Rechtsvergleich; ders., Die drei Gewalten. Legitimation der Gewaltengliederung in Verfassungsstaat, Europäischer Integration und Internationalisierung. 1022 Vgl. W. Weber, Die Teilung der Gewalten als Gegenwartsproblem, in: FS für Carl Schmitt, S. 254. 1023 Von der richterlichen Gewalt soll hier zum einen deshalb keine weitere Rede sein, weil Montesquieu diesbezüglich selbst von einer „en quelque facon nulle“ schrieb („…Des trois puissances dont nous avons parlé, celle de juger est en quelque facon nulle. Il n‛en rest que deux…“ – „Von den drei Gewalten, die wir erörtert haben, ist die richterliche in gewisser Weise gar nicht vorhanden“ – Vgl. E. Forsthoff, Vom Geist der Gesetze 1, 220), wodurch er die Rechtsprechung grundsätzlich aus dem staatlichen Bereich herausdeklinierte, zum anderen hat sie für die im Bereich der Rechtsetzung angesiedelten Vetorechte ohnehin keinen Belang.

I. Konfliktlinien zum Gewaltenteilungsprinzip (dem Adelshaus und dem Volkshaus) übertragen sein, sondern deren Legislativentscheidung war abhängig von der Zustimmung des Königs. Schon an dieser Stelle wird deutlich, dass die idealistischen Zielsetzungen, welche Montesquieu verfolgte, nicht allein durch Gewaltentrennung erreicht werden sollten. Vielmehr strebte er an, ein System sich gegenseitig überschneidender Kompetenzen und Mitwirkungsrechte zu errichten, durch welches echte Hemmung und Kontrolle der einzelnen zum Machtmissbrauch neigenden Teilgewalten ermöglicht werden sollte. 1024 Dieses Motiv ist auch dem rechtstaatlichen System des Grundgesetzes nicht unbekannt. Dennoch ist allenthalben zu lesen, dass das was Montesquieu im „Geist der Gesetze“ beschreibt, nicht mit den modernen Verfassungen unserer Tage und deren Vorstellungen von Gewaltenteilung gleichgesetzt werden kann. Das moderne Gewaltenteilungsprinzip hat mit der Konzeption Montesquieus nicht mehr viel gemein. 1025 Weder ist die heutige Legislative das, was sie im 18. Jahrhundert darstellte, noch kann man dies von der Exekutive behaupten. Legislativkörper sollen heute nicht mehr nur die gesellschaftlichen Verhaltensregeln für die Straf- und Zivilgerichtsbarkeit aufstellen und das entsprechende Prozessrecht kodifizieren. Gesetzgebung ist für das moderne vom Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes geprägte Verfassungsrecht vielmehr die alles dominierende Determinante. Weder von der damit zusammenhängenden fulminanten Verwaltungsgesetzgebung noch von dem Aspekt der exekutiven Verwaltung an sich hatte Montesquieu auch nur den Hauch einer Vorahnung. Die folgende Analyse von Martin Draht 1026 bietet einen fundierten Abriss der historischen Begleitumstände und der diesbezüglichen Deutungshorizonte des „Geistes der Gesetze“, wie sie in derartiger Deutlichkeit und gedanklicher Schärfe in nicht vielen Beiträgen zur Gewaltenteilung zu finden sind: „…Aus dem kontinentalen Konstitutionalismus ist in deutschen Theorien das Idealschema einer gewaltenteilenden Verfassung herauskonstruiert worden, das oft für Montesquieus eigene Lehre gehalten wird. Tatsächliche aber weicht das Schema von seinem Verfassungsentwurf im berühmten 6. Kapitel des Elften Buches von De L‛ Esprit des Lois vielfältig und grundsätzlich ab. In der Konstruktion des Schemas wird der Kern der Gewaltenteilungslehre und damit Montesquieus wesentliche historische Leistung gesehen. Aber seine Lehre deckt sich nicht mit jenem Schema; die deutschen Theorien betrachten überdies den ganzen Problemkomplex zu einseitig juristisch, zu wenig staatswissenschaftlich. […] Das Missverständnis beginnt schon bei der Frage, welches die drei Gewalten sind, mit denen sich Montesquieu beschäftigte und die er seinem Verfassungsentwurf zugrunde legte. Die allgemeine 1024 Vgl. Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 230 ff. 1025 Statt vieler: W. Kägi, Von der klassischen Dreiteilung zur umfassenden Gewaltenteilung, in: Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit FS Huber, S. 159. Die Veränderungen und Weiterentwicklungen zu dem was einen Staat heute ausmacht sind zu finden bei: Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 232/236. 1026 Auszüge aus: M. Draht, Die Gewaltenteilung im heutigen deutschen Staatsrecht, in: Faktoren der Machtbildung, S. 99-107. 369

I. Konfliktlinien zum Gewaltenteilungsprinzip<br />

(dem Adelshaus und dem Volkshaus) übertragen sein, sondern deren Legislativentscheidung<br />

war abhängig von der Zust<strong>im</strong>mung des Königs. Schon an dieser<br />

Stelle wird deutlich, dass die idealistischen Zielsetzungen, welche Montesquieu<br />

verfolgte, nicht allein durch Gewaltentrennung erreicht werden sollten. Vielmehr<br />

strebte er an, ein System sich gegenseitig überschneidender Kompetenzen und<br />

Mitwirkungsrechte zu errichten, durch welches echte Hemmung und Kontrolle<br />

der einzelnen zum Machtmissbrauch neigenden Teilgewalten ermöglicht werden<br />

sollte. 1024 Dieses Motiv ist auch dem rechtstaatlichen System des Grundgesetzes<br />

nicht unbekannt.<br />

Dennoch ist allenthalben zu lesen, dass das was Montesquieu <strong>im</strong> „Geist der<br />

Gesetze“ beschreibt, nicht mit den modernen Verfassungen unserer Tage und<br />

deren Vorstellungen von Gewaltenteilung gleichgesetzt werden kann. Das moderne<br />

Gewaltenteilungsprinzip hat mit der Konzeption Montesquieus nicht mehr viel<br />

gemein. 1025 Weder ist die heutige Legislative das, was sie <strong>im</strong> 18. Jahrhundert darstellte,<br />

noch kann man dies von der <strong>Exekutive</strong> behaupten. Legislativkörper sollen<br />

heute nicht mehr nur die gesellschaftlichen Verhaltensregeln für die Straf- und<br />

Zivilgerichtsbarkeit aufstellen und das entsprechende Prozessrecht kodifizieren.<br />

Gesetzgebung ist für das moderne vom Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes<br />

geprägte Verfassungsrecht vielmehr die alles dominierende Determinante. Weder<br />

von der damit zusammenhängenden fulminanten Verwaltungsgesetzgebung noch<br />

von dem Aspekt der exekutiven Verwaltung an sich hatte Montesquieu auch nur<br />

den Hauch einer Vorahnung.<br />

Die folgende Analyse von Martin Draht 1026 bietet einen fundierten Abriss der<br />

historischen Begleitumstände und der diesbezüglichen Deutungshorizonte des<br />

„Geistes der Gesetze“, wie sie in derartiger Deutlichkeit und gedanklicher Schärfe<br />

in nicht vielen Beiträgen zur Gewaltenteilung zu finden sind:<br />

„…Aus dem kontinentalen Konstitutionalismus ist in <strong>deutschen</strong> Theorien das Idealschema einer<br />

gewaltenteilenden Verfassung herauskonstruiert worden, das oft für Montesquieus eigene Lehre<br />

gehalten wird. Tatsächliche aber weicht das Schema von seinem Verfassungsentwurf <strong>im</strong> berühmten<br />

6. Kapitel des Elften Buches von De L‛ Esprit des Lois vielfältig und grundsätzlich ab. In<br />

der Konstruktion des Schemas wird der Kern der Gewaltenteilungslehre und damit Montesquieus<br />

wesentliche historische Leistung gesehen. Aber seine Lehre deckt sich nicht mit jenem Schema; die<br />

<strong>deutschen</strong> Theorien betrachten überdies den ganzen Problemkomplex zu einseitig juristisch, zu<br />

wenig staatswissenschaftlich. […]<br />

Das Missverständnis beginnt schon bei der Frage, welches die drei Gewalten sind, mit denen sich<br />

Montesquieu beschäftigte und die er seinem Verfassungsentwurf zugrunde legte. Die allgemeine<br />

1024 Vgl. Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 230 ff.<br />

1025 Statt vieler: W. Kägi, Von der klassischen Dreiteilung zur umfassenden Gewaltenteilung, in: Verfassungsrecht<br />

und Verfassungswirklichkeit FS Huber, S. 159. Die Veränderungen und Weiterentwicklungen zu dem was einen<br />

Staat heute ausmacht sind zu finden bei: Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 232/236.<br />

1026 Auszüge aus: M. Draht, Die Gewaltenteilung <strong>im</strong> heutigen <strong>deutschen</strong> Staatsrecht, in: Faktoren der Machtbildung,<br />

S. 99-107.<br />

369

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!